Was hat Nico Rosberg 2016 anders gemacht als in den Jahren zuvor? Wie schaffte er es, Hamilton stärker unter Druck zu setzen? Wie konnte er die WM gewinnen? Die Gründe dafür liegen in seinem Kopf.
Irgendetwas war anders mit Nico Rosberg in diesem Jahr. Das konnte man früh sehen. Lewis Hamilton hatte ihn den letzten zwei Jahren gedemütigt. Besonders im letzten Jahr, als der Brite schon in Austin den Titel holte und sich damit bedankte, dass er Rosberg die Kappe des Zweitplatzierten respektlos in den Schoß warf. Hamilton hatte gezeigt: Er ist der bessere Fahrer, er ist schnellere Mann. Rosberg, das ewige Talent, drohte zu einer dauerhaften Nummer Zwei zu werden. Ohne Chancen auf einen Platz in einem anderen Top-Team. Denn wer verpflichtet schon die Nummer Zwei, wenn man Weltmeister werden will?
Die Veränderung von Rosberg konnte man auf zwei Ebenen sehen. Er ließ sich von Hamilton nicht mehr die Butter vom Brot nehmen. Gut zu sehen beim Crash in Spanien und der Kollision in Österreich. Hatte er früher auch aus Rücksicht aufs Team gehandelt, so stellte er jetzt sein Ergebnis in den Vordergrund. Die aber vielleicht viel wichtigere Veränderung: Er hat eingesehen, dass Lewis an manchen Tagen unschlagbar ist. Weder er noch Vettel oder sonst wer könnten mit dem gleichen Material Hamilton schlagen, wenn der „on the roll“ ist. Statt sich zu grämen, zu grübeln und nachzudenken, hakte er Niederlagen in diesem Jahr einfach ab.
Dieser neue Fokus, dieser komplett neue Weg war sicherlich nicht leicht zu gestalten. Denn dafür musste er sich eingestehen, dass Lewis eben oft der Bessere ist. Gleichzeitig ist er aber nicht in das Denkmuster verfallen, dass Lewis unschlagbar ist. Eine schwierige Balance, eine schwierige Situation. Einerseits eine Niederlage abzustreifen, andererseits weiter an sich und die eigene Stärke zu glauben.
Ein bisschen erinnert die Situation an jene zwischen Prost und Senna. Auch der Franzose wusste, dass man einen Senna an dessen besten Tagen nicht schlagen konnte. Prost hat sich damit abgefunden und sich auf sein Rennen konzentriert. Diese Taktik brachte Prost an Senna ran und damit zermürbte er den Brasilianer an machen Tagen.
Rosberg gelang 2016 zum ersten Mal, seit Hamilton bei Mercedes ist, etwas ähnliches. Der Deutsche wusste, dass der Brite nicht unschlagbar war. Rosberg zeigte das zu Beginn der Saison, aber vor allem in Singapur und Suzuka. Das waren brillante Rennen, in denen Rosberg den Hauch schneller war, den er schneller sein musste, um die Pole und den Sieg zu holen. In den anderen Rennen sah er zu, dass er P2 holen konnte. Die WM ist wichtiger als der Sieg.
Diese Taktik hat Hamilton unter Druck gesetzt. Auch er weiß, dass man Rosberg nicht einfach so schlägt, auch er weiß, dass Rosberg an einem guten Tag schneller ist als er. Aber im Gegensatz zu den letzten Jahren war Rosberg in diesem Jahr stabil und ließ sich von Lewis (zumindest nach außen) nicht unter Druck setzen. Im Gegenteil – es war Hamilton, der sich einen groben Schnitzer erlaubte, als er sein Auto in Baku in der letzten Quali in die Leitplanken setzte. Hamilton wirkte 2016 oft wieder so dünnhäutig wie in seinen Anfangsjahren. Er beschwerte sich viel, er haderte mit der Technik, die ihn oft im Stich ließ. Von der schon arroganten Überlegenheit der Jahre zuvor war wenig zu sehen.
Was auch daran lag, dass es ihm scheinbar schwer fiel, Rosberg einzuschätzen. Er konnte ihn nicht mehr so greifen, nicht mehr so verstehen wie in den Jahren zuvor. Die Schwachstellen von Rosberg, gerade im mentalen Bereich, waren nicht mehr da. Teilweise wirkte Hamilton angesichts der Siegesserien von Rosberg etwas hilflos.
Und vermutlich war dies das Geheimnis, mit dem Rosberg dieses Jahr die WM für sich entscheiden konnte. Ein anderes Mindset, eine andere Form der Konzentration, eine aggressivere Fahrweise.
Natürlich gehört zu einer WM in einer langen Saison auch Glück. Dass Rosberg ohne technische Defekte durch die Saison gekommen ist, ist ein kleines Wunder. Aber das gehört eben zu einer Saison. Genauso wie vor 34 Jahren, als sein Vater, mit einem eigentlich unterlegenen Auto, am Ende die WM gewinnen konnte, weil sein Wagen weniger oft ausfiel als die Autos der Konkurrenz. Und weil Keke Rosberg, wie sein Sohn, die Zähigkeit besitzt, sich gegen alle Widerstände und vielleicht sogar manchmal bessere Fahrer durchsetzen zu können.
Um sich gegen einen Fahrer wie Lewis Hamilton durchzusetzen, der schon jetzt eine Legende ist, der auf dem Weg ist, viele Rekorde in der Formel Eins zu brechen, der verglichen wird mit Jim Clark, Jacky Stewart und Ayrton Senna – dafür bedarf es eines besonderen Fahrers und eines besonderen Talents. Und das hat Nico Rosberg in diesem Jahr unter Beweis gestellt.
4 Kommentare
Wieviel Einfluss hatte es, dass man vor der Saison bei Mercedes intern die Mechaniker-Teams gewechselt hat?
bzw. stimmt das überhaupt so vollkommen oder wurden nur einzelne Personen getauscht ? Ich glaube die Frage wurde auch bei einer PK gestellt, worauf es eine eher langweilige „das ist ganz normal“ Antwort gab.
Gibt es sowas wie eine natürliche Rotation oder besser gesagt, möchte man da auch „Chancengleichheit“ unter den Mechanikern herstellen? Habe in britischen Medien immer wieder gefunden, dass Team Rosberg (letztes Jahr Team Ham), das erfahrenere sei, wobei viele „Rosberg wurde bevorteilt Theorien“ aus UK natürlich vollkommener Quatsch sind – aber kann man somit sagen, dass eine Mercedes Mech-Team nun 3mal in Folge gewonnen hat (2x mit Lewis 1x Nico) oder hatte Nico in der vorletzten Saison das identische Team?
Gibt es da zusätzliche Prämien oder heißt es am Ende Hauptsache Konstrukteurstitel bringen Boni?
Würde mich sehr freuen, wenn da einer von euch Ahnung hat – in der deutschen Presse findet man ja auf journalistisch leicht investigativen Ebene leider nur noch sehr wenig bzw. die „Reporter an der Stecke“ scheinen mir fast nur noch PR-Meldung umzuschreiben und Copy-Paste mit Twitter-Inhalten der Fahrer zu machen (kann ein sehr gutes Feature sein, wenn es – so wie bei euch- ergänzend eingesetzt wird, aber dadurch nicht zum eigentlichen Schwerpunkt des Inhaltes mutiert) Wie auch immer – Danke jedenfalls an euch für die immer „persönliche Berichterstattung“ – seid ein gutes Team!
@yuf28:
Es wurden die beiden Chefmechaniker plus zwei weitere Leute zwischen den beiden Autos getauscht, also drei gegen drei. Gemacht wurde das, um die vorhandenen Spannungen zwischen den Fahrern zu mitigieren und den Laden frisch zu halten. Insgesamt ist das durchaus nicht unnormal. Es war schon ein wenig frappierend, dass in diesem Jahr die technischen Probleme eher bei Lewis waren, während sie die zwei Jahre davor eher recht massiv bei Nico auftraten. Eklatante einen normalen Rahmen sprengende Häufungen waren das aber nie, und in diesem Jahr insgesamt auch gefühlt weniger als vorher. Da kann Hamilton noch so jammern (und vergessen, wie oft Rosberg 2014/15 technisch bedingt zurück- oder ausgefallen ist und er selbst nicht).
Ich denke, Rosberg hat den Vergleich zwischen den Fahrern dieses Jahr auch getreu dem alten F1-Motto „Stillstand ist Rückschritt“ gewonnen. Rosberg hat sich sein Fahrkönnen seit jeher erarbeiten und antrainieren müssen, mit Akribie, mit Disziplin, mit Durchhaltewillen, mit analytischer Lernbereitschaft. Dass er (wie z.B. auch Button) Triathlon als Hobby(!) macht, sagt einiges aus. Er ist diesen modus operandi gewohnt. Hamilton ist dagegen von Kindheit an mit natürlichem Talent gesegnet, und von Schulterklopfern umgeben, die ihn dafür loben (was jetzt auch nicht wirklich gut für die Charakterbildung ist…). Er trifft seine Rennentscheidungen aus dem Bauch heraus. Auf diesem Talent ruht er sich dann mitunter aus (gerade wenn eh alles in Butter ist, wie die beiden Jahre zuvor), während Rosberg immer wieder noch mehr stetig an sich arbeitet, und sich dadurch eben auch erarbeitet, was es braucht, um einem Hamilton mit gleichem Material über eine Saison hinweg überlegen zu sein.
Beispielhaft deutlich wurde das in Baku. Rosberg hatte sich ausführlichst auf die unbekannte Strecke vorbereitet und massig Zeit im Simulator verbracht, und dabei wie immer auch das System „Auto“ gelernt. Hamilton hat in seinem typischen Party-Laissez-Faire nach eigener Aussage zwei Stunden so’n bisschen im Simulator gesessen und sonst ausdrücklich nichts weiter für nötig gehalten, und stattdessen Urlaub auf Instagram sonstwo in der Welt gemacht. Ergebnis: bei beiden Autos tritt im Rennen ein Fehler auf. Rosberg bedient ein paar Schalter am Lenkrad und der Systemfehler ist behoben. Hamilton verbringt mehrere Runden damit, mit der Box zu diskutieren (man durfte ihm ja nichts sagen) und heult in den Funk „wenn ihr mir keine Anweisungen gebt drücke ich jetzt einfach mal irgendwie alle Knöpfe und wenn das Auto dadurch kaputt geht ist das eure Schuld“. Rosberg hatte die Strecke und sein Auto absolut im Griff und gewann. Hamilton hatte die Strecke und sein Auto nicht im Griff, hatte dafür etliche Ausrutscher und Crashes, und wurde Zehnter.
Erst in der zweiten Saisonhälfte hatte man dann den Eindruck, dass Hamilton gemerkt hat, dass der nächste Titel nicht von alleine kommt, er Rosberg eben nicht im Griff hat, sondern härter arbeiten muss und sich ebenfalls nochmal verbessern muss, um die WM zu gewinnen. Aber da war’s dann schon zu spät, trotz der Marathon-Saison von 21 Rennen.
Dass es ihm schwer fällt, die grosse und grossartige Leistung des anderen zu würdigen und zu respektieren, und stattdessen gerne Team-internen Verschwörungsquatsch und persönliches Pech als Gründe für seine Niederlage herbeifantasiert, das ist schon ziemlich traurig. Klar hält jeder Fahrer sich selbst für den besten, gerade die auf Champion-Niveau wo es Ellenbogen, Chuzpe und eine gewisse dreckige Respektlosigkeit eigentlich zwingend braucht. Aber man sollte schon den Punkt erkennen können wo der Braten gegessen ist, und die Grösse besitzen, bei aller Enttäuschung nach dem Game Over etwas mehr als nur widerwillig zu gratulieren und den Sieg des anderen anzuerkennen.
@nona
Wenn 2-3 mal der selbe Defekt an meinem Auto auftaucht würde ich auch an eine Verschwörung glauben das da jemand an meinem Auto rum pfuscht und nicht will das ich meinen Titel verteidige.
Tja, was soll ich sagen… nicht jeder ist ein Freund von Rationalität und Pragmatismus.
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