Wir schreiben das Jahr 2005. Während die Trainingstage noch vom für Le Mans typischen Landregen gestört wurden, herrschen an beiden Renntagen ungewöhnlich hohe Temperaturen. Nach einem sehr intensiven Zeitenduell mit einem Pescarolo-Boliden, dessen Technik aufgrund der Hitze nicht optimal funktioniert, kann der Audi-Pilot Marco Werner zusammen mit JJ Lehto und Tom Kristensen gewinnen. Es ist der erste von insgesamt drei Gesamtsiegen (2005, 2006 und 2007) für den Deutschen an der Sarthe. Ähnlich erfolgreich agierte der gebürtige Dortmunder auch bei den 12 Stunden von Sebring. In der siebten Ausgabe von #RaceitLike äußert er sich über das Ende der Audi-Ära in Le Mans, gibt Reiseempfehlungen und beschreibt seine Leidenschaft für historischen Motorsport. Viel Spaß!
Racingblog: Vor wenigen Wochen schrieb Audi das vorerst letzte Kapitel einer langen Le Mans-Geschichte, in der Du sicherlich zu den Hauptfiguren gehört hast. Die Tränen der Beteiligten, allen voran Dr. Wolfgang Ullrich, sprechen für sich. Ist an diesem Tag eine Motorsport-Familie auseinandergebrochen?
Werner: Die Motorsport-Familie Audi bricht nicht auseinander, ein Kapitel geht zu Ende, welches mit tollen Erfolgen, Erlebnissen und auch Quantensprüngen bei der Technik so schnell nicht in Vergessenheit gerät. Audi macht weiterhin Motorsport und geht zum Beispiel mit der Formel E neue und zukunftsweisende Wege.
Racingblog: Wählen wir lieber eine schönere Perspektive auf die ruhmreiche Verbindung zwischen Audi und dem Spirit of Le Mans: Was war Dein einprägsamster Moment hinter dem Lenkrad auf dem Circuit de la Sarthe?
Werner: Audi steht immer für „Vorsprung durch Technik“. Das habe ich spüren dürfen, als ich zu Audi kam. Noch nie hatte ich ein Team erlebt, welches sich so vorbereitet und so organisiert ist. In den Boxen gab es vorgefertigte Kisten mit Werkzeug und Teilen, die es eventuell zu wechseln gab. Da wurde nicht in Werkzeugkisten erst nach den passenden Schraubenschlüsseln gesucht und Zeit verloren. Ich bin nach JJ Lehto’s Unfall in der Startphase 2004, nach knapp einer Stunde, wieder auf das fast neu aufgebaute Auto gestiegen und gleich Topzeiten gefahren. Am Funk sagten sie mir noch, „lass es langsam angehen“. Ich habe nur geantwortet, dass sie einen phantastischen Job gemacht haben, das Auto sich gut anfühlt und ich ihnen vertraue. Es gab mir unheimlich viel Sicherheit zu wissen, wie sie arbeiten und wie strukturiert sie sind. Sie haben ihren Job gut erledigt, jetzt war ich an der Reihe. Le Mans ist Teamwork und viel Spirit.
Racingblog: Du warst auch viele Jahre in Nordamerika unterwegs und kennst die klassischen Strecken der US-amerikanischen Sportwagenszene in- und auswendig. In den Reihen des Racingblogs trifft man gerne mal auf reisewütige Enthusiasten. Welche Strecke sollte unbedingt mit einem Urlaub in den Vereinigten Staaten verbunden werden?
Werner: Florida ist immer eine Reise wert. Also auf nach Sebring zum 12-Stunden-Rennen! Dort ist im Infield mit den Fans eine Woche lang Party. Ich habe noch nie so etwas an einer Rennstrecke erlebt. Dazu ist man hautnah an der Strecke, nicht auf riesigen Betontribünen, kommt überall in das Fahrerlager und an Fahrer und Autos heran. Rennsport hautnah erleben – das ist US-Rennsport!
Racingblog: Deine beeindruckende Karriere hast Du in den letzten Jahren vermehrt ausklingen lassen. Zu den Highlights in der früheren Vergangenheit gehörten vor allem Auftritte bei den 24 Stunden auf dem Nürburgring im Rahmen der Audi Race Experience. Wie umfangreich ist die Vorbereitung eines Kunden sowohl auf diese brutale Strecke als auch auf die GT3-Spitzenkategorie? Hilft dabei möglicherweise Deine Vergangenheit als KFZ-Mechaniker, der verhältnismäßig spät in den Motorsport eingestiegen ist?
Werner: Heute ist die Technik sehr komplex geworden. Als Fahrer kannst du dir nur noch in den seltensten Fällen selber helfen und etwas reparieren. Aber wenn, ist es sicher hilfreich, etwas Ahnung davon zu haben. Einen kleinen „Erste-Hilfe-Kurs“ gibt es für uns Fahrer immer für den Ernstfall bei einem 24-Stunden-Rennen. Was die Kunden betrifft, sind die meisten schon oft Nordschleife in kleineren Kategorien gefahren und wollen mal einen GT3 erleben. Für Neulinge wie Felix Baumgartner gibt es eine sehr intensive Vorbereitung auf der Nordschleife und viele Tests auch abseits der Nordschleife mit dem Audi R8 LMS GT3. Er kam also bestens vorbereitet und ausgebildet zum Nürburgring. Ein Ergebnis in den Top Ten hat das belohnt und bestätigt.
Racingblog: Apropos Vorbereitung: Mittlerweile ist die Ausbildung junger Piloten zu einer Hauptaufgabe in Deinem Leben geworden. Dies geschieht hauptsächlich im Rahmen des Audi Sport TT Cup. Drei Gründe, warum der Cup das ist, was der Nachwuchsmotorsport dringend braucht…
Werner: Chancengleichheit. Alle Audi TT Cup-Fahrzeuge werden zentral bei Abt vorbereitet. „Schummeln“ wie in anderen Cups, sich einen Vorteil verschaffen, ist nicht möglich. Spannende Rennen sind vorprogrammiert, in denen es eng zugeht und die besten sich durchsetzen und ihr Talent beweisen können. Die ersten haben bereits den Sprung in die GT3 und auch LMP3 geschafft.
Kosten. Auch wenn circa 120.000 €, gerade für junge Talente, viel Geld ist, sind die Kosten doch geringer, als wenn man sich jedes Jahr ein Auto kaufen muss, den dazugehörigen Auflieger, ein Ersatzteilpaket und so weiter. All das wird ja von Audi zentral organisiert und angeboten.
Coaching. Wir bereiten die Talente vor wie nirgendwo anders. Schulungen zum Thema Technik sind genauso ein Teil wie vor jedem Training oder Rennen ein Drivers‘ Briefing, in dem ich, quasi wie der Rennleiter, noch mal Regeln und Verhaltensweisen näher bringe. Wir arbeiten mit den Daten, um jeden Einzelnen weiter zu bringen, und zeigen ihnen, was Fahrweise und Setup bringen kann. Auch eine Fitnesswoche gehört dazu, um aufzuzeigen, was jeder noch so an sich tun kann. Dabei wird auch der Zusammenhalt gefördert, auch wenn sie später natürlich gegeneinander fahren.
Racingblog: Im Gegensatz zu diesen modernen Strukturen verbringst Du auch viel Zeit im Umfeld des historischen Motorsports. Die Begeisterung dafür scheint weltweit immer weiter zu wachsen. Dabei helfen auch Veranstaltungen wie das Goodwood Festival of Speed. Was fasziniert einen Marco Werner an dieser Art des Motorsports?
Werner: Vor einigen Jahren hatte ich die Möglichkeit, in Goodwood auch einige Audi-Modelle zu fahren, die vor meiner Zeit fuhren. Teils so alt, dass ich sie nur aus Büchern kannte, wie die Grand Prix-Wagen aus den 30er Jahren. Oder zum Beispiel der IMSA GTO Audi, vor dem ich als Kind mit großen Augen stand. Jetzt darf ich ihn selber fahren. Das war schon echt eine Zeitreise und es ist faszinierend, solche Autos fahren zu dürfen und zu sehen, was die Fahrer damals leisten mussten. Mittlerweile bin ich öfter auf historischen Veranstaltungen zu Gast und habe dort auch meine Erfolge. So konnte ich ja in diesem Jahr quasi meinen vierten Le Mans-Sieg feiern, als ich dort die Le Mans Classic mit dem Porsche 936 gewinnen konnte. Das war eine riesen Tortur bei der Hitze. Ein Stint von einer Stunde war schlimmer als zu meiner Zeit vier Stunden in einem Audi R10 TDI. Es macht aber trotzdem einen riesen Spaß, diese Autos aus anderen Epochen zu fahren. In Le Mans waren 130.000 Zuschauer. Das zeigt, dass der historische Sport anerkannt ist und immer mehr Stellenwert bekommt. In Monaco war ich in diesem Jahr das erste Mal beim Formel 1 Historic Grand Prix am Start. Ich fuhr einen Ferrari 312 B3 aus 1973 von Niki Lauda. So etwas ist schon ein Privileg und ein emotionales Erlebnis obendrein.
Wir wünschen dem Le Mans-Könner eine schöne Winterpause und bedanken uns für die gewährten Einblicke. Im Zuge der Erläuterungen zum TT Cup weisen wir gerne darauf hin, dass man die Früchte der Arbeit von Marco Werner dank unserer TV-Zeiten-Liste auch im kommenden Jahr sehen kann.
#RaceitLike Marco Werner!
Bilderquelle / Copyright: Marco Werner