Der Höhepunkt der IndyCar-Saison hat nicht nur die Erwartungen der Fans erfüllt, sondern in fast allen Belangen übertroffen. Nach über drei Stunden konnte Takuma Sato als erster Japaner die Siegermilch von Indianapolis genießen.
Um 15:40 Uhr am Sonntag dachten wir Motorsportfans, dass wir gerade das beste Rennen der Saison gesehen hatten. Mit einer dramatischen letzten halben Stunde waren die 24 Stunden vom Nürburgring gerade zu Ende gegangen. Keine sieben Stunden später war das Rennen in der Eifel schon auf Platz 2 verdrängt worden. Das Indianapolis 500 folgte dem Drehbuch für ein perfektes Rennen. Wäre es ein Hollywoodfilm gewesen, hätte man es als unrealistisch und verkitscht abgetan, weil einfach alles dabei war:
– der große Star von außerhalb, der als Rookie das Feld anführt
– spektakulärere Crashs, nach denen die Fahrer einfach aus ihren Wracks klettern
– ein herzzerreißender Ausfall, inklusive Standing-Ovations des Publikums
– eine Vielzahl an phantastischen Überholmanövern
– eine Aufholjagd vom Ende des Feldes bis zur Spitze
– ein Ersatzfahrer, ohne viel Training, übernimmt die Führung
– unterschiedliche Strategien
– ein Sprintfinale über elf Runden
– ein Rookie von einem kleinen, gebeutelten Team, der das Podium erreicht
– ein Verlierer, der Kraft aus seiner Familie schöpft
– ein Underdog, der seine Karriere krönt
Fangen wir aber von vorne an. Das erste Rennviertel verlief relativ ruhig und wie die Experten geahnt hatten. Die Hondas, insbesondere von Andretti Autosport und Chip Ganassi Racing, dominierten das Feld. Bei Andretti hatte man sich für eine Einstellung mit mehr Abtrieb entschieden. Bei Ganassi ging man den genau entgegengesetzten Weg. Der mangelnde Abtrieb strapazierte die Reifen mehr und Pole-Sitter Scott Dixon verlor im Laufe des Stints immer mehr Plätze. In Runde 28 überholte ihn zum Beispiel Fernando Alonso im Kampf um Platz 4. Am besten Haushalten mit dem Reifenmaterial konnten aber die Chevrolets von Team Penske. Runde 31 absolvierte Juan Pablo Montoya mit einem Schnitt von 220,530 mph, während die Hondas in den Top-10 ab Runde 25 nur noch zwischen 212 und 218 mph fahren konnten. Durch das Abwürgen des Motors beim Boxenstopp konnte der Kolumbianer aber keinen Profit aus den schnellen Runden ziehen. Trotzdem arbeite sich Team Penske langsam, angeführt von Helio Castroneves, nach vorne.
In Runde 35 ging Fernando Alonso an seinem Teamkollegen Alexander Rossi vorbei und übernahm so die Führung des Rennens. Die Fans im IMS und an den Fernsehgeräten waren begeistert. Nur zehn Minuten später hielten dann aber alle ihren Atem an. Eingangs der Start- und Zielgeraden rutschte der stark zerstörte Wagen von Scott Dixon über den Asphalt. Schnell konnte man aber Entwarnung geben, da Dixon sich mit eigener Kraft aus dem Wrack befreien konnte und einen unverletzten Eindruck machte.
Ryan Hunter-Reay war in Kurve 4 ziemlich energisch am überrundeten Jay Howard vorbeigegangenen, der nach außen in den Dreck ausweichen musste. Dort verlor er seinen Wagen und schlug in die Wand ein. Scott Dixon konnte dem nach unten rutschenden Wagen nicht ausweichen und stieg über dessen Heck auf. Nach einem irrsinnigen Luftstand schlug die Nr. 9 mit der Seite auf die Wand und SAFER-Barrier auf, während das Heck im Zaun landete. Das Monocoque sowie die Verbindung zum Motor hielten diesem Aufschlag stand. Nur das Getriebe samt Hinterrad wurde aber unter anderem von Will Power eingesammelt, der sowohl ein neuen Heck- und Frontflügel brauchte. Die Klimax des Crashs war aber Helio Castroneves, der unter dem fliegenden Dixon hindurch musste. Dabei verlor er den kleinen Flügel hinter dem rechten Hinterrad durch einen kleinen Sprung über eine Bodenwelle. Zur Reparatur des Zauns musste das Rennen für 20 Minuten unterbrochen werden.
Wie so häufig folgte der einen Caution direkt die nächste. In Runde 66 versuchte Conor Daly außen in Kurve 2 an Charlie Kimball vorbeizugehen. Dort verlor er Grip und schlug hart in die SAFER-Barrier ein. Jack Harvey traf folgend ein Trümmerstück und verfehlte nur knapp einen Safety-Truck, der zu früh auf die Strecke fuhr. Zum zweiten Mal hatte die IndyCar Series großes Glück. Währenddessen hatte Andretti Autosport vorne mit Takuma Sato, Alexander Rossi, Ryan Hunter-Reay und Fernando Alonso in den Top-4 komplett die Kontrolle übernommen. Die Chevrolets von Ed Carpenter Racing waren die ersten Verfolger.
In Runde 81 folgte schon die nächste Caution. Diesmal hatte sich der Winglet hinter dem linken Hinterrad bei Marco Andretti, der zu diesem Zeitpunkt auf Platz 9 lag, gelöst. Mit dieser Beschädigung verlor Marco Andretti die Balance in seinem Wagen und konnte im Verlauf des Rennens den Speed seiner Teamkollegen nicht mehr erreichen. Diese dritte Caution rettete das Rennen von Helio Castroneves. Beim ersten Restart war er zu übermütig und überholte seinen ersten Kontrahenten schon vor der Ziellinie. Dafür musste er in Runde 75 unter Grün eine Drive-Through-Penalty antreten. Zum Zeitpunkt der Debris-Caution lag er auf Platz 26 und 25 Sekunden hinter Pippa Mann vor ihm.
Bis auf Max Chilton, Will Power und Helio Castroneves, die in der vorangegangenen Gelbphase an der Box waren, nutzte das ganze Feld die Caution für einen Stopp. Takuma Sato verlor dabei viele Plätze, da einem Mechaniker die Radmutter heruntergefallen war. Seine drei Teamkollegen Ryan Hunter-Reay, Alexander Rossi und Fernando Alonso waren aber immer noch die schnellsten im Feld und übernahmen ab Runde 86, mit kurzer Ausnahme durch Helio Castroneves, wieder die Spitze. Zur Halbzeit wurde es ziemlich klar, dass die Hondas, insbesondere die von Andretti Autosport, über den Speed nicht zu schlagen sein würden.
Buddy Lazier verlor in Runde 121 in Kurve 2 seine Wagen und schlug hart in die SAFER-Barrier ein. Er läutete damit eine Phase von vier Gelbphasen ein, die für unterschiedliche Strategien genutzt wurden. Es folgten zwei Cautions für Debris und in Runde 136 ging der Motor von Ryan Hunter-Reay ein. Das war der neunte Motorschaden eines Hondas in Indianapolis, inklusive des Grand Prix. Außerdem war so nach Scott Dixon der zweite Topfavorit aus dem Rennen.
Zum Restart in Runde 147 bildeten die Top-8 Fahrer, die in Runde 124 (Kimball, Chilton, Hildebrand, Jones, Andretti) und Runde 133 (Davison, Rahal, Pagenaud) an der Box waren. Für ein Finale mit nur einem weiteren Stopp mussten diese Fahrer zum einen Benzin sparen und zum anderen auf weitere Cautions hoffen. Auf Platz 9 lag mit Helio Castroneves der erste Pilot, der sicher mit nur einem weiteren Stopp das Ziel erreichen konnte. Alexander Rossi musste sich nach einem vom Mechaniker mit dem Tankschlauch verpatzten Boxenstopp hingegen aus der Spitzengruppe verabschieden.
Der Wunsch nach Gelbphasen wurde erhört, nur nicht in der Form, wie sich die Honda-Fahrer und viele Fans es sich gewünscht hätten. In Runde 166 versagte der Honda-Motor im Heck von Charlie Kimballs Wagen den Dienst. Nur 13 Runden später wurde Fernando Alonso langsam, weil sich auch sein Motor verabschiedet hatte. Das Publikum begleitete ihn mit Standing Ovations in die Boxengasse. Es war ein fantastischer Auftritt des Spaniers. Ohne den Defekt hätte er sicherlich um einen Platz in den Top-5, vielleicht sogar mehr, fahren können, obwohl er bei den Restarts immer vorsichtig war und so einige Plätze eingebüßt hatte. Vom reinen Speed her wäre auch ein Sieg für Fernando Alonso möglich gewesen.
Während sich einige Top-Hondas, auch Graham Rahal mit einem Plattfuss in Runde 150, verabschiedeten, fuhr sich mit Takuma Sato ein anderer wieder in die Spitzengruppe. Nach dem Missgeschick beim Boxenstopp lag er zur Rennhalbzeit nur auf Platz 15. Er war aber auch im dichten Verkehr sehr schnell und mit einigen starken Überholmövern hatte er sich bis auf Platz 2 zum Restart in Runde 183 nach vorne gefahren. Er profitierte von keiner abweichenden Strategie oder einer günstig gefallenen Gelbphase. Das war ganz alleine das Können des Japaners. Anders war es im Fall von Max Chilton und Ed Jones. Beide profitierten von ihrer Strategie (Stopp in Runde 124) und der Caution durch Kimball. Beide waren eine Runde vorher bei ihrem letzten Stopp gewesen und als das Feld dann unter Gelb folgte, waren sie vorne und alle Fahrer wieder auf derselben Strategie.
Direkt nach dem Restart folgte der nächste schwere Unfall. Oriol Servia und James Davison, der in Runde 165 sogar kurzfristig die Führung übernommen hatte, verloren unabhängig voreinander ihre Wagen in Kurve 2. Will Power räumte in Folge James Hinchcliffe ab und Josef Newgarden konnte den Trümmerteilen nicht ausweichen und streifte die innere Mauer. Newgarden nahm für drei Runden das Rennen noch einmal auf, für die anderen vier Fahrer war es in Runde 184 beendet.
Mit Runde 189 wurde das Rennen wieder freigegeben. Max Chilton verteidigte sich gut gegen Takuma Sato, der so Schwung verlor und in Kurve 3 außen von Helio Castroneves in Runde 191 überholt werden konnte. Mit dem gleichen Manöver holte sich der Brasilianer in Runde 193 auch die Führung von Chilton, der nur zwei Kurven später auch den Japaner ziehen lassen musste. In Runde 195 ging Sato ohne große Gegenwehr von Castroneves in Führung, der sich wohl von Platz 2 bessere Chancen auf den Sieg ausrechnete. Der Japaner war aber sehr stark, sodass ein Konter nicht so leicht war. Castroneves versuchte es in Runde 199 außen in Kurve 1, verlor so aber Schwung und konnte die nächsten 2,5 Runden auch nicht mehr in Schlagdistanz kommen. So hieß der verdiente Sieger Takuma Sato.
Vier Runden vor dem Ende ging Ed Jones an Max Chilton vorbei und sicherte sich so Platz 3. In der Vorschau schrieb ich: „Wenig erwarten darf man hingegen von Dale Coyne Racing nach dem Ausfall von Sebastien Bourdais.“ Rookie Ed Jones und das Team haben mich eines Besseren belehrt. Das war eine unglaublich gute Performance.
Max Chilton und Tony Kanaan betrieben mit den Plätzen 4 und 5 Schadensbegrenzung für Chip Ganassi Racing. Mit der Idee, weniger Abtrieb zu fahren zu Beginn des Rennens, hatte man die falsche Entscheidung getroffen. Über die Renndistanz konnte man es aber korrigieren. Auf den Plätzen 6 und 7 folgten mit Juan Pablo Montoya und Alexander Rossi die Sieger der vergangen beiden Jahren. Beide verloren bei Stopps viel Zeit. Trotzdem dürfte Montoya noch das Maximale aus seinem Penske-Chevrolet geholt haben. Simon Pagenaud und Josef Newgarden kamen im Verlauf des Rennens nie in die Top-10. Rossi hingegen war zwischenzeitlich ein recht sicherer Kandidat für die Top-3.
Marco Andretti war eigentlich immer langsamer als seine Teamkollegen Sato, Hunter-Reay, Rossi und Alonso. Mit dem Schaden am Fahrzeug war nicht mehr als Platz 8 möglich. Zwei große Überraschungen komplettierten die Top-10. Gabby Chaves erreichte beim Debut von Harding Racing, die mit technischer Hilfe von Dreyer & Reinbold Racing angetreten waren, Platz 9. Das ist vielleicht noch höher zu werten als Platz 3 für Jones, da das Team mit den leicht unterlegenen Chevrolet an den Start gegangen war. Sicher hat man von den vielen Ausfälle profitiert, hat aber auch Ed Carpenter Racing geschlagen. Gleiches gilt auch für Carlos Munoz und A.J. Foyt Enterprises. Munoz hat so bewiesen, dass die guten Ergebnisse die letzten Jahre nicht nur Andretti Autosport zu verdanken waren.
Gerne erwähne ich auch die Plätze 15 für Sebastien Saavedra und 18 für Spencer Pigot. Beide Juncos-Racing-Chevrolet haben somit das Ziel gesehen. Tolle Leistung von dem Team bei seinem Debüt und das ohne Zusammenarbeit mit einem etablierten Team. Auch Pippa Mann hat auf Platz 17 das Rennen fahrend beendet.
Das ganze Ergebnis kann man auf der Seite der IndyCar Series (PDF) nachlesen.
Das Highlight-Video zeigt leider nur ein paar der atemberaubenden Überholmanöver, aber natürlich den Dixon-Crash in drei Perspektiven:
Dank der doppelten Punkte für das 500-Meilen-Rennen sowie die größere Anzahl an Punkten für die Qualifikation gab es einige Verschiebungen in der Meisterschaftswertung. Mit 137 Punkten konnte Takuma Sato sein Punktekonto mehr als verdoppeln. Es führt aktuell aber Helio Castroneves (245 Punkte) vor den punktgleichen (234 Punkte) Simon Pagenaud, Takuma Sato und Scott Dixon. Es folgen Alexander Rossi (190 Punkte) und Tony Kanaan (188 Punkte).
Keine Pause gibt es für die Fahrer und Teams der IndyCar Series, denn am nächsten Wochenende steht schon der Double-Header von Detroit auf dem Programm.
(c) Photos: IndyCar Media; Chris Jones, Christopher Owens, Michael Harding, Joe Skibinski, Jim Haines, Walt Kuhn, Shawn Gritzmacher
1 Kommentare
Danke für den ausführlichen Bericht.
War echt ein tolles Rennen, dessen Unfälle glücklicherweise alle glimpflich ausgingen.
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