Wieder stellt die LMP2 das größte Feld aller vier Kategorien in Le Mans: 25 Autos, und sie sind schneller, als es die „kleinen“ Prototypen jemals waren: vielleicht ist am Ende sogar ein Gesamtpodium für den LMP2-Klassensieger möglich…
Auch 2017 bietet uns die LMP2-Klasse mit ihrem Pro-Am-Konzept wieder einen bunten Mix aus jungen Nachwuchsfahrern, alten Hasen, prominenten früheren Werks- oder F1-Fahrern und den sogenannten „Gentlemen Drivers“, reichen Privatmännern, die das Rennfahren als Hobby für sich entdeckt haben. Oft sind letztere es, die die Teams finanzieren und damit den Youngstern überhaupt erst die Möglichkeit geben, auf großer Bühne ihr Talent zu zeigen. Was fehlt, sind in diesem Jahr leider weibliche Pilotinnen…
Die vor zwei Jahren eingeführte LMP3-Klasse hat in den letzten zwei Jahren dafür gesorgt, einigen früheren Nachwuchs-Hoffnungen, die zwischenzeitlich abgetaucht waren, wieder einen Weg zurück in den Top-Motorsport zu bieten. Kurz zur Erklärung für Le Mans-Neulinge: in jeder Dreier-Besetzung muss mindestens ein Pilot der Kategorie Silber oder Bronze vertreten sein, das sind die unteren beiden Kategorien in der Skala, in der die Piloten nach bisherigen Erfolgen und Alter einsortiert werden.
Wie in den letzten Jahren ist die LMP2 die größte Klasse im Feld, 25 Teilnehmer sind gemeldet, zwei mehr als im Vorjahr, und das trotz der Umstellung auf ein komplett neues technisches Reglement, bei der es auch keine Übergangsregelung für „alte“ Autos gab. Damit sind sowohl die offenen Gibson (ehemals Zytek)-Modelle Geschichte, die auf ein Reynard-Konzept aus den frühen 2000ern zurückgingen, aber noch im Vorjahr um Top-Platzierungen mitfuhren, als auch die erst vor wenigen Jahren vom ehemaligen Peugeot-Designer entwickelten BR01-Chassis des russischen SMP-Teams, die damit in ihrer Blüte beschnitten wurden.
Neue Technik – neue Hersteller
Die Ära der offenen Prototypen ist nun jedoch vorbei, ebenso die der LMP2-Eigenentwicklungen. Vier Chassis-Hersteller wurden in einem Ausschreibungsprozess vom ACO bestimmt, ausgewählt wurden die beiden französischen Firmen Oreca und Onroak (die ihr Auto unter dem Ligier-Banner laufen lassen), Dallara aus Italien und Riley-Multimatic als Vertreter Nordamerikas. Multimatic ist das kanadische Unternehmen, das 2012 die Überbleibsel von Lola Cars nach deren Niedergang aufgekauft hat. Lolas vermisst man heute schmerzlich in zeitgenössischen Prototypen-Rennen, und leider ist auch Lola-Gründer Eric Broadley vor wenigen Wochen verstorben.
Die LMP2-Boliden aller vier Chassis-Konstrukteure werden von einem Einheitsmotor angetrieben; hier setzte sich Gibson (ehemals Zytek, wie schon erwähnt) gegen die Konkurrenz durch, die Briten beliefern das Feld mit einem 4,2 Liter-V8-Motor, der gewaltige 600 PS produziert und wohl auch danach klingt (ich habe ihn noch nicht live gehört). Bei dem Modell mit Namen GK428 handelt es sich um einen recht schlichten, robusten Saugmotor, der aus Kostengründen auch ohne Direkteinspritzung auskommen muss. Die Elektronik dazu kommt aus dem Hause Cosworth.
Bei Motoren und Elektronik herrscht also Einheitlichkeit, bei den Chassis ist uns wenigstens ein bisschen Diversität erhalten geblieben – warum der ACO so dringend ein funktionierendes Reglement über den Haufen werfen musste, kann kaum ein Außenstehender nachvollziehen. Zumal man sich mit dem neuen Paket einige gravierende Probleme eingehandelt hat, wie am Testtag in Le Mans kürzlich offenbar wurde.
Oreca im Vorteil
Problem #1 ist die massive Dominanz der Orecas, die beim Test die Plätze 1-13 belegten. Dem besten Nicht-Oreca fehlten 3,7 Sekunden auf den schnellsten Oreca, und selbst eine Dreiviertelsekunde auf den Dreizehntplatzierten. Alle Hersteller haben in Le Mans ein speziell für diese Strecke entwickeltes Aerodynamik-Paket im Einsatz, während den Rest der Saison eine homologierte High Downforce-Variante zum Einsatz kommt. Mit diesem Low Downforce-Kit scheint der Unterschied zwischen Oreca und dem Rest besonders drastisch.
Der Vorteil von Oreca resultiert wohl aus einer Kombination von Faktoren: einerseits hatte der Oreca 07 in seiner Entwicklung ohnehin einen Vorsprung vor der Konkurrenz, weil man hier auf den schon recht weit entwickelten Oreca 05 aufsatteln konnte, für die Teams, die bereits ein Vorgängermodell besaßen, reichte sogar ein Upgrade-Paket, um das Auto ins neue Reglement zu überführen. Daneben hat Oreca aber auch viel zusätzliche Erfahrung und Daten sammeln können, weil sie sich sowohl Einsatzteam für den aktuellen Toyota-Werkseinsatz verdingen als auch für Rebellion in den letzten Jahren den privaten LMP1 namens R-One entworfen, gebaut und betreut haben. Gerüchte bzw. Vorwürfe der Konkurrenz, man habe auch die Einrichtungen von Toyota bzw. TMG in Köln nutzen dürfen, sind aber wohl falsch.
Das zweite Problem ist der Topspeed der neuen LMP2-Generation: über 340 km/h haben die schnellsten Autos dieser Klasse beim Testtag erreicht, damit sind sie ca. 10 km/h schneller als die LMP1-Boliden, die gegen Ende der Geraden zudem noch „segeln“, um Energie zurückzugewinnen. Aufgrund des Hybrid-Boosts sind die Werks-Prototypen jedoch beim Herausbeschleunigen stärker. Diese Diskrepanz könnte an den Trainingstagen und auch im Rennen zu unschönen und teilweise gefährlichen Szenen führen, wenn LMP1-Fahrzeuge zunächst an den LMP2s vorbeigehen, diese dann aber am Ende der Geraden aufgrund ihres Geschwindigkeitsüberschusses vorbeiziehen „müssen“.
Die schnellsten unter den LMP2 sind die Dallara-Chassis. Die Italiener haben ein Le Mans-Aero Kit entworfen, mit dem sich die Fahrer wohl dem Fliegen nahe fühlen, so wenig Drag hat man auf der Hunaudières-Geraden: 341,3 km/h war der Topspeed beim Test. Dabei muss man zudem bedenken, dass die LMP2 als Pro-Am-Kategorie konzipiert ist, das heißt: neben Vollprofis sitzen hier eben auch solche Piloten am Steuer, für die das Rennfahrer ein Hobby darstellt. Bei diesen Geschwindigkeit – insbesondere mit der vorgenannten LMP1-Situation – könnte das zu Problemen führen. Und durch die angekündigten hohen Temperaturen wird es nicht einfacher werden – für alle, aber insbesondere für diese Piloten.
Doch kommen wir nun zu den einzelnen Teams, die ich – wie immer in den Le Mans-Vorschauen der letzten Jahre – ein wenig in eine Rangfolge zu bringe versuchen werde. Nach den vorangegangenen Ausführungen wenig überraschend werden die ersten zwei Kategorien dabei ausschließlich von Orecas besetzt – anders kann man das nach dem Testtag kaum sehen, wenn der ACO nicht auch in dieser Klasse noch kurzfristig mit einer Balance of Performance überrascht…
Zu bedenken ist auch, wie sich ein deutlich zugunsten von Oreca ausfallendes Le Mans-Ergebnis auf die Entwicklung der Klasse unter diesem neuen Reglement auswirken würde, das für mehrere Jahre festgeschrieben ist (auch die Autos sind für mehrere Jahre fix homologiert). Bereits jetzt treten in der WEC ausschließlich Orecas an – 2018 könnte sich dieser Trend ausbreiten, was sehr schade wäre, da die LMP2 immer für eine bunte Mischung stand. Zumindest aber hat durch das starke Oreca-Le Mans-Kit kein WEC-Starter einen Vorteil in der Meisterschaft, zu der das Rennen mit doppelten Punkten zählt, da sie alle auf denselben Hersteller setzen.
Die Favoritengruppe (allesamt auf Oreca)
Das Favoritenfeld ist in diesem Jahr sehr breit aufgestellt. Das liegt einerseits natürlich daran, dass sie alle das gleiche Oreca-Modell mit einheitlichem Motor nutzen. Insbesondere aber unter den WEC-Teams ist die fahrerische Klasse durch das gesamte LMP2-Feld sehr hoch. Selbst die Silber-Piloten sind fast ausschließlich starke Leute mit viel Rennerfahrung, wie etwa ein David Heinemeier-Hansson, Pierre Thiriet. Der einzige Bronze-Pilot unter den WEC-Entries der Klasse ist Energie-Unternehmer Francois Perrodo, und selbst der hat schon einen zweiten Platz in Le Mans eingefahren, 2016 mit AF Corse in der GTE-Am-Klasse.
Unter den Favoriten zu nennen ist auf jeden Fall das Vaillante Rebellion-Team, das aus der LMP1 „abgestiegen“ ist, freiweillig, weil die Schweizer Uhrmacher keine Lust mehr hatten, mit für viel Geld entwickelten Prototypen nahezu ohne Konkurrenz und im Schatten der Werks-LMP1 die Rennstrecken dieser Welt zu fahren. Beide für die WEC gemeldeten Orecas sind stark besetzt: sowohl die #13 mit Formula E-Champion Nelson Piquet jr., dem bereits genannten Programmier-Ass Heinemeier Hansson (der nach Jahren in Le Mans auch recht schnell und zuverlässig ist) und dem Schweizer Profi Mathias Beche als auch die #31 mit Nicolas Prost, der inzwischen zum achten Mal für Rebellion in Le Mans startet, Bruno Senna und Julien Canal, seines Zeichens dreifacher Le Mans-GT-Klassensieger mit Larbre. Ein Favorit lässt sich kaum herauspicken: in der Meisterschaft erging es bisher der #31 deutlich besser, am Testtag war die #13 etwas schneller unterwegs.
Als WEC-Tabellenführer nach Le Mans kommen Ho-Pin Tung, Thomas Laurent und Ex-Audi-LMP1-Pilot Olivier Jarvis in der #38 von Jackie Chan DC Racing. Das „DC“ in dem unter dem Namen des Filmstars in der WEC antretende Team steht für David Cheng, der Teilhaber und Fahrer zugleich ist: der 27-jährige Chinese teilt sich die #37 mit Tristan Gommendy (2014 Klassen-Zweiter mit TDS by Thiriet in Le Mans) und Alex Brundle. Brundle war schon 2012-14 als einer der schnellsten LMP2-Piloten in Le Mans am Start, musste dann aber aus gesundheitlichen Gründen pausieren; 2016 kehrte er Vollzeit in den Motorsport zurück und holte für United Autosport den Titel in der LMP3-Klasse der ELMS. Auch unter diesen beiden WEC-Autos ist kaum ein Favorit auszumachen, wobei Driver-Owner Cheng selbst wohl das schwächste (bzw. langsamste) Glied in der Kette ist. Unterstützung als Einsatzteam liefert Jota Sport, die letztes Jahr diesen Dienst noch für Roman Rusinov und G-Drive erbrachten und damit zum zweiten Mal in Folge Klassenzweite in Le Mans wurden, nachdem sie 2014 unter eigenem Namen die LMP2-Klasse gewonnen hatten.
Weitere zwei Orecas bringt Klassensieg-Titelverteidiger Signatech Alpine Matmut an den Start, aus Marketing-Gründen weiterhin unter dem Namen der Renault-Sportwagen-Marke Alpine als Model A470. Hinter diesem Namen steckt das französische Signature-Team von Philippe Sinault, das seit Jahren in diversen Nachwuchsserien antritt und auch unter dem Signatech-Banner schon einige Nachwuchspiloten nach Le Mans gebracht hat. So auch 2017: mit den 1994 geborenen Matthew Rao und Gustavo Menezes sitzen zwei relativ junge Piloten im WEC-Auto mit der #36, der Unterschied zwischen beiden ist, dass Rao als Neuling nach Le Mans kommt, Menezes dort im Vorjahr (bei seinem Debut, wohlgemerkt!) bereits den LMP2-Klassensieg eingefahren hat. Die beiden werden unterstützt von Ex Porsche-LMP1-Werksfahrer und zweifachen Gesamtsieger Romain Dumas, der beim Testtag auch prompt Schnellster des Trios war. In der #35 sitzen der schnelle Signatech-Stammfahrer Nelson Panciatici, Pierre Ragues (der zu dem Team zurückkehrt, für das er bereits 2012/13 fuhr) und André Negrao, der nach Jahren mit mäßigem Erfolg in Nachwuchsserien nun einen neuen Schritt gewagt hat, sich bei den Sportwagen aber erst noch beweisen muss.
Bleibt noch ein Team, dass unter die Top-Favoriten zu zählen ist: G-Drive Racing, allerdings nur mit der #26, die in der WEC antritt. Dieses Auto wird an den Start gebracht von TDS Racing, die in den letzten Jahren unter dem Namen Thiriet by TDS in den letzten Jahren mehrfach Erste und Zweite der ELMS und zweimal Klassenzweite in Le Mans geworden sind. Mit Eisfabrikanten-Sohn Pierre Thiriet und dem von Gazprom/G-Drive geförderten Roman Rusinov haben sich hier zwei der schnellsten „Paydriver“ zusammengefunden; die beiden können allerdings viel mehr, als diese Bezeichnung vermuten lässt, Rusinov hat sich in den letzten Jahren zu einem der schnellsten Piloten in der LMP2 entwickelt. Mit Alexander Lynn ist ein junger Brite als dritter Mann am Start, der in den letzten Jahren die GP3-Meisterschaft, mehrere GP2-Rennen, den Macau GP und die 12h von Sebring gewonnen hat – sein Le Mans-Debut könnte auch eine Offenbarung werden und Rusinov und Thiriet zum lange erwarteten ersten Klassensieg an der Sarthe verhelfen.
Die zweite Garde (ebenfalls allesamt auf Oreca)
Noch ein zweites Auto startet in Le Mans in der orange-schwarzen Lackierung von G-Drive Racing, es handelt sich dabei ebenfalls um einen Oreca, Startnummer ist die #22 – der Unterschied: dieses Auto wird vom Einsatzteam Dragonspeed (dazu gleich mehr) betreut und startet den Rest der Saison in der ELMS. Gesteuert wird die #22 von Memo Rojas, seines Zeichens dreifacher Gewinner der 24h von Daytona, Sieger der 12h von Sebring und viermaliger Champion der früheren Grand-Am Rolex Series; in Le Mans startete er im Vorjahr allerdings erstmalig. Er tritt mit dem 21-jährigen Landsmann Jose Gutierrez – noch ein recht unbeschriebenes Blatt – und dem schnellen Japaner Ryo Hirakawa an, der im Vorjahr mit Thiriet by TDS in der ELMS Siege einfuhr und im gleichen Jahr für Lexus Zweiter in der starken GT500-Klasse der Super GT wurde. Das Gesamtpaket ist ebenfalls stark, fällt aber ein wenig hinter das Top-Niveau der WEC-Starter zurück.
Von Dragonspeed 10Star unter eigenem Namen eingesetzt wird der Oreca #21, der unter der US-amerikanischen Flagge von Teambesitzer Elton Julian in der ELMS startet. Der zweifache Le Mans-Starter (2005, 2012) Julian sitzt nicht mehr selbst am Steuer, sondern überlässt die Schweden Henrik Hedman und Felix Rosenqvist sowie den Briten Ben Hanley diese Aufgabe. Rosenqvist bewies gerade wieder einmal sein enormes Talent beim Berlin ePrix mit anderthalb Siegen (einen verlor er wegen einer Strafe, für die er nichts konnte); Hanley ließ im Vorjahr beim ELMS-Einsatz von Dragonspeed ebenfalls Talentfunken aufblitzen, Hedman ist zwar einer der langsameren Gentlemen Drivers im Feld, aber verfügt zumindest über viel Erfahrung als langjähriger Stammfahrer für Dragonspeed.
Auch TDS Racing (siehe bei den Favoriten unter G-Drive Racing) setzt in diesem Jahr ein zweites Auto ein, der #28-Oreca ist wohl der schwächste unter den WEC-Startern, auch wenn es beim Auftaktrennen in Silverstone zum dritten Klassenrang reichte. Der 23-jährige Franzose Matthieu Vaxiviere, 2015 Zweiter der Formula Renault 3.5, ist deutlich der schnellste Mann im Team; weder Emmanuel Collard (immerhin LMP2-Klassensieger mit Porsche 2009 und Gesamt-Zweiter mit Pescarolo 2005, aber inzwischen eben auch schon 46 Jahre alt) noch der eingangs erwähnte Francois Perrodo, einziger Bronze-Fahrer unter den WEC-Startern, können mit ihm Schritt halten.
Dark Horses? – Die besten der Nicht-Orecas
Unter den Nicht-Oreca-Teams möchte ich zwei hervorheben, denen ich die größten Chancen zuspreche, sich vielleicht zwischen die Orecas zu mischen oder zumindest am Ende mit konstanter Leistung eine gute Position zu erreichen. Das erste hiervon ist das russische SMP Racing-Team, das ebenfalls auf einen Dallara setzt, nachdem die Eigenkonstruktion, die man nur zwei Jahre nutzen konnte, durch das neue Reglement obsolet geworden ist. Im Vorjahr brachte das Team beide seiner Autos ins Ziel, eins auf Klassenrang 7, eins sogar auf 3. Viktor Shaitar saß 2016 auf dem Drittplatzierten Auto, IndyCar-Pilot Mikhail Aleshin auf dem andere; unterstützt werden beide in der #27 von Renault F1-Testfahrer Sergey Sirotkin, der mit 21 Jahren einer der jüngsten Fahrer im Feld ist, aber alles andere als langsam.
Ebenfalls auf junge Piloten setzt die amerikanisch-britische United Autosports-Mannschaft um die Gründer Zak Brown (bekannt inzwischen auch als Chef von McLaren) und Richard Dean. Der Star im Ligier mit der Startnummer #32 ist Ex-Audi-LMP1-Pilot Filipe Albuquerque, ein sehr schneller Prototypen-Pilot. Er wird unterstützt vom 22-jährigen US-Amerikaner Will Owen, der sich über die „Mazda Road to Indy“-Nachwuchs-Leiter im Motorsport hochgearbeitet hat und nebenbei noch Finanzwesen studiert, sowie vom 19-jährigen Schweizer Hugo de Sadeleer, der direkt aus der Formel Renault 2.0 in die LMP2 aufgestiegen ist. Mit diesem Fahrertrio hat United Autosports in diesem Jahr direkt sein erstes ELMS-Rennen in der LMP2 gewinnen können. Dass junge Piloten durchaus auch beim ersten Le Mans-Start in der LMP2 überzeugen können, haben die letzten Jahre gezeigt, und United Autosports hat seine großen Qualitäten beim dominanten Titelgewinn in der ELMS-LMP3 des Vorjahres wieder einmal unter Beweis gestellt.
Das (hintere) Mittelfeld – Überraschungen möglich
Zwei WEC-Entries fehlen noch, und es sind die einzigen, die ich nicht in eine der ersten beiden Kategorien einsortiert habe: CEFC Manor TRS Racing ist ein schwer einzuschätzendes Team. Im Vorjahr probierte Manor in der WEC 19 verschiedene Fahrer auf seinen zwei Autos aus, am Ende standen ein Ausfall in Le Mans nach anfänglicher Führung und ein zehnter Platz für das Full Season-Auto in der WEC. Auch in der aktuellen WEC-Saison, für die Teamchef John Booth sich mit dem chinesischen Unternehmen Talent Racing Sports (TRS) zusammengetan und die das chinesische Energie- und Finanz-Konglomerat CEFC als Sponsor gewonnen hat, läuft bisher nicht viel zusammen, die Ränge 6-8 sind unter den Erwartungen des britisch-chinesischen Teams. Dabei sind die Fahrerbesetzungen nominell stark: die #24 wird von Tor Graves, Jonathan Hirschi (beide mehrfache Le Mans-Starter) und Ex-F1-Fahrer Jean-Eric Vergne pilotiert, wobei Le Mans-Rookie Vergne am Testtag die zweitschnellste LMP2-Runde drehte; die #25 steuern Roberto Gonzalez (der seit seinen ChampCar-JKahren 2003-04 kaum noch Top-Motorsport gefahren ist), Simon Trummer (Schweizer Youngster, zweimal mit Kolles in der LMP1 gestartet) und Vitaly Petrov (im Vorjahr LMP2-Dritter in Le Mans mit SMP Racing). Das Potential ist da, und es wäre dem Team um John Booth zu wünschen, dass man zukünftig mehr davon abrufen und Ergebnisse erzielen kann.
Das französische Team Graff ist – wie einige andere auch – in der ELMS aus der LMP3 in die LMP2 gewechselt. In Le Mans hat man direkt zwei Startplätze für seine beiden Ligiers zugesprochen bekommen. In der #39 sitzen der inzwischen 40-jährige Brite James Winslow, Gentleman Driver Eric Trouillet und der schnelle Youngster Enzo Guibbert. Im Auto mit der #40 sitzt unter anderem Richard Bradley, der 2015 mit KCMG überraschend, aber mit einer überzeugenden Vorstellung, die 24h von Le Mans in der LMP2-Klasse gewann. Bradley wird unterstützt vom Franzosen Franck Matelli und dem Australier James Allen, beide sind Le Mans-Neulinge mit wenig LMP2-Erfahrung, aber am Testtag direkt schnell unterwegs gewesen. Die #40 scheint mir etwas stärker und ausgeglichener besetzt, aber viel scheinen sich beide Graff-Autos nicht zu geben. Beim ersten Le Mans-Auftritt für das Team und einige der Piloten erwarte ich nicht zu viel.
Besonders prominent besetzt ist das Racing Team Nederland, das mit dem gelben Dallara #29 erstmalig in Le Mans antritt. Promi #1 ist Jan Lammers, der zum 23. Mal in Le Mans an den Start geht (mehrfach mit dem eigenen Team Racing for Holland) und 1988 den Gesamtsieg mit Jaguar holte; heute wird er aufgrund seines Alters von 61 Jahren als Bronze-Pilot eingestuft. Als Platin-Pilot eingestuft, aber dennoch ein Rookie in Le Mans, ist Rekord-F1-Fahrer Rubens Barrichello, der unter anderem als Teamkollege von Michael Schumacher 11 Siege in seinen 322 Rennen holen konnte. Bei den ELMS-Läufen war er nicht dabei, aber am Testtag fuhr er direkt eine der schnellsten Nicht-Oreca-Runden. Wie er sich im Verkehr wohlfühlt, wird spannend zu sehen sein. Bezahlt wird der Einsatz vom dritten Piloten, dem Holländer Frits van Eerd, Chef der Supermarktkette „Jumbo“ und Sammler alter Formel 1-Fahrzeuge, die er auch bei historischen Events ausfährt. Er gehört trotzdem zu den langsameren Piloten in der Klasse.
Einen prominenten Piloten gibt es auch bei den britischen ELMS-Neueinsteigern von Tockwith Motorsport, deren #34 Ligier in den berühmten Gulf-Farben antreten wird. Hier hat man den indischen Ex-F1-Piloten Karun Chandhok als Unterstützer gewinnen können; Chandhok trat zuletzt dreimal für Murphy Prototypes in Le Mans an und holte mit dem irischen Team sehr solide Resultate (2012 P6, 2014 P5). Die beiden britischen Silber-Piloten Nigel Moore und Phil Hanson sind am Testtag deutlich hinter seinen Zeiten zurückgeblieben: der erst 17-jährige Hanson ist letztes Jahr als 2015er Kart-Champion direkt in den Michelin Le Mans Cup gewechselt und hat nun den nächsten Schritt in die LMP2 gemacht; Nigel Moore, heute 25, ist2009 im Alter von ebenfalls 17 Jahren schon einmal in der LMP1-Klasse in Le Mans angetreten, damals verbuchte er einen Ausfall mit dem britischen LNT-Ginetta-Team.
Den Preis für den höchsten Topspeed am Le Mans-Testtag bekommt das italienische Team Cetilar Villorba Corse mit seinem Dallara mit der Startnummer #47 aus der ELMS. Der stärkste und erfahrenste unter den drei italienischen Piloten ist Andrea Belicchi, der von 2007-14 jährlich ion Le Mans am Start war, meistens im privaten Rebellion-LMP1. Seine Gentleman-Mitfahrer Giorgio Sernagiotto und Roberto Laconte sind nicht ganz langsam, müssen sich aber über die lange Distanz in Le Mans erstmal beweisen.
Keating Motorsport ist das Team des US-Amerikaners Ben Keating, seines Zeichens erfolgreicher Autoverkäufer (spezialisiert auf Dodge Vipers) und erfahrener Sportwagen-Pilot, der auch selbst – zum dritten Mal – als Fahrer in Le Mans antritt. Große Erfolge blieben ihm aber bisher auf der Strecke vergönnt, auch im Vorjahr und am Testtag gehörte er eher zu den langsameren Piloten der Klasse. Mit Jeroen Bleekemolen tritt er bei dessen 12. Start zum dritten Mal gemeinsam in Le Mans an. Bleekemolen und Ricky Taylor (im Vorjahr für Corvette Racing in Le Mans am Start und aktuell Meisterschaftsführender in der amerikanischen WeatherTech Sports Car Championship) sind eigentlich sehr schnelle Piloten – doch das einzige Riley-Chassis im Feld dürfte dieses Team an großen Erfolgen hindern, denn Riley scheint kein besonders effizientes Low Downforce-Kit mit nach Le Mans gebracht zu haben. Auch Michelin-Reifem, auf die Keating als eines von drei Teams setzt, haben sich in der jüngeren Vergangenheit nicht unbedingt als Vorteil in der Dunlop-dominierten LMP2-Klasse erwiesen.
Zum zweiten Mal mit seinem eigenen Team in Le Mans am Start ist der frühere französische Nationaltorhüter Fabien Bartez; zusammen mit dem Ex-F1-Fahrer Olivier Panis betreibt er Panis Barthez Competition. Das Team setzt auf einen Ligier und Reifen von Michelin. Barthez selbst ist der Schwachpunkt der #23. Seine Teamgefährten sind deutlich stärker einzuschätzen, insbesondere Nathanael Berthon, der in der LMP2 in den letzten Jahren mit Murphy Prototypes und Greves Motorsport, zwei Teams, die man in diesem Jahr leider vermisst, gute Ergebnisse einfuhr bzw. sogar wesentlich zu diesen beitrug. Timothé Buret ist ebenfalls ein recht flotter französischer Nachwuchsmann. Ein Top Ten-Resultat würde ich dennoch als Erfolg für das Team werten.
Ankommen als Ziel
Bleiben noch die Teams, für die der olympische Gedanke zählt. Der lautet in Le Mans etwas abgewandelt: ins Ziel kommen ist alles. Natürlich ist auch das Dabeisein allein schon schön aufgrund der besonderen Atmosphäre, aber gerade für die kleinen Teams, die Privatiers und Gentlemen Drivers ist eine Zieldurchfahrt am Sonntag um 15 Uhr schon Grund genug, die Champagnerkorken knallen zu lassen.
Ein Paradebeispiel dafür ist das neue Team ARC Bratislava, mit dem sich Besitzer Miro Konopka, der auch selbst fahren wird, einen Traum erfüllt. Der 55-jährige Slowake hat mit diesem Team schon 2005 FIA-GT-Rennen bestritten und sich dann in verschiedenen GT-Serien bewegt; nun folgt der Sprung zu den Prototypen mit einem Ligier mit der Startnummer #49. Als Mitfahrer sind der junge Lette Konstantins Calko (23) und der noch jüngere Niederländer Rik Breukers (19) an Bord. Insgesamt fehlt dem Team der Speed, aber wenn sie ohne größere Probleme durchs Rennen kommen, ist in Le Mans trotzdem eine solide Position möglich. Das allein ist aber schon Herausforderung genug. Immerhin aber bringt das Team etwas mehr Diversität bei den Nationalitäten ins Feld, Calko ist auch der erste Lette in Le Mans.
IDEC Sport Racing ist der Ableger eines Segelsport-Teams um Patrice Lafargue, den Präsidenten der IDEC-Gruppe. Sein Sohn Paul Lafargue ist ebenfalls mit am Start, dazu kommt David Zollinger, ein 34-jähriger Franzose, der mehrfach Titel in der französischen VdeV-Serie geholt hat. Die #17 wird sicherlich nicht durch schnelle Zeiten glänzen, alle drei Piloten bewegen sich eher im unteren Bereich der Zeitenlisten in der LMP2-Klasse. Beim ELMS-Lauf in Monza gab es zwei Punkte für das Team, aber da wurde David Zollinger auch von Olivier Pla, Ford-Werksfahrer und zuvor einer der schnellsten LMP2-Piloten, vertreten. Auch IDEC Sport tritt auf Michelin-Pneus an.
Eine interessante Fahrerkombination bringt Algarve Pro Racing an den Start: das Fahrertrio des #45-Ligier dürfte die größte Altersspanne im Feld aufweisen. Matt McMurry war bei seinem Le Mans-Debut 2014 mit 16 Jahren und 202 Tagen der jüngste Pilot, der je bei diesem 24h-Rennen angetreten ist; inzwischen ist er 19 Jahre alt und in den letzten Jahren vor allem in der IMSA-Serie unterwegs gewesen. Ihm gegenüber steht Mark Patterson bei seinem fünften Le Mans-Start in Folge, ein inzwischen 65-jähriger US-amerikanischer Finanzinvestor südafrikanischer Abstammung. Patterson ist nicht übermäßig schnell, aber durchaus solide; die Frage ist, wie er mit der Hitze und den deutlich schnelleren Autos klarkommt. Dritter Mann ist der Franzose Vincent Capillaire bei seinem vierten Le Mans-Start.
Letztes Team in der Liste ist Eurasia Motorsport mit dem #33-Ligier. Hier sitzen aber keine der aus dem Vorjahr bekannten Eurasia-Fahrer am Steuer, sondern Jacques Nicolet, Besitzer und Chef von OAK Racing und Chassis-Schmiede Onroak, die ja den LMP2-Ligier produziert, und sein Sohn Pierre, der zum ersten Mal dabei ist. Der Vater fährt zum neunten Mal in Le Mans, ein dritter Klassenrang 2009 war bisher das beste Ergebnis. Das ist hier nicht zu erwarten, denn mit dem dritten Mann, Erik Maris, handelt es sich um einen reinen Gentleman Driver-Entry. Im Vorjahr wurden Nicolet und Maris im OAK-Ligier Klassen-Elfte und das wäre auch dieses Jahr bei gutem Durchkommen ein realistisches und gutes Ergebnis.
Spannung durch Diversität
Man sieht, die LMP2-Klasse ist – wenn schon nicht so sehr bei der Technik, dafür aber bei den Fahrern – wieder einmal sehr vielfältig und sollte viel Spaß bereiten über die Dauer des 24h-Rennens. Es lohnt sich durchaus, sich den ein oder anderen persönlichen Favoriten rauszupicken und dessen Fortschritt durch das Rennen zu verfolgen, dann bekommt man etwas mehr mit vom „Leben“, das in dieser Klasse steckt, als wenn man nur auf die Spitzenreiter schaut. (Ein Grund, warum meine LMP2-Vorschau in jedem Jahr so ausführlich wird, ist auch, dass ich mich beim Schreiben selbst mit vielen Teams und Piloten auseinandersetze, sodass es dann mehr Spannung ins Rennen bringt, wenn man die Teilnehmer besser „kennt“.)
Auch vorne sollte es aber gut zur Sache gehen: wenn es wohl auch nur die Orecas sein werden, die um die Spitze kämpfen, so sind es unter diesen doch einige, denen man den Sieg zutrauen könnte. Bleibt zu hoffen, dass die Dominanz der Orecas nicht so massiv wird, dass wir im nächsten Jahr nur noch Orecas in der neuen Klasse sehen… Spannend wird auch die Frage sein, ob sich ELMS-Starter in das starke WEC-Feld mischen und vorn mitkämpfen können.
Die neuen LMP2-Boliden können 3‘30er-Rundenzeiten gehen – das war einmal das Zielniveau des ACO für die LMP1. Sollte es unter den nur fünf LMP1-Werksautos zu einem Ausscheidungsfahren kommen, könnte für den besten LMP2 sogar ein Platz auf dem Gesamtpodium drin sein – die Wahrscheinlichkeit ist nicht hoch, aber es wäre denkbar. Wir werden sehen…
(Bilder: WEC Media, ELMS Media)