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Eine Liebeserklärung an den Norisring?

von Philipp Körner
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Es ist eine Mischung aus Schaudern und Faszination, welche die meisten Norisringbesucher beim ersten Betreten des Geländes verspüren. Denn nahezu alle Elemente der Infrastruktur stammen aus der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte, als Nürnberg zur Stadt der Reichsparteitage wurde. Als Veranstaltungsort hatte Hitlers NSDAP das Naherholungsgebiet am Ufer des Dutzendteiches ausgewählt. Der Stadtpark mit seinen diversen Attraktionen wurde nach der Machtergreifung mit gigantischen Symbolen des vom blutigen Hass getriebenen Faschismus verunstaltet. So entstand unter anderem das Zeppelinfeld mit angeschlossener Steintribüne. Das Baumaterial für diese steinernen Zeugen stammte aus diversen Steinbrüchen. Zu der Liste gehörte auch eine Anlage im oberpfälzischen Flossenbürg, welche seit 1938 Teil eines Konzentrationslagers war. Da ich in Weiden (nächstgrößere Stadt) aufgewachsen bin, kenne ich den Schrecken dieses Ortes nur zu gut.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haderte die Stadt Nürnberg mit ihrem Schicksal und ignorierte lange das geschichtliche Erbe im Südosten der Frankenmetropole. Teile des Geländes wurden jedoch von der US-Armee übernommen, die dort bis 1992 vertreten war. Diese unterstützte im Jahre 1947 die Pläne für ein Motorradrennen auf dem Gelände und stellte sogar das Benzin dafür zur Verfügung: Der Norisring war geboren. Im Laufe der letzten 70 Jahre hat sich bekanntermaßen vieles verändert. Mittlerweile ist der Kurs nur noch 2,3 Kilometer lang und wird ausschließlich für den Automobilrennsport genutzt. Die Steintribüne ist in einem schlechten Zustand und nach der Sprengung der Säulengalerie im Jahre 1967 nur noch halb so groß. Diese baumaßnahmliche Misere fand seinen Ursprung übrigens in der „Weitsicht“ des „Tausendjährigen Reiches“. Der Architekt Albert Speer hatte sich nämlich scheinbar um etwa 960 Jahre verrechnet und aus Zeitgründen bei der Materialverwendung gepfuscht. Fränkischer Frost und der Zahn der Zeit sollten es ebenfalls schlecht mit dem Bauwerk gemeint haben. Trotz der enormen Kosten, die mit dem Erhalt der Anlage verbunden sind, werden aktuell Sanierungsmaßnahmen vorbereitet.

Der kurze geschichtliche Überblick bietet zugegebenermaßen nicht viele Gründe für eine Liebeserklärung. Doch der Norisring ist mehr als eine baufällige Naziruine, die einmal pro Jahr von Rennautos umrundet wird. Über 70 Jahre hinweg wurde er zu einem motorsportlichen Treffpunkt, der dem Areal zumindest teilweise den Schrecken nahm. Historiker nennen so etwas dann gerne „profane Veranstaltung, die den Nimbus des ewiggestrigen Pseudomystischen zerstört“. Dank des dominierenden Anblicks der Steintribüne weiß der Besucher nämlich auf Anhieb, wo er sich gerade befindet. Der kolossale Mittelbau ist so mehr oder weniger der Fixpunkt des Kurses. Doch mit dem ersten vorbeifliegenden Boliden rückt der Sport in den Vordergrund. Da könnte auch eine Herde von rosa Elefanten (sorry, BWT!) zwischen Dutzendteich und Grundigkehre stehen…

Der Kurs per se lebt von seiner Einfachheit. Zwei Kehren, eine S-Kurve – zack feddich: Norisring. Fahrer haben diesbezüglich eine sehr spannende Meinung. Für sie ist nämlich höchstens das Auswendiglernen der Kurvennamen einfach. Am vergangenen Wochenende beschrieb Robert Wickens das so: „Selbst wenn man hier die Pole-Position holt, fühlt sich die eigene Runde nicht nach Polematerial an. Man muss in jeder Kurve über das Limit gehen – vor allem in den Bremszonen. Mal klappt das und mal auch nicht. Um in die Top 3 zu kommen, braucht es schon ein Wunder beim Anbremsen. Danach kannst du dir selbst nicht erklären, wie du das Auto rechtzeitig stoppen konntest und dabei noch Zeit gut gemacht hast. Und die reicht dann auch noch, um fünf Plätze nach oben zu springen. Es ist brutal!“

Diesen Streckencharakter erkennt auch der geneigte Zuschauer vor Ort. Vor allem eine Stelle steht für mich sinnbildlich für den Norisring: die Mauer ausgangs der S-Kurve. Dort kann jeder Ticketbesitzer verfolgen, wie die Boliden millimetergenau die Streckenbegrenzung verfehlen, was wie am vergangenen Wochenende auch mal in die Hose gehen kann. Zwischen Dir und den Rennern sind dann nur noch ein Meter Abstand und (glücklicherweise) zwei Zäune. Zudem schafft es diese Sektion, Motorsport für alle Sinne greifbar zu machen. Während Du den aufschreienden Geschossen gerade so hinterherschauen kannst, bebt der Boden unter Dir und eine volle Ladung heißer Abgase gemischt mit Pneu-Partikeln wirbelt zu Deinem Gesicht hinauf. Kein Wunder, dass Motorsportfans für verrückt gehalten werden…

Für mich ist das Norisring-Wochenende mehr als eine Station der DTM. Es ist quasi mein Heimrennen. Diese geschichtsträchtigen Straßen formten den verstrahlten Enthusiasten in mir. Sie vermittelten zum ersten Mal das Gefühl einer Motorsportgemeinschaft, die geschlossen für ihren Sport eintreten kann (siehe Billy Monger). Für ähnliche Ideale stehen auch die am Norisring wild verteilten Fahrerlager, in denen die Teammitglieder meist im Verborgenen das ermöglichen, was wir alle lieben: Racing! Dafür werden dann auch gerne mal Geld, Freizeit, Urlaub oder auch Nerven geopfert. Auch das habe ich erst am Ufer des Dutzendteiches endgültig verstanden.

Als Bob Dylan im Juli 1978 ein Konzert auf dem Gelände abhielt und damit wahrscheinlich den Weg für Rock im Park ebnete, sagte der Mann mit jüdischen Wurzeln vor seinem Song „Masters of War“: „It gives me great pleasure to sing it in this place!“ Im letzten Jahr gewann mit Lance Stroll ein Pilot jüdischen Glaubens an dem Ort, an welchem die Nürnberger Rassengesetze verkündet wurden. Auch wenn das möglicherweise nur wenige zu diesem Zeitpunkt realisiert hatten und es vielleicht auch mehr als nebensächlich ist, sage ich: „Things like that give me great pleasure to see racing in this place!“

Bilderquelle / Copyright: Audi Motorsport; Daimler; DTM Media

Danksagung: Vielen Dank an Petronas und an das Mercedes-AMG DTM Team für den Zugang zur Hospitality und die Kostenübernahme für eine Übernachtung!

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1 Kommentare

Eagel-F1 10 Juli, 2017 - 10:53

Ich bin ja aus vielerlei Gründen kein Fan der DTM, aber dieser Text alleine gibt der DTM für mich mehr Daseinsberechtigung, als alles was sie in den letzten Jahren so auf den Rennstrecken fabriziert hat.
Vielen Dank für diese wunderbare Hommage an all die tollen Dinge im Motorsport!

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