Die IndyCar Series befindet sich aktuell in einer kurzen Sommerpause. Wir wollen die Zeit nutzen und einen frühen Blick auf die nächste Saison werfen.
Aero-Kit
Letzte Woche wurden in Mid-Ohio die universellen Aero-Kits für die Stadt- und Straßenrennen vorgestellt. Wie beim Speedway-Kit war das Motto in der Entwicklung: weniger ist mehr. Von der aktuellen Aerodynamik wurde nur der Heckflügel übernommen. Fast alle anderen Anbauteile wurden neu entwickelt. Darunter steckt natürlich immer noch der IR-12 von Dallara, der seit der Saison 2012 eingesetzt wird. Ein komplett neues Auto ist erst für die Saison 2022 geplant. Der IR-12 hätte dann jeweils drei Jahre mit DW-12-Einheitsaerodynamik, Aero-Kits von Honda und Chevrolet und den neuen universellen Aero-Kits hinter sich.
Im direkten Vergleich sieht man gut, wie viele der ganzen Flügelchen weggefallen sind. Der Frontflügel entspricht in weiten Teilen dem des DW-12. Er besteht nur noch aus zwei Elementen oberhalb der Hauptplatte und recht einfach geformten Endplates, die die Luft um die Fronträder lenken. Neu ist der Wicker, der sich von der Nase bis zum Fahrer zieht. Er soll das Aufsteigen des Wagens bei Drehern verhindern. Oberhalb des Diffusors gibt es Klappen, die sich selbstständig, vergleichbar mit den Roof-Flaps der NASCAR, aufstellen, mit der gleichen Funktion. Insgesamt wurde die Sicherheit der Wagen nochmals erhöht. Ein weiterer Schritt wäre die Einführung einer Schutzscheibe vor dem Fahrer. Die ersten Tests dazu sollen in der Winterpause stattfinden.
Die Sidepots haben nun eine geteilte Luftführung. Außen werden weiterhin die Kühler angeströmt. Innen aber fließt die Luft zum Turbo und damit in den Motor. So konnte die Lufthutze oberhalb des Fahrers entfallen und die Motorabdeckung insgesamt viel niedriger ausfallen. Man verzichtet auch komplett auf die Abweiser hinter den Vorder- und Hinterrädern. So fehlen natürlich auch die zusätzlichen Flügelstapel neben dem Heckflügel.
Die komplette Bremsanlage kommt nun von PVC. Bis 2016 setzte man auf Brembo. Da es aber häufiger Probleme mit der Bremsscheibe gab, fährt man in dieser Saison mit einer Kombination von Brembo und PFS. Gerade in den ersten Rennen brachte das aber größere Probleme für die Honda-Teams mit sich. Diese sind aber mittlerweile behoben und nächste Saison sollte das Thema Bremsprobleme ganz der Vergangenheit angehören. Zur Problemminimierung gehört zusätzlich die Übernahme der kompletten Bremsbelüftung der aktuellen Chevrolets.
Silly-Season
Sehr spannend ist die Situation bei den Teams. Nur ein Drittel der Fahrer weiß, wo es nächstes Jahr fahren wird. Am einfachsten ist die Situation noch bei Team Penske. Simon Pagenaud, Josef Newgarden und Will Power werden ihre Cockpits behalten. Zugunsten des Sportwagenprogramms wird der vierte Wagen wohl geparkt und nur zum Indy 500 herausgeholt. Dann würde Helio Castroneves ihn pilotieren, der sonst in der IMSA antreten würde. So ganz ist der Brasilianer aber noch nicht fertig mit der IndyCar Series und überlegt, ob er nicht doch das Team wechseln soll.
Im Team von Chip Ganassi ist man mit den Leistungen von drei seiner vier Fahrer gar nicht zufrieden. Scott Dixon ist mit NTT-Data-Sponsoring natürlich sicher für nächste Saison. Honda würde Tony Kanaan als Publikumsliebling, gerade mit dem Verlust von Castroneves, gerne weiter bei CGR sehen. Charlie Kimball und Max Chilton sind mit ihren persönlichen Sponsoren mehr oder weniger Pay-Driver und könnten sich andere Teams suchen. Bei Chilton ist zum Beispiel eine Kombination mit Carling Racing denkbar. Für CGR bestünde dann das Problem, sowohl gute Fahrer als auch Sponsoren finden zu müssen. Ein Fahrer, der beides mit sich bringt, ist Esteban Gutierrez, der seinen Wunsch nach einem Stammcockpit in Mid-Ohio nochmals bestätigt hat. Beim Thema Mexico und Geld landet man schnell bei Carlos Slim, der in der Vergangenheit schon mit Chip Ganassi erfolgreich zusammengearbeitet hat.
Bei Andretti Autosport hängt alles vom zukünftigen Motorenpartner ab. Chevrolet braucht neben Team Penske ein weiteres starkes Team. Von Ed Carpenter Racing und A.J. Foyt Enterprises kam da diese Saison nicht viel. Mit Chevrolet wären aber Takuma Sato als halber Honda-Werksfahrer und auch Alexander Rossi wohl weg. Rossi ist eher an Bryan Herta als an Michael Andretti gebunden und Herta ist seit Jahren ein zuverlässiger Honda-Mann. Bryan Herta könnte so sein Team, inklusive Sponsoren und Alexander Rossi nehmen und sich einem anderen Honda-Team anschließen. Chip Ganassi Racing? Ryan Hunter-Reay bleibt hingegen mit seinem DHL-Geld auf jeden Fall bei Andretti Autosport und auch Marco Andretti sollte da weiter stümpern dürfen.
Im Gegensatz zum letzten Jahr kann sich Takuma Sato, jetzt als Indy-500-Sieger, sein neues Team aussuchen. Freie Plätze gibt es neben CGR auch noch bei Dale Coyne Racing, Sebastien Bourdais hat einen Vertrag für 2018, und Schmidt Peterson Racing. Sam Schmidt würde gerne James Hinchcliffe behalten, der aber noch keinen neuen Vertrag unterschrieben hat. Er könnte sich ebenso ein neues Honda-Cockpit suchen. Ein Wechsel ins Chevrolet-Lager ist durch die Unterstützung von Honda-Canada auszuschließen. Auch Mikhail Aleshins Zukunft ist noch offen. Er bringt zwar einiges Geld aus Russland mit, aber seine Leistungen waren bisher auch sehr überschaubar. Bei Rahal Letterman Lanigan Racing denkt man darüber nach, einen zweiten Wagen das ganze Jahr einzusetzen. Neben Graham Rahal könnte also auch noch ein Platz frei sein.
Freie Plätze gibt es auch bei Teams, die eventuell Vollzeit neu in die IndyCar Series einsteigen wollen. Der sicherste Neueinsteiger ist Harding Racing. Mike Harding verfügt über genug Geld und mit Dennis Reinbold (Dreyer & Reinbold Racing) gibt es auch genug Erfahrung im Team. Nach Indianapolis und Texas werden sie auch in Pocono mit Gabby Chaves an den Start gehen. Wenn Richard Juncos genug Sponsoren findet, werden wir auch Juncos Racing im nächsten Jahr häufiger sehen. Das Gerücht mit Carlin Racing und der IndyCar Series gibt es auch schon seit einiger Zeit. Aber auch hier ist das Geld das Problem. Geld ist nun nicht das Problem von Max Chilton und so ein britisches Team, mit britischem Sponsor und britischem Fahrer wäre ja auch ganz charmant.
Natürlich gibt es bei A.J. Foyt Enterprises und Ed Carpenter Racing noch einige frei Plätze im Chevrolet-Lager. Außer Ed Carpenter, der wahrscheinlich wieder die Ovale fahren wird, ist dort kein Fahrer für die nächste Saison verpflichtet. Spencer Pigot wird Interesse an einer vollen Saison nachgesagt. Beide Teams haben eine schwache Saison und sind sicherlich nicht die erste Adresse für freie Fahrer. Vielleicht sind es aber die einzigen Möglichkeiten für einen Verbleib in der Serie.
Außer James Hinchcliffe und Ed Jones, der aber keine Sponsoren mitbringt, sowie eventuell Takuma Sato und Alexander Rossi gibt es keine Top-Free-Agents in der IndyCar Series. Also strecken die Teams ihre Fühler auch in andere Richtungen aus. Dank VW und Porsche sind ja einige Spitzenfahrer noch ohne Job im nächsten Jahr. So wurden die Namen Andre Lotterer und Brendon Hartley leise im Fahrerlager von Mid-Ohio geflüstert. Beide haben sicherlich genug Talent und Erfahrung für die IndyCar Series. Die Frage ist halt, ob sie sich die IndyCar antun wollen, wenn sie andere Angebote haben. Für realistischer halte ich da schon Felix Rosenqvist, dessen Talent in der Formel-E doch ein wenig verschwendet ist. Und über dem Ganzen schwebt dann noch ein Fernando Alonso. Ich halte aber eine Meisterschaft von Marco Andretti im nächsten Jahr für wahrscheinlicher, als dass Alonso Vollzeit in Amerika fährt.
Die ersten Domino-Steine, die fallen müssen, sind Andretti Autosport und James Hinchcliffe. Sollte nämlich Andretti weiterhin Honda-Motoren einsetzten, bliebe das jetzige Line-Up bestehen. Hinchcliffe hätte dann die Wahl zwischen Chip Ganassi Racing und Schmidt Peterson Racing. Alles andere ergibt sich danach. Aktuell soll Michael Andretti aber den Wechsel zu Chevrolet bevorzugen und dann beginnt das ganz große Stühlerücken.
In der Zwischenzeit arbeitet auch die IndyCar Series an ihrer Zukunft. Der Grand Prix of Long Beach wird sehr wahrscheinlich auch nach 2018 weiter im IndyCar-Kalender zu finden sein. Der Stadtrat von Long Beach hat den Verhandlungen mit den Veranstaltern zugestimmt. Weiterhin sind Rennen außerhalb der USA geplant. Erste Anlaufstelle soll Mexico City sein. Da wären wir wieder bei Gutierrez und Slim. Darüber hinaus werden ein oder zwei TV-Partner für 2019 und danach gesucht. Aktuell teilen sich ABC (+ ESPN) und NBC (+ NBCSN) die Rennen. Gerne würde man aber über die komplette Saison bei einem Sender bleiben. Darüber hinaus wird über Streaming-Dienstleister wie Hulu oder Amazon Prime nachgedacht. Die Verhandlungsposition der IndyCar Series ist dabei ganz ordentlich. Die Einschaltquoten sind zwar immer noch schlecht, steigen aber recht konstant an. Beim NASCAR-Cup sieht es da deutlich schlechter aus. Der Verlust an Zuschauern beträgt im Vergleich zum Vorjahr gut 10 Prozent.
(c) Photos: IndyCar Media; Chris Jones, Christopher Owens, Richard Dowdy
1 Kommentare
Mir gefällt ja vor allem die Heckansicht dieser neuesten Variante des DW12 – schön old-school martialisch-technisch. Die Heck-Abweiser hinter den Rädern haben ihren Zweck, ein Aufsteigen von Autos bei Auffahrunfällen zu verhindern, ja leider nicht so recht erfüllen können. Eher war es ein zusätzliches Teil, was sich lösen und wegfliegen konnte… (nur ein Eindruck, dem liegt keine statistische Erhebung zugrunde). Vorne ist es mir immer noch etwas zu „vanilla“, aber schonmal deutlich aufgeräumter. Ich fand die Idee mit den Aero-Kits eigentlich gut, weil ich die IndyCar ungern als „spec series“ sehe, aber unter Einbeziehung aller Aspekte ist die Rückkehr zu einer einheitlichen Aerodynamik nachvollziehbar.
Schön ist der Satz „Ich halte aber eine Meisterschaft von Marco Andretti im nächsten Jahr für wahrscheinlicher, als dass Alonso Vollzeit in Amerika fährt.“ Dem ist wohl leider (leider aus beiden Sichtweisen) zuzustimmen. Ich hab als Fan des Andretti-Clans über die Jahre immer ein Auge auf Marco gehabt, was ja leider selten erbaulich ist. Interessanterweise hatte ich letztens einen Podcast mit Driver Coash Rob Wilson gehört, der Marcos „natural talent“ sehr lobte, wenn ich das richtig im Kopf habe (https://www.royalautomobileclub.co.uk/motoring/multimedia/podcasts/rob-wilson). Dass es ihm nun schon seit 10 Jahren nicht gelingt, daraus etwas zu machen, ist ebenso traurig wie unerklärlich…
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