Die European Le Mans Series startet in die zweite Saisonhälfte – und in allen drei Klassen wird hart um die Meisterschaft gekämpft. Ein LMP2-Team, das aber nicht um den Titel kämpfte, ist aus einem kuriosen Grund nicht mehr dabei.
Der Circuit Paul Ricard nahe Le Castellet ist seit 2010 regelmäßiger Austragungsort von Rennen der (E)LMS – zunächst wurde dort (damals noch mit LMP1-Werksteams) ein 8h-Rennen als Saisonauftakt gefahren, bevor man zunächst auf die klassische 6h-Distanz herunterging, es dann nach dem Relaunch der gescheiterten alten LMS zunächst mit 3h versuchte, um nun schließlich seit 2014 die neue ELMS-Standarddistanz von 4h zu wählen, die der Serie angemessen ist.
Vier Stunden reichen auch, denn die Beziehung des durchschnittlichen Motorsportfans zum Ciruit Paul Ricard ist etwas zwiespältig: 1970 eröffnet, galt die Strecke im Süden Frankreichs damals als eine der sichersten Rennstrecken der Welt mit großen Auslaufzonen – sie wirkte für damalige Verhältnisse aber auch wie das, was man heute als Retortenstrecke bezeichnet. Heute empfindet man das anders, denn nach 47 Jahren hat die Strecke nun vom Layout her nahezu „Old School“-Charakter mit ihrer extrem langen Mistral-Geraden, an deren Ende eine Beinahe-Vollgas-Rechtskurve namens Signes folgt. Allerdings wurde die Strecke nach 1999 in eine reine Testeinrichtung umgebaut und mit diesen wunderbaren buntgestreiften Asphalt-Auslaufzonen versehen, die bei längerem Zuschauen immer noch irritieren können.
Die (E)LMS war eine der ersten Rennserien, die wieder Rennen dort austrug, und insofern hat die Serie eine nicht geringe Bedeutung für die Strecke. Bekanntlich kehrt nächstes Jahr die Formel 1 zurück nach Le Castellet, dann werden auch wieder mehr Tribünen aufgebaut werden müssen – wenn das nicht nur temporäre Tribünen sind, wird dies sicherlich auch helfen, den Teststrecken-Charakter etwas zu verringern.
Aber für Le Mans-Prototypen und GT-Boliden ist die Strecke trotzdem sehr gut geeignet, deshalb trägt neben der ELMS auch die Blancpain-Serie seit Jahren dort wieder Rennen aus. Es gibt schnelle, langgezogene Kurven und einige schöne Kombinationen – und eben die lange Mistral-Gerade. Aber: in diesem Jahr wird die fast 2 km lange Gerade durch eine Schikane unterbrochen. Der Grund für diese Entscheidung ist die gestiegene Höchstgeschwindigkeit der LMP2-Fahrzeuge der neuen Generation.
Auf den Teilstücken der Hunaudières-Geraden in Le Mans hat der Großteil des LMP2-Feldes um die 335 km/h erreicht, am Testtag waren die Dallaras sogar über 340 km/h schnell. Das Risiko ähnlich hoher Geschwindigkeiten auf der noch längeren Gerade, die von der extrem schnellen Signes-Kurve gefolgt wird, wollte man verständlicherweise vermeiden. Trotzdem ist es schade, dass diese Maßnahme notwendig wurde, denn die lange Mistral-Gerade ist nun einmal das prägende Element des Circuit Paul Ricard.
LMP2
Das leicht geänderte Layout wird aber nichts daran ändern, dass die LMP2 sicher wieder ein unterhaltsames Rennen an der Spitze liefern wird. Zuletzt am Red Bull Ring in Österreich haben es sich die beiden stärksten Teams der Saison hart gegeben: mehrfach wechselte die Führung zwischen G-Drive Racing und United Autosport, die am Ende die Oberhand behielten. Mit dem zweiten Saisonsieg ist das britisch-amerikanische Team mit dem Fahrertrio Albuquerque / de Sadeleer / Owen auf vier Zähler herangerückt an das von Dragonspeed eingesetzte orange-schwarze G-Drive-Auto mit den Stammpiloten Leo Roussel und Memo Rojas. Deren dritter Mann war in Österreich Nicolas Minassian, der auch in Le Castellet – bei seinem Heimrennen – wieder am Steuer sitzen wird, da Ryo Hirakawa zum zweiten Mal in Folge aussetzen muss, da er seinen Verpflichtungen für Toyota in der Super GT nachkommen muss. Aber auch der erfahrene Minassian, Ex-Peugeot-Werksfahrer, gehört immer noch zu den schnelleren Prototypen-Piloten.
Interessant ist aber auch das Duell der Nachwuchs-Piloten in beiden Teams: der 21-jährige Franzose Leo Roussel aufseiten von G-Drive und der 20-jährige Schweizer Hugo de Sadeleer für United Autosport haben sich in diesem Jahr bislang als starke, schnelle Piloten bewiesen. Im Kampf um Fahrer- und Team-Meisterschaft werden sie auch in Le Castellet und den danach noch verbleibenden Rennen in Spa und Portimao wieder aufeinandertreffen. Auf dieses Duell sollte man ein Auge haben. Beide Fahrer (und ihre beiden Teams) sind allerdings auch auf unterschiedlichem Material unterwegs, G-Drive setzt auf das erfolgreiche Oreca-Chassis, United Autosport auf das Ligier-Chassis, das allerdings im „High Downforce“-Setup nicht so unterlegen ist, wie dies in Le Mans bei wenig Abtrieb der Fall war.
Nicht mehr dabei ist leider das britische Tockwith Motorsports-Team, wobei der Grund dafür besonders kurios ist: das Team hatte es der britischen Rapperin „Honey G“, bekannt geworden durch die TV-Sendung „The X Factor“, gestattet, auf dem Firmengelände ein Musikvideo zu drehen. In diesem Video posiert „Honey G“ auf der Motorhaube eines GT3-Audi R8, den das Tockwith-Team in der British GT einsetzt. Daneben steht ein weißes Pferd mit einer großbusigen Reiterin. Ich habe keine Ahnung, ob das musikalisch ernst gemeint ist, oder in die Kategorie „Parodie“ fallen soll (denn so wirkt es), aber es hat zum Bruch der Partnerschaft zwischen Tockwith Motorsports und der Hanson-Familie geführt, der die von Tockwith eingesetzten Le Mans-Prototypen (ein LMP2, ein LMP3) gehören. Sohnemann Phil Hanson war einer der Fahrer des Teams und hat für Tockwith im Juni mit 18 Jahren sein Le Mans-Debüt bestreiten dürfen.
LMP3
In der kleinen Prototypen-Klasse ist der Titelkampf noch enger, hier herrscht sogar Gleichstand zwischen der #2 von United Autosports (Falb / Rayhall) und dem Ultimate-Team (Heriau / Lahaye / Lahaye), nachdem die #2 am Red Bull Ring mit einer Zeitstrafe nach Rennende den Sieg verlor; John Falb war während einer Full Course Yellow zu schnell unterwegs gewesen. Schon vorher waren beide Autos jeweils mit einer Durchfahrtsstrafe belegt worden, das Ultimate-Team für zu schnelles Fahren unter gelber Flagge, United Autosports für wiederholtes Missachten der Streckenbegrenzung (auch hier war John Falb der Übeltäter).
In Le Castellet ist die Gefahr für „Track Limits“-Verstöße besonders groß, hier werden sich Falb und alle anderen Piloten am Riemen reißen müssen. Was die fahrerischen Standards angeht, geht es bei den vielen Amateurfahrern in der LMP3 nicht immer ganz sauber zu, aber im Laufe der Saison(s) haben sich auch hier die Sitten gebessert.
Duqueine Engineering wechselt ab diesem Rennen komplett auf den neuen Norma M30, nachdem das Team in Red Bull dieses Fabrikat einem Vergleichstest mit dem bisher eingesetzten Ligier JSP3 unterzog. In Spielberg konnte David Droux im neuen Autos direkt die Pole für Duqueine holen – mit zwei Zehnteln Vorsprung; die weiteren Normas landeten in der Quali auf den Plätzen 3 und 7 im ansonsten aus Ligiers bestehenden, 17 Fahrzeuge starken LMP3-Feld. Im Rennen war das Duqueine-Auto auch lange konkurrenzfähig, fiel aber gegen Ende zurück.
Damit sind nun vier Normas im Feld vertreten, neben den beiden Duqueine-Autos setzt Oregon Racing auf den M30 und M.Racing YMR fährt noch parallel je einen Norma und einen Ligier. Es ist gut zu sehen, dass sich in dieser Klasse in der ELMS nun langsam auch ein ernstzunehmender Markenwettbewerb entwickelt, nachdem das Ginetta-LMP3-Projekt nicht mehr unterstützt wird, der ADDESS sich leider als kaum konkurrenzfähig erwies und der Ave-Riley es nun nach langer Verzögerung zwar endlich auf die Strecke geschafft hat, aber sich bei den ersten Einsätzen in der IMSA-Prototype Challenge auch noch keine Konkurrenzfähigkeit unter Beweis stellen konnte.
LMGTE
Die GT-Klasse bleibt dünn besetzt, das Feld umfasst wie gewohnt drei Ferraris (2x Spirit of Race aka AF Corse sowie JMW), zwei Aston Martins (TF Sport und Beechdean AMR) und einen einsamen Proton-Porsche. JMW Motorsport siegte mit seinem gelben Ferrari im Vorjahr in Le Castellet und auch schon 2011; von der Vorjahres-Besatzung ist Bronze-Pilot Robert Smith weiterhin für das Team am Start. Wieder einmal zurück am Steuer des gelben Ferraris ist Jonny Cocker, der frühere GT- und Prototypen-Co-Pilot von Lord Paul Drayson. Beim letzten Start Cockers holte JMW den Klassensieg, es waren die 4h von Monza im Mai dieses Jahres. Das war das letzte Rennen für JMW mit dem alten Ferrari-Modell 458, seit Le Mans sind die Briten auf den turbogeladenen 488 umgestiegen – und dort fuhr man direkt den Klassensieg ein.
Ferrari hat darüber hinaus in jedem (E)LMS-Rennen in Le Castellet seit 2011 den GTE (Pro)-Klassensieg geholt – eine gute Strecke also für Mittelmotor-getriebene Gran Turismos aus Italien. Mit den drei Ferraris muss man also rechnen; und deren Speerspitze ist in diesem Jahr eben JMW: mit 53 Punkten liegt das Team allerdings nach schwachem Saisonstart in Silverstone sechs Zähler hinter TF Sport in der Team-Meisterschaft. Das ebenfalls britische Team mit Bronze-Fahrer Salih Yoluc, seinem schnellen Mentor Euan Hankey und Top-Profi Nicki Thiim ist fahrerisch ebenfalls gut besetzt, aber ob sich ein Aston Martin in diesem Jahr erstmalig in Le Castellet gegen die Ferraris durchsetzen kann, muss sich erst zeigen.
Wann und wo zu sehen?
Das Rennen startet am Sonntag bereits um 12 Uhr mittags und geht – wie schon die Überschrift sagt – über vier Stunden. Motorsport.tv (ehemals MotorsTV) überträgt ab 11:45 Uhr live, ebenso wird das Rennen im Stream auf europeanlemansseries.com und bei Dailymotion zu sehen sein. Die Qualifikation findet am Samstag ab 13:45 Uhr statt.