An diesem Wochenende reist die japanische Super Formula zu ihrer vorletzten Saisonstation in die Miyagi-Präfektur. Auf der spektakulären wie auch anspruchsvollen Naturbahn des Sportsland Sugo begibt sich der enge Titelkampf in seine heiße Phase. Mittendrin: Red-Bull-Junior Pierre Gasly, der nach seinem zweiten Saisonerfolg in der Autopolis nun nach dem Hattrick greift.
Konnte man Pierre Gaslys Triumphfahrt bei Hondas Heimspiel auf dem Twin Ring Motegi noch als eine Art glückliche Fügung verstehen, da ausgerechnet die Boxencrew des über langen Zeitraum dominierenden Kamui Kobayashi patzte, fuhr der letztjährige Formel-2-Meister seinen zweiten Super-Formula-Erfolg auf dem Autopolis Circuit aus eigener Kraft heraus. Den Grundstein legte der Franzose mit einem sensationellen Raketenstart, als er beim Sprint auf die erste Kurve vom fünften auf den zweiten Platz nach vorne schoss. Fortan duellierte er sich mit Polesitter Tomoki Nojiri. Letzterer Begann allerdings den Fehler, nicht auf Gaslys Undercut-Versuch zu reagieren. Zu allem Übel beschädigte sich der Dandelion-Pilot auch noch den Frontflügel. Damit war der Weg für den Red-Bull-Mugen von Gasly frei. Vielmehr: Mit seinem zweiten Saisonerfolg katapultierte sich der 2018 wohl in die Formel 1 aufsteigende Nachwuchspilot auf den zweiten Tabellenrang im Meisterschaftskampf, 5,5 Punkte hinter dem führenden Hiroaki Ishiura. Das Ziel für Sugo: Der Hattrick. Ein Kunststück, das zuletzt André Lotterer im Jahr 2011 gelang. Hierfür benötigt es jedoch eine absolut fehlerlose Fahrt, denn das Sportsland Sugo kennt mit seinen engen Kurven und knappen Auslaufzonen keine Gnade.
Japans wohl anspruchsvollste Rennstrecke liegt in einer sehr gebirgigen Gegend in der Miyagi-Präfektur, angrenzend an die Stadt Murata sowie keine 20 respektive 40 Kilometer von den Städten Natori und Sendai entfernt, jener Teil der Tohoku-Region, der im März 2011 vom katastrophalen Erdbeben sowie Tsunami am schwersten getroffen wurde. Neben viel hübscher Landschaften schwirren in der Gegend auch viele Käfer umher. Das Besondere am Standort ist allerdings, dass das Wetter binnen Sekunden umschlagen kann. Sonne, Regen, teilweise sogar Nebel, anschließend wieder Sonne und Regen sind selbst im Sommer möglich. So staunten die Super Taikyu-Teams nicht schlecht, als der Saisonstart im März 2013 wegen starken Schneefalls abgesagt wurde. Statt Autos gab es damals selbstgebaute Schneemänner in der Boxengasse zu beobachten. Nordschleifen-Feeling in Japan sozusagen. Das teilweise unberechenbare Wetter stellt die Teams und Fahrer selbstredend vor eine besondere Herausforderung.
International eher unbekannt, obwohl zwischen 1988 und 2003 die Superbike-Weltmeisterschaft im Sportsland Sugo gastierte, ist der mit 3,737 km kürzeste Kurs im Kalender eine kleine Achterbahnfahrt – im wahrsten Sinne des Wortes. So ist die Start- und Zielgerade nicht eben, sondern führt zunächst bergauf. Die Steigung von 10% wird dabei, anders als bei anderen Strecken, gut von den TV-Kameras eingefangen. Die Gegengerade führt hingegen wieder bergab. Die spannendste der insgesamt zwölf Kurven ist die langgezogene 110R, die direkt wieder auf Start/Ziel führt und gerne auch als Mutkurve bezeichnet werden darf. Side-by-Side-Duelle sind hier zwar möglich, erfordern aber höchste Konzentration beider Fahrer, damit der Wagen auf der äußeren Linie nicht in die Reifenstapel rutscht. Die Charakteristik der Strecke gilt als besonders anspruchsvoll fürs Material, insbesondere der Motor sowie die Bremsen werden stark belastet. Das Sportsland Sugo lässt sich somit als eine „typisch japanische“ Rennstrecke bezeichnen, obgleich sie wegen der kleinen Auslaufzonen einige gefährliche Stellen bietet. Besagte 110R wurde Anfang des Jahres leicht entschärft, indem das Kiesbett asphaltiert wurde. Wunderschön in die Natur eingebettet, mit vielen schwungvollen Kurven sowie Steigungen. Eine echte Herausforderung für Mensch und Maschine, die keine Fehler verzeiht.
Im Folgenden eine Onboard-Runde mit dem letztjährigen Polesitter Yuhi Sekiguchi
2016 sah eines der erinnerungswürdigsten Rennen im Sportsland Sugo seit dem knappsten Zieleinlauf um den Sieg der Super-Formula-Geschicht zwischen Loic Duval und André Lotterer (0,041 Sekunden) im Jahr 2013. Es war die Geburtsstunde des damaligen Rookies Yuhi Sekiguchi, der das Unmögliche doch noch irgendwie möglich machte. Hintergrund: Eine späte Safety-Car-Phase erwischte den Impul-Piloten auf dem falschen Fuß, der bis dahin das Rennen dominierte, im Gegensatz zu seinen Konkurrenten jedoch noch nicht zum Boxenstopp hereinkam. Im anschließend Schlussspurt musste er einen Abstand von rund 30 Sekunden herausfahren, um nach seinem Boxenstopp weiterhin in Führung zu gelangen. Eine Aufgabe, die der Japaner mit Bravour meisterte. Schumacher-esk brannte Sekiguchi eine Qualifying-Runde nach der anderen in den Asphalt – und begeisterte mit seinem Kunststück nicht nur die angereisten Fans. Auch Impul-Teamchef Kazuyoshi Hoshino kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Er vergeudet sein Talent in Japan“, schwärmte die japanische Formel-1-Legende kurz nach der Zieldurchfahrt. Vielmehr: Hätte Hoshino die Entscheidungsgewalt gehabt, hätte er am liebsten seinen Schützling anstatt Stoffel Vandoorne zu McLaren geschickt, erklärte er. Keine Frage: An jenem Spätsommertag im September des letzten Jahres unterstrich Yuhi Sekiguchi sein Talent, das ihn zugleich auch zu einem der Titelfavoriten machte.
Ein ähnliches Kunststück müsste dem Impul-Piloten auch diese Mal wieder gelingen, um noch in den besagten Kampf um die Super-Formula-Krone einzugreifen. Denn anders als letzte Saison kommt das Traditionsteam nicht sonderlich in Fahrt. In der Meisterschaft belegt Yuhi Sekiguchi den sechsten Rang mit 15,5 Punkten Rückstand auf Tabellenführer Hiroaki Ishiura. Sugo ist somit die letzte Ausfahrt, um beim großen Saisonfinale in Suzuka, bei dem wegen der zwei unterschiedlich langen Sprintrennen die Punkteverteilung anders ausfällt, noch ein Wörtchen mitzureden. In der Autopolis ging Sekiguchi leer aus, nachdem man sich an einer interessanten wie auch gewagten Zwei-Stopp-Strategie probierte. Diese spülte den Japaner zwar zunächst in die vorderen Punkteregionen. Am Ende fiel er jedoch auf den zehnten Rang zurück. Für Teamkollege Jann Mardenborough, der immerhin die schnellste Runde des Rennens fuhr, lief die gleiche Strategie auf dem achten und somit letzten Punkteplatz nur unwesentlich besser.
Hintergrund der Strategie war die zweite, weichere Reifenmischung von Yokohama, die quasi als Testballon bei den Läufen in Motegi sowie in der Autopolis zum Einsatz kam. Der rotmarkierte Pneu darf als voller Erfolg bezeichnet werden. Nicht nur erhöhte sich durch ihn die Action wie auch die Überholmanöver auf der Strecke. Die Teams probierten sich auch an unterschiedlichen Strategien. Ein gutes Omen also, sollte der Reifen wie erhofft in der kommenden Saison als Optionsgummi bei allen Läufen zum Einsatz kommen. Für die diesjährig finalen beiden Saisonstationen kommt erneut exklusiv die mittlere und somit härtere Reifenmischung zum Einsatz. Insgesamt stehen den Teams sechs Sätze zur Verfügung, wovon zwei vom vorherigen Rennwochenende in der Autopolis übernommen werden müssen. Die mittlere Yokohama-Mischung ist insbesondere durch ihren etwas zu geringen Verschleiß bekannt, welcher von den Fahrern in der Vergangenheit häufig kritisiert wurde. Ohne der Vorgabe eines verpflichteten Reifenwechsels dürften viele der Teams, ähnlich der ersten Saisonrennen, versuchen, mit lediglich einem Satz durch das 68 Runden (251,88 km) lange Rennen zu kommen und lediglich zum Auftanken an die Box fahren. Bei einem normalen Rennverlauf sollte das Boxenstoppfenster zwischen der 6. und 64. Runde liegen. Im Falle mehrerer Safety-Car-Phasen, die wegen der Streckencharakteristik keine Seltenheit sind, könnten einige Fahrer gar versuchen, lediglich mit einer Tankfüllung durchzukommen. Ein schwieriges Unterfangen, da, die Nutzung des Benzinfluss-erhöhenden Overtake-Systems (OTS) nicht miteingerechnet, für die gesamte Renndistanz rund 103 Liter bei einem Tankvolumen von lediglich 90 Liter benötigt werden.
Mit Konstanz zum zweiten Titel? Bislang sammelte Hiroaki Ishiura fleißig wie ein Eichhörnchen bei allen Rennen wertvolle Punkte, inklusive einem Sieg am Fuji Speedway im Juli dieses Jahres. Seine Konstanz erinnert an 2014, als er mit insgesamt zwei Triumphen seinen allerersten Super-Formula-Titel einfuhr. Wie bereits erwähnt schläft die Konkurrenz jedoch nicht. Pierre Gasly befindet sich lediglich 5,5 Punkte hinter dem 36-Jährigen, dessen bisherige Erfolgsbilanz im Sportsland Sugo nicht unbedingt rosig aussieht. So kam er vergangene Saison nach einem schwierigen Rennen lediglich auf dem 16. Rang ins Ziel. Ähnlich erging es Teamkollege Yuji Kunimoto, der auf dem 15. Rang nur unwesentlich besser abschnitt. Den Titelambitionen Kunimotos tat dieses Ergebnis jedoch keinen Abbruch. In einer solch heiß umkämpften Meisterschaft wie der Super Formula können sich solche Nullnummern jedoch bitter rächen. Dies dürfte auch André Lotterer bestätigen, der als Tabellenzweiter nach Kyushu auf den Autopolis Circuit reiste, nach einem Aufhängungsschaden in der allerersten Runde jedoch vorzeitig ausschied. Damit stürzte der Champion von 2011 auf den vierten Rang mit 10,5 Zählern Rückstand ab. Ein Podiumsresultat dürfte die Titelambitionen des zweifachen Sugo-Siegers für das Suzuka-Finale im Oktober bekräftigen. Ähnliches gilt für TOM’s-Teamkollege Kazuki Nakajima, dessen bestes Saisonresultat nach einem beeindruckenden Start- und Zielsieg zum Jahresauftakt ein sechster Platz zuletzt in der Autopolis darstellt. Zwar belegt der zweifache Super-Formula-Champion noch den fünften Tabellenrang. Der Rückstand auf Hiroaki Ishiura ist mittlerweile jedoch auf 14,5 Punkte angewachsen. Ein Sieg diesen Sonntag ist somit Pflicht, um nicht endgültig den Anschluss zu verlieren.
Auf besagten Triumph wartet auch Felix Rosenqvist, der sich mit seinen bisherigen drei Podiumsresultaten auf dem dritten Tabellenrang mit 24,5 Punkten befindet. Ähnlich Pierre Gasly betritt der schwedische Alleskönner mit dem Sportsland Sugo absolutes Neuland. Das dies kein Beinbruch ist, bewies er unter anderem vor zwei Wochen in der Autopolis, als er mit nahezu 50 Runden alten Reifen noch auf den Silberrang fuhr. Die gleiche Strategie wählte auch sein Teamkollege Kazuya Oshima, der nur zwei Umläufe nach Rosenqvist wechselte und mit dem Bronzerang belohnt wurde – das bis dato beste Resultat des Serienveteranen, der heuer sein Vollzeit-Comeback feierte. Mit lediglich einer Reifenmischung dürften die taktischen Überlegungen der elf Teams jedoch relativ ähnlich ausfallen. Da Überholen abseits Kurve eins und drei auf der engen Strecke schwerfällt, erhält das Qualifying an diesem Wochenende eine essentielle Bedeutung. Insbesondere Q1 wird hierbei zum Haifischbecken, wenn sich 19 Fahrzeuge auf der lediglich 3,704 km langen Strecke um den Einzug ins zweite Segment streiten werden. Eine ungünstige gelbe oder gar rote Flagge könnte das Klassement entsprechend gehörig durcheinanderwirbeln.
Nicht nur Tomoki Nojiri, der seinen bislang einzigen Super-Formula-Erfolg just in Sugo im Jahr 2014 einfuhr, sondern auch Mugen-Stallgefährte Naoki Yamamoto, dürften eine Rechnung mit ihrem Honda-Kollegen Pierre Gasly haben. Letzterer erlitt vor zwei Wochen nach einer Startkollision einen abermaligen technischen Defekt, wodurch er mit lediglich 10,5 Punkten auf den neunten Tabellenrang abrutschte. Es ist wahrlich keine leichte Saison für den Meister von 2013, der nach einem fabelhaften Silberrang beim Suzuka-Auftakt eigentlich die Honda-Flagge tragen wollte. Die bisherigen Erfolge seines Teamkollegen Pierre Gasly dürften jedoch ein zusätzlicher Ansporn sein, um das Jahr dennoch auf einer versöhnlichen Note zu beenden. Auf ähnliches dürfte auch Nick Cassidy aus sein, der nach einer verkorksten Qualifikation und einem Fahrfehler im Kies des Autopolis Circuit strandete. Kondo-Racing-Gefährte Kenta Yamashita bekam derweil beim Boxenstopp den linken Vorderreifen in der falschen Laufrichtung montiert. Ein Fauxpas, welcher auch der TOM’s-Crew 2016 am Wagen von André Lotterer passierte. Einziger Trost nach der Autopolis-Pleite für das Gespann: Beide fuhren in der japanischen Formel 3 in der Vergangenheit jeweils sehr gute Ergebnisse im Sportsland Sugo ein.
TV-Zeiten Sportsland Sugo
Auch diesen Sonntag wird die Premiumplattform Motorsport.tv den sechsten Saisonlauf der Super Formula live auf ihrer Webseite streamen. In Japan überträgt der Pay-TV-Sender J Sports 3 am Samstag ab 6 Uhr die Qualifikation. Am Sonntag beginnt J Sports 3 um 6:40 Uhr mit ihrer Übertragung. Der Rennstart erfolgt eine halbe Stunde später um 7:10 Uhr deutscher Zeit. Kurz davor wird sich auch der Free-TV-Sender BS Fuji in die Übertragung einklinken. Bei 30-40% Regenwahrscheinlichkeit und Temperaturen bis zu 26 Grad wird sich die Miyagi-Präfektur von ihrer voraussichtlich trockenen wie auch teilweise bewölkten, spätsommerlichen Seite zeigen.
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