An diesem Wochenende findet auf dem Grand Prix Circuit von Brands Hatch das Finale der BTCC-Saison 2017 statt. Die Entscheidung um den Titel wird zwischen Ashley Sutton und Colin Turkington fallen, die gerade einmal zehn Punkte in der Meisterschaft voneinander voneinander getrennt sind. Die Zeichen deuten also auf ein spannendes Finale hin.
Führt man sich vor Augen, dass am Sonntag noch insgesamt 67 Punkte zu vergeben sind, erscheinen die zehn Punkte Vorsprung von Sutton gegenüber Turkington nicht wirklich groß. Noch mal kurz ein Exkurs in die Punktevergabe, damit am Sonntag auch jeder schön mitrechnen kann ;-) Für einen Sieg bekommt man 20 Punkte und dann geht es absteigend bis Platz 15 folgendermaßen weiter: 17, 15, 13, 11, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1. Zusätzlich bekommt man je einen Bonuspunkt für die die schnellste Rennrunde pro Lauf, eine absolvierte Führungsrunde pro Lauf und die Pole Position für Lauf Eins.
Detaillierte Rechenspiele erübrigen sich angesichts des knappen Vorsprungs und weil ja noch insgesamt drei Läufe gefahren werden. Für Tukington ist das Ziel an sich klar: Er muss nach Möglichkeit in jedem der drei Läufe vor Sutton landen und dabei den Rückstand wett machen. Nehmen wir nur mal so für den Spaß den unwahrscheinlichen Fall an, dass Turkington alle drei Läufe gewinnt und Sutton jeweils Zweiter würde ohne eine Runde zu führen. Turkington wäre dann knapp an Sutton vorbeigezogen und hätte die Meisterschaft sicher (3 x Differenz zu Platz 2 von je 3 Punkten = 9 plus 3 x Bonus für Führunsgrunde =12). Fährt Sutton aber gleichzeitig drei Mal die schnellste Rennrunde (3 Punkte) wäre er wiederum Meister.
Ein klein wenig realistischer: Würde Turkington nur die ersten beiden Läufe gewinnen und Sutton jeweils Zweiter werden, hätte Turkington vor dem letzten Lauf zwei Punkte Rückstand (2 x Differenz zu Platz 2 von je 3 Punkten = 6 plus 2 x Bonus für Führungsrunde = 8) und müsste dann auf jeden Fall noch mal drei Punkte mehr holen als Sutton, um den Vorsprung von zehn Punkten aufuuholen. Bei Punktgleichheit wäre Sutton in diesem Modell Meister, da er mehr Siege in der Saison geholt hat (selbst dann wenn Turkington zwei Mal gewinnt). Holt Turkington sich aber noch Zusatzpunkte für schnellste Rennrunden, reduziert sich das ganze Rechenspiel logischerweise um einen, zwei oder drei Zähler. Das gleiche gilt für die andere Richtung, falls Sutton sich schnellste Rennrunden sichert. Und gar nicht mitbetrachtet habe ich jetzt den möglichen Zusatzpunkt für die Pole Position, der ja ebenfalls noch möglich ist, wenngleich angesichts des hohen Zusatzgewichts, dass beide an Bord haben, unwahrscheinlich.
Damit es jetzt nicht zu verwirrend wird, hör ich mal auf. Wie gesagt, erübrigen sich solche Rechenspiele auch eigentlich, da ihnen zugrunde liegt, dass sowohl Sutton als auch Turkington ohne Probleme über den Renntag kommen und beständig an der Spitze mitfahren. Und dass das in der BTCC auch ganz schnell anders gehen kann, haben wir oft genug gesehen – zuletzt im dritten Lauf in Silverstone, als Turkington keine Punkte geholt hat und Sutton vom Ende des Feldes starten musste. An sich muss die oberste Prämisse für beide Kontrahenten also erst mal sein, dass alles glatt geht. Ausrutscher, Kollisionen, technische Defekte, Strafen und jeder Zweikampf, der einen aufhält, können dazu führen, dass sowohl Sutton als auch Turkington entscheidenden Boden verlieren.
Wenn man Versuche unternimmt, eine Prognose für eine enge Titelentscheidung abzugeben, überlegt man ja auch gerne, wer denn aktuell den besseren „Drive“ hat. Bis vor den drei Rennen in Silverstone hätte man dieses Pendel vermutlich in Richtung Ash Sutton ausschlagen lassen. Insgesamt hat der Subaru-Pilot seit der vierten Saisonstation in Oulton Park sechs Siege geholt und war der dominierende Mann während der Saisonmitte. In Silverstone stand dann aber erstmals kein Subaru-Pilot auf dem Podium, was zu einem erheblichen Teil auf die Ladedruck-Reduzierung zurückzuführen ist, die die TOCA während des laufenden Rennwochenendes vorgenommen hat. Eine genaue Einschätzung über das Potenzial der Subarus, die über weite Strecken in der Saison als das stärkste Paket erschienen, fällt daher für Brands Hatch um so schwerer. Uns selbst wenn Sutton noch immer besagten „Drive“ hat, wird ihm das wenig helfen, wenn sein Auto zu langsam sein sollte.
Im Gegensatz zu Sutton hat Colin Turkington im Verlauf der Saison weniger durch Dominanz als vielmehr durch Konstanz gepunktet. Der BMW-Pilot hat das letzte Mal im Juni in Croft auf der obersten Stufe des Podests gestanden und insgesamt „nur“ drei Siege im Saisonverlauf geholt. In den letzten Rennen war Turkington zwar stets weit vorne im Feld zu finden, aber nie in der Position, ein Rennen zu gewinnen. Ob das jetzt aber unbedingt ein schlechtes Omen sein muss, sei mal dahin gestellt, da er abgesehen vom dritten Lauf in Silverstone immer konstant Punkte eingefahren hat. Und eventuell spielt auch eine Rolle, dass Turkington im vergangenen Jahr beim Saisonfinale immerhin zwei Siege eingefahren hat – die allerdings wiederum am Steuer genau des Subarus, den in dieser Saison Ash Sutton fährt.
Ein weiterer Faktor, der entscheidend sein könnte ist die Erfahrung. Auch wenn Sutton routiniert erscheint und sich in diesem Jahr zu einem etablierten Rennsieger entwickelt hat, ist das erst seine zweite Saison in der BTCC und das erste Mal, dass es für ihn um die Meisterschaft geht. Turkington hingegen ist mit mehreren Jahren Erfahrung und bereits zwei gewonnen Titeln (beide beim Saisonfinale in Brands Hatch geholt) schon so etwas wie der klassische alte Hase, der in der Lage ist, genau dann zuzuschlagen, wenn sich ihm die Möglichkeit bietet. In diesem Sinne ist es eigentlich eine sehr schöne Situation, dass es ausgerechnet der Youngster ist, der in der Rolle des Gejagten ist, während der Routinier gezwungen ist, den Rückstand wett zu machen und mehr Attacke zu fahren. Mit Turkington an der Tabellenspitze und zehn Punkten Vorsprung würde ich mich jetzt fast schon festlegen wollen, dass er sich den Titel auch holt. So aber, ist die gesamte Situation um so spannender.
Schützenhilfe werden sich sowohl Sutton als auch Turkington von ihren Teamkollegen erhoffen können, wobei hier die Vorteile eher bei Turkington zu finden sind. Mit Andrew Jordan und Rob Collard hat er zwei erfahrene Piloten an seiner Seite, die in diesem Jahr ebenfalls Siege einfahren konnten und im Falle Collards bis vor Kurzem ebenfalls noch Meisterschaftschancen hatten. Sutton hingegen wird vor allem auf Jason Plato bauen, aber der Altmeister war trotz eines Sieges in Knockhill zu unkonstant im Verlaufe der Saison, als dass man jetzt sicher davon ausgehen könnte, dass er auf Augenhöhe mit Collard und Jordan fährt. Gleiches gilt auch für James Cole und Josh Price, wenngleich ersterer ja immerhin auch ein Rennen gewonnen hat.
Das Duell unter Einbezug der Teamkollegen ist auch im Hinblick auf die Herstellerwertung interessant, in der BMW aktuell mit 46 Punkten vor Subaru führt. Nachdem sich der bayerische Hersteller seit dieser Saison ganz offiziell zu dem Einsatz in der BTCC bekannt hat, wäre ein Titel natürlich genau das passende Ergebnis. Gleiches gilt gleichwohl für Subaru in deren erst zweitem Jahr als Hersteller in der BTCC, sowie für das ganze, noch recht junge Team BMR rund um Warren Scott. In der Teamwertung ist der Vorsprung von Team BMW (West Surrey) dagegen komfortabler und beträgt 93 Punkte auf Halfords Yuasa Racing (Team Dynamics) und 94 Punkte auf Adrian Flux Subaru Racing (Team BMR).
Der Vollständigkeit halber muss noch erwähnt werden, dass sowohl Honda-Pilot Gordon Shedden als amtierender Champion als auch Tom Ingram im Speedworks-Toyota noch rechnerische Chancen auf die Gesamt-Meisterschaft haben. 66 beziehungsweise 67 Punkte Rückstand bei insgesamt nur noch 67 zu vergebenen Punkten lassen die Wahrscheinlichkeit auf einen Titel der beiden aber allerhöchstens als ganz besonders mutige Wettquote durchgehen. Um Meister zu werden, dürfte Sutton überhaupt keine Punkte holen, Turkington maximal zehn und Shedden oder Ingram müssten sowohl Pole Position fahren, als auch alle drei Läufe gewinnen und jeweils auch noch die schnellste Rennrunde holen. Shedden hätte den Titel dann mit einem Punkt Vorsprung gewonnen während Ingram punktgleich mit Sutton wäre, aber einen Sieg mehr hätte.
Für Tom Ingram geht es vielmehr um den Titel in der Independent-Wertung, in der er 30 Punkte Vorsprung vor Jack Goff hat. Der Vorteil liegt logischerweise klar bei Ingram, aber schon ein einziger Ausfall kann das Zepter schnell umschlagen lassen. Knapp geht es auch für deren Teams sowohl in der Gesamt-Teamwertung als auch in der Independent-Teamwertung zu. In der Gesamtwertung liegt Ingrams Team Speedworks Motorsport gerade einmal 15 Punkte vor Goffs Team Eurotech Racing auf Platz Vier. In der Independent-Teamwertung, in der beide Teams um die Meisterschaft kämpfen, trennen beide gerade einmal zehn Punkte. Nur weitere zehn Punkte dahinter liegt zudem Motorbase Performance, die ebenfalls auf ihre Chancen in Richtung Titel schielen werden. Deren fahrerische Speerspitze Mat Jackson hat mit mehr als 74 Punkten Rückstand auf Platz Drei dagegen keine Chancen mehr auf den Independent-Titel in der Fahrerwertung.
Eine Meisterschaftsentscheidung ist bereits vor dem Saisonfinale entschieden worden. In der Jack Sears Trophy für den besten Rookie konnte sich Vauxhall-Pilot Senna Proctor bereits in Silverstone die Krone aufsetzen und damit zugleich einen schönen Erfolg für Vauxhall nach deren werksseitiger Rückkehr in die BTCC einfahren. Proctor setze sich gegen vielversprechend erscheinende Konkurrenten wie Ant Whorton-Eales, Josh Price und Will Burns durch und entkräftete zugleich seine Kritiker, die Anfang der Saison gemutmaßt hatten, dass Prcotor zu jung für einen BTCC-Einstieg sei.
Apropos Will Burns: Wie bereits vermutet, wird der Youngster nach seinem schweren Unfall in Silverstone nicht in Brands Hatch am Start sein. Die zugezogenen Rippenverletzungen machen einen Rennstart leider unmöglich und auch der VW CC des Team Hard hat zu starke Beschädigungen davon getragen, weswegen es auch keinen Ersatzpiloten geben wird. Besser sieht es dagegen für Rob Coallard aus, der ja ebenfalls in den Unfall verwickelt war. Der West Surrey-Pilot ist fit und steht bereit, seinen Teamkollegen Colin Turkington im Meisterschaftskampf zu unterstützen. Großer Respekt gebührt auch dem Team, das innerhalb einer Woche ein altes Ersatzchassis aus 2015 komplett neu aufgebaut hat, nachdem man das Unfallchassis leider abschreiben musste.
Wir freuen uns also auf ein spannendes Finale am Sonntag. Die drei Läufe finden um 12:35, 15:20 und 18:15 statt. Gefahren wird, wie bekannt sein sollte, auf dem altehrwürdigen GP Circuit von Brands Hatch – einer Strecke die jedem Motorsportfan das Herz höher schlagen. Mit dem Wetter im beginnenden britischen Herbst könnte sich zudem ein weiterer Faktor in den Meisterschaftskampf einmischen. Beim Verfassen dieses Artikels sind für den Sonntag 90% Regenwahrscheinlichkeit vorhergesagt.