Die European Le Mans Series steuert auf ein spannendes Finale der Saison 2017 zu, doch hinter den Kulissen brodelt schon ein Konflikt, der die Top-Klasse dieser Rennserie, die LMP2, in den nächsten Jahren betreffen wird. Korrektur: Das Rennen startet am Sonntag um 14 Uhr, ich hatte nicht bedacht, dass Portugal in einer anderen Zeitzone liegt (Quali Samstag 15:40 Uhr)!
G-Drive vs. United Autosports, so lautet das Duell im Kampf um den LMP2-Titel in der diesjährigen ELMS – oder auch: Oreca vs. Ligier. Der beste Dallara (von SMP Racing) liegt mit einem Saisonsieg auf Rang 5 der Meisterschaftstabelle, hinter den beiden Graff-Orecas. Das Problem ist: der ACO hat auf Basis der ELMS-Saison – und der 24h von Le Mans, wo aber mit einem anderen Aero-Kit gefahren wird – entschieden, dass Ligier, Dallara und Riley-Multimatic (die in der ELMS gar nicht vertreten sind) über den Winter ihren Joker einsetzen dürfen, um die Autos auf das Niveau des Oreca 07 zu bringen.
Nach dem neuen LMP2-Reglement, das seit diesem Jahr gilt, sind die Autos der vier allein lizensierten Hersteller auf vier Jahre homologiert – Updates sind in diesem Zeitraum nicht zulässig, abgesehen von einem sogenannten „Joker“. Und hierzu hat der ACO nun entschieden: Ligier und Dallara dürfen jeweils ihre beiden Aero-Pakete (High- und Low-Downforce) überarbeiten, Riley-Multimatic das komplette Auto. Oreca gilt als „Benchmark“ und darf gar nichts – aber die anderen dürfen Oreca auch – willkommen bei „Der Preis ist heiß“ – nicht überbieten. Der ACO hat angekündigt: wenn jemand durch die Joker-Updates schneller als Oreca ist, werden sie eingreifen und nachsteuern. Eine Balance of Performance sei das Ganze aber selbstverständlich nicht…
Aus sportlicher Sicht ist das Ganze absurd, man könnte es reduzieren und zuspitzen auf die Aussage: „Ja, wir wollen Wettbewerb, aber wehe, wenn einer schneller ist als der andere!“ Selbstverständlich ist das eine „Balance of Performance“, wenn das Ziel dieser Reglementierung ist, dass alle Konstrukteure auf dem gleichen Niveau sind und bereits angedroht wird, dass ein Überholen nicht gestattet wird. Spannend wird es sein, zu sehen, wie der ACO reagiert, wenn das Kräfteverhältnis nach der Saison 2018 weiterhin nicht – oder vielleicht sogar noch weniger – ausgeglichen ist…
Es sind die üblichen Probleme, die man sich als Reglements-Macher einhandelt, wenn man Kostenbegrenzung und Chancengleichheit um jeden Preis durchsetzen möchte. Oreca-Chef Hughes de Chaunac reagierte stark verschnupft, gerade auch weil die Datenbasis fast ausschließlich die noch nicht abgelaufene ELMS-Saison bildet. Die IMSA wurde nicht einbezogen, in der WEC treten bekanntlich nur Oreca-Chassis an und Le Mans muss mit seinen alternativen Aero-Paketen eigentlich separat betrachtet werden.
In dieser ELMS-Saison hat Oreca zwei Rennen gewonnen (einmal G-Drive, einmal Graff), Ligier hat mit United Autosports zwei Siege eingefahren und Dallara einen sehr starken Sieg mit SMP Racing. Dass einige Dallara- und Ligier-Teams in der Meisterschaft weiter abgeschlagen sind und nur vereinzelt Top 5-Ergebnisse eingefahren haben (wenn überhaupt), ist auch nicht in jedem Falle den Autos anzulasten, sondern liegt nunmal teilweise auch an den Teams und Fahrern, die gerade in einer Pro-Am-Serie wie der ELMS auch stark in ihrer Qualität auseinandergehen.
Der Abstand zwischen dem führenden G-Drive-Team (hinter dem Sponsoren-Namen steckt bekanntlich das Dragonspeed-Team von Elton Julian, dessen zweites Auto aber nicht so gut durch die Saison gekommen ist) und dem Zweitplatzierten Team United Autosports kam vor allem durch die große Konstanz von G-Drive zustande: ein Sieg in Monza, und bei allen anderen Rennen landete das Team auf Platz 2. United Autosports fuhr zwar zwei Siege ein (in Silverstone und am Red Bull Ring), verpasste aber sonst immer das Podium: in Monza hatte man bei Renn-Setup und die Strategie daneben gegriffen, in Le Castellet war man durch Unfall und Strafe zurückgefallen und in Spa im Taktik- und Safety Car-Roulette am Ende durch einen früher notwendigen und damit längeren letzten Tankstopp gehandicapt.
Dadurch sind Will Owen, Hugo de Sadeleer und Filipe Albuquerque nun mit 80 Zählern nun deutlich im Nachteil gegenüber den G-Drive-Fahrern Leo Roussel und Memo Rojas, die – wie ihr Team in der entsprechenden Wertung – 98 Punkte auf dem Konto haben Dritter Fahrer für G-Drive ist an diesem Wochenende wieder der Japaner Ryo Hirakawa, der allerdings aufgrund seiner Super GT-Verpflichtungen einige Rennen auslassen musste.
Hugo de Sadeleer und Leo Roussel sind für mich die Entdeckungen dieser ELMS-Saison: der 20-jährige Schweizer de Sadeleer stieg diese Saison direkt aus der Formula Renault 2.0 in die LMP2 auf, während Roussel schon zwei Jahre beim LMP2-Hinterbänkler-Team Pegasus Racing verbrachte und nun in ein Top-Team der Klasse aufrücken konnte, um dort sein Talent zu beweisen. United Autosports hat übrigens kürzlich schon verkündet, dass der derzeit 17-jährige Phil Hanson im kommenden Jahr für sie antreten wird, wenn sie ihr ELMS-Programm auf zwei LMP2-Entries aufstocken. Auch bei den 24h von Daytona soll Hanson für das anglo-amerikanische Team fahren, dort zusammen mit dem frischgebackenen Formel 3-Europameister Lando Norris.
Nun wird in Portimao allerdings erst einmal ein Sieg oder mindestens ein zweites Platz für United Autosports erforderlich, denn nur so können die 18 Punkte Rückstand überhaupt noch aufgeholt werden – außerdem darf G-Drive nur wenige (oder bei einem zweiten Rang) gar keine Punkte einfahren. Schon das Qualifying am Samstag kann vorentscheidend sein, denn für die Klassen-Pole gibt es in der ELMS auch jeweils einen Zähler gutgeschrieben. Sollte G-Drive die Pole holen, wäre United Autosports endgültig zum Siegen verdammt, während die G-Drive-Mannen höchstens Siebte werden dürften, was bei zwölf Startern und besagtem Qualitätsunterschied schon viel verlangt ist. Es müssten also gravierende Probleme dasjenige Team ereilen, das bisher in jedem Rennen mindestens Zweiter geworden ist.
Noch etwas deutlicher ist das Bild in der LMP3-Klasse: bei den kleinen Prototypen führt United Autosports mit den Piloten Sean Rayhall und John Falb mit 85:66 gegen das Team von Yvan Muller, M.Racing YMR, mit den Piloten Antoine Jung, Romano Ricci und Alexandre Cougnaud. Auch dieser United Autosports-Ligier hat zwei Saisonsiege auf dem Konto, dagegen steht nur eine schwächere Platzierung abseits des Podiums.
Wie in der LMP2 bedürfte es auch hier eines schwachen Resultats für das führende Team, damit M.Racing YMR überhaupt noch eine Chance auf den Titel hat – allerdings ist die LMP3-Klasse mit 17 Autos auch etwas stärker besetzt und vor allem auch bunter und so kann durchaus mal ein Überraschungsergebnis eintreten – oder auch ein Zwischenfall einen Favoriten aus dem Spiel nehmen. So hat beispielsweise der zweite United Autosports-Ligier (#3) in dieser Klasse bereits zwei Ausfälle zu Buche stehen und auch das Schwesterautos des jagenden M.Racing YMR-Teams (allerdings ein Norma im Gegensatz zum Ligier von Cougnaud/Ricci/Jung) hat bereits drei punktelose Ergebnisse gegenüber einem Klassensieg verbucht.
Am schwierigsten ist das Einfahren eines schlechten Resultats in der GTE-Kategorie, denn hier sind auch beim Finale nur sechs Teilnehmer gemeldet – das heißt, um weniger als acht Punkte einzufahren, muss man schon komplett ausfallen oder nicht die notwendige Distanz absolvieren. Dass das schneller gehen kann, als man denkt, hat JMW Motorsport im Vorjahr bemerkt, als die Briten als Tabellenführer nach Portugal kamen, dort dann aber alles schieflief und man punktelos den Titel verlor.
In diesem Jahr sind Rob Smith, Jody Fannin und Will Stevens im gelben Ferrari 488 die Jäger, und sie liegen nach dem zweiten Rang in Spa-Francorchamps nur einen Punkt hinter dem Aston Martin des TF Sport-Teams, der von Salih Yoluc, Euan Hankey und Nicki Thiim pilotiert wird. Beide haben dieselben Rennresultate aufzuweisen: je einen Sieg, zwei zweite Plätze sowie einen dritten und einen fünften – den Unterschied macht die Pole Position von TF Sport beim Auftakt in Silverstone. Auch beim Finale könnte die Pole also einen entscheidenden Unterschied machen. Sie könnte den Gleichstand bringen – oder den Vorsprung von TF Sport verdoppeln.
Oder es passiert weder das eine, noch das andere, denn in den letzten Rennen konnte Spirit of Race (besser bekannt als AF Corse) vermehrt auftrumpfen: dank zwei Poles (Monza und Le Castellet) sowie zwei Siegen (Spielberg und Le Castellet) für die #55 mit Matt Griffin, Cuncan Cameron und Aaron Scott sowie einer Pole (Spielberg) und eines Sieg (Spa) für die #51 mit Gianluca Roda, Giorgio Roda und Andrea Bertolini sind beide Ferraris noch in rechnerischer Titel-Reichweite: die #55 liegt nur 11 Zähler hinter dem TF Sport-Aston Martin, die #51 allerdings schon 17 Zähler.
Aufgrund der geringen Starterzahl hat aber selbst der sechsplatzierte schon acht Zähler sicher, wenn er ins Ziel kommt, und damit eines der beide Spirit of Race-Teams noch eine Chance hätte, müssten schließlich beide Favoriten-Teams, TF Sport und JMW, nicht oder nur minimal punkten. Das ist schon eher unwahrscheinlich, sodass es – der Wahrscheinlichkeit nach – wohl diese beiden britischen Teams unter sich ausmachen werden. Aber in dieser Klasse dürfte die Meisterschaft wohl wirklich knapp und möglicherweise mit harten Bandagen ausgefochten werden.
Schauplatz des Ganzen ist der Algarve International Circuit nahe Portimao im Süden Portugals. Die schrecklichen Waldbrände, die das Land zurzeit erschüttern, spielen in dieser Region keine Rolle und das Wetter sollte ideal zum Rennfahren sein: heiter mit Temperaturen um 20°C. In den letzten Jahren fuhr die ELMS in Estoril, die dortige Stercke finde ich nach diversen Umbauten leider nur noch wenig attraktiv. Die noch recht junge Bahn im Hinterland der Algarve ist dagegen eine der besten Strecken, die in diesem Jahrtausend gebaut wurden, und das, obwohl sie Formel 1-Standards erfüllt!
Die F1 ist dort (leider) bisher nur zum Testen zu Gast gewesen und auch sonst sind Rennen an der Algarve rar gesät, vielleicht aufgrund der Abgelegenheit der Gegend in Bezug auf größere Städte. Doch für die Rennstrecke hat man eine wunderbar hügelige Landschaft gefunden und diese perfekt genutzt: es geht rauf und runter, durchaus auch mal steil, und die Kurven haben teils variierende Radien oder blinde Scheitelpunkte, weil sie über Kuppen führen. Matt McMurry, der für das hier mit einer Fahrschule beheimatete Team Algarve Pro Racing antritt, hat im Sommer diesen Jahres beim Testen folgende Runde aufgezeichnet:
Neben dem kleinen portugiesischen Team darf noch jemand hier sein Heimspiel bestreiten, und das ist Filipe Albuquerque. Sollte es ihm und seinem United Autosports-Team vor heimischem Publikum gelingen, den Rückstand noch aufzuholen, wäre das natürlich ein besonderes Ereignis für den früheren Audi-LMP1-Mann. Ob es dazu kommt, wird sich am Sonntag ab 14 Uhr zeigen, dann nämlich startet das 4h-Rennen. Und da auch die Quali – insbesondere in der GTE-Klasse – von besonderer Relevanz sein könnte, lohnt sich auch am Samstag um 15:40 Uhr schon das Reinschauen in den offiziellen Livestream auf europeanlemansseries.com.
(Bilder: ELMS Media)