Der Macau Grand Prix ist seit seiner ersten Austragung als Formel 3-Lauf 1983 deren Saisonhighlight und aus der Szene kaum wegzudenken – und das obwohl die Strecke selbst, der berüchtigte Guia Circuit, ein verrückter Anachronismus ist.
Macau passt nicht mehr so recht in die Zeit: im auf Sicherheit und Risikominimierung getrimmten 21. Jahrhundert ist es eigentlich kaum vorstellbar, dass Nachwuchspiloten aus verschiedenen Formel 3-Serien dieses Planeten sich in den engen Kanal aus schwarz-gelb gestreiften Leitplanken stürzen. Doch es passiert weiterhin alljährlich, und wenn man bedenkt, dass dort auch ein Motorrad-Rennen ausgetragen wird, erscheint der Formel 3-Grand Prix plötzlich gar nicht mehr so verrückt. Und der Sieg ist weiterhin mit großem Prestige behaftet, zumal die FIA das Rennen inzwischen offiziell als „Formula 3 World Cup“ ausschreibt.
Entsprechend treten dort Top-Nachwuchspiloten aus verschiedenen Rennserien an, insbesondere aus der Europäischen F3-Meisterschaft und aus der All-Japan Formula 3 Championship. Nachfolgend wollen wir die Teilnehmerliste und die Saisonbilanzen der 22 Starter betrachten, um zu schauen, wer denn am ehesten eine Chance hat, sich den prestigeträchtigen Macau-Sieg zu holen. Der Gewinner tritt in die Fußstapfen von Legenden wie Ayrton Senna (1983) und Michael Schumacher (1990) sowie von Indy 500-Sieger Takuma Sato (2001) und dem aktuellen Formula E-Champion Lucas di Grassi (2005).
Überhaupt, die Formula E (deren Saison 2017-18 nächstes Wochenende in Hongkong beginnt) – alle Piloten, die seit 2012 in Macau gewonnen haben, sind inzwischen in der Elektro-Rennserie unterwegs: Antonio Felix da Costa (Sieger 2012 und 2016) holte dort immerhin bereits einen Rennsieg und einen achten Meisterschaftsrang in drei Saisons; Felix Roseqvist (Macau-Sieger 2014-15) schlug in diesem Jahr ein wie eine Bombe und wurde mit einem Saisonsieg und fünf Podien direkt Meisterschaftsdritter. Alex Lynn (Macau-Sieger 2013) ist Test- und Ersatzfahrer für das Jaguar-FE-Team und hat diesen Juni die beiden New York-Läufe – leider mit zwei Ausfällen – bestritten.
Der Guia Circuit
Der Guia Circuit scheint also Stadtkurs-Asse für die Formula E zu „produzieren“; auf der anderen Seite sind die beiden letzten Macau-Sieger, die es in die Formel 1 – die sicherlich das Ziel fast aller der antretenden Youngster ist – geschafft haben, die bereits genannten Piloten Takumo Sato und Lucas di Grassi, also zwei in den letzten 20 Jahren. Doch die Favoriten in diesem Jahr – allen voran Lando Norris – haben durchaus das Zeug, es in die Königsklasse zu schaffen, selbst wenn sie in Macau gewinnen sollten…
Über den Kurs, den berühmt-berüchtigten Guia Circuit, möchte ich an dieser Stelle gar nicht viele Worte verlieren, sondern verweise lieber auf den geradezu poetischen Trackwalk des Kollegen Philipp Koerner aus dem letzten Jahr. An dieser Stelle für den eilligen Leser nur so viel: die Strecke besteht aus zwei grundverschiedenen Teilen. Das eine sind die langen Geraden um das Reservoir und hin zur Lisboa Bend, wo zwei Kilometer lang Vollgas gefahren wird, durch zwei haarsträubend schnelle Knicke hin zur Bremszone, die die beste Überholmöglichkeit darstellt. Danach geht es den Berg hinauf und wieder hinab durch ein unendliches Kurvengeschlängel, in dem man kaum den Überblick behalten kann – Überholen ist hier unmöglich, und an einer Stelle sogar verboten, da die Anfahrt zu dieser Haarnadel so eng ist, dass dort seit einigen Jahren dauerhaft die gelben Flaggen geschwenkt werden.
Dass diese Strecke Unfälle und häufige Safety Car-Phasen provoziert, dürften sich die meisten Motorsport-Zuschauer nach dieser Kurzbeschreibung bereits denken können – und auch wenn die Rennen dadurch manchmal sehr unansehnlich sein können, Macau ist und bleibt etwas ganz Besonderes. Die folgenden 22 Starter werden in diesem Jahr diese verrückte Bahn in Angriff nehmen und versuchen, sich in der Siegerliste zu verewigen.
Die Europäischen Starter
Mit der #1 am Start ist der Champion der diesjährigen Formel 3-EM: Lando Norris ist sicherlich die Speerspitze der aktuellen britischen Nachwuchsfahrer-Riege, die als nächste Generation die Nachfolge von Lewis Hamilton antreten wollen werden. Das Beeindruckende ist, dass Norris den Titel bereits in seiner ersten F3-Saison und im Alter von 17 Jahren geholt hat – und damit selbstverständlich und nebenbei auch noch die Rookie-Wertung gewonnen – hat.
Mit 14 wurde Norris Kart-Weltmeister, mit 15 gewann er die britische MSA Formula, und im Jahr 2016 mit 16 Jahren holte er gleich drei Titel: in der Formel Renault 2.0 im Eurocup sowie in der Northern European Championship und in der neuseeländischen Nachwuchs-Formel Toyota Racing Series. Anfang der Woche, am 13. November, ist er volljährig geworden, ein ebenso großer Grund zum Feiern dürfte allerdings die kurz vorher bekanntgegebene Rolle als McLaren-Ersatzfahrer für die Saison 2018 sein.
Norris ist schnell und kann auch überholen. Solch gravierende Fehler wie der in der letzten Runde des dritten Laufs am Red Bull-Ring, als er den Titel bereits vorzeitig hätte gewinnen können, dann aber durch einen unnötigen frust-induzierten Überholversuch noch ausschied, waren in der abgelaufenen Saison die große Ausnahme. Er wird sich im nächsten Jahr in der Formel 2 beweisen dürfen (und müssen), aber auch ein Macau-Sieg wird sicherlich auf seiner To Do-Liste stehen, zumal man dort als junger Fahrer in der Regel nur einige wenige Male antritt.
Norris kennt die Strecke bereits, schon 2016 trat er für Carlin an und wurde (in einem seiner ersten F3-Rennen) Elfter. Nun könnte also seine Stunde für den prestigeträchtigen Macau-Sieg schlagen. Allerdings darf er nicht so übermütig werden wie in Österreich, denn der Guia Circuit verzeiht keine Fehler.
Sein Team Carlin bringt vier weitere Dallara-VW an den Start, darunter für die F3-EM-Piloten Jehan Daruvala aus Indien und Ferdinand Habsburg, der als Urenkel des letzten Kaisers von Österreich, Karl I., in der Tradition adeliger Rennfahrer steht. Beide konnten in der abgelaufenen Saison einmal ganz oben auf dem Podest stehen, Daruvala am Norisring, Habsburg nach einem beeindruckenden Rennen in Spa. Die weiteren Carlin-Piloten sind Sacha Fenestraz, der gerade den Formel Renault Eurocup gewonnen hat, und Devlin Defrancesco, der die Saison der ebenfalls mit F3-Fahrzeugen ausgetragenen Euroformula Open auf Rang 3 beendet – und nebenbei die spanische F3-Meisterschaft gewonnen – hat.
Vier Piloten aus der Formel 3-EM bringt Prema unter dem Theodore Racing-Label mit Mercedes-Motoren an den Start, darunter mit Callum Ilott den nächsten starken Briten der aktuellen Nachwuchsgeneration. Ilott ist gerade 19 geworden, hat aber die F3-EM dreimal bestritten; dass der Ex-Red Bull-Junior sich dabei (mit unterschiedlichen Teams) von Jahr zu Jahr steigern konnte und 2017 mit sechs Saisonsiegen Gesamt-Vierter wurde, belohnte Ferrari mit einer Aufnahme in deren Juniorkader. Auch in Macau war Ilott schon zweimal am Start und erreichte 2016 einen guten fünften Rang. Er könnte einer der härtesten Konkurrenten von Norris sein.
Einer von Ilotts Prema-Teamkollegen ist die derzeit wohl größte deutsche Nachwuchs-Hoffnung, Maximilian Günther. Er ist „schon“ 20 Jahre alt und bestritt 2017 – wie Ilott – seine dritte Formel 3-Saison, wobei er im Vorjahr Meisterschaftszweiter hinter Lance Stoll und in diesem Jahr – nach einigen schwächeren Ergebnissen in der zweiten Saisonhälfte – knapp Dritter wurde. Er holte Siege in Pau und am Norisring, und er kennt Macau aus dem Vorjahr (DNF), sodass auch er in diesem Jahr zu den Favoriten auf diesem Stadtkurs gehören dürfte. Günther ist 2017 DTM-Testfahrer für Mercedes gewesen, doch diese Karriereoption schließt sich leider mit dem Ausstieg von Mercedes aus dieser Serie Ende 2018. Wo er im nächsten Jahr startet, steht noch nicht fest.
Ein weiteres Jahr in der Formel 3 steht für Mick Schumacher in den Karten, der in seiner ersten EM-Saison Dritter der Rookie-Wertung wurde. Er tritt zum ersten Mal in Macau an, der vierte Prema-Pilot, Guan Yu Zhou aus China, bereits zum zweiten Mal. Die beiden 18-jährigen werden allerdings nicht um den Sieg mitfahren können, dafür ist die Spitze des Feldes zu dicht besetzt.
Das dritte große Team aus der europäischen F3-Meisterschaft ist Motopark, die – wie Carlin – gleich fünf Dallara-VW an den Start bringen. Die Speerspitze bildet hier der EM-Zweite, Joel Eriksson aus Schweden. In der ersten Saisonhälfte schien er noch der Titelfavorit zu sein, bis Norris sich dann richtig eingroovte und am Ende deutlich siegte. Gegen Maxi Günther konnte er sich aber knapp durchsetzen. In 14 von 30 Saisonrennen wurde Eriksson Erster oder Zweiter und Macau kennt er aus dem Vorjahr, ihn muss man also auf jeden Fall als einen der Favoriten auf dem Schirm haben.
Die beiden Japaner Tadasuke Makino und Marino Sato fuhren in der F3-EM unter ferner liefen, wobei Makino in er zweiten Saisonhälfte einige guten Platzierungen, darunter ein Podium, holen konnte. Mehr Chancen ausrechnen können sich die beiden übrigen Piloten, die Motopark in Macau einsetzt. Sergio Sette Camara hat die Formel 3 eigentlich schon hinter sich gelassen, er ist Toro Rosso-F1-Ersatzfahrer und hat dieses Jahr die F2-Saison (mit einem Rennsieg) bestritten. In Macau wurde er im Vorjahr bei seinem zweiten Auftritt Dritter, sodass man den 19-jährigen Spanier auf dem Schrim haben sollte.
Daniel Ticktum könnte eigentlich zu der Gruppe hoffnungsvoller britischer Nachwuchspiloten gehören, hätte er nicht im Titelkampf der MSA Formula Ende 2015 einen kompletten Aussetzer gehabt und seinen Konkurrenten Ricky Collard während einer Safety Car-Phase absichtlich von der Strecke geräumt. Dafür gab es eine zweijährige Motorsport-Sperre, das zweite Jahr auf Bewährung. Ticktum durfte im Herbst 2016 wieder fahren und startete auch in Macau (wo er das Rennen allerdings nicht beenden konnte). Er gehört zum Red Bull Junior-Team und bestritt 2017 den Formula Renault Eurocup, wo er mit einem Saisonsieg Siebter wurde.
Ebenfalls aus Europa bekannt sind die beiden Van Amersfoort-Piloten, Ralf Aron und Pedro Piquet. Der Halbbruder von Nelson Piquet jr. (Sohn von Nelson Senior) konnte 2014 und 2015 zweimal die brasilianische Formel 3 gewinnen, der Wechsel nach Europa verlief allerdings holprig: gegen die hiesige Konkurrenz reichte es nur zu den Meisterschaftsrängen 19 (2016) und 14 (2017), Siege: Fehlanzeige. Macau kennt er allerdings bereits, wurde dort im Vorjahr Neunter. Der Este Aron tut sich ebenfalls schwer in der F3-EM, mit Prema konnte er im Vorjahr immerhin einen Sieg holen, mit Hitech GP reichte es nur zu Gesamtrang 9 mit zwei Podiumsbesuchen, davon einmal auf dem Stadtkurs von Pau; Macau ist allerdings Neuland für ihn, ebenso sein Einsatzteam Van Amersfoort.
Die japanischen Starter
Auf den Meister in der diesjährigen All-Japan Formula 3 Championship werden die Fans in Macau leider verzichten müssen, denn Mitsunori Takaboshi lässt das Stadtrennen aus. Sein Team B-Max Racing bringt dennoch drei stark besetzte Dallara-VW nach Macau. Kenta Yamashita hatte zwar keine so hervorragende Saison in der japanischen Super Formula, liegt dafür aber auf Rang 5 in der GT300-Wertung der Super GT, wo er für Lexus antritt. Vor allem aber erreichte er beim letztjährigen Macau Grand Prix einen starken vierten Rang bei seiner bereits dritten Teilnahme.
Beim schon 29-jährigen Yuhi Sekiguchi ist es umgekehrt: er hatte eine stärkere Super Formula-Saison, wo er mit zwei Siegen den vierten Gesamtrang holte, während es in der Super GT nur für Rang 13 in der GT500-Klasse reichte. Sekiguchi tritt erstmals seit 2011 wieder in Macau an, als er mit Team Mücke knapp das Podium verpasste. Der dritte B-Max-Pilot ist Ryuji „Dragon“ Kumita, der in diesem Jahr die National-Klasse der japanischen F3 gewann. Bemerkenswerter ist allerdings, dass er bereits 50 Jahre alt ist und damit der älteste Pilot, der in Macau antritt, seit es ein Formel 3-Event ist. Dass er mit den Top-Youngstern mithalten kann, ist allerdings zweifelhaft.
Zwar ist der japanische F3-Meister nicht dabei, doch die Fahrer auf den Rängen 2, 3 und 4 werden am Start sein. Das werksunterstützte Team TOM’S kommt mit zwei Toyota-motorisierten Dallaras für die Piloten Sho Tsuboi (Vizemeister) und Ritomo Miyata (Rang 4) nach Macau. Miyata ist mit 18 noch jung und zum ersten Mal auf dem Guia Circuit am Start, Tsuboi kennt die Strecke bereits aus dem Vorjahr.
Der letzten Pilot auf der Liste ist der Spanier Alex Palou. Er hat mit 20 Jahren schon gute Platzierungen in mehreren Formel 3-Serien geholt, zuletzt eben den dritten Rang in der diesjährigen All-Japan F3 Championship. 2015 und 2016 versuchte er sich mit Campos Racing der der GP3, wo es allerdings weniger erbaulich lief, von einem einzelnen Rennsieg in Abu Dhabi 2015 abgesehen. Palou kennt Macau bereits aus dem Jahr 2014, ein gutes Resultat dort könnte für seine Karriere von großer Bedeutung sein. Dort tritt er für das Team Threebond with Drago Corse an.
Zeitplan und Stream fürs Macau-Wochenende
Die erste Quali wurde bereits am Donnerstag absolviert. Lando Norris brannte gegen Ende zwei starke Runden in den Asphalt und sicherte sich mit einer 2:11.570 die Provisional Pole, mehr als neun Zehntel vor Pedro Piquet, der bisher einen starken Macau-Auftritt hinlegt. Maximilian Günther wurde Dritter, bester der japanischen Piloten ist bislang Yuhi Sekeguchi auf Rang 6, gut zwei Sekunden langsamer als Norris, aber auf einem Niveau mit Callum Ilott.
Die zweit Quali findet am Freitagmorgen um 08:25 Uhr MEZ statt. Das Qualifikations-Rennen über eine Distanz von zehn Runden startet am Samstagmorgen um 10:20 Uhr Ortszeit, d.h. 03:20 Uhr MEZ. Am Sonntag steht dann das Hauptrennen an, das als letztes Rennen des Wochenendes und über 15 Runden ausgetragen wird; Start ist um 08:30 Uhr MEZ. Die F3-Rennen werden im Livestream zu sehen sein; außerdem wird es voraussichtlich on-demand-Videos unter diesem Link zu sehen geben.
Bilderquelle/Copyright: Formula E; Government Information Bureau; Sports Bureau of Macao SAR Government