Wieder einmal betritt die Formula E Neuland und bringt den Rundstrecken-Motorsport zurück in die Schweiz. Mit etwas Glück kann Jean-Eric Vergne dort – Achtung: am Sonntag! – schon Weltmeister werden.
In einer Woche finden die 24 Stunden von Le Mans statt, deren Ausgabe im Jahre 1955 ursächlich war für das langjährige Verbot von Autorennen in der Schweiz. Nach dem Desaster, bei dem neben dem Piloten Pierre Levegh 83 Zuschauer ums Leben kamen, verbot der Alpenstaat solche Veranstaltungen, bei denen sich mehrere Fahrzeuge gleichzeitig und im direkten Kampf auf der Strecke messen. Erst im Dezember 2015 wurde dieses Verbot durch die Politik gelockert, und zwar spezifisch für Rundstreckenrennen mit Elektroautos. Die Schweiz wollte die Formula E, und so wird es nun das erste Rundstreckenrennen seit Jahrzehnten mit Elektroautos in Zürich geben, wo zufällig auch einer der Hauptsponsoren der Serie, die Privatbank Julius Bär, ihren Hauptsitz hat.
Zwischen Zürichsee und Versicherungstempeln
Immerhin führt die Strecke nicht vor dem Gebäude der Bank entlang – andererseits wäre das schön gewesen, denn dieser befindet sich am Rande der Züricher Altstadt. Die Strecke führt stattdessen durch das Quartier Enge am westlichen Ufer des Zürichsees entlang, vorbei unter anderem an den Sitzen der Versicherungsunternehmen Swiss Life, Zurich und Swiss Re. Die Klischees über die Schweiz werden also erfüllt…
Der Teil entlang des Seeufers besteht aus der Start/Ziel-Geraden am Mythenquai, auf die eine stumpfwinklige Rechtskurve folgt, für die man zumindest nicht voll in die Eisensteigen muss. Das könnte beim Start – und auch bei Überholversuchen – brenzlig, aber auch interessant werden. Außerdem biegen die Fahrer hier auf eine Straße ein, in der Tramschienen verlaufen. Wie sich das auf die Linienwahl auswirkt, ist zu beobachten.
Erst kurz darauf folgt die erste engere Kurve, eine ca. 90 Grad-Links, die uns in ein dicht bebautes Stadtquartier hineinführt. Die Straßen dort sind teilweise eng (die Fahrbahn scheint teils nicht einmal 7 m breit zu sein!) und es gibt mehrere etwa rechtwinklige Kurven. Überholen wird hier wahrscheinlich kaum möglich sein, aber die FE-Piloten sind ja durchaus mal für eine Überraschung gut – was aber natürlich auch im Crash enden kann.
Mit einer letzten 90 Grad-Links geht es auf die großzügige Alfred-Escher-Straße, die uns geradewegs bis zur letzten Kehre bringen könnte. Allerdings wird es nach dem ersten Fünftel dieser knapp 900 m langen Geraden eine Schikane geben – denn dort werden die Straßenbahnschienen gequert. Das kennen wir von diversen US-Stadtkursen, genannt seien hier Baltimore und San José, wo das jeweils recht holprige Angelegenheiten waren (und für San José ist das noch milde ausgedrückt). Wie gut es in Zürich funktioniert, bleibt also abzuwarten. Danach folgt allerdings mit einer auf eine Spitzkehre zuführenden 700 m langen Gerade die beste Überholmöglichkeit der Strecke. Wie gut die Fahrer die Straßenbahn-Schikane erwischen, kann also entscheidende Bedeutung für Rennverlauf und-ergebnis haben. Unfälle sind auf dieser Strecke aber nahezu garantiert, fürchte ich.
Rückblick: Berlin ePrix
Jean-Eric Vergne muss also aufpassen. Er hat 40 Punkte Vorsprung vor Sam Bird, dem einzige noch halbwegs realistischen Kontrahenten um den Titel. Doch gewinnt Vergne in Zürich und erwischt Bird ein schlechtes Wochenende, kann der Franzose schon als Champion zum abschließenden Doubleheader nach New York fliegen. Vergne ist in dieser Saison noch nicht einmal schlechter als auf Platz 5 ins Ziel gekommen. Birds Bilanz wird allerdings auch nur von einem punktelosen Resultat in Mexiko und dem schwachen siebten Platz in Berlin getrübt.
Das Dilemma begann für Bird schon mit einer schwachen Quali-Runde: obwohl er in der vierten Gruppe auf die Strecke durfte, also bei besten Streckenbedingungen, gelang ihm nur ein enttäuschender zehnter Platz. Vergne dagegen erreichte im Sandwich der beiden Audi Sport Abt Schaeffler-Piloten die Super Pole-Runde. Auch wenn dort Daniel Abt auf Pole und Oliver Turvey auf Rang 2 fuhr, war Platz 3 eine deutlich bessere Ausgangsposition als der zehnte Rang von Sam Bird. Der wieder erstarkte Titelverteidiger Lucas di Grassi hatte einen gröberen Schnitzer in seiner Super Pole-Runde, was Startplatz 5 bedeutete.
Im Rennen zeigte sich dann, dass das Abt-Team (kräftig angefeuert vom Fähnchen-schwingenden Schaeffler-Fanblock im Einheitsdress, DTM-Style…) auf dem rauen Tempelhofer Beton nicht zu schlagen war: Daniel Abt führte von der Spitze weg sämtliche Runden und gewann ungefährdet; Teamkollege di Grassi war schon in 12 von 45 auf den zweiten Platz vorgefahren und gab diesen ebenfalls nicht mehr her. Dahinter gab es zwar durchaus den einen oder anderen Positionskampf, aber insgesamt war es eines der weniger spektakulären Rennen der Formula E. Das ist aber auch okay, wie schon erwähnt prophezeie ich für Zürich ein turbulenteres Event…
FIA beschließt Neuerungen und Kalender 2018-19
Turbulent wird es auch in der kommenden Saison. Inzwischen hat Alejandro Agag klargestellt, was er mit seinem „Mario Kart“-Vergleich für das zukünftige sportliche Reglement angedeutet hat – und das FIA World Motorsports Council hat diese Änderung gestern abgesegnet. Das ganze liest sich im Original so:
“The details of the two levels of power that must be used during each race are now defined, with 200 kW available in normal mode and 225 kW in the higher power mode. The higher power mode will be activated when a driver passes through an activation zone, which will be visible on the circuit and on television. The number of activations and the duration of the use of the higher power mode will be determined at each race by the FIA, according to the individual features of the circuit.”
Kurz zusammengefasst: es wird auf jeder Strecke eine Zone abseits der Ideallinie geben, die der Fahrer im Laufe des Rennens überfahren kann. Ab dieser „Aktivierungs-Zone“ hat er dann für eine gewisse Zeit 225 kW statt der standardmäßigen Leistung von 200 kW zur Verfügung (zur Erinnerung: in diesem Jahr sind es 180 kW im Renn-Modus). Die Dauer des Leistungsschubs und die Anzahl der Aktivierungsmöglichkeiten werden vor jedem Event spezifisch festgelegt. Der FanBoost wird beibehalten, kann zukünftig aber nur im „higher power mode“ genutzt werden, dann bietet er einmal eine Aufstockung der Leistung auf 250 kW.
Die spannendste Frage bleibt aber noch unbeantwortet: wie werden diese Zonen aussehen und wo werden sie angeordnet? Schlicht beispielsweise auf der Außenbahn einer Kurve oder in irgendeiner Form trickreich, dass es eine Leistung bzw. ein Opfer ist, diesen Schub zu nutzen? Soweit ich das bisher verstehe, wird es eher die schlichte Variante werden, zumal auch bereits von einer verpflichtenden Nutzung die Rede war. Im Rennen würde die zusätzliche Spannung dann daher kommen, wer diesen Boost zu welchem Zeitpunkt nutzt und wie gut er ihn einsetzen kann – etwa für eine schnelle Rundenzeit oder zum Überholen. Insofern erinnert es doch konzeptionell an die verpflichtend einmal im Rennen zu nutzenden Joker Laps der Rallye Cross-Meisterschaften.
Es wurde außerdem bekannt gegeben, dass die Rennen, die ab der kommenden Saison mit neuer Technik ohne Fahrzeugwechsel ablaufen, nicht mehr über eine bestimmte Rundendistanz gehen, sondern über 45 Minuten plus eine Runde ausgetragen werden. Damit werden die Rennen kürzer als sie es aktuell sind, aber die Autos werden leistungsstärker. Damit kann ich mich anfreunden. Allerdings würde ich mir nach wie vor wünschen, dass die Formula E grundsätzlich zweitägige Events veranstaltet und dann – vergleichbar mit der Formula 2 – ein längeres Rennen am Samstag fährt, in dem der Fokus auf Effizienz liegt, und ein Sprintrennen (etwa über eine halbe Stunde) am Sonntag, das weniger Energiesparen erfordert. Aber eine solche Umstrukturierung der Events ist bisher nicht im Gespräch.
Zu guter Letzt wurde auch der Kalender für die Saison 2018-19 veröffentlicht: Die wesentlichen Änderungen (Saisonauftakt in Saudi-Arabien, zweites Rennen in China, Monaco mit dem kompletten F1-Kurs) waren bereits bekannt. Von einer Rückkehr von Montreal oder London ist keine Spur zu sehen, es gab wohl in Großbritannien Überlegungen zu einem ePrix in Birmingham, doch der Kurs, auf dem einst die Formel 3000 fuhr, steht in der Form heute nicht mehr zur Verfügung. Ein TBA im Januar ist noch zu füllen, aber das wird sicherlich nicht in Europa sein, ich rechne eher mit einem südamerikanischen Austragungsort. Und wieder soll ein Doubleheader in New York die Saison im Juli beschließen.
- Dezember 2018: Saudi Arabien (Ad Diriyah)
- Januar 2019: Marokko (Marrakesch)
- Januar 2019: TBA (TBA)
- Februar 2019: Mexiko (Mexico City)
- März 2019: China (Hong Kong)
- März 2019: China (TBA)
- April 2019: Italien (Rom)
- April 2019: Frankreich (Paris)
- Mai 2019: Monaco (Monaco)
- Mai 2019: Deutschland (Berlin)
- Juni 2019: Schweiz (Zürich)
- Juli 2019: USA (New York)
- Juli 2019: USA (New York)
Zürich ePrix – wann und wo zu sehen?
Der Zürich ePrix findet ausnahmsweise am Sonntag statt, das Rennen startet um 18 Uhr. Im deutschen Free TV ist der Lauf nicht live zusehen, nur Eurosport 2 überträgt live – aber auch erst ab 18 Uhr, auf die von den letzten Rennwochenenden gewohnten Vorberichte und die Quali-Berichterstattung müssen die deutschen Fans diesmal verzichten. Um 22 Uhr gibt es auf dem Eurosport-Hauptsender eine 45-minütige Zusammenfassung, die auch am Montag mehrfach wiederholt wird.
(Bilder: Formula E Media)