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Erfahrungsbericht: Norisring 2018 – Zu Besuch in der Realität

von Philipp Körner
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In den vergangenen Wochen und Monaten wurde viel über die DTM geschrieben. So spekulierte man wild über interessierte Hersteller, suchte nach möglichen Ausstiegsgründen von Audi und analysierte potentielle Alternativreglements auf ihre Tauglichkeit. In den Reihen der ITR reagierte man höchst genervt darauf, da ihr Produkt doch das Beste sei, was man außerhalb der Formel 1 bekäme. Die Entwicklungen rund um das Norisring-Wochenende (Class-1-Pakt mit der GTA; Interesse von Aston Martin) dürften die jeweiligen Narrative zwar wieder reichlich befeuern, doch keiner will sich so recht an die realen Auswirkungen heranwagen – ich habe es zumindest mal versucht:

Das Erlebnis an der Strecke

Der Norisring ist ein Fixpunkt in meinem Leben. In den letzten zehn Jahren war ich bis auf sehr wenige Ausnahmen jedes Mal vor Ort – zuerst auf der Steintribüne, dann im Schöller-S, später auf der Porsche-Tribüne und zuletzt auch im Pressezentrum. Zweimal durfte ich dank einer Einladung von Petronas sogar einen Hersteller-Stahlpalast von innen betrachten. Ausgiebige Spaziergänge durch die über das Gelände verteilten Fahrerlager und lange sowie meist eng getaktete Renntage machten jedes Wochenende zu einer einzigartigen Erfahrung. Beispielsweise erinnere ich mich noch genau an den Moment, als ich zum ersten Mal Rennautos vor Ort sah – es war eine Sitzung der Seat León Supercopa.

Seit diesem denkwürdigen Anblick in der Dutzendteichkehre hat sich zwar vieles verändert, doch die Entwicklungen der letzten zwölf Monate stellen andere Veränderungen mit Leichtigkeit in den Schatten. Das daraus resultierende katastrophale Rahmenprogramm führte dazu, dass ich meinen obligatorischen Streifzug durch das Gelände in Rekordzeit absolvierte und beide Renntage endeten, bevor sie richtig angefangen haben. Quasi ein „Norisring light! Nur jetzt mit 50 Prozent weniger Racing!“

Nun möge mir der eine oder andere vorwerfen, dass Rahmenserien maßlos überschätzt werden! Man schaue doch nur mal auf die halbleeren Tribünen! Dieser Ansatz ist jedoch zu kurz gedacht. Wie in unserem Spezialpodcast nach dem Indy 500 besprochen ist Motorsport zu einem großen, wenn nicht sogar übermäßigen Anteil, sport entertainment. Sprich: Der Rennbesucher kommt zwar hauptsächlich für den Headliner (hier: DTM), möchte aber auch abseits umfangreich unterhalten werden. Mehr Fahrerlager und mehr Action auf der Strecke erhöhen das Angebot stark und geben dem Fan das Gefühl einer größeren Handlungsvielfalt.

Die Folgen eines zu stark gekürzten Programms konnten auf dem Norisring eindrucksvoll gesehen werden. Zwischen den spärlich platzierten Sitzungen drängten sich große Menschenmassen durch das verkleinerte Paddock. Sie wurden dabei mit teils verstörend falschen Showbühnen-Talks beschallt und mussten sich in Dreier-Reihen um die neuen Straßenfahrzeuge der Hersteller winden. Ehemalige ruhige Flecken wie das Carrera-Cup-Fahrerlager fehlten wohl nicht nur mir schmerzlich.

Insgesamt gesehen wurde der Norisring in diesem Jahr für zwei nennenswerte Serien und eine nette historische Dreingabe in der Form der FHR 100 Meilen Trophy aufgebaut. Am Sonntag fanden somit zwischen 8:30 Uhr und 16:50 Uhr gute vier Stunden Motorsport statt. Wenn man ausschließlich die reine Rennzeit heranzieht, waren es knapp über 2,5 Stunden. In diesen Zeiträumen lässt die BTCC halb Großbritannien auf die Strecke.

Aber die Rennen der DTM waren doch genial?!

Ja, waren sie! Ich würde beide sogar in meine Norisring-Top 5 einordnen. Aber wisst Ihr auch, warum sie so gut waren? Weil sich Mercedes-Piloten auf erbitterte Grabenkämpfe mit den BMW-Kontrahenten einließen und man zusammen mit der vereinfachten Aero sowie den abbauenden Reifen haderte. Zwar werden die neuen leistungsstärkeren Motoren und die weiterhin schrumpfende Aerodynamik zweifelsohne Wunder bewirken – doch ohne Mercedes. Und hier setzt ein gigantisches, kaum beachtetes Problem der Realität an. Als Gründervater der neuen DTM kann Mercedes auf eine riesige Fanbasis setzen. Selbst beim Heimrennen der bayerischen Konkurrenz war der Stern-Merch allgegenwärtig.

Viele tun so, als ob der Schockwellen versendende Ausstieg der Württemberger nur die Startfeldgröße massiv gefährdet. Abseits solcher technokratischen Sphären verlieren aber auch unzählige treue Fans ihren Mittelpunkt und Kenner der DTM wissen: Die Markenvernarrtheit gehört seit jeher zur DNA der nationalen Serie. Ob die Zuschauerzahlen dementsprechend massiv kollabieren werden, ist trotzdem nicht seriös zu bestimmen.

Möglicherweise bietet sich hier der historische Abgleich mit dem Ausstieg von Opel im Jahre 2005 an, der die DTM schon mal zu einer Zwei-Marken-Veranstaltung machte. Damals waren die Rahmenbedingungen insgesamt anders gelagert. So verließ Opel die Serie, als man sich auf dem absteigenden Ast befand. Man hatte beispielsweise im Abschiedsjahr nur noch vier Wagen am Start. Gleichzeitig erhöhten Mercedes und Audi ihren Aufwand und hielten die DTM bis zum Einstieg von BMW im Jahre 2012 am Leben.

Für die Stilblüten der Zwei-Marken-Ära belasse ich es mal beim Stichwort Barcelona. Geprägt davon schworen sich viele im Fahrerlager, dass drei Marken das neue Minimum sind: Ein Vorsatz, der im nächsten Jahr garantiert gebrochen werden müsste. Zusätzlich besteht der Unterstützerkreis der DTM in diesen Tagen nur noch aus BMW. Audi wackelt massiv und ein alternativloser Ausstieg ist mehr als vorstellbar.

Passend dazu präsentierte sich auch das Norisring-Fahrerlager. Während BMW einen überdurchschnittlich großen Quader auf das Zeppelinfeld setzte, schickte Audi altbekanntes und Mercedes sogar nur die „kleine Hospitality“. Letztere hatte immerhin den Vorteil intimerer Gespräche mit Gesichtern der Mercedes-Motorsportfamilie und meinen Gastgebern von Petronas. So sei an dieser Stelle schon mal bestätigt, dass Motorsport-Sponsoring auch in Zukunft zur Marken-Identität der Malaien gehören wird. Nirgendwo sonst könne man sich dermaßen perfekt als Technologie-getriebenes Unternehmen präsentieren. Und ja: Ich habe mich an einem GT3-Pitch versucht!

Gibt es Hoffnung?

Sie findet sich in den Berichten der Kollegen Yankee und Max. Vor allem die Kooperation mit der japanischen GTA hat extrem große Aufmerksamkeit erhalten und ich wurde vielerorts darauf angesprochen sowie um Erklärungen dazu gebeten. Die DTM-Fans zeigen sich sehr interessiert an den neuen Entwicklungen, was sich mit etwas Glück bis in die deutschen Vertretungen der japanischen Hersteller herumspricht. Jedoch bräuchte es extrem viel Überzeugungskraft für DTM-Programme ihrerseits, welche vielleicht aus den gemeinsamen Rennen gespeist werden kann.

Zudem scheinen die Gerüchte rund um Aston Martin kein Hirngespinst zu sein. Die britische Luxusmarke zeigt in Le Mans jedes Jahr, dass sie eine große Anziehungskraft hat. Ob ihr frischer Ansatz so einfach auf die DTM übertragbar ist und ob man als konzernloser Autobauer mit Audi sowie BMW konkurrieren kann, würde aber eine Frage der Zukunft sein. Dank der Kooperation mit AMG hätte man immerhin vom Start weg Unterstützung in Deutschland – sei es nun in Sachen Know-how oder auf den Tribünen.

Fazit

Im Gegensatz zu den leeren Strecken der bisherigen ersten Saisonhälfte bewies der Norisring, dass noch Leben in der DTM steckt. Die treuen Fans aus der erweiterten Metropolregion Nürnberg zeigten, warum der Stadtkurs eine herausragende Rolle im deutschen Motorsport einnimmt und mehr Unterstützung dafür bekommen sollte – im besten Fall in Verbindung mit der neu aufgestellten DTM. Aber auch unabhängig davon müssen Grundigkehre, Schöller-S und Dutzendteichkehre eine Zukunft haben. Selbst wenn die DTM ein Überlebenskonzept auf die Beine gestellt bekommt, dürfen Kooperationen mit anderen Serien außerhalb der ITR-Kreise kein Tabu mehr sein. Für passende Vorbilder empfiehlt sich ein Blick nach Long Beach oder Detroit.

Danksagung: Vielen Dank an Petronas und an das Mercedes-AMG DTM Team für den Zugang zur Hospitality und die Kostenübernahme für eine Übernachtung!

Bilderquelle / Copyright: Audi; BMW; Mercedes, Super GT (GTA); WEC

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