Die wichtigste europäische GT3-Meisterschaft hat sich mit einem engen Finale in die Winterpause verabschiedet. Bis in die letzten Minuten hinein war nicht klar, ob Raffaele Marciello Historisches in der Form eines Triple-Titels schaffen kann – und das wird es auch die nächsten Wochen nicht sein. Warum und weshalb dies symbolisch für das BGTS-Jahr 2018 ist:
Das Jahr des grünen Tisches
Die Pressemitteilung der Stéphane Ratel Organisation am späten Sonntagabend hätte kaum einen größeren Knalleffekt haben können. In ihr wurde geschildert, wie der #4 Black Falcon Mercedes AMG GT3 aus der Wertung der drei Stunden von Barcelona genommen wurde und somit den Sieg verlor. Ausschlaggebend hierfür war der Einsatz von Tape am Luft-Ansaugtrakt – ein aus der Sicht der Homologation sensibler Bereich. Der #88 AKKA ASP Mercedes AMG GT3, unter anderem mit Raffaele Marciello, rückte damit auf Platz eins auf. Teamvertreter von Black Falcon widersprachen dieser Entscheidung, da das Bekleben bislang normale Praxis bei ihren Einsätzen von Boliden der Marke Mercedes-AMG gewesen sei und daraus kein Performance-Sprung resultiere. Folgerichtig legten sie Einspruch ein. Somit verbleiben sowohl das Rennklassement als auch der Endurance Cup vorerst in der Schwebe.
Wie läuft der weitere sportrechtliche Prozess nun ab? Dafür empfiehlt sich der Blick auf die Entwicklungen rund um den #76 R-Motorsport Aston Martin Vantage GT3, der bei den drei Stunden von Silverstone unter Vorbehalt von der Pole gestartet ist, nachdem er aufgrund eines leeren Data-Loggers nach der Qualifikation disqualifiziert worden war. Der spätere Rennsieg (20. Mai) wurde schlussendlich am 09. Juli vom belgischen RACB-Berufungsgericht, das für BGTS-Angelegenheiten zuständig ist, offiziell bestätigt. So oder so ähnlich sollte es auch bei der Causa Black Falcon ablaufen.
Ein weiteres Beispiel für einen diesjährigen Eingriff in eine größere Sitzung ist die Disqualifikation des #1 Audi Sport Team WRT R8 LMS nach der Spa-Superpole. Auch hier fanden die Delegierten Unregelmäßigkeiten im Bereich des Luft-Trakts. Anders als bei den vorher genannten Vorfällen gab es aber keinen zeitnahen Einspruch.
Das Einordnen dieser Fälle ist offen gestanden ziemlich schwierig. Auch wenn Ordnung bekanntlich sein muss, leidet die Außenwirkung der Serie durchaus darunter, wenn Ergebnisse über längere Phasen nicht offiziell sind. Erst recht, wenn es um wichtige Platzierungen geht. Man denke nur an die Entwicklungen bei der LMP2 in den letzten Jahren. Eine für alle Seiten schnelle Lösung ist zumindest auf den ersten Blick nicht zu erkennen, weshalb die Fans solche Verfahren wohl als notwendiges Übel hinnehmen müssen.
Full Course Lello
Nachdem der Elefant im Raum nun abgearbeitet wurde, können wir zu angenehmeren Themen übergehen. Zuerst lohnt sich ein Blick auf den Mann der Saison: Raffaele Marciello. Der Italiener glänzte sowohl im Sprint als auch im Endurance Cup und kämpft des Weiteren noch um den Fahrertitel in der Intercontinental GT Challenge. In ebendieser gelang ihm unter anderem der Sieg beim Debüt der zehn Stunden von Suzuka.
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— Raffaele Marciello (@Real_RMarciello) October 1, 2018
Der große Durchbruch im Sportwagenbereich hatte sich bereits im vergangenen Jahr angekündigt, als er als Starfahrer bei den 24 Stunden von Spa-Francorchamps auftrat. Über die nächsten zwölf Monate manifestierte sich sein Talent zusehends und katapultierte ihn dauerhaft in die GT3-Spitze. Eigentlich sollte es nur eine Frage der Zeit sein, bis der ehemalige F1-Anwärter in noch größere Werksprogramme aufsteigt. Hier würde jedoch Mercedes‘ mangelndes Engagement im Werksbereich zum Problem werden.
Im Windschatten des hochgewachsenen 23-Jährigen findet sich zudem das Team des Jahres. Das unweit von Toulouse beheimatete Team AKKA ASP setzte sein Potential der letzten Saisons endlich in Ergebnisse um und scheiterte nur im Sprint Cup knapp am Team-Titel. In Spa war man heuer wieder lange Anwärter auf den Sieg, aber verpasste den schlussendlich nötigen Sprung in die Führungsrunde. Deswegen braucht es keinen großen Einblick, um zu ahnen, was 2019 die Prioritätenliste toppen wird.
Die Überraschung der Saison
Diese fand sich zweifelsohne am nordöstlichen Rand von Budapest. Der Hungaroring, eigentlich ein Synonym für dröge Rennen, zeigte dank unregelmäßigen Regens ein komplett anderes Gesicht und bot vermutlich die heikel-spaßigsten Läufe der Sprint-Saison.
Eine weitere Überraschung waren die sechs Stunden von Paul Ricard, welche bekanntlich einen ziemlich schlechten Ruf haben. Dennoch bot der Streifen-Parkplatz zum wiederholten Male eine grandiose Schlussphase mit extrem freudigen Gewinnern.
Die Enttäuschung der Saison
Auch wenn es mir im Herzen weh tut und vielleicht etwas unfair ist: Es sind die diesjährigen 24 Stunden von Spa. Daran haben weder die Strecke noch die Autos an sich Schuld. Der Rennverlauf wurde einfach nie der großen Vorfreude gerecht, was man dem miesen Neutralisierungsverfahren und der unglücklichen Situation in der Nacht zuschreiben muss. Trotzdem habe ich mich anhaltend in diese Veranstaltung verliebt und ich denke noch heute mindestens einmal pro Woche an die große Sommerreise zurück. Mit etwas Glück spielt die sportliche Seite im nächsten Jahr wieder etwas mehr mit und belohnt die Enthusiasten in den magischsten Ecken des Ardennenwaldes.
Die Geschichte der Saison
Da verkopfte Hashtags weiterhin sehr beliebt sind und die Formel E es „blendend“ vormacht: #OMGRT. Das österreichische Grasser Racing Team kann auf ein sehr kontroverses Jahr zurückblicken. Seinen Anfang nahm das Schlamassel in Monza, als man das gute alte BoP-Fass aufmachte und die SRO zu einem Statement zwang. Nichts gänzlich Neues im GT3-Sport, aber die klare Sprache der Pressemitteilung sorgte für viele hochgezogene Augenbrauen – und Amüsement.
Im Laufe der Saison gab es dann einige weitere Scharmützel auf den Strecken dieser Welt. Bei einer derart großen Operation kann das zwar schon mal passieren, aber die Häufigkeit der Probleme fiel selbst neutralen Fans mittlerweile auf. Wenn man so will, hatten die Österreicher erst kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu.
Der unrühmliche Höhepunkt stellte sich vor wenigen Wochen auf dem Nürburgring ein, als man mitten im dramatischen Saisonfinale mit dem „SD-Card-Gate“ in die Schlagzeilen geriet. Christian Engelhart ist wohl auch in Folge dessen am Mittwoch aus dem Lambo-Werksaufgebot geflogen. Trotzdem kann sich der Deutsche scheinbar auf die Treue von GRT verlassen. Gottfried Grasser scheint nach den Erfolgen im letzten Jahr zu wissen, was er an Engelhart hat.
Die übersehene Geschichte der Saison
Vor allem der Endurance Cup produziert durch seine großen Teilnehmerlisten unzählige Geschichten, die nie den verdienten medialen Rahmen erhalten können. Deswegen bietet es sich an dieser Stelle einfach mal, eine Episode aus diesem Jahr vorzustellen: Ombra Racing stammt wie so viele italienische Mannschaften aus dem Norden des Landes. Dort, genauer gesagt zwischen Mailand und Bergamo, hat man mitten in einem kleinen Industriegebiet eine umfangreiche Operation aufgebaut. Begonnen hatte alles mit kleinen Formel-Einsätzen, die schrittweise um GT-Ableger und historische Projekte erweitert wurden. 2012 wagte man den Sprung in das Haifischbecken GT3 und erkämpfte sich seitdem eine Nische im hart umkämpften (Pro-)Am-Sektor. Nachdem man 2017 bereits Meister in der Italian GT werden konnte, erhoffte man sich in diesem Jahr größere Achtungserfolge im Endurance Cup. Da man im Silver Cup genannt war, ist man jedoch in keiner Klasse offiziell als Team aufgeführt.
Somit bleiben die Macher hinter dem Silver-Cup-Klassensieg bei den 24 Stunden von Spa (P18 overall; drittbestes Nicht-Profi-Team) für immer Unbekannte in den Wertungslisten des Jahres. Symbolisch für alle kleinen Kundenteams ziehe ich meinen Hut vor der Mannschaft. Auf dass sie auch im nächsten Jahr wieder dabei sind. Cin cin!
Der Ausblick auf die nächste Saison
Die Vorbereitungen auf das Jahr 2019 sind garantiert schon bei vielen Teams angelaufen. So muss unter anderem die Logistik auf den umgestellten Kalender (pdf) angepasst werden, der neben der Aufnahme von Spielberg mit einigen Terminverschiebungen und Eventanpassungen aufwartet. Der Endurance Cup wird bereits am 01. September 2019 sein Finale auf dem Nürburgring feiern. Der bekannte Barcelona-Termin wird dafür in ein Sprint-Event umgewandelt.
Insgesamt gesehen gibt es schon jetzt einige Gründe für Vorfreude auf den traditionellen (Endurance-)Saisonstart in Monza (13. – 14. April 2019). So werden viele neu gekaufte Aero-Kits dort ihre Wettbewerbspremiere haben und mit etwas Glück wird die Anzahl an Exoten steigen. Auch wenn die Wartezeit auf die neue Saison riesig erscheint, wird es wieder etliche SRO-Events in der Pause geben. Das nächste nennenswerte Rennen sind zum Beispiel die acht Stunden von Laguna Seca (26. – 28. Oktober 2018).
Bilderquelle / Copyright: Blancpain GT Series (SRO)