Die Straßen von Macau – das vielleicht letzte große Abenteuer des Rundstreckenmotorsports. Auf ihnen wurden Karrieren auf das nächste Level gehoben, Weltmeister geformt und unzählige Träume erbarmungslos zerschlagen. Seit 2015 bieten sie nun die Bühne für den FIA GT World Cup (GT Cup seit 2008), der in seinen ersten drei Ausgaben allerhand denk- und merkwürdige Ereignisse schuf. Trotz des starken Rückgangs an Nennungen verspricht er auch heuer wieder GT3-Sport auf höchstem Niveau.
Prolog
Die Bilder der ersten Runde des 2017er Qualifikationsrennens gingen um die Welt: Nachdem Daniel Juncadella – wohl in Folge eines vorangegangenen Schadens – im engen Police Bend hängen geblieben war, konnten ihm die nachfolgenden GT3-Renner nicht mehr ausweichen und sorgten für einen der teuersten Auffahrunfälle der Rennsportgeschichte. Da die Anfahrt weitgehend blind ist und viele Fahrer das Unheil daher erst viel zu spät sahen, dauerte das schaurige Schauspiel damals mehrere Sekunden an und erzeugte so viel Energie, dass der mittendrin befindliche Audi R8 LMS von Lucas di Grassi in die Luft gehoben wurde.
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— Neil Hudson (@neilhudson) November 18, 2017
#MacauGP #FIAGTWorldCup #chaos
From a different angle…😨 pic.twitter.com/DonyrE5gp6— Sergio Fonseca (@SergioFonseca8) November 18, 2017
Der daraus resultierende Schaden kostete sechs Fahrern den Start am Sonntag und nahm unter anderem Laurens Vanthoor vorzeitig die Chance auf die Titelverteidigung. Wenig überraschend hatten diese Ereignisse daraufhin lange Diskussionen zur Folge, die bis zum jetzigen Wochenende nachhallen. Der GT Cup sei zu gefährlich, zu teuer und nicht wichtig genug. Bevor wir ins Geschehen einsteigen, sollten wir diese Punkte nochmal kurz aus der aktuellen Perspektive betrachten.
Wie schon in etlichen Artikeln zum Thema Macau Grand Prix geschrieben wurde, gehört das außergewöhnlich hohe Risiko schlicht zur DNS des über sechs Kilometer langen Guia Circuit. Wer bunte sowie sichere Parkplatzflächen sehen will, kann sich stattdessen ja die zweiteiligen 24 Stunden von Austin am Wochenende anschauen. Oder sich bereits auf den Großen Preis von Abu Dhabi freuen. Hier läuft die Kritik also eindeutig ins Leere.
Als ernst zunehmendes Argument muss hingegen die Kostenfrage gesehen werden. Im Gespräch mit Sportscar365 erklärte Audi-Kundensportchef Chris Reinke unter anderem, dass der späte Termin im Jahr die Budgets der Teams unter Druck setze und Rennauto-Versicherungen zu einem großen Thema im Fahrerlager avancierten – selbst Hersteller würden sich damit mittlerweile befassen. Dieser Einblick zeigt ganz gut, wie kompliziert das Unterfangen Macau im Kundensport sein kann und warum es vieler finanzieller Kompromisse bedarf. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die immer kompakteren Winterkalender auf den GT Cup auswirken werden.
Kommen wir abschließend zum Aspekt der Außenwirkung der Rennen: Wenn man aktuell bei Herstellern nach ihrer Meinung zum Event fragt, wird man schnell merken, dass es zwei große Lager gibt – die leidenschaftlichen Fürsprecher und die enttäuschten Gegner. Das Lager der letzteren scheint durch die Unfälle und Probleme der jüngeren Vergangenheit etwas größer geworden zu sein. Auf der Seite der Macau-Freunde sind hingegen nur noch die großen Vier aus Deutschland verblieben, die sich glücklich schätzen können, dass Nissan drei neue GT-R gemeldet hat.
Das Feld, das dabei nun herumgekommen ist, besticht deshalb nicht gerade durch Diversität. Trotzdem kann man ihm eine gewisse Qualität nicht absprechen. Mit Audi, Mercedes und Porsche sind die stärksten und erfolgreichsten GT3-Programme der Welt anwesend und BMW sowie Nissan bieten durch die Werksunterstützung eine nennenswerte Konkurrenz. Wenn man durch die kleinere Anzahl an Autos gutes und weitgehend sauberes Racing bieten kann, könnte der FIA GT World Cup sogar in seiner sportlichen Außenwirkung schlussendlich profitieren.
Die Teilnehmer
Fünf Marken, acht Teams und fünfzehn Fahrer: Das diesjährige Grid ist zwar nicht besonders groß, aber dafür voller interessanter Geschichten. Eine davon ist zum Beispiel das seit Jahren andauernde Dauerduell zwischen Audi und Mercedes, die seit 2011 die Siege ausschließlich unter sich aufteilen. Daraus leiten sich natürlich auch in diesem Jahr wieder die Hauptfavoriten ab, die jedoch einige starke Verfolger im Nacken haben werden.
Audi
Die Ingolstädter sind so etwas wie der größte Unterstützer des GT-Sports in Macau. Seit mehr als fünf Jahren bringen sie regelmäßig große Aufgebote ins Perlflussdelta und investieren viel Geld ins örtliche Marketing. Mit vier GT-Triumphen (2011-2013; 2016) ist man zudem aktueller Rekordsieger, Mercedes könnte an diesem Wochenende jedoch im Falle eines Erfolgs ausgleichen.
Audi Sport Team Rutronik
Die Truppe aus dem Norden von Pforzheim ist sicherlich nicht die bekannteste GT-Mannschaft auf diesem Planeten, aber in Formaten wie der DMV GTC agiert man schon lange ziemlich erfolgreich. Dazu reist man seit 2016 nach Macau und konnte dort schon einige Male größere Namen ärgern. Heuer betreut man zusammen mit Audi das Macau-Debüt von Christopher Haase. Der Kulmbacher ist eine gerne mal übersehene Größe im GT-Sport und hat das Potential, bereits beim Debüt gewinnen zu können. Dafür braucht er nach den schwierigen und teuren ersten Tagen aber etwas Glück.
Qualifikation:
#28 Audi Sport Team Rutronik R8 LMS GT3 (Christopher Haase) – Rang 8
Audi Sport Team WRT Speedstar
Der letzte Audi-Triumph geht auf das Jahr 2016 zurück, als ebendieses Team zusammen mit Laurens Vanthoor gewinnen konnte. Der Belgier ist zwar bekanntermaßen nun zu Porsche abgewandert, jedoch steht mit seinem jüngeren Bruder Dries bereits der nächste talentierte Vanthoor in den Startlöchern. Wie Haase ist er zum ersten Mal in Macau und somit für Rookie-Fehler anfällig. Ein gutes Vorbild wäre vielleicht sein Teamkollege Robin Frijns, der im letzten Jahr ein begeisterndes Debüt hinlegte und gleich mal einen herausragenden zweiten Platz herausfahren konnte. Mit ihm hat das Team WRT einen großen Favoriten im Aufgebot.
Qualifikation:
#66 Audi Sport Team WRT Speedstar R8 LMS GT3 (Robin Frijns) – Rang 7
#88 Audi Sport Team WRT Speedstar R8 LMS GT3 (Dries Vanthoor) – Rang 9
Zun Motorsport Crew
Abgerundet wird die Audi-Armada von einem chinesischen Privatteam, welches im internationalen GT-Sport ein nahezu unbeschriebenes Blatt ist. Mit Adderly Fong hat man aber einen sehr erfahrenen Piloten hinter dem Volant, der an guten Tagen solide Leistungen zeigen kann.
Qualifikation:
#77 Zun Motorsport Crew Audi R8 LMS GT3 (Adderly Fong) – Rang 12
Mercedes-AMG (Team GruppeM Racing)
Für die Stuttgarter Marke kann es nur ein Ziel geben: die Titelverteidigung. Dafür hat man das asiatische Team GruppeM Racing bis auf die Zähne mit Ingenieuren und drei Weltklasse-Fahrern bewaffnet. Als Speerspitze des Trios wird Edoardo „Mister Macau“ Mortara fungieren. Der Sieger aus dem letzten Jahr will seinen GT-Rekord (vier Siege) weiter ausbauen und unterstrich schon in den ersten Sitzungen seine Ambitionen. In der Qualifikation war er aber noch langsamer als seine Teamkollegen:
#1 Mercedes-AMG Team GruppeM Racing AMG GT3 (Edoardo Mortara) – Rang 4
Maro Engel, Sieger der Jahre 2014 und 2015, will in diesem Jahr an die Leistung aus dem letzten Hauptrennen anschließen, bei dem er sich nach Problemen bis auf das Podium vorkämpfen konnte. Wenn er die Position des heutigen Qualifyings halten kann, würden am Sonntag schon zwei Überholmanöver reichen:
#888 Mercedes-AMG Team GruppeM Racing AMG GT3 (Maro Engel) – Rang 3
Auch wenn Raffaele Marciello im Vergleich zu seinen Teamkollegen noch keinen GT-Cup-Sieg auf der Habenseite hat, muss er unbedingt in den Favoritenkreis aufgenommen werden. Nach einem aussichtsreichen Auftritt im letzten Jahr (Platz 3 im Qualifikationsrennen) legte der Italiener heute Morgen eine herausragende Qualifikationsrunde nach:
#999 Mercedes-AMG Team GruppeM Racing AMG GT3 (Raffaele Marciello) – Rang 1
BMW (Team Schnitzer)
Für den 65. Macau Grand Prix haben die Münchener ihr Aufgebot zwar auf ein Auto runtergekürzt, doch mit dem Macau-Spezialisten Augusto Farfus ist man weiterhin absolut siegfähig. Der Brasilianer, der bald in die GT-Szene wechseln wird, startete stark ins Wochenende und verfehlte in der Qualifikation nach vielen Minuten an der Spitze kurz vor knapp die Pole:
#42 BMW Team Schnitzer M6 GT3 (Augusto Farfus) – Rang 2
Porsche
Die vierte Karte im deutschen Quartett wartet seit dem Sieg beim ersten GT Cup im Jahre 2008 auf einen erneuten Erfolg und erhofft sich, mit dem Doppelaufgebot aus Craft Bamboo Racing und Manthey Racing endlich Audi und Mercedes angreifen zu können. Dafür hat man beide Teams mit einem starken Werksfahrertrio besetzt.
Craft Bamboo Racing (ohne Evo-Kit)
Das Joint Venture aus Engländern und Hongkong-Chinesen nimmt seit etlichen Jahren eine große Rolle im asiatischen Sportwagenbereich ein und pflegt einen engen Kontakt zur Marke Porsche, die man schon mehrmals in Macau repräsentierte. Am Wochenende greift Teamdirektor Darryl O’Young wieder selbst ins Lenkrad und versucht, seine soliden Leistungen aus der Vergangenheit zu wiederholen. Ähnliches erhofft sich sicher auch sein Kollege Mathieu Jaminet, der Macau bislang nur aus Videos und Spielen kennt und dementsprechend noch mit den asiatischen Straßen hadert.
Qualifikation:
#55 Craft Bamboo Racing Porsche 911 GT3 R (Darryl O’Young) – Rang 13
#991 Craft Bamboo Racing Porsche 911 GT3 R (Mathieu Jaminet) – Rang 10
Manthey Racing
Für die Meuspather war die Saison 2018 bislang ein Jahr von Gegensätzen: Während man am Ring und in der WEC den Gegnern förmlich um die Ohren fuhr, waren die GT3-Auftritte in Events mit SRO-Betreuung hingegen häufig große Enttäuschungen. Das soll sich beim FIA GT World Cup nun aber ändern. Dafür setzt man auf den schon erwähnten Laurens Vanthoor im normalen „Grello“ und auf den Neuseeländer Earl Bamber im rot-goldenen „Grello“. Diese Sonderlackierung spielt auf die traditionellen Farben des „Jahr des Hundes“ an.
Qualifikation:
#911 Manthey Racing Porsche 911 GT3 R (Laurens Vanthoor) – Rang 6
#912 Manthey Racing Porsche 911 GT3 R (Earl Bamber) – Rang 5
Nissan (KCMG)
Der undankbare Kampf gegen die übermächtig scheinende Phalanx aus deutschen Autos wird in diesem Jahr an drei neuen Nissan GT-R Nismo GT3 des Hongkonger Teams KCMG hängenbleiben. Die GT-R waren in allen Sitzungen aber durch Probleme mit dem Grip komplett unterlegen und kriegen scheinbar auch keine BoP-Hilfe (Update: Trotz gegensätzlicher Daten der FIA gab es am Ende doch eine Anpassung). Außerdem kämpft das Fahrertrio zusätzlich noch mit der fehlenden Routine auf dem schwersten Stadtkurs des Planeten. Oliver Jarvis, F3-Sieger des Jahres 2007, und Tsugio Matsuda waren schon seit vielen Jahren nicht mehr in der ehemaligen portugiesischen Kolonie und selbst Alexandre Imperatori muss sich erstmal wieder einschießen.
Qualifikation:
#18 KCMG Nissan GT-R Nismo GT3 (Alexandre Imperatori) – Rang 11
#23 KCMG Nissan GT-R Nismo GT3 (Tsugio Matsuda) – Rang 15
#35 KCMG Nissan GT-R Nismo GT3 (Oliver Jarvis) – Rang 14
Check out the retro livery KCMG and Tsugio Matsuda will use this weekend at Macau! The inspiration comes from Masahiro Hasemi’s Nissan Skyline GT-R, which won the same GT race in 1990. pic.twitter.com/S9gd9D4iCb
— Blancpain GT World Challenge Asia (@GTWorldChAsia) November 14, 2018
The @KCMotorgroup @Nissan #OMGTR NISMO GT3 team has hit the track at the #MacauGrandPrix for the #FIAGTWorldCup. Check out the pics from the first practice session.
📸➡️ https://t.co/psR0ZfwhNn pic.twitter.com/0rKuW2VDqa— Nissan NISMO (@NISMO) November 15, 2018
Die Stimmen der Top 3 nach der Qualifikation
Was jetzt noch wichtig ist
Zuerst sei Euch die WTCR-Vorschau des Kollegen Max ans Herz gelegt, der sich den Kurs nochmal genauer anschaut, das Wetter im Auge behält und ein paar empirische Überlegungen zum Titel „Mister Macau“ anstellt. Ebenfalls gute Arbeit leistet wie immer das Team rund um den TV/Stream-Zeiten-Plan, das mal wieder Licht in das Wirrwarr aus Übertragungen und Zeitplänen bringt. Mein persönlicher Dank gilt dabei besonders Slayer. Abschließend wünschen wir Euch viel Spaß mit einem hoffentlich möglichst unfallfreien Straßenkampf.
Rennen des FIA GT World Cups in der Übersicht
Qualifikationsrennen (12 Runden oder 60 Minuten): Samstag ab 06:05 Uhr
Hauptrennen bzw. GT World Cup (18 Runden oder 75 Minuten): Sonntag ab 05:25 Uhr
Bilderquelle / Copyright: Audi; Porsche; Macau Grand Prix Committee – Sports Bureau