Der erste ePrix der Formula E-Geschichte fand in Beijing statt, seitdem ist viel passiert. Nun steht – abgesehen von Hong Kong – erstmals wieder seit jenem Debütrennen ein ePrix in China, dem für Autohersteller stets als so wichtig angepriesenen Markt, an.
Der Formula E-Tross bewegt sich dabei gar nicht so weit weg von Hong Kong, wo der letzte Lauf ausgetragen wurde, zumindest für chinesische Verhältnisse: gut 500 km südwestlich von der „Motorsport-Region“ Hong Kong / Zhuhai / Macau befindet sich die große Insel Hainan, und die wichtigste Stadt dieser Urlaubsregion ist Sanya an der Südküste. Und dort gibt es 20 km östlich des Hauptortes einen langen Sanstrand, an dem sich diverse Hotels, Resorts und Freizeitparks befinden – genau dort wird die Formula E am Samstag ihr sechstes Saisonrennen fahren.
Der Kurs von Sanya
Das Streckenlayout wirkt dabei leider so uninspiriert, wie diese Hotel-Feriensiedlungen meist auch selbst sind: Man fährt eine vierspurige Straße rauf und wieder runter, natürlich mit 180°-Kehre, über einen Kreisverkehr gelangt man auf die nächste vierspurige Straße, und schließlich werden auf einem großen Parkplatz noch einige hakelige Kurven abgestec kt, dort ist auch Platz für die Boxengasse. Kann trotzdem funktionieren und ein gutes Rennen liefern, wirkt aber erstmal sehr banal.
Mit insgesamt nur elf Kurven auf 2,2 km Strecke geht es dabei schon recht viel geradeaus, die zwei 500 m langen Geraden auf der Fengtang Road dürften schon gute Überholmöglichkeiten bieten – einmal mit bereits angesprochener Spitzkehre am Ende, einmal mit einer 90°-Rechts, die in eine Schikane mündet. Dann gibt es nochmal zwei (ebenfalls parallel verlaufende) ca. 250 m lange Geradeaus-Passagen mit engen Kurven am Ende, auch das kann möglicherweise in der FE schon über einen Überholversuch ausreichen.
Attack Mode mit Optimierungspotential
Eine Rolle kann dabei auch der Attack Mode spielen. Die Aktivierungszone ist diesmal auf der Außenbahn einer 90°-Links auf dem großen Parkplatz platziert, ich bin gespannt, wie genau man diesen Bereich ausgestaltet. Leider hat sich die Verwendung des Attack Mode aber ohnehin unter den Teams – schon von Beginn an, aber noch zunehmend – vereinheitlicht, sodass er oft kaum einen Unterschied macht: bisher wurden seitens der Rennleitung stets zwei Aktivierungen pro Rennen festgelegt, eine davon bewahren sich die Teams immer bis kurz vor Ende auf, nur die erste wird früher im Rennen eingesetzt.
Und als optimale Taktik hat sich herausgestellt, die Aktivierung in einer Safety Car-Phase vorzunehmen, da dann der Zeitverlust und die Gefahr, überholt zu werden, eliminiert sind. Da es in vielen FE-Rennen wenigstens eine, oft auch mehr SC-Phasen gibt, werden die Aktivierungen in der Regel für diese Zeitpunkte aufgespart. Der wichtigste Unterschied dabei war dann schon einige Male, ob Teams und Fahrer es geschafft haben, die letzte Runde, in der das Safety Car in die Box kommt, abzupassen, oder ob man den Schritt eine Runde zu früh macht und damit schon viel der Zeit mit mehr Leistung hinter dem Safety Car vertrödelt, während andere möglicherweise länger etwas davon haben.
Das sollte aber nicht der Haupt-.Spannungsfaktor des Attack Modes sein, insofern ist da meines Erachtens noch etwas Optimierungspotential. Vielleicht sollte man auch einfach die Aktivierung während einer Safety Car-Phase oder Full Course Yellow verbieten. In der Debütsaison möchte die Rennleitung jedoch erstmal möglichst wenig an dem neuen Tool rumschrauben, aber für die Saison 2019-20 wird man sicherlich die eine oder andere Anpassung vornehmen. Auch einzelne Fahrer haben schon für Modifikationen plädiert, sowohl abwechslungsreichere Regeln als auch bessere Platzierung der Aktivierungszonen.
Der Meisterschaftsstand und die Team-Trends
Den Hong Kong ePrix (Rennbericht vom Kollegen Jonas) hat nach der – wie ich finde: berechtigten – Strafe für Sam Bird Venturi-Pilot Edoardo Mortara gewonnen, der dort schon letztes Jahr ein starkes Rennen gezeigt hatte. Damit konnte er auch direkt zum bisherigen Führungstrio Bird / d’Ambrosio / di Grassi aufschließen. Diese vier liegen nun alle im Bereich zwischen 52 und 54 Punkten. Antonio Felix da Costa (47) und Robin Frijns (43 Zähler nach einem starken Rennen in Hong Kong) sind die nächsten Verfolger, ebenfalls noch locker in Schlagdistanz.
Beim Blick auf die Tabelle fällt vor allem aus, dass jeder dieser Piloten aus den vergangenen fünf Läufen mindestens zwei Gurken-ePrix hatte, sei es durch Unfälle, Strafen, technische Probleme und/oder eine schlechte Qualifikation. Diese Fehleranfälligkeit prägt die Saison und sorgt für die Abwechslung an der Spitze und damit auch für die enge Meisterschaft. So blieb etwa Mahindra in Hong Kong punktelos, weil beide Piloten nach schlechter Quali (auf feuchter Strecke in Quali-Gruppe 1) unverschuldet in einen Unfall verwickelt wurden.
Mahindra und Virgin sind trotzdem die bislang konstantesten Teams. BMW und DS Techeetah schienen zu Saisonbeginn die Favoriten zu sein, doch bei beiden wurden die Ergebnisse zunehmend schwächer. Dafür sind Audi und nun auch Venturi stärker an die Spitze gerückt. Es scheint also so, als würde die Lernkurve mit den neuen Gen2-Fahrzeugen sehr unterschiedlich verlaufen. Spannend ist die Frage, ob diese Trends anhalten, oder ob BMW und DS Techeetah den „Sweet Spot“ bei der Abstimmung finden und wieder an „Momentum“ gewinnen können (um mal ein paar Buzzwords fallen zu lassen).
Der Sanya ePrix im TV
Eurosport überträgt am Samstagmorgen wie gewohnt live, die Qualifikation ab 5 Uhr und das Rennen um 8 Uhr mitteleuropäischer Zeit.
(Bilder: Formula E Media)