Man sollte es kaum für möglich halten, aber noch immer gibt es keinen Piloten, der in dieser Saison zwei Rennen für sich entschieden hat – und nicht nur das, es gab nicht einmal einen Doppel-Polesetter oder ein Team mit zwei Siegen!
In Rom (Rennbericht hier) startete Andre Lotterer von vorn, musste sich jedoch im Laufe des Rennens Mitch Evans geschlagen geben, der damit auch den ersten Sieg für Jaguar einfahren konnte. Damit kann man den ersten Hersteller-Einstieg nach der Debutsaison – die Briten sind jetzt im dritten Jahr – durchaus als Erfolg bewerten. Der Anfang gestaltete sich schwierig, doch nun ist man siegfähig – und mit Mitch Evans auch noch ganz vorn im Meisterschaftskampf dabei.
Warum Nelson Piquet jr., immerhin Meister der ersten FE-Saison, mit Evans nicht einmal ansatzweise mithalten konnte, ist mir ein Rätsel. Aber auch bei Jaguar hat man wohl keine Zuversicht in eine signifikante Verbesserung gehabt, darum trennten sich Fahrer und Team vor dem Rome ePrix einvernehmlich. Piquet wird sich auf seinen Einsatz bei den Stock Cars in Brasilien konzentrieren. In der Formula E hat Alex Lynn sein Cockpit übernommen, beim ersten Renneinsatz mit dem Gen2-Boliden reichte es dann auch nur zu Platz 2. Etwas Zeit hat Lynn noch, zu zeigen, dass er näher an Evans herankommen kann und ein Cockpit auch für die nächste Saison verdient.
Evans beendete bisher als einziger Pilot in dieser Saison jedes Rennen in den Top 10, wenn auch ohne Podium. Das änderte sich jedoch mit dem Sieg in Rom, den er sich mit einem harten Manöver erkämpfte. Mit 61 Zählern liegt er nun auf Platz 4 der Meisterschaft, aber auch nur vier Punkte hinter dem nach wie vor die Tabelle anführenden Jerome d’Ambrosio (Mahindra). Dazwischen liegen Antonio Felix da Costa (BMW-Andretti) und Andre Lotterer (DS Techeetah). Mit geringem Abstand folgenden außerdem noch Lucas di Grassi (Audi-Abt), Robin Frijns (Nissan e.dams) und – als erster Vertreter eines bereits genannten Teams – Titelverteidiger Jean-Eric Vergne (DS Techeetah) sowie Sam Bird (Virgin-Audi) und Edoardo Mortara (Venturi).
Warum zähle ich hier nahezu die halbe Tabelle auf? Weil nach mehr als der Hälfte dieser verrückten Saison all diese Fahrer – neun an der Zahl (9!!!) – innerhalb einer Spanne von 13 Punkten liegen. Das ist etwa ein halber Rennsieg, oder ein vierter Platz mit schnellster Rennrunde… Nicht ganz unschuldig an diesem Umstand ist aber auch die Regelanpassung aus dem letzten Jahr, nachdem die Quali-Gruppen so organisiert sind, dass die in der Meisterschaft vorn platzierten Piloten als erste auf die Strecke müssen. Auf dreckiger – oder manchmal gar feuchter – Bahn gelingt so nur selten einem der „Favoriten“ eine Runde, die für die Super Pole reicht. Dass sich das Ganze in dieser Saison allerdings so krass auswirkt, überrascht mich doch immer wieder.
In Paris kann die Quali eine große Rolle spielen, denn diese Strecke hat sich bei den vergangenen Ausgaben als schwierig erwiesen, was das Überholen angeht. Die Kurven am jeweiligen Ende der beiden längsten Geraden (je ca. 500 m) sind tricky. Die 90°-Rechts am Ende der Startgerade ist relativ flott, die Anfahrt nicht ganz eben, mit wechselnden Belägen, das macht das Anbremsen schwierig, gerade unter Druck oder bei einem Überholversuch. Hier gab es schon den einen oder anderen Dreher zu sehen in den letzten Jahren. Ausgangs der ersten Kurve gibt es jedes Jahr frischen Asphalt – hier wird nämlich für den Bereich bis Kurve 6 jedes Jahr eine temporäre Decke über das Kopfsteinpflaster gelegt!
Insbesondere die Schikane am Ende der „Gegengeraden“, also der zweiten im Streckenverlauf, hat aber auch einige Fahrer in Versuchung und dann ins Verderben geführt, also zum Crash. Im Vorjahr gerieten hier di Grassi und da Costa aneinander. Interessanterweise ist mitten auf dieser Gegengerade auf der „Innenseite“ der Strecke die Attack Mode Activation Zone vorgesehen. Wenn ich das richtig einschätze, wird man dafür nicht wesentlich vom Gas gehen müssen – vielmehr wird die Herausforderung darin bestehen, bei Vollgas (mehr oder weniger) auf die Innenbahn zu wechseln und die Sensorschleifen korrekt zu überfahren. In der einen oder anderen Zweikampfsituation kann das möglicherweise auch in einen unmittelbaren Überholversuch an der vorgenannten schwierigen Schikane führen.
Allzu hart dürfen sich die Piloten im Zweikampf nicht mehr gebärden, zumindest nicht mehr als einmal. Nachdem im Laufe der Saison schon über „zu stabile“ Autos und eine zu harte Fahrweise bzw. Bump-and-Run-Mentalität bei dem ein oder anderen Piloten diskutiert wurde, hat die Rennleitung dem späteren Sieger Mitch Evans für sein Überholmanöver, mit dem er die Führung von Lotterer erkämpfte, eine Art „gelbe Karte“ gezeigt: einmal ist okay, aber er sollte sowas nicht nochmal in dem Rennen machen, lautete der Funkspruch sinngemäß. Ob diese neue Herangehensweise als Kompromiss zwischen „Let’em race“-Mentalität à la NASCAR und strikter Bestrafung im Stile der F1 ist, wird sich über die nächsten Rennen zeigen müssen.
Genug Gründe, am Samstag einzuschalten: das gut 45minütige Rennen startet um 16 Uhr, Eurosport überträgt wie gewohnt live, diesmal aber ohne Vorberichte, weil direkt vorher die WTCR zu sehen ist. Die so wichtige Qualifikation ist ab 11:45 Uhr auf Eurosport 2 zu sehen. Die BBC zeigt das Rennen live und mit Vorberichten ab 15 Uhr in ihrem iPlayer.
(Bilder: Formula E Media)