Das alljährliche Tohuwabohu von Baku machte auch dieses Jahr keine Pause. Safety Cars, Wandküsse und ein Sieger, der aus dem Nichts kam. Der ganz normale Wahnsinn eben.
Die Quali am Samstag ließ – zumindest anhand der Rundenzeiten – eine klare Einordnung der Kräfteverhältnisse vermuten. Nobuharu Matsushita steuerte bereits am zweiten Wochenende nach seiner Rückkehr in die Serie seinen Wagen auf die Pole Position und distanzierte Nyck De Vries und Luca Ghiotto mit über vier Zehnteln. Der Rest des Feldes folgte bereits mit mehr als einer Sekunde Rückstand. Sergio Sette Camara startete von Vier, vor Jordan King und Mick Schumacher. Schumachers Teamkollege Sean Gelael sorgte für den Schreckmoment der Qualifikation. Nachdem er auf der Strecke stehen geblieben war, versuchten ihn die Streckenposten anzuschieben. Doch der Indonesier konnte wieder beschleunigen und riss mit seinem Hinterrad einen der Streckenarbeiter um. Der konnte glücklicherweise sofort wieder aufstehen und blieb unverletzt. Der Prema-Fahrer wurde dafür aus der Quali ausgeschlossen und musste aus der Box starten.
Hauptrennen
Am Start setzte sich De Vries gegen Matsushita durch. Mick Schumacher versuchte sich innen gleich auf Platz drei vorzuschieben, war aber etwas zu optimistisch auf der Bremse und hatte Glück, dass er weder jemanden abräumte noch in den Notausgang musste. Den besten Start erwischte aber Jack Aitken, der in nur zwei Kurven von P8 auf die dritte Position nach vorne kam.
Schlechter erging allerdings es den beiden Trident-Piloten. Denn sowohl Ralph Boschung als auch Giuliano Alesi flogen in der ersten Kurve ab. Für den Sohn von Ex-Formel-1-Fahrer Jean Alesi war das Rennen damit vorbei. Der Schweizer Boschung konnte zwar mit Rundenrückstand weiterfahren, hatte so aber keine Chance mehr, die ersten Punkte für den Rennstall einzufahren. Dieser Zwischenfall führte zur ersten Safety-Car-Phase.
Beim Restart konnte De Vries problemlos die Führung halten. Ihm half dabei eine Regeländerung, die das Überholen bei Restarts erst nach der Start-Ziel-Linie erlaubt und nicht mehr wie früher nach der Safety-Car-Linie.
Nach fünf Runden rollte Matsushita plötzlich mit einem elektronischen Problem an die Box. Dort verlor er zwei Runden und sein Rennen war damit praktisch beendet. Am Ende landete er auf Platz 13.
Dadurch war der Niederländer plötzlich allein auf weiter Flur und führte sechs Sekunden vor dem Campos-Fahrer Aitken, der sich mit Nicholas Latifi duellierte.
Doch der ART-Fahrer verlor seinen ganzen Vorsprung eine Runde später bei einem verpatzten Boxenstopp und wurde direkt auf der Outlap von Aitken geschnappt. Auch Latifi hatte dem Niederländer wenig entgegen zu setzen, der offensichtlich seine Medium-Reifen nur langsam auf Temperatur bringen konnte. Für die nächsten Runden kämpften die beiden um Platz 2, ehe De Vries als Sieger aus dem Kampf ging.
In Runde neun erwischte es dann Mick Schumacher. Genauer gesagt, die Kerbs von Kurve 16 erwischten ihn. Der amtierende Formel-3-Europameister dreht sich und konnte seinen Wagen nicht mehr fortbewegen. Ein virtuelles Safety Car war die Folge.
Während der nächsten acht Runden gab es keine außergewöhnlichen Zwischenfälle. Tatiana Calderón, die auf Medium-Reifen gestartet war, wurde durchgereicht und King, Boccolacci und Hubert tauschten emsig die Plätze zwischen P7 und P9 untereinander aus. Dann setzte aber das beinahe virale Wagensterben ein. Den Auftakt machte UNI-Virtuosi-Pilot Guanyu Zhou, der sich beim Anbremsen in Kurve 1 den Frontflügel am Heck von Juan Manuel Correa abfuhr. Safety Car Nummer zwei war die Folge. Unmittelbar darauf erweiterten die Wagen von Callum Ilott und Tatiana Calderón den Dallara-Friedhof in der Boxengasse. Beide hatten technische Probleme bevor das Rennen überhaupt wieder freigegeben wurde. Doch zu einem Restart kam es vorerst gar nicht. Denn beim Anrollen auf Start-Ziel fuhr der Meisterschaftsführende Ghiotto in das Heck von Sette Camara. Während Ghiotto nach einem Frontflügel-Wechsel weiterfuhr, war das Rennen für den DAMS-Fahrer zu Ende. Dasselbe galt auch für Louis Delétraz, der sich in dem Gewusel die Aufhängung brach.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass es nicht über die volle Distanz von 29 Runden gehen würde, sondern ein Rennen gegen die maximale Renndauer von einer Stunde werden würde. Davon waren noch weniger als vier Minuten auf der Uhr, als Aitken beim Restart das Gaspedal betätigte. Jordan King, der sich aus allen Problemen herausgehalten hatte, schob sich in Kurve drei außen an Latifi vorbei. Auch Ghiotto kostete die finalen drei Runden noch voll aus. Mit frischen roten Reifen fuhr er auf Rang sechs, wurde aber noch nachträglich bestraft und holte nur zwei Punkte. Doch keiner, auch nicht De Vries, konnte es mit Jack Aitken aufnehmen. Der Brite fuhr einen umjubelten Sieg ein. Den allerersten für den Campos-Rennstall seit die Formel 2 diesen Namen trägt. Mit Dorian Boccolacci auf Rang fünf konnte sich der spanische Rennstall auch über ein traumhaftes Teamergebnis freuen.
Sprintrennen
Das durcheinander gewürfelte Feld des Hauptrennens hinterließ für den Sprint am Sonntag einen wilden Mix. Wie immer wurden die ersten acht Plätze auf den Kopf gestellt. Deshalb startete Nikita Mazepin von der Pole Position vor dem Amerikaner Juan Manuel Correa und Sean Gelael. Der Indonesier erwischte einen blendenden Start und überholte beide vor ihm fahrenden gleich in Kurve 1. Doch bereits während der ersten Runde wurde das Safety Car auf die Strecke gerufen. In Kurve zwei war Calderón mit blockierendem Bremsen in die Streckenbegrenzung gefahren. Ralph Boschung und Louis Delétraz konnten nicht mehr ausweichen. Für alle drei war das Rennen damit beendet. Pech für die beiden Schweizer, die somit bei beiden Rennen unverschuldeten Kollisionen zum Opfer fielen. Eine erste Safety-Car-Phase war die Folge.
Nach dem Restart konnte Gelael erst die Führung behaupten, während Mazepin durchgereicht wurde. Der Russe beschwerte sich am Boxenfunk über Probleme mit dem Gaspedal. Latifi rückte währenddessen bis auf Platz zwei vor. Der ganz große Gewinner der Startphase war aber Prema-Fahrer Mick Schumacher, der innerhalb von vier Runden von Startplatz 19 aus in die Top 10 kam.
In Runde sechs kam schließlich Latifi kampflos an Gelael vorbei. Der Indonesier, der sich über Schwierigkeiten mit seiner Bremsbalance beschwerte, hatte in der Folge auch gegen Correa, Aitken, Ghiotto und De Vries das Nachsehen und fiel bis auf die sechste Position zurück.
Nach neun Runden musste wieder SC-Fahrer Bernd Mayländer auf die Strecke. Giuliano Alesi hatte sich nach einem Überholversuch in die Streckenbegrenzung eingebaut. Auch für ihn war es das zweite DNF des Wochenendes.
Der nächste Restart: Correa versuchte sich innen am Führenden Latifi vorbei zu bremsen, ließ aber seine Pneus in Rauch aufgehen und musste sich mit Leibeskräften gegen Aitken zur Wehr setzen, der aber seinerseits von De Vries geschnappt wurde. Nach ein paar Kurven Fahrt unter grüner Flagge war es dann auch schon wieder vorbei mit dem Racing. Luca Ghiotto fuhr seinen Dallara in Kurve zwei geradeaus in die TecPro-Barrieren und nahm dabei Mazepin und MP-Motorsport-Pilot Jordan King mit. Erneut durfte das Safety Car dem Feld für ein paar Runden vorausrollen.
Wie schon tags zuvor offenbarte sich die geplante Rundenanzahl von 21 als nicht viel mehr als ein Wunschtraum. Gefahren wurde wieder gegen die Zeit, die bei einem Sprintrennen 45 Minuten beträgt. Nach der SC-Phase blieben nur noch zwei Rennrunden übrig, in denen Nicholas Latifi nicht mehr in Bedrängnis geriet. Auch Juan Manuel Correa konnte sein Überaschungspodium ins Ziel retten. Der ecuadorianisch-amerikanische Rookie war in der Formel 2 und auch in der GP3-Serie noch nie unter die ersten Drei gekommen. Nyck De Vries hingegen gelang es nicht, Aitken hinter sich zu halten, der aus dem Windschatten heraus an dem Holländer vorbeiging. Mick Schhumacher beendete seine Aufholjagd auf dem fünften Platz. Die restlichen Punkte gingen an Sette Camara, Boccolacci und Gelael.
Fazit
Nach zwei Stationen im Kalender hat sich Nicholas Latifi nun schon ein kleines Pölsterchen von 19 Punkten Vorsprung aufgebaut. So wie er momentan fährt, ist er definitv ein Kandidat, wenn nicht sogar der Favorit, auf den Titel. Was hingegen Jack Aitken angeht, wird Baku wohl ein Ausnahmewochenende bleiben. Eine gute Pace war bei ihm und seinem Teamkollegen Boccolacci an diesem Wochenende da, aber auch ein ordentliches Quäntchen Glück. Man kann nicht erwarten, dass das Mittelfeld-Team Campos plötzlich regelmäßig vorne mitfährt.
Sprint race success for @NicholasLatifi 🏆
He left Baku with a smile – and the lead in the drivers‘ championship 💪#F2 #AzerbaijanGP pic.twitter.com/UUbUT4MbKr
— Formula 2 (@FIA_F2) April 30, 2019
Der große Verlierer an diesem Wochenende ist hingegen Luca Ghiotto. Dass seine Pechsträhne auf dem Baku City Circuit weiter anhält, hat er sich eigentlich nur selbst zuzuschreiben. Immerhin war er mit seinem Grundspeed erneut vorne dabei. Dasselbe gilt übrigens auch für Nyck De Vries, der als Topfavorit in die Saison gestartet ist und in Bahrain dann doch eher enttäuschend unterwegs war. Er war einer der schnellsten am Wochenende, hatte aber Probleme die härtere Reifenmischung auf Temperatur zu bringen, was ihm wohl – abgesehen vom langsamen Boxenstopp – den Sieg im Feature-Rennen gekostet hat. Mit ihm wird sicherlich noch in der Saison zu rechnen sein.
Am Ende des Tages muss man aber immer ein kleines Fragezeichen hinter die Baku-Ergebnisse setzen. Denn es besteht kein Zweifel, dass der Stadtkurs in Aserbaidschan nicht besonders repräsentativ ist.
In zwei Wochen bereits kommt die Formel 2 zusammen mit ihrer Mutterserie nach Europa. Auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya wird dann das nächste Kapitel der diesjährigen F2-Saison geschrieben.
Bilder: Formula 2