Die WEC und der ACO machen sich Feinde beim harten Kern ihrer Fans. Die Posse um das alternative Live-Timing-Angebot timing.71wytham.org.uk zeigt, dass es den Verantwortlichen immer noch nicht klar ist, welche zentrale Position das Internet bei ihren Zusehern spielt.
Die Racing(blog)-Gemeinde tobt: Nur zwei Tage vor den 24 Stunden von Le Mans hat der ACO per Cease & Desist-Brief das alternative Live-Timing von 71wytham.org.uk stillgelegt. Diese Angebot ist in Sachen Zeitenmonitoring bei Live-Events der Gold-Standard: Umfassend, kompakt und stabil ist es für viele Zuschauer (neben dem Racingblog-Chat) der gewohnte zweite, dritte oder vierte Bildschirm neben den Fernsehbildern. Und nicht nur das, durch die Multi-Serien-Fähigkeit gibts plötzlich ein einheitliches Gesicht für Live-Timings, an das man sich schnell und gerne gewöhnt. Sektorzeiten, Intervalle, Pitstop-Strategien, Meldungen der Rennleitung, Wetter, Analysen – einfach alles da, was Sofa-Strategen so brauchen.
71wytham.org.uk hat die technisch offenen Datenströme, die oft unter der Haube der offiziellen Webseiten zu finden sind, ausgewertet, und in ein eigenes Interface verpackt. Diese neue Oberfläche hat ganz nüchtern die verfügbaren Daten angezeigt und ist den „offiziellen“ Live-Timings in Sachen Übersichtlichkeit und Informationsdichte deutlich überlegen. „Form follows Function“ ist hier groß draufgestempelt: Nicht unbedingt schön, aber zweckmäßig. Rechtlich bewegt sich so ein Angebot aber natürlich in einer Grauzone, die Daten sind ja nicht explizit freigegeben. Andererseits will man auch nicht fragen, weil die Antwort normalerweise negativ sein wird und dann ein weiterer Betrieb eher schwierig ist.
Außerhalb von Abmahn-Deutschland herrscht aber bekanntermaßen Anarchie, deshalb hat 71wytham.org.uk das Angebot einfach gemacht, und ist damit entweder unterm Radar geblieben oder stillschweigend toleriert worden.
Nun, zumindest für WEC-Rennen ist das jetzt Geschichte, denn der besagte Brief ist jetzt angekommen und das alternative Live-Timing damit geschlossen. Einen echten Rechtsstreit will man natürlich nicht durchfechten, zumal die Rechte an den Daten ja ohne Zweifel beim ACO liegen.
Auf Twitter liegen die Nerven wie üblich blank, immerhin gab es Antworten auf die vielen Fragen.
Der ACO und die WEC-Organisation haben auch 2019 noch immer keine Ahnung, wie ihre Fans das Internet nutzen. Die Kategorie „Fan im Netz“ scheint für sie nicht zu existieren, Bewegtbild ist immer noch Single-Display, Timing nur ein hübsches Add-On für Leute die grade nicht auf ihrer Couch vorm Familienfernseher sitzen können.
Dazu kommt natürlich keiner auf die Idee „Oh, Super-Idee von diesem verrückten Typen, das ist ja ein echter Live-Timing-Connoisseur! Den Burschen kaufen wir uns mal, der soll unser Angebot auf Vordermann bringen. Das bringt unseren Fans sicher noch mehr Freude und auf lange Sicht auch mehr zahlende Zuschauer. Eine Situation gagnant-gagnant, wie wir Franzosen sagen.“
Aber nein, so läuft das eben nicht, das ist alles Neuland, wer kennt sich da schon aus? Und selbst wenns darum geht, nur für dieses Wochenende eine schnelle und pragmatische Lösung zu finden, traut sich da natürlich niemand, über den Zaun zu springen, weil man hat ja Verpflichtungen gegenüber den Sponsoren. Die Kontrolle über die Live-Timing-Daten darf unter keinen Umständen aus der Hand gegeben werden.
Nun ja, für nächstes Jahr wurde eine Lösung in Aussicht gestellt.
Aber wir wollen morgen ein vernünftiges Live-Timing!
7 Kommentare
One correction: it was the ACO who sent the cease-and-desist email, not the WEC.
Thank you for clearing that up. We’ve corrected it.
Love your work btw. Thought about open sourcing it?
D A N K E! Auf den Punkt formuliert und getroffen, ich glaube alle haben einen dicken Hals deshalb und der ACO spielt Vogel Strauß. Unfassbar für eine Organisation, die am Ende von ihren Kunden (Teams UND Fans) lebt.
Vielleicht eine franz. Kopie davon direkt an den smarten Herrn Fillon?
Gerne! Leider glaube ich nicht, dass der ACO grade viel Zeit für so ein Nischenthema hat. Aber wer weiß, das Thema zieht ja größere Kreise als ich dachte.
Zeit muss man sich nehmen, wenn man seine Zielgruppe respektiert, ernst nimmt und wertschätzt. Das scheint, bei allem Respekt vor dem Stress des Jahreshighlights, beim ACO nicht der Fall zu sein. Jedes Verständnis für Besitzrechte, aber das Thema hätte man lange vorher oder auch nach dem Rennen vernünftig regeln können. Oder, wogegen ja auch nichts spricht, ein eigenes VERNÜNFTIGES Timing anbieten. Das, was uns von Veranstalterseite angeboten wird, ist steinzeitlicher vor-Digitalisierungsschrott.
Zitat von RALLI : “ Das, was uns von Veranstalterseite angeboten wird, ist steinzeitlicher vor-Digitalisierungsschrott. “ SO kann man das sehen. Der Versuch, es hübsch zu gestalten, ist Geschmacksache. Darauf kann aber der Motosportinteressierte gerne verzichten. Infos braucht man, Infos und wieder Infos. So wie 71wytham.org.uk. Die ACO sollte sich in Grund und Boden schämen.
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