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Safety Cars bei den 24h von Le Mans – eine abweichende Meinung

von StefanTegethoff
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Der Einsatz des oder vielmehr der Safety Cars sorgte bei den 24 Stunden von Le Mans am vergangenen Wochenende – zum zweiten Mal in Folge – für viel Unmut. Don Dahlmann hat dazu einen Vorschlag aufgeschrieben. Ich habe eine andere Meinung. 

Safety Car-Phasen sollen der Sicherheit bei einem Zwischenfall dienen und das Renngeschehen möglichst wenig beeinflussen. Das mag im US-Ovalrennsport teils anders aussehen, aber ich wünsche mit möglichst wenig Verzerrungen durch Safety Cars – erst recht nicht bei einem Langstreckenrennen, wo es gerade darum gibt, sich über viele Stunden mühsam Vorsprünge herauszufahren oder Rückstände aufzuholen.

Im Hinblick darauf tut die Reduzierung der Anzahl der Safety Cars nur eins: die Verzerrungen vergrößern. Statt bis zu einer Drittel-Runde würde es Verschiebungen um bis zu einer ganzen Runde geben. Nun könnte man das ganze durch Wave-arounds so organisieren, dass es keine Vergrößerung von Vorsprüngen, sondern nur ein Aufschließen auf den bzw. die (Klassen-)Führenden gibt, aber auch da gilt: das sind massive Verzerrungen im Renngeschehen um 3’20-4’00 Minuten, je nach Klasse (also auch deutlich mehr als z.B. in Daytona oder Spa). Und gerade in den Pro-Am-Klassen sind Teams ja darauf angewiesen, mit ihren Gold- und Platin-Fahrern Vorsprünge herauszufahren, um das langsamere Tempo der Bronze- und Silber-Fahrer auszugleichen. Wenn das Element wegfällt, wird Le Mans zum reinen Glücksspiel, denn heutzutage kommt das Rennen ja auch nicht mehr ohne Safety Car-Phasen aus.

Für das kurzfristige Spektakel in den ersten Runden nach dem Restart mag das nett anzusehen sein, wenn das Feld immer wieder hinter den Klassenführenden aufschließen darf, aber es ist dann kein Endurance-Rennen mehr. Ebenso wie 500 Meilen-NASCAR-Rennen ihren Endurance-Charakter, den sie mal hatten, verloren haben, weshalb man die Stages mitsamt zwingender Zusammenführung und Restarts einführen musste, damit sich überhaupt noch jemand für die ersten 450 Meilen interessiert…

Ich möchte nicht, dass es in Le Mans zukünftig auch nur noch darum geht, sich möglichst in der Führungsrunde zu halten und dann in den letzten paar Stunden (nach dem vermeintlich letzten Restart) loszuschlagen. Das gibt es in Daytona, was ich nicht mehr wirklich verfolge, seit es vor ca. 10 Jahren (?) mal ein Rennen mit etwa so vielen Gelbphasen wie Rennstunden gab und es am Ende in einem Shootout über wenige Runden entschieden worden ist. Dafür gibt es Sprintrennen! Bei Langstreckenrennen brauche ich das nicht, da es nur die vorangegangenen 23h entwertet. Warum soll ich mir die angucken und im Live Timing Runden- und Sektorzeiten, Abstände und Intervalle sowie Boxenstopp- und Stintlängen verfolgen, wenn mühsam gewonnene Sekunden- oder Minutenvorsprünge durch das nächste Safety Car wieder weggenommen werden?

Die Verschiebungen durch Sicherheitsmaßnahmen sollten meiner Meinung nach möglichst klein gehalten werden – das war bisher der „europäische“ Weg und er sollte es auch bleiben. Die Slow Zones, nach „Code 60“-Vorbild in Le Mans auch erst in dieser Dekade eingeführt, konnten das anfangs bieten. Wenn sie jedoch an ungünstigen (z.-B. Highspeed-)Stellen begannen, brachte das neue Gefahr (siehe den heftigen Auffahrunfall am Nürburgring gestern Abend). Darum wurden die Slow Zones über die letzten Jahre weiterentwickelt und beginnen nun in Le Mans immer an langsameren Stellen der Strecke, damit möglichst nicht abrupt gebremste werden muss. Sie haben dadurch an Sicherheit gewonnen, aber in Sachen Minimalverzerrung eingebüßt, insbesondere wenn ein Auto eine Slow Zone einmal mehr durchfahren muss als ein Konkurrent, können da auch schnell mal 30-40 Sekunden Zeitverzerrung entstehen.

Die Full Course Yellow (FCY, in der Formel 1 „Virtual Safety Car“ genannt) bietet demgegenüber den Vorteil, dass überall auf der Strecke für die gleiche Dauer gleich langsam gefahren werden muss. Sie bietet damit den großen Vorteil, die wenigsten unfairen Verzerrungen hervorzurufen. Sie ist meines Erachtens auch relativ sicher, weil alle zur selben Zeit auf 80 km/h herunterbremsen müssen, angezählt durch die Rennleitung; natürlich kann im Extremfall immer noch ein Unfall passieren, z.B. wenn bei jemanden Funk und Cockpit-Anzeigen ausgefallen sein sollten, aber das ist auch eher ein Ausnahmefall. Unter FCY fahren alle (nach aktuellem Reglement) mit per Knopfdruck begrenzten 80 km/h – das Safety Car fährt typischerweise schneller. Wenn man den Fahrern anzeigt, wo gerade Bergungs- oder Reparaturarbeiten stattfinden, sollte dort auch niemand unter FCY durch Schlangenlinienfahren o.ä. die Marshalls gefährden. Soviel Disziplin muss man von Profis erwarten können. In Le Mans ging es bei den Full Course Yellows auch diszipliniert zu. Hinter Safety Cars habe ich da schon mehr Zwischenfälle wie etwa Dreher erlebt.

Der dieses Jahr angekündigte Ansatz mit den Full Course Yellows hat mir daher gut gefallen und die Rennleitung hat das anfangs auch mehrfach genutzt. Später ist man leider davon abgekommen und hat vermehr wieder auf das Safety Car gesetzt. Warum, weiß ich nicht… Leitplankenreparaturen hat man für längere Zeit trotzdem in einer Slow Zone laufen lassen, also scheint auch nicht das Argument der Sicherheit der Marshalls das entscheidende gewesen zu sein. Erst im Laufe des Sonntags hat man wieder mal auf die FCY zurückgegriffen.

Aber an daran müsste man meines Erachtens anknüpfen, und eben auch dieses Instrument, soweit erforderlich, weiterentwickeln. Man kann in besonderen Gefahrensituationen z.B. Tempo 60 statt 80 vorgeben oder die Sperrung einer Fahrbahnseite bei Bergungsarbeiten vornehmen. Nur wenn wirklich unbedingt die Safety Cars gebraucht werden, um sichere Bedingungen herzustellen, sollte auf diese zurückgegriffen werden – aber das sollte eigentlich wirklich nur noch in seltenen Ausnahmefällen nötig sein. Und für diese Fälle halte ich die drei Safety Cars eigentlich für einen brauchbaren Kompromiss zwischen (zügiger) Bündelung des Feldes und möglichst wenig Eingriff ins Renngeschehen. Eher würde ich noch ein viertes dazunehmen als eines oder gar zwei zu streichen.

Und noch eines: auch was die zeitliche Begrenzung der Gelbphasen angeht, ist die FCY deutlich effizienter: sie kann nach Bedarf jederzeit ausgerufen und wieder aufgehoben werden. Kein Einfangen des Führenden, kein Einsammeln des Feldes und erst recht keine Wave-byes zum Korrigieren der Reihenfolge, wie sie vorgeschlagen worden sind, um das Rennen spannender zu machen. Le Mans lebt davon, dass alle Beteiligten einen langen Atem brauchen – auch die Zuschauer. Das Beobachten gradueller Unterschiede über den Rennverlauf bringt hier die Spannung. Umso schöner ist es dann, wenn sich nach Stunden oder vielleicht sogar gegen Rennende wieder Nahkampf-Duos oder gar -Gruppen zusammenfinden. Und zwar ohne, dass sie vom Safety Car zusammengeführt worden sind.

Insofern bin ich gegen eine radikale Veränderung in Sachen Renn-Neutralisierung. Wir hatten hier im letzten Jahrzehnt gute innovative Entwicklungen. Diese Instrumente gilt es weiterzuentwickeln. Damit dieses Langstreckenrennen ein echtes Langstreckenrennen bleibt.

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