Zum zweiten Mal markiert New York mit einem Doubleheader-Wochenende den Abschluss einer Formula E-Saison. Vor der Skyline von Manhattan wird wahrscheinlich der erste zweifache Champion der Formula E-Geschichte gekrönt.
Denn so wild die Saison – mit acht verschiedenen Siegern aus acht Rennen – begann, so stark traten dann doch zwei altbekannten Protagonisten in den Vordergrund: Jean-Eric Vergne, der Titelverteidiger, und Lucas di Grassi, sein Vorgänger als Formula E-Meister. Und möglicherweise ist der diesjährige Champion der letzte, der sich nicht „Weltmeister“ nennen darf, denn um diesen Titel soll es ab der kommenden Saison gehen: die FIA wird die Formula E als höchste Rennklasse für elektrische Fahrzeuge offiziell als World Championship bzw. Weltmeisterschaft sanktionieren.
Jean-Eric Vergne geht allerdings deutlich im Vorteil in das Finale: 32 Punkte liegt er vor seinem brasilianischen Kontrahenten (130:98), 58 gibt es maximal noch zu verteilen. Vergne müsste also schon in einem der beiden Läufe – die jeweils eigenständig mit separater Qualifikation ausgetragen werden – punktelos ausgehen, damit es überhaupt nochmal richtig spannend wird. Di Grassi muss am Samstag siegen und sechs Punkte aufholen – oder sieben Sieg acht Punkte – damit das Titelrennen bis zum Sonntag offen bleibt. Vergne kann drei Siege, einen zweiten und einen dritten Platz aufweisen, di Grassi zwei Siege und einen zweiten Platz, auch bei den Tie-Breakern liegt er demnach ungünstiger.
Rein rechnerisch haben noch ein paar weitere Fahrer Chancen, doch da müsste es in Brooklyn schon mit dem Teufel zugehen, damit Mitch Evans (43 Punkte hinter Vergne) oder Andre Lotterer (44 Punkte zurück) dieses Blatt gegen Vergne und di Grassi noch wenden können. Dennoch ist die starke Saison von Evans bemerkenswert und zeigt insbesondere, dass Jaguar in seiner dritten Saison endlich richtig angekommen ist.
Der werksseitige Volleinstieg von BMW via Andretti Autosport ging da scheinbar flotter, Antonio Felix da Costa liegt auf Rang 5 der Meisterschaft, allerdings ist man damit fast schon hinter den Erwartungen zurückgeblieben, nachdem dem BMW Andretti-Auto vor der Saison nachgesagt wurde, das schnellste Paket im Feld zu sein. Pole und Sieg beim Auftakt in Ad Diriyah schienen das noch zu bestätigen, doch über die Saison kamen andere Teams besser in Tritt, insbesondere eben DS Techeetah, die sich im ersten Jahr als Werksteam einmal neu sammeln mussten, um zu der Vorjahres-Form, als sie noch als Kundenteam mit Renault-Motoren antraten, zurück zu finden. Mit 216 Punkten gegenüber 173 von Audi Sport Abt Schaeffler führt das chinesisch-französisch-englische Team auch die Teamwertung deutlich an. (Daniel Abt darf nach einer konstanten, aber sieglosen Saison übrigens als Teamkollege von di Grassi weiter an Bord bleiben.)
Ein gemeinsames Handicap haben die vorgenannten fünf Piloten, also Vergne, di Grassi, Evans, Lotterer und da Costa: sie werden in der ersten New York-Quali in der ersten Startgruppe auf die voraussichtlich staubige Strecke müssen. Allerdings hat Jean-Eric Vergne zuletzt in Bern wieder gezeigt, dass man auch bei so schwierigen Grip-Verhältnissen eine 250 kW-Runde hinlegen kann, die für die Top 6 und damit für die Qualifikation zur Super Pole-Session berechtigt. Lucas di Grassi gelang das aber auch schon einige Male in dieser Saison. Aber eben nicht beim Schweizer ePrix.
Da ändert auch alles Gejammere hinsichtlich des Restarts aus der ursprünglichen Grid-Formation nach dem Rennabbruch nichts. Dass er dort nach einem starken Rennen von weit hinten „nur“ Neunter wurde und viele Punkte verlor, hat er sich mit seiner Quali-Runde selbst eingebrockt, daran ist nicht die Rennleitung Schuld, die ihm die Plätze wieder „wegnahm“, die er dadurch gewonnen hatte, dass er sich über den Notausgang an der wegen eines Unfalls auf der blockierten Strecke feststeckenden Fahrern vorbeischlich.
Gerade die Schikane nach dem Start war in Bern tückisch, es war eine sehr enge Bremsschikane auf einem „echten“ Straßenkurs, der ansonsten recht gut gelungen war; leider werden wir ihn wohl so schnell nicht wiedersehen. In New York dagegen, das auch kommende Saison wieder im Kalender steht, wird auf dem Areal eines Kreuzfahrt-Terminals im Hafen von Brooklyn gefahren. Das Layout ist daher eng zusammengedrängt, aber die Strecke durchaus abwechslungsreich und mit einigen Tücken.
Bereits im Vorjahr wurde die 180 Grad-Kehre nach der Startgeraden durch eine neue Schleife (einmal scharf links, dann dreieinhalbmal rechts) ersetzt, die aber recht gut funktionierte, auch wenn es beim Start in der FE trotzdem eng wird. Für Zusammenstöße prädestiniert war vorher eher die enge Links-rechts-Schikane, die auf die Gegengerade folgt. Diese wurde für den Start durch di9e neue Schleife davor entschärft, aber auch Überholversuche in späteren Runden enden dort gern mit Kontakt oder stehenden Reifen. Die Gen2-Boliden sind aber – was Kontakt angeht – robuster und erlauben durchaus ein Anstupsen. Aber da diese beiden Geraden jeweils nur knapp 350m lang sind, was selbst für Formula E-Verhältnisse kurz ist, muss man schonmal etwas mehr wagen, um an einem Kontrahenten vorbei zu kommen. Eingangs der zweiten Geraden auf der Innenbahn ist die Attack Mode Activation Zone angesiedelt – wie in Bern wird man dafür kaum vom Gas gehen müssen.
Die dritte Gerade ist noch kürzer und mündet in eine 90 Grad-Links, hier sah man in den letzten Jahren eher wenige Angriffe. Nach dieser Kurve querten die Piloten bei den bisherigen Ausgaben den Zielstrich. Der ist allerdings – ebenso wie die bislang hier verortete Boxengasse – verlegt worden, sodass wir nun in New York die „klassische“ Konstellation mit Start und Ziel auf derselben Geraden und parallel dazu die Boxengasse haben. Das ist sicherlich die für die Zuschauer schönere Variante, die hinter irgendeiner Ecke plötzlich wehende Zielflagge kommt auf manchen FE-Kursen doch etwas stil- und trostlos daher. Aber das hängt halt damit zusammen, dass man auf den Stadtkursen nicht immer die Boxengasse entlang der am besten für den Start geeigneten Geraden anordnen kann, aber im Bereich der Boxengasse stets die Ziel- und Zeitnahme-Linie untergebracht werden soll.
Nach der „alten Zielgerade“ folgt in Brooklyn eine sehr enge Haarnadel rechts herum, die immer wieder für Überraschungsmanöver in Anspruch genommen wurde, allerdings darf man auch nicht zu weit innen anbremsen, dann wird es mit dem Lenkeinschlag schwierig. Eine 90 Grad-rechts an der Kaimauer mit Blick auf die Skyline führt in den letzten Streckenteil, der eine interessante Kurvenfolge mit sich bringt: die Rechts-Links-Schikane Turn 12/13 wurde letztes Jahr im Vergleich zum ersten Jahr deutlich flüssiger und schneller gestaltet. Dort wird ordentlich über die Kerbs geräubert, aber vor allem kommen die Piloten damit deutlich schneller bei der letzten Kurve an: diese Linkskurve ist sehr schnell und langgezogen, dazu kommt noch ein Bump in der Kurvenmitte. Eingangs dieses Turn 14 verlor im Vorjahr Alex Lynn das Auto und schlug hart in die TecPro-Barrieren ein.
Die Strecke biete also genug Potential für zwei aufregende Rennen. Ob es auch ein spannendes Saisonfinale im Sinne eines Titelkampfes wird, wird der Samstag schon zeigen; wie eingangs dargelegt, ist es durchaus realistisch, dass nach dem ersten Lauf bereits Jean-Eric Vergne als Meister feststeht. Er wäre der erste Doppel-Champion der Formula E-Geschichte, und damit natürlich auch der erste, dem es gelingt seinen Titel zu verteidigen. Zum Abschluss eines Saison, in der es zunächst so schien, als könne nicht einmal ein Pilot zwei Rennen gewinnen, wäre das doch ein bemerkenswertes Ende.
Eurosport überträgt am Samstag die Quali ab 17:40 Uhr und das Rennen ab 21:55 Uhr live. Am Sonntag gibt es die Qualifikation nicht live, aber ab 21 Uhr als Aufzeichnung vor dem Rennen, dessen Live-Übertragung wieder um 21:55 Uhr startet.
Noch ein Schmankerl am Rande: Vor dem Verwaltungsgericht Berlin lief ein Klageverfahren der Veranstalter des Berlin ePrix gegen die Berliner Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Deren Verwaltungen haben Bescheide über Sondernutzungsgebühren in Höhe von zusammen ca. 330.00 € an die FE-Organisatoren verschickt, die dagegen behaupten, die Politik hätte ihnen zugesagt, dass sie für das Events rund um den Strausberger Platz 2016 keine oder zumindest nur ermäßigte Gebühren zahlen müssten. Damals wurde auf öffentlichen Straßen gefahren, weil der Flughafen Tempelhof anderweitig belegt war. Und wer öffentliche Straßen über die „normale“ Nutzung hinaus beansprucht, braucht eine Sondernutzungserlaubnis und muss Gebühren zahlen. Das gilt bei Café-Tischchen auf dem Gehweg, aber es gilt eben auch, wenn für ein Rennsport-Event ganze Straßenzüge abgesperrt werden müssen. Abgesehen von kleineren Mängeln bei der Berechnung haben die Berliner Bezirke im Grundsatz vom Verwaltungsgericht Recht bekommen – die Veranstalter müssen zahlen.
(Bilder: Formula E Media)