Indianapolis, Le Mans, Monaco und Co. – der Rennsport lebt von legendären Wallfahrtsorten. Einer seiner irresten Sehnsuchtsplätze ist der Guia Circuit in der chinesischen Sonderverwaltungszone Macau. Auf 6,12 Kilometern Länge jagen sich dort lange Geraden, Highspeed-Kurven und unzählige Engstellen, mitten in einer der geschäftigsten Städte Asiens. Auch in diesem Jahr wieder beim Grand Prix vertreten: brachiale GT-Boliden, formschöne F3-Renner, kontaktfreudige Tourenwagen und die berüchtigt-verehrten Motorräder.
Wer Motorsport verfolgt, kommt um Macau nicht herum. Jedes Jahr im November fluten unzählige Bilder sowie Videos die sozialen Netzwerke und werfen eine Frage auf: Wie kann so etwas überhaupt noch existieren? Nicht zuletzt auch angesichts der herzzerreißenden Unfälle bei den Motorrädern, der Materialschlachten der GT3 oder des brutalen Abflugs von Sophia Flörsch.
Doch Macau ist mehr als ein vermeintlich aus der Zeit gefallener Stadtkurs: Es ist eine Parabel auf den Motorsport selbst. Denn alles, was wir am Motorsport lieben, verkörpert der asiatische Leitplanken-Kanal in Reinform. Er belohnt und bestraft Risiko gleichermaßen. Er sucht, ja verlangt gar, den perfekten Fahrer. Und er will Geschichten zu Legenden machen. Mit ihm würde der Rennsport einen Teil seiner Identität verlieren.
Die Historie
Los ging es jedoch eher gemächlich und geradezu unbedeutend, als Ende Oktober 1954 gerade einmal 15 Amateure am ersten Grand Prix teilnahmen. Bis auf eine etwas längere Melco-Haarnadelkurve entsprach der damalige Verlauf bereits dem des heutigen Guia Circuit. Allerdings notierten die Offiziellen folgende Kritik am jungen Stadtkurs: back of the circuit is very bad – mostly dirt and loose sand.
Der erste Sieg ging an Eddie Carvalho, der einen Triumph TR2 durch die portugiesische Kolonie pilotierte. Der Hongkonger entstammte einer reichen Finanz-Dynastie und lernte während eines ausgiebigen Europa-Aufenthalts den Motorsport kennen. Ein faszinierendes Bild von Carvalho zeichnet seine Tochter Maria Fernanda in diesem Macau-Geschichtsblog.
Impressionen aus dem Archiv von Mercedes
In den darauffolgenden Jahren wurden die Straßen nach und nach verbessert und eine erste permanente Tribünenanlage machte den Grand Prix zu einer festen Institution am Perlflussdelta. Die 1960er Jahre wurden daraufhin von einem wachsenden internationalen Interesse geprägt, das nicht nur Fahrer aus Europa und Amerika umfasste, sondern auch exotische Sportwagen und Formel-artige Boliden aus ihren Heimatländern.
1967 feierten dann die Motorräder ihr Debüt in Macau. Im gleichen Jahr verlor der philippinische Rennfahrer Arsenio Laurel sein Leben bei einem schweren Feuerunfall – der erste Todesfall in der Geschichte des Grand Prix. In den 70ern begannen die Formel-Boliden ihren Siegeszug und wurden zur unantastbaren Nummer eins im GP-Programm, das nun auch Tourenwagen beinhaltete. Zum 25. Jubiläum des Guia Circuit im Jahre 1978 stellten die Organisatoren ein ganz besonderes Highlight auf die Beine:
Zum 30-Jährigen schlug die Formel 3 schließlich ihre Zelte zum ersten Mal in Macau auf. Gleich bei der allerersten Ausgabe ebnete sich ein junger Brasilianer mit dem Sieg den Weg in die höheren Sphären des Motorsports. Sein Name: Ayrton Senna da Silva. Bis in die Gegenwart gilt ein Erfolg auf dem Guia Circuit als Türöffner für erfolgreiche Karrieren, auch wenn nur die wenigsten Talente zu Formel-1-Stars wurden. So ist Michael Schumacher, Triumphator der Ausgabe 1990, der letzte GP-Sieger, der daraufhin auch F1-Weltmeister werden sollte.
Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Zocker-Metropole Macau wurde das Event in den 90er und frühen 2000er Jahren zu einem weltweit bekannten Motorsport-Festival. So etablierten sich der Formel-3-GP, das Guia Race für Tourenwagen und der Motorrad-GP als die festen Säulen des Wochenendes und lockten Stars aus der ganzen Welt in das Las Vegas Asiens. Internationale TV-Sender wie NBC und Eurosport strahlten das bunte Treiben zudem erstmals umfangreich in die Wohnzimmer am anderen Ende der Welt aus.
2008 feierten GT-Maschinen endlich ihre formale Rückkehr in den Zeitplan und sind seitdem als GT Cup ein fester Bestandteil der Grand Prix. Dank des 2015 eingeführten World-Cup-Titels stiegen die Sportwagen sogar jüngst zu den anderen Hauptrennen auf und schlossen damit die historische Klammer zu den ersten Rennen in Macau. Die letzte große Neuerung ergab sich erst im Vorfeld der diesjährigen Ausgabe, als die offizielle FIA Formula 3 Championship als Ersatz für die kontinentalen F3-Serien verkündet wurde. Allerdings ist Macau kein Bestandteil des Kalenders und wird deswegen als Nicht-Meisterschaftslauf tituliert.
Der Kurs
Eine der unantastbaren Regeln des Rennsports lautet: Wenn Kurven Namen haben, muss die Strecke gut sein. Selbiges ist auf den 6,12 Kilometern des Guia Circuit (offizielle Länge laut FIA) mehr als gegeben. Der Kurs, der anfangs mal eine szenische Straße am Ufer des Perlflussdeltas und am Hang des Guia-Hügels gewesen ist, bietet alle denkbaren Szenarien von gekrümmten Asphaltbändern.
Während um den Start-Ziel-Bereich herum lange Geraden Highspeed-Schlachten provozieren, ist der Hang-Abschnitt extrem eng, technisch und somit unfalllastig. In Sichtweite des Deltas stechen so vor allem der ultraschnelle Mandarin-Bend und die herausfordernden Kurven um das Reservoir-Becken herum (allen voran Fisherman’s Bend) hervor. Am Guia-Hang reihen sich legendäre Abschnitte dann wie Perlen an einer Kette. Den Höhepunkt und gleichzeitig das Geschlängel-Ende stellt die Melco-Haarnadelkurve dar. Lächerliche sieben Meter Breite bedeuten: Überholverbot.
Eine ausgiebige Vorstellung der Strecke und konsequenterweise auch von Macau selbst findet Ihr in unserem Special aus dem Jahr 2016.
Das Jahr 2019
Gleich vorweg: Auch in diesem Jahr haben wir wieder eine breite Auswahl an Einzel-Vorschauen für Euch: Florian Niedermair wird sich umfangreich mit den Änderungen bei der Formel 3 auseinandersetzen, Max wirft einen Blick auf die WTCR und ich (Phil) suche nach Siegkandidaten beim FIA GT World Cup. Die Texte werden zwar erst im Laufe der Woche veröffentlicht, aber der traditionelle Podcast ist bereits in der Form der letzten Sprint-Ausgabe erschienen.
Impressionen: F3, GT3 und WTCR 2018
An dieser Stelle lohnt sich zudem noch ein kurzer Blick auf das umfangreiche Rahmenprogramm. Den Anfang machen – wie im Event-Ablauf selbst – die Motorräder. Fans der Szene können sich hier auf die bekannten, großen Namen der letzten Ausgaben freuen: allen voran die Briten Peter Hickman, Michael Rutter, Ian Hutchinson, John McGuinness und der Österreicher Horst Saiger (PDF-Nennliste). Auch wenn der Anblick zweifelsohne spektakulär ist, seien Motorsport-Fans ohne Vorerfahrung hinsichtlich Motorrad-Straßenrennen deutlich vorgewarnt. In den letzten Jahren gab es wiederholt teils folgenschwere Zwischenfälle.
Impressionen: Motorcycle Grand Prix 2018
Zusätzlich zur FIA WTCR findet sich mit dem Macau Touring Car Cup ein zweites Tin-Top-Event im Programm. Mitsubishi Lancer Evo 9 und 10, Nissan Skyline GT-R R34, Golf GTI, Mini Cooper S, Peugeot RCZ und einige weitere exotische Kreationen liefern jedes Jahr interessante bis skurrile Rennen ab. Die Besonderheit: Das Feld setzt sich hauptsächlich aus Einheimischen zusammen. Hier findet Ihr die Nennliste (PDF).
Impressionen: Macau Touring Car Cup 2018
Überraschung! Der Greater Bay Area GT Cup ist ab diesem Jahr auch für GT4-Renner geöffnet. Auf diesem Weg werden die übrigen Lotus Exige S unter anderem neue Konkurrenz von Aston Martin Vantage, Audi R8 LMS, BMW M4 und Mercedes AMG GT bekommen. Wie beim Touring Car Cup besteht das Feld aus regionalen Teilnehmern, die hier (PDF) zu finden sind.
Impressionen: Greater Bay Area Lotus Cup 2018
Was jetzt noch wichtig ist
Nachdem in den letzten Jahren immer mal wieder Regenschauer auf den Guia Circuit niedergingen, verspricht zumindest die aktuelle Vorhersage (10.11.2019) eine sonnige Woche. Links zu den Streams und den Zeitplan findet Ihr wie gewohnt in den fein gepflegten TV/Stream-Zeiten.
Bilderquelle/Copyright: Audi Sport; Macau Grand Prix Committee – Sports Bureau; Macau Government Information Bureau; Mercedes-Benz AG; Porsche
3 Kommentare
[…] die Strecke gibt es übrigens in einer genauen Streckenbegehung des Kollegen Phil und auch in seiner diesjährigen Vorschau beschreibt er nochmal, was den Guia Circuit so speziell […]
[…] Auf den verrückten Guia Circuit und die Historie des beinahe absurden Events geht Phil in seiner Event-Vorschau genauer ein, weshalb wir das an dieser Stelle ausklammern möchten und uns auf die Formel 3 […]
[…] Laufe der Woche sind im Blog bereits Vorschauen zur FIA WTCR, Formel 3 und zum Event an sich erschienen. Neben dem Sport liefern sie jeweils spannende Randnotizen zur Strecke, zum Wetter oder […]
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