Goldene Jahre in Le Mans, die große Rückkehr der Silberpfeile oder auch die Wiedergeburt des nordamerikanischen Rundstreckensports – zehn besondere und bestimmende Jahre liegen in wenigen Tagen hinter uns. Diese Entwicklungen haben den Motorsport geprägt und bewegt:
Hollywood und Science-Fiction an der Sarthe
Obwohl die Rivalität zwischen Audi und Peugeot ihre Wurzeln im vorherigen Jahrzehnt hat, erlebte sie am 11. und 12. Juni 2011 ihren Höhepunkt. Nachdem die Duelle in den vorangegangenen Jahren jeweils klare Sieger fanden, sollte die 79. Ausgabe bis zum bitteren Ende umkämpft gewesen sein. So verblieb Audi nach den brutalen Abflügen Allan McNishs und Mike Rockenfellers nur der R18 TDI von Marcel Fässler, André Lotterer und Benoît Tréluyer. Auf der anderen Seite standen drei Werks-Peugeot und ein Peugeot 908 HDi FAP des Team Oreca. David gegen Goliath.
Über die gesamte Distanz entwickelte sich so eine erbarmungslose Hetzjagd mit diversen Verschiebungen. Während Peugeot schon fast zu viele Optionen hatte, lastete auf der Audi-Truppe rundum Leena Gade kaum vorstellbarer Druck. Ein winziger Fehler und der Traum ist unweigerlich vorbei. Diese hollywoodreife Konstellation hielt sich bis zum Ende und schlussendlich trennten Platz eins und zwei lächerliche 13,854 Sekunden. Audi feierte den zehnten Sieg, Peugeot legte den Fokus auf 2012 – doch aufgrund finanzieller Probleme der Franzosen im Winter kam es nie zur Revanche.
Die Tränen waren jedoch schnell getrocknet, und an die Stelle der Löwen traten die Hybrid-Boliden von Toyota, die zusammen mit Audi eine neue Zeitrechnung in Le Mans und in der Form der neuen WEC begründeten. Bekanntermaßen kam 2012 zwar zu früh für die Japaner, doch in den folgenden Jahren schlossen sie rasant auf und setzten erste Nadelstiche. Angetrieben von den neuen technologischen Möglichkeiten schloss sich Porsche dann 2014 der LMP1 an. Dieses Hightech-Markentrio (mit peinlichem Besuch von Nissan) setzte neue sportliche Maßstäbe, welche auch von technischen Tiefschlägen begleitet wurden. Unvergessen: die dramatischen Ausfälle von Toyota – allen voran im Jahr 2016.
So kometenhaft wie die Hybride den Le-Mans-Sport mitsamt LMP2 und GTE ins Rampenlicht schoben, so schnell verglühte er allerdings auch wieder. Schuld waren jedoch weder die Wirtschaft noch der Sport per se. Nein, Schuld war die Hybris umfangreich dokumentierter Teile der deutschen Autoindustrie. Was bleibt, ist eine WEC, die sich gerade so am Leben erhalten konnte. Ob auch in zehn Jahren erneut von einem goldenen Jahrzehnt gesprochen werden kann, liegt in den Händen der IMSA und vor allem des ACO.
Die große Rückkehr der Silberpfeile
Erst vor wenigen Wochen hielt ich das Buch „Racing the Silver Arrows“ von Chris Nixon in den Händen, in dem das Duell zwischen Mercedes und Auto Union in epischer Breite ausgeführt wird. Auch wenn der zeitliche Rahmen zweifelsohne ein ebenso dunkler, wie politisch missbrauchter war, ist der Einfluss der silbernen Fahrzeuge auf den Rennsport nicht zu unterschätzen. So wie britische Renner grün, italienische rot und französische blau dargestellt werden, so tragen deutsche Boliden ein silbernes Kleid. Die Geschichte hinter der Farbgebung beziehungsweise der abgekratzten weißen Farbe ist so einfach wie genial.
Zum Mythos der Silberpfeile gehört jedoch auch unweigerlich ihr erstes, leidvolles Ende am 11. Juni 1955 im Süden von Le Mans. Der Motorsport hatte sich für immer verändert.
Jahrzehnte später bahnte sich die Rückkehr dann langsam, aber sicher ihren Weg – unter anderem mit Sauber und in Indianapolis. Ab 1997 waren die Silberpfeile schließlich zurück. Doch obwohl die Kooperation mit McLaren zurecht zu den erfolgreichsten Partnerschaften der Formel 1 gehört, war die Gestaltung wohl eher den Fluppen-Fabrikanten von West zu verdanken, die unter anderem auch Honda-Motorräder ähnlich einfärben ließen.
Gleich zu Beginn des nun auslaufenden Jahrzehnts waren dann aber alle Fragezeichen endgültig ausgeräumt: echte Werks-Silberpfeile stehen auf den Nennlisten. Wie vor unzähligen Jahren sprangen die Sterne schnell an die Spitze des Grand-Prix-Sports und machten die Namen Lewis Hamilton, Nico Rosberg, Valtteri Bottas und Toto Wolff zu echten „Household Names“ in Deutschland. Was sich jetzt normal und fast schon banal anfühlt, war vor nicht allzu langer Zeit nicht mal in den kühnsten Träumen vorstellbar.
America the Beautiful
Würde man Fans des amerikanischen Rundstreckensports mit einer Zeitmaschine aus der Jahrtausendwende in die Gegenwart bringen, würden sie ihren Augen nicht trauen: Aus dem Schlachtfeld ist nun eine der großen Hoffnungen des Motorsports geworden. So erholte sich die IndyCar in den letzten Jahren nachhaltig von der Urkatastrophe des Splits und zeigt auf allen Ebenen einen erleichternden Aufwärtstrend. Sei es beim TV-Deal, den Zuschauerzahlen, den Strecken, neuen Teams oder schlicht der Optik. Zusätzlich ist die Serie seit Ewigkeiten erstmals wirklich in der Lage, einen Plan für die Zukunft zu formulieren, zum Beispiel bei der Ergänzung einer Hybrid-Komponente oder bei der Entwicklung des Aeroscreens. Wird sie je wieder in die Nähe der Glanzzeiten zurückkommen? Unwahrscheinlich. Aber sie hat eine Perspektive.
Während die IndyCar noch im Jahrzehnt davor die Wiedervereinigung vollzog, brauchte die US-Sportwagenszene noch etwas, um die Kräfte zu bündeln. Am 5. September 2012 hieß es dann aber: Welcome to the Future of Sports Car Racing! Die Grand-Am und die American Le Mans Series werden ab 2014 unter dem Banner der International Motor Sports Association, kurz IMSA, vereint. Jim France und Don Panoz hatten zum Wohle des Sportwagenmotorsports ihre beiden Herzensangelegenheiten zu einer vereint.
Und zugegeben: Die ersten Jahre der IMSA SportsCar Championship waren keinesfalls einfach. Beispielsweise wurde die BoP-Frage zwischen den alten DP und LMP2 nie richtig beantwortet. Doch die Szene hielt zusammen und profitierte vom Aufwind der GT-Klassen und dem Reiz des neuen Kalenders. Mit der Einführung der aktuellen DPi-Generation im Jahr 2017 endete diese nicht immer leichte Übergangsphase und die IMSA in ihrer Gesamtheit konnte endlich ihre eigene Identität entwickeln und mit dem Acura Team Penske zwei Größen in die Serie zurückholen.
Heuer wurden dann die Weichen für das nächste Jahrzehnt gestellt. IMSA-Chef Scott Atherton, Mastermind hinter dem Merger, kündigte seinen Rückzug an, den er zum Wohle der Serie Jahre zuvor bereits zurückgestellt hatte. John Doonan übernahm seine Position und gab Mazda Motorsports nach einem der erfolgreichsten Jahre für die Japaner in ebenfalls gute Hände ab. Dazu biegt hinter den Kulissen die zweite Generation der DPi gerade auf die Zielgerade ein. Mit etwas Glück und vor allem Verstand könnte sie den Aufwind der IMSA auf die gesamte Szene übertragen.
Unter Strom
Zu den diskussionsfreudigsten Themen dieses Jahrzehnts gehört fraglos die Formel E. Die im Jahr 2011 geborene Idee dahinter trat mit einem spürbaren Knalleffekt in die Welt des Motorsports. Egal ob Kalender, Fahrzeugwechsel oder Gimmicks: Wirklich alles wurde bis ins kleinste Detail ausdiskutiert, die Seiten in vollen Kommentarspalten bezogen. Doch die Formel E ist gekommen, um zu bleiben. Vielleicht nicht als Organisation, aber als Idee. Der Motorsport hat eine neue elektrische Komponente hinzugewonnen und die noch frische Entscheidung der Volkswagen-Marke zeigt, wohin es in Zukunft gehen wird. In unserem großen Jahresend-Podcast haben wir deshalb ausgiebig und offen über das Thema diskutiert und festgehalten, dass der Klimawandel auch den Motorsport in die Verantwortung nimmt. Ob man es will oder nicht.
Das Jahrzehnt des Kundensports
Eine weitere nicht ausschließlich gern gesehene Entwicklung ist die Rolle des Kundensports, der mit der FIA-Gruppe GT3 die Welt eroberte. In ihrem Windschatten erlebten zuletzt auch die GT4 und die TCR einen ähnlichen Boom und bevölkern ebenso weltweit die Rennstrecken. Obwohl der Sport grundsätzlich davon profitiert hat und Rennen wie die 12 Stunden von Bathurst innerhalb weniger Jahre zu echten Highlights wurden, hat die Entwicklung fraglos ihre Schattenseiten. Im Vergleich zu den auf Performance getrimmten All-Inclusive-Paketen der Hersteller wurden Eigenentwicklungen und Tuning-Projekte zuletzt zu unattraktiven Auslaufmodellen. Chronisten der langen Motorsport-Vergangenheit wissen um den Verlust, keine Frage.
Allerdings ist der Zeitgeist, wie üblich, nicht aufzuhalten. Jetzt, da Hersteller zunehmend unter Druck geraten, bietet der Kundensport ein nahezu unschlagbares Gesamtpaket aus Produkt, Marketing und Einstiegsmöglichkeiten. Ohne ihn würde es schlechter um den Motorsport stehen.
Motorsport für alle
Die einfachste, aber vielleicht wichtigste Entwicklung des Jahrzehnts fand nicht auf der Strecke statt. Und auch nicht in den Werkshallen der Teams oder in den Kommissionen von FIA und Co. Nein, die wichtigste Entwicklung fand auf unseren Handys, unseren Computern, unseren Laptops und auch unseren vernetzten Fernsehern statt – schöne, neue Streamwelt. Die Zeiten von bilderlosen Nächten und Großevents ohne internationale Übertragungen sind seit diesem Jahrzehnt endgültig vorbei. Dazu kommen auch immer mehr kleine, unabhängige Serien, die sich selbst ins Schaufenster stellen können. Dementsprechend habe ich immer dieselbe Antwort auf die Frage, wie es denn sei, sich heutzutage noch Motorsport-Fan zu nennen: So gut wie nie zuvor. Und es wird nur besser.
Epilog
Aber was bleibt nun wirklich von diesem Motorsport-Jahrzehnt? Schwer zu sagen. So ist diese Auswahl größtenteils subjektiv und jeder blickt anders auf seinen geliebten Rennsport. Hätte die Neustrukturierung der Formel-Leiter hier auftauchen müssen? Möglich. Hätten Organisationen wie die NASCAR oder die DTM mit ihren Problemen repräsentiert sein müssen? Kann man argumentieren.
Doch für mich werden die genannten Punkte am meisten in Erinnerung bleiben. Denn in vielen Fällen stecken auch persönliche Erfahrungen dahinter – angefangen mit der augenöffnenden Reise nach Le Mans oder mit der diesjährigen Florida-Tour mit den lieben Kollegen des Blogs. So bleibt mir abschließend nur der Wunsch, nach Euren Highlights des auslaufenden Jahrzehnts zu fragen. Was hat Euch gefreut, was hat Euch genervt, was hat Euer Herz gebrochen? Mir fallen an dieser Stelle unzählige Fahrer, Verantwortliche und Freunde des Motorsports ein, die wir in den letzten zehn Jahren verabschieden mussten. Mit großer Trauer, aber auch mit ehrlicher Dankbarkeit.
Oh, und bevor ich es vergesse: Frohe Weihnachten!
Bilderquelle/Copyright: FIA WEC; IMSA; Macau Government Information Bureau; Mercedes-AMG; SRO Motorsports Group
2 Kommentare
Meine Highlights waren die TCR Europe und vor Allem die TCR Australia. Die gute Laune der Australier war ansteckend. Die Spannung und Leistungsdichte waren antrieb genug, auch am Wochenende um 3:00 aufzustehen, um die Rennen live zu sehen.
Jordan Cox im Alfa Romeo, die vom Pech verfolgten Subaru Impreza und die immer stärker werdenden Renault Megan. Auf guten alten Rennstrecken. Super!
Vielen Dank für Deinen Kommentar und die Ausführungen zur TCR Australia! Ich war tatsächlich sehr überrascht, so eine Perspektive auf das Jahrzehnt zu lesen – aber auf die beste Art und Weise. Und da die Serie immer weiter im Aufwind ist, werde ich bestimmt auch wieder häufig reinschauen. Vielleicht liest man sich dann ja im Chat! Liebe Grüße
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