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Best of 2019 (Phil) – Halbe Sachen und Paukenschläge

von Philipp Körner
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Best-of-Artikel sind eine der undankbarsten Aufgaben, die man sich vorstellen kann. Erst zerbricht man sich stundenlang den Kopf, dann trägt man das Resultat zusammen und schlussendlich ärgert man sich, weil man doch wieder die Hälfte vergessen hat. Das ist mein Versuch, nach dem Zeitgeist des Motorsport-Jahres 2019 zu greifen.

Ihr kennt sicher auch dieses Gefühl des Unvollkommenen. Wenn etwas gut, aber nicht herausragend war. Ein Beispiel gefällig? So ging es mir unter anderem mit den 24 Stunden von Le Mans in diesem Jahr. Denn obwohl wir alle die LMP1 schon vor dem Start abgeschrieben hatten, war die Vorfreude auf die GTE-Klassen riesig. Bei den Profis sollten Ford und BMW mit einem sportlichen Feuerwerk verabschiedet und bei den Amateuren hart und mit reichlich Verschiebungen gekämpft werden.

Doch es kam anders. Nachdem die ersten Stunden in der GTE-Pro noch ein Lehrstück für den GT-Sport der Neuzeit waren, drehte, gar kippte das Rennen über Nacht. Anders, aber ähnlich enttäuschend, endete der Klassenkampf in der Amateur-Division – am Montag nach dem Rennen. Die Disqualifikation des #85 Keating Motorsports Ford GT entriss uns, wenn auch gerechtfertigt, die schönste und spannendste Geschichte der 87. Auflage.

Doch nicht nur Le Mans fiel dem Jahr des Unvollkommenen zum Opfer. Bereits das Auftakt-Highlight der 24 Stunden von Daytona wurde vom Regen davongetragen, und auch das Gegenstück in den Ardennen-Wäldern bekam etwas zu viel Nässe von oben ab. Dort sorgte immerhin eine sehenswerte Schlussphase für reichlich Spannung.

Dass das Gefühl nicht nur im Langstreckensport zu finden ist, zeigen derweil auch die Reaktionen auf den recht drögen Saisonendspurt der NASCAR Cup Series und unzählige vorzeitige Meisterschaftsentscheidungen. Ein verlorenes Jahr für den Motorsport also? Keinesfalls!

Diese Ereignisse und Themen lassen schon Vorfreude auf das neue Rennjahr aufkommen:

Bestes Rennen

Sollte es rein nach klassischen Gesichtspunkten gehen, sind die 24 Stunden auf dem Nürburgring ein ziemlich guter Anwärter auf diesen Titel. In der Form einer wahren Materialschlacht ging es teils absurd drunter und drüber und am Ende gewann eine Truppe, die vorher eigentlich mit den Umständen gehadert hat. Dazu kam eine Strafe, über die umfangreich diskutiert wurde und die fast in Blockbuster-Serien-Manier an die vorherigen Ereignisse anschloss.

Einen vergleichbar dramatischen Verlauf boten auch die 12 Stunden von Bathurst, deren neueste Ausgabe nur noch wenige Wochen entfernt ist.

Doch der Sieg in dieser Kategorie geht unbestreitbar nach Amerika, genauer gesagt nach Elkhart Lake. Dort zeigte das wohl bestgehütete Geheimnis des Motorsports, namentlich die IMSA Michelin Pilot Challenge, eine wahre Kracher-Schlussphase:

Szene des Jahres

Der Rennsport produziert keine großen Geschichten mehr? Nonsens! In der langen, illustren Geschichte des Indianapolis 500 und im Speziellen des Bump Day ist zwar schon vieles passiert, aber das epochale Scheitern von McLaren und Fernando Alonso hat den Brickyard mächtig erschüttert. Während die Engländer in ihre sportlichen Einzelteile zerfielen, erlebte Juncos Racing parallel ein wahres Märchen. Is it May yet?

News-Story des Jahres

Penske? Penske? Oder doch Penske? Die Wahl in diesem Jahr ist eindeutig. Mit dem Kauf des Indianapolis Motor Speedway und konsequenterweise auch der IndyCar hat sich der legendäre Geschäftsmann aus Shaker Heights, Ohio zum Wächter des 500-Meilen-Mythos gemacht.

Natürlich gibt ihm das keine Narrenfreiheit. Die Fans und die Medien werden die Leitplanken für sein Handeln setzen, und mit dem Beziehen seines Büros an der Ecke der 16th Street und Georgetown Road werden sich die grundlegenden Probleme nicht in Luft auflösen. Doch Roger Penske und seine Familie leben und lieben das Indy 500. Etwas, das Firmengebilde wie Liberty Media nicht behaupten können. So ist jedes Mitglied der Szene ein wertvoller Bestandteil. Schöne Worte? Nein, die Realität – seit Jahrzehnten.

Schönster Blog-Moment

Yankee in Japan, keine Frage! Jeden Morgen habe ich nach dem Aufstehen sofort seinen Twitter-Account angesteuert und dort die Impressionen aufgesogen. In Zeiten, in denen gefühlt nur noch Albträume die Nachrichten-Zyklen bestimmen, war es schlicht und einfach schön zu verfolgen, wie ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung geht. Dass der Blog dabei eine wichtige Rolle einnehmen durfte, sollte uns alle dankbar machen.

Bestes Überholmanöver

Wie jedes Jahr ist diese Kategorie wohl am schwierigsten. Denn so vielfältig wie der Motorsport ist, so unterschiedlich müssen auch seine Überholmanöver betrachtet werden. Allerdings gab es auch 2019 wieder einige Aktionen, die nur mit einem langgezogenen Wow-Ausruf zu kommentieren waren.

Angefangen mit einem australisch-nachdrücklichen „Entschuldigen Sie, ich müsste da mal kurz vorbei“:

Gefolgt von einem deutsch-französischen „Komm, für sowas habe ich echt keine Zeit“:

Und getoppt von einem britisch-höflichen „Sie zuerst…nein, nein, Sie…gut, dann vielen Dank der werte Herr!“:

Fahrer/Hero des Jahres

Eine schöne Eigenheit des Motorsports ist es zweifelsohne, junge Fahrer sofort in die Geschichte eingehen zu lassen. Auf eindrückliche Art und Weise ist dies heuer Colton Herta gelungen, der 2019 gleich mit einer neuen Rolex startete und dann die Konkurrenz in der IndyCar mächtig aufmischte. Der Anfang des Jahrtausends geborene Kalifornier hat für 2020 sicher schon die nächsten Rekorde ins Auge gefasst.

Ebenfalls aus der Kategorie „Jung und wild“ ist das Duo der McLaren-Formel-1-Abteilung. Lando Norris und Carlos Sainz [Jr.; pingelige Anmerkung des ThomasB] stiegen innerhalb kürzester Zeit zu wichtigen Säulen der orangenen Revolution auf und sorgen auch abseits der Strecke für steigende Sympathien für den arg gebeutelten Traditionsrennstall.

Der Hero des Jahres stammt zwar aus demselben Paddock, trägt aber lieber Rot: Charles Leclerc setzte sich 2019 an der Spitze der Königsklasse fest und packte, wie so häufig, sein größtes Können in den schwersten, dunkelsten Zeiten aus. Mit Anthoine Hubert verlor der Monegasse nach seinem Vater und Jules Bianchi am Samstag des Großen Preises von Belgien eine weitere bestimmende Person seines Lebens. Am Sonntag gewann er dann seinen ersten Grand Prix. Die mentale Stärke, die hinter diesen Leistungen steckt, sollte keinesfalls mit Ignoranz oder Verdrängen verwechselt werden. Für Leclerc ist sie die ultimative Hommage. Die verdiente Belohnung hierfür folgte dann eine Woche später im Nordosten Mailands.

Lackierungen des Jahres

Das Jubiläum der IMSA hat uns 2019 eine Vielzahl an herausragenden Lackierungen beschert. Vor allem Porsche nahm dabei keine Gefangenen und verwöhnte uns mit einer Brumos-Hommage. Der Höhepunkt war jedoch fraglos die Coca-Cola-Lackierung.

Einen Sonderpreis hat sich an dieser Stelle aber natürlich auch Magnus Racing verdient:

Was bleibt

2019 war kein einfaches Jahr. Neben Hubert sind mit Niki Lauda, Charlie Whiting und vielen weiteren Racern großartige Menschen von uns gegangen. Und auch schwere Schicksalsschläge blieben heuer nicht aus. Ich denke dabei unter anderem an Juan Manuel Correa und andere Piloten, die sich mit physischen, aber auch mentalen Narben ins Leben zurückkämpfen.

Doch der Motorsport ist weiterhin eine der schönsten Nebensachen der Welt – auch wenn er gerne mal Geduld und reichlich Verständnis verlangt. Aber wie sollten uns sonst erwachsene Männer mit Quietschestimmen und Dunlop-Kappen zum Lachen bringen?

Oder gelbe Supersportwagen uns laut aufschreien lassen?

Und: Wie sollten sonst die unterschiedlichsten Träume Realität werden?

Frei nach Robin Miller lautet das Fazit für 2019 also: That was awful, but not bad! Auf ein gutes Jahr 2020 – wir haben wieder vieles vor!

Bilderquelle/Copyright: FIA WEC; IMSA; SRO Motorsports Group

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