Drohendes DTM-Ende, Diskussionen über Geisterrennen am Ring und dramatische Einbußen für die riesige deutsche Motorsport-Industrie – die Covid-19-Pandemie hat den heimischen Rennsport in eine tiefe Sinnkrise gestürzt. Schon jetzt ist eines klar: So wie bisher kann und wird es nicht weitergehen. Es braucht radikale Änderungen.
Ursprünglich hätte das kommende Wochenende ein Fest für alle Freunde des deutschsprachigen Rennbetriebs sein sollen. So wäre nicht nur die DTM – vom Überlebenskampf motiviert – in Zolder aus dem Winterschlaf erwacht, sondern auch die boomenden ADAC GT Masters wären in Oschersleben mit dem wahrscheinlich besten GT-Feld der Welt an den Start gegangen. Und Hand aufs Herz: Trotz aller Unkenrufe und Sticheleien wären wir natürlich alle gespannt vor dem Fernseher und an den Streams gehangen. Denn beide Serien sind auch mit all ihren Problemen mehr als nur bloße Programmpunkte. Nein, wahrscheinlich sind sie und ihre Rahmenserien für den Großteil von uns die Einstiegsdroge in den Vor-Ort-Motorsport gewesen.
Harte Zeiten, harte Maßnahmen
Statt des Kickstarts in die neue Saison steht die deutsche Szene jedoch nun am Abgrund. Die DTM ist nur noch ein Audi-Board-Meeting davon entfernt, in alle Einzelteile zu zerfallen, und niemand weiß genau, wie stark der Kundensport aus der Krise zurückkommen wird. Viele engagierte Geldgeber werden sich gezwungenermaßen überlegen, ob es noch vertretbar ist, mit eigenen Teams oder als Gentleman/Lady-Fahrer massive Summen in das Hobby zu investieren. Es ist also keine Frage, ob die Felder schrumpfen, sondern wie groß und schmerzhaft die Verluste sein werden. Nur wer diese bittere Realität akzeptiert, kann die richtigen Schlüsse ziehen.
In den Organisatoren-Büros von ITR, ADAC, VLN und Co., die bei allem Respekt nicht gerade für progressive Glanzstücke bekannt sind, wird diese Erkenntnis schon lange angekommen sein. Sie sind nun ungewollt zu den Gralshütern des deutschen Rennsports geworden. Ihre Notfall-Kalender entscheiden über Tod und Überleben von Teams, die mediale Aufarbeitung des Sports und schlussendlich über die Meisterschaften selbst. So erklären sich auch pure Verzweiflungstaten wie Geisterrennen – über deren wirkliche Sinnhaftigkeit allerdings an einer anderen Stelle diskutiert werden sollte.
Während es für dieses Jahr also nur noch um massive Schadensbegrenzung gehen kann, müssen parallel schon die Weichen für 2021 gestellt werden. Hier darf und muss alles erlaubt sein. Ein gutes Beispiel für diese neue Denkweise ist der wiederholte Vorschlag von Hans-Joachim Stuck, die DTM künftig mit GT-Autos zu bestreiten. Unabhängig von den Grabenkämpfen zwischen der ITR und der SRO Motorsports Group bietet diese Idee alles, was der Motorsport nun braucht: eine Plattform für alle Rennformate, Strecken, Kunden- sowie Werkseinsätze und Fahrertypen. Teams, die in den GT Masters, der VLN oder auch der GTC (natürlich sind auch Amateur- und Breitensportserien ein wichtiger Bestandteil des deutschen Motorsports) GT3-Boliden einsetzen, können den Sprung in die jeweils andere Serie wagen. Auch Modifikationen wie das Anpassen der Fahrhilfen können angesichts der Profis in der DTM eine spannende Stellschraube sein.
Bei den Serien muss zudem endlich die Einsicht gewonnen werden, dass man sich nicht länger als Rivalen sehen kann – auch wenn es allem widerspricht, was vorher normal war. Kooperationen wie das Motorsport Festival auf dem Lausitzring, das zweifelsohne an Befindlichkeiten gescheitert ist, müssen zum Standard werden. Fans und Wettbewerber verdienen ohne Wenn und Aber das bestmögliche Gesamtpaket. Und ja, das ist kompliziert. Weil Kalender, Hotels und überhaupt. Wir verstehen das. Aber welche Renn-Events gelten weltweit als einmalig? Long Beach mit der IndyCar und der IMSA – jedes Jahr ein logistischer Albtraum. Die 24 Stunden von Spa und ihr traditionell herausragendes Rahmenprogramm – eines der vollsten Fahrerlager der Welt. Oder auch die Stadtkurs-Feste der australischen Supercars – von morgens bis in die Abenddämmerung Non-Stop-Action.
Und bevor vielleicht ein falscher Eindruck aufkommt: Das hier ist kein Probleme-sind-nur-dornige-Chancen-Artikel. Die Welt hat viele große Probleme – der Rennsport ist keines davon. Doch viele Racer machen sich Sorgen, viele bangen um ihr Einkommen und viele werden als Verlierer aus der Krise herausgehen. Sie haben es verdient, dass der Motorsport sich Gedanken macht – nicht nur der in Deutschland.
Bilderquelle/Copyright: Audi; Felix Töllich
1 Kommentare
Hallo an alle!
Ich glaube, die deutsche Profi-Szene steht schon länger am Abgrund, nur liegt das nicht am Virus, sondern viel mehr am linken gesellschaftlich-politischen Umfeld sowie den großen deutschen Automobil-Herstellern, die der Konkurrenz nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen. Wenn in einer Serie mehrere Marken vertreten sind, dann können halt nicht alle gleichzeitig gewinnen. Die großen Konzerne kennen ja nur noch ein Prinzip: man steigt mit viel Geld ein, wenn man glaubt, man kann alle in Grund und Boden fahren, und steigt dann, meistens nach einer Siegesserie, wieder aus. Das vertragen aber die wenigsten Serien, weil dadurch kleinere Konkurrenten verdrängt werden. Deshalb sehe ich die Budgetobergrenze in der Formel 1 auch positiv, wenngleich sie nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung ist.
Zur DTM ist ja eigentlich alles gesagt, die war ja schon vorher so gut wie tot, was eigentlich schade ist, denn die Rennwagen gefallen mir *sehr sehr* gut. Schade, dass man die Autos nicht in Privathände geben kann und jeder fährt auf eigene Rechnung, weil dann hätten wir wieder echte Rennen. Die GT3-Lösung für die DTM wäre nichts für mich, denn das wäre dann keine echte DTM mehr sondern halt nur eine weitere nationale GT3-Serie, von denen es ja schon genug gibt. Und ich persönlich schaue auch fast keine GT3-Rennen, denn mMn hat sich die GT3-Szene zu weit vom Sport entfernt und bewegt sich mehr in Richtung Show, fast wie beim Wrestling. Diese unsäglichen BoP-Diskussionen, das Sandbagging oder etwa die Homologationstricks (siehe 24h von Spa) sind für mich ein Gräuel. Manchmal habe ich das Gefühl, bei diesen Serien gewinnt nur noch der Raffinierteste – und hier kann man das Wort „raffiniert“ bitte weit auslegen.
Nichtsdestotrotz, den Text vom Philipp Körner finde ich ausgezeichnet, und ich würde mich freuen, in diesem Blog öfters solche Kommentare zum aktuellen Stand des Motorsports im Allgemeinen oder zu einer Serie zu lesen.
Viele Grüße und Danke für den Kommentar,
Georg
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