Wenn schon nicht im echten Leben gefahren werden kann, dann eben virtuell. Vergangene Woche folgte auch Japans höchste Formelserie mit der JAF Certified Super Formula Virtual Series Special Round dem aktuellen Trend und veranstaltete ein E-Sport-Rennen mit Gran Turismo Sport. Am Ende setzte sich Sho Tsuboi in einem hochdramatischen Finish durch.
Als eine der ersten Rennserien reagierte die Super Formula auf den Ausbruch der aktuellen COVID-19-Pandemie und verschob neben dem ersten offiziellen Testtag auch den Saisonauftakt in Suzuka (wir berichteten). Zwar hielt man kurze Zeit darauf unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen Probefahrten auf dem Fuji Speedway ab. Zum damaligen Zeitpunkt war aber bereits klar, dass der Jahresauftakt um weitere Wochen nach hinten verlegt werden muss. Mit dem Aufruf des Notstandes in Japan, der bis auf in acht Präfekturen, darunter Tokyo und Osaka, noch bis zum 31. Mai anhalten soll, wurden letztendlich auch alles bis zum Rennen im Sportsland SUGO im Juli verschoben. An einem neuen Kalender wird derzeit gebastelt, der veröffentlicht werden soll, sobald die aktuelle Situation es ermöglicht. Fest steht lediglich, dass der JAF Grand Prix in Suzuka zum Double-Header geändert wurde. So werden Mitte November gleich zwei Rennen auf der Grand-Prix-Strecke ausgetragen – eines davon als Ersatz für den verschobenen Auftakt.
Um die Wartezeit auf den echten Motorsport zu überbrücken, folgte die Super-Formula-Dachorganisation JRP dem aktuellen Trend und veranstaltete ebenfalls ein virtuelles Rennen. Als erste Rennserie setzte man hierbei auf Gran Turismo Sport, schließlich ist der aktuelle SF19-Bolide von Dallara prominent im Spiel vertreten. Als Austragungsort wurde der anspruchsvolle wie auch bildschöne Autopolis Circuit ausgewählt, auch weil dort am vergangenen Wochenende die Meisterschaft zum dritten Saisonrennen gastieren sollte. Ebenfalls an Bord: Der japanische Automobilverband, wodurch das Rennen den Titel „JAF Certified Super Formula Virtual Series Special Round“ trug. Bereits 2019 sammelte die JRP erste E-Sport-Erfahrung, als man an mehreren Wochenenden eine virtuelle Super-Formula-Serie in verschiedenen Einkaufszentren veranstaltete. Die jeweiligen Gewinner fuhren anschließend im Rahmen des echten Saisonfinales um die virtuelle Krone in Suzuka.
Um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, wurde das Event am vergangenen Donnerstag, unter Anwesenheit einiger Entwickler von Polyphony Digital, aufgezeichnet und anschließend am Sonntag auf J SPORTS 2 sowie J SPORTS on Demand im japanischen Fernsehen ausgestrahlt. Am Freitag, den 22. Mai 2020, wird das Rennen auch kostenlos auf den YouTube-Kanälen der Super Formula sowie The Race verfügbar sein. Insgesamt 16 Fahrer meldeten sich zur virtuellen Hatz, darunter 15 der diesjährigen Piloten. Aufgestockt wurde das Feld durch ThreeBond Drago Corse-Teamchef Ryo Michigami, der für seine Fahrerin Tatiana Calderon einsprang. Ebenfalls nicht am Start waren der zweifache Champion Naoki Yamamoto, die beiden Rookies Charles Milsei und Jüri Vips sowie Serienveteran Kazuya Oshima. Letzterer veranstaltete in den vergangenen Wochen immer mal wieder virtuelle Rennen zusammen mit Fahrerkollegen wie Kamui Kobayashi, Sho Tsuboi und Kenta Yamashita, um gegen die Fans in Gran Turismo Sport anzutreten. So enthüllte Oshima auch das Livery für seinen Boliden von Neuzugang Rookie Racing (eigentlich das dritte Fahrzeug von Cerumo-Inging) in der virtuellen Welt, ehe es ganz offiziell per Pressemitteilung vorgestellt wurde.
Mit Ausnahme des amtierenden Champions Nick Cassidy sowie dessen TOM’s-Teamkollegen Kazuki Nakajima, die in einem Studio saßen, traten die restlichen Piloten allesamt von zu Hause aus an. Interviews wurden per ZOOM-Videokonferenz abgehalten. Zugleich konnten so auch die Reaktionen der Fahrer während des Rennens eingeblendet werden – ein Anblick, den man so normalerweise nicht bekommt. Wie auch in der realen Welt wurde für die Distanz von 32 Runden (rund 150km) ein Boxenstopp vorgeschrieben, bei dem alle vier Reifen gewechselt werden mussten. Dabei kam, wie auch für dieses Jahr geplant, nur die weiche Mischung zum Einsatz. Zusätzlich standen den Fahrern ebenfalls 100 Sekunden OTS (Overtake System) zur Verfügung. Als Renndirektor fungierte Akira Iida, der zusätzlich zum automatisierten Strafsystem des Spiels nach dem Rennen ebenfalls noch Zeitstrafen vergeben konnte, glücklicherweise aber nicht einschreiten musste.
Das Qualifying wurde im Super-Pole-Format (Einzelzeitfahren) ausgetragen. Die Reihenfolge ergab sich aus dem letztjährigen Tabellenstand; bei den Rookies entschied das Alter. Als jüngster Neuzugang (20 Jahre) ging dabei Sascha Fenestraz als erster auf die Piste. Seine Zeit von 1:25.317 (P12) sollte aber nicht lange halten. So drückte Nakajima-Racing-Rookie Toshiki Oyu dem restlichen Feld seinen Stempel mit einer Fabelzeit von 1:23.939 auf. Der 21-jährige Honda-Zögling sollte letztlich auch der einzige Fahrer unter 1:24 bleiben. Dahinter platzierten sich Sho Tsuboi, Nirei Fukuzumi, Ryo Hirakawa sowie Tomoki Nojiri. Letzterer überraschte seine Fahrerkollegen damit, dass er sowohl im Rennoverall vorm Fernseher sitzte sowie als einziger mit dem herkömmlichen PlayStation-4-Controller unterwegs war. Sergio Sette Camara war auf einer guten Runde, verlor im finalen Sektor aber die Kontrolle über seinen Boliden – und musste folglich vom letzten Startplatz ins Rennen gehen. Ebenfalls unglücklich verlief das Qualifying für Titelverteidiger Nick Cassidy. Im Interview mit J SPORTS verriet der Neuseeländer, dass er null Erfahrung mit Gran Turismo Sport habe und im Vorfeld auch nicht zum trainieren kam. Zu allem Übel hatte das Bremspedal an seinem Simulator ein Problem, weshalb dieses nur zu 50% reagierte. Ein Defekt, der auch im Rennen standhielt und seine Performance stark einschränkte.
Trotz eines guten Starts konnte Toshiki Oyu seine Pole-Position nicht verteidigen. Ein Techtelmechtel in der ersten Kurve warf ihn zunächst bis auf die letzte Position zurück. Das nutzte unter anderem Kamui Kobayashi aus, der einen absoluten Raketenstart hinlegte und von Platz acht kommend direkt die vorderste Position eroberte. Lange konnte sich der KCMG-Pilot aber nicht am Platz der Sonne erhalten. Bereits nach einem Umlauf überholte ihn Sho Tsuboi. Kurz darauf flog Kobayashi auf den fünften Rang hinter Kenta Yamashita, Ryo Hirakawa sowie Tadasuke Makino zurück, der sich vom siebten Startplatz kommend nach vorne arbeitete. Nach bereits vier Runden öffnete sich das Boxenstoppfenster – und Kamui Kobayashi nutzte dies überraschend aus. Zu seinem Unglück erlitt er kurz darauf jedoch einen Netzwerkfehler und flog vom Server. Es war der erste von insgesamt zwei Ausfällen, nachdem um die Halbzeit herum auch Nick Cassidy, geplagt von seinen Bremsproblemen, ungewollt zur Aufgabe gezwungen wurde. Im Mittelfeld tobte unter anderem ein spannender Zweikampf zwischen Kazuki Nakajima und Sette Sergio Camara, der das Feld von hinten aufrollte. Ein kleiner Fehler sorgte aber dafür, dass er wie bereits im Qualifying ins Kiesbett flog. Am Ende wurde er auf dem 14. Platz abgewunken.
An der Spitze kontrollierte Sho Tsuboi zunächst seine Führung mit rund zwei Sekunden. Zum Ende des ersten Stints konnte Ryo Hirakawa allerdings die Lücke schließen, nachdem er den Silberrang von Kenta Yamashita eroberte. Dahinter zeigte Toshiki Oyu, der abseits seiner Profikarriere beim „Japan e-sports Championship“ in Kanagawa den Bronzerang einfuhr, seine Klasse, indem er nach sechs Runden bereits wieder auf die neunte Position nach vorne pirschte. Als erster Fahrer der Spitzengruppe entschloss sich Kenta Yamashita zum Boxenstopp hereinzukommen. Damit setzte der Kondo-Racing-Pilot auch als einer der wenigen Fahrer auf eine Zwei-Stopp-Strategie. Nachdem Sho Tsuboi die Angriffsversuche von Ryo Hirakawa abwehrte, kamen beide gleichzeitig zum Service in der 18. Runde herein. Das Betanken durch die virtuelle Impul-Crew verlief etwas schneller, wodurch Hirakawa an Tsuboi vorbeizog. Kurz darauf kam Kenta Yamashita zu seinem zweiten Boxenstopp herein, wodurch er zunächst auf den fünften Platz nach hinten gespült wurde. Abseits der Kameras robbte sich Hiroaki Ishiura auf die vierte Position, konnte diese aber gegen den frisch bereiften Yamashita nicht verteidigen. Somit stand nur noch Toshiki Oyu, der nach dem Pech am Start ein exzellentes Rennen fuhr, zwischen ihm und dem finalen Podiumsrang. Was folgte war der spektakulärste Zweikampf des Rennens. Der Rookie von Nakajima Racing musste tief in die Trickkiste greifen, um Yamashita hinter sich zu halten. Egal ob außen oder innen – „Yamaken“ startete mehrere Angriffsversuche, die Oyu zunächst allesamt abwehrte.
An der Spitze schien Sho Tsuboi, obgleich er ein bisschen schneller wirkte, ebenfalls kein Mittel gegen Ryo Hirakawa gefunden zu haben. Zu allem Übel beging er auch noch einen kleinen Fehler, indem er mit zwei Reifen die Strecke verließ. Das Spiel bewertete dies als Abkürzen, wodurch Tsuboi eine Strafe von 0,500 Sekunden erhielt. Die Entscheidung schien also gefallen. Doch das Drama sollte erst noch seinen Lauf nehmen. Völlig überraschend kam zu Beginn der letzten Runde nämlich Ryo Hirakawa für einen Splash-and-Dash-Boxenstopps nochmals herein. „Mein Spritverbrauch war wegen des Zweikampfs deutlich höher als gedacht. Zwar habe ich versucht genügend Benzin zu sparen, es reichte aber nicht aus“, erklärte der Impul-Pilot gegenüber dem japanischen Fernsehen nach dem Rennen. Dadurch übernahm Sho Tsuboi wieder die Führung und konnte gar sorgenfrei die Zeitstrafe absitzen, bei der das Auto an einer bestimmten Stelle auf der Strecke für die angegebene Zeit verlangsamt. Ryo Hirakawa rettete derweil den Silberrang über die Linie.
Doch damit nicht genug des Dramas. Dahinter tobte weiterhin der Zweikampf zwischen Toshiki Oyu sowie Kenta Yamashita. Letzterer fand zu Beginn der finalen Runde endlich einen Weg an seinem Rivalen vorbei, nur um kurz darauf einen Konter von Oyu einstecken zu müssen. Die Freude sollte aber nicht lange halten, denn auch Toshiki Oyu verkalkulierte sich beim Spritverbrauch – und rollte auf den finalen Kilometern trocken aus. Auch wenn er sich am Ende sichtlich enttäuscht gab, konnte der auf Platz zwölf ins Ziel rollende 21-Jährige über sein Pech doch noch lachen. „Mich freut es einfach, dass wir tolle Unterhaltung liefern konten“, kommentierte er im Anschluss.
Somit gewann Sho Tsuboi die JAF Certified Super Formula Virtual Series Special Round vor Ryo Hirakawa und Kenta Yamashita. Yuhi Sekiguchi sowie Hiroaki Ishiura komplettierten die Top-5, nachdem sich beide von der neunten respektive elften Startposition nach vorne arbeiteten. Nirei Fukuzumi wurde der beste Honda-Pilot auf der sechsten Position, gefolgt von Kazuki Nakajima und Controller-Warrior Tomoki Nojiri. Sascha Fenestraz beendete das Rennen als bester Rookie auf dem neunten Platz. Abgerundet wurde die Top-10 von Yuji Kunimoto.
„Im Moment herrscht sehr viel E-Sport-Begeisterung, da wir nicht mit unseren echten Autos fahren können. Ich freue mich aber schon wieder auf die Fans zu treffen, sobald wir wieder an die Strecke können“, beendete Tsuboi seine Siegeransprache. Das virtuelle Super-Formula-Rennen war eine hervorragende Ablenkung von der aktuellen Pandemie. Es bot dabei alles, was auch die echten Meisterschaftsläufe haben, mit spannenden Zweikämpfen sowie unterschiedliche Strategien. Hervorzuheben ist die Professionalität aller Fahrer, die allesamt stets sauber und fair fuhren. Die Begeisterung der Beteiligten war jedenfalls zu spüren. Fortsetzung folgt? Vielleicht! Obgleich die JRP noch keine Angaben machte, so könnte aufgrund des Erfolgs eine Wiederholung des Ganzen bis zum echten Saisonstart durchaus stattfinden.
Copyright Photos: Japan Race Promotion (JRP), Sony Interaction Entertainment (SIE)