Die Corona-Pandemie hat für viele Rennserien den Saisonstart weit nach hinten geschoben – bei der Formula E hat sie für eine lange Pause gesorgt. Und in der Zwischenzeit gab es eine Menge Bewegung im Fahrerfeld.
Dank des sich über zwei Jahre erstreckenden „Winter“-Kalenders konnten bis Ende Februar immerhin schon fünf Saisonläufe ausgetragen werden. Doch auch die FE musste sieben geplante Events mit acht Läufen (das London-Comeback war als Doubleheader angesetzt) absagen. Das Konzept mit den temporären Kursen innerhalb der Städte lässt sich in der aktuellen Lage schlechter umsetzen als ein Event auf einem abgezäunten, außerhalb gelegenen Rennstrecken-Gelände.
Doch die Organisatoren haben eine Lösung gefunden, und die heißt: Flughafen Tempelhof. Auf dem Gelände, auf dem in vier der bisher fünf FE-Saisons der Berlin ePrix ausgetragen worden ist (davon auch einmal ein Doubleheader), sollen in den kommenden anderthalb Wochen gleich sechs Läufe ausgetragen werden. Drei Doubleheader auf drei Streckenvarianten, die Rennen teilweise unter der Woche, alle zur Prime Time um 19 Uhr – ein gewagtes Konzept. Wie die Formel 1 wird auch die Formula E vertragliche Verpflichtungen haben, eine gewisse Zahl von Rennen auszutragen. Aber ob sechs Rennen auf mehr oder weniger der gleichen Strecke in so kurzer Folge die Zuschauer an den Bildschirmen begeistern und fesseln, das ist aus meiner Sicht doch ziemlich fraglich.
Die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender rechnen damit nicht. Jedenfalls sind sie nicht bereit, ihre TV-Sender sechsmal um 19 Uhr zu blocken, wenn der Zuschauer die heute-Nachrichten oder einen unglaublich fesselnden Regional-Krimi erwartet. Es handelt sich schließlich auch um die Zeit, in der die öffentlich-rechtlichen Werbung zeigen dürfen und da will man nicht die Zielgruppe (oder die Werbepartner) vergraulen. Das ist schade für den Motorsport, aber nachvollziehbar. Umso trauriger ist es aber, dass die Verantwortlichen auch auf den Spartensendern oder online keine Zeit zur Verfügung stellen wollen – die bisherige Abrufzahlen der Streams, die es zu Anfang dieser Saison bei den ÖR-Sendern gab, sei zu gering gewesen. Kein gutes Zeichen für die FE…
Andererseits bleibt ja mit Eurosport für Berlin eine Live-Übertragung im Free TV weiterhin gesichert und mit diesem Partner gab es auch bei den vergangenen Rennen immer eine Alternative zu den Streams. Bei Eurosport werden alle sechs Läufe live zu sehen sein, jeweils um 19 Uhr.
Der bisherige Saisonverlauf
Der erste Teil der Saison scheint eine Ewigkeit her, und wahrscheinlich kann sich kaum noch jemand an die vergangenen Läufe erinnern, daher eine kurze Auffrischung: wir hatten zwei Läufe in Saudi-Arabien in Diriyah, es folge die Südamerika-Reise mit Santiago und Mexico City und ging es nach Marrakesch in Nordafrika, was bereits ein Ersatz-Lauf war, allerdings nicht wegen Corona, sondern wegen der Proteste in Hong Kong.
Wie auch schon in früheren Jahren liest sich die Siegerliste bisher abwechslungsreich: sechs Läufe, sechs verschiedene Sieger. Schienen zeitweise die deutschen Hersteller mit ihrer inzwischen sehr starken Präsenz das Feld zu dominieren, so ist es der Tabelle nach nun aber doch das französisch-britisch-chinesische DS Techeetah-Team, das die Herstellerwertung anführt, wenn auch nur knapp vor BMW. In der Fahrerwertung steht mit Antonio Felix da Costa nach seinem Sieg in Marrakesch ein Techeetah-Pilot vorn, der zuvor für das BMW Andretti-Team fur. Sein Nachfolger Maximilian Günther konnte ebenfalls schon einmal siegen und liegt auf Rang 4 der Tabelle, dazwischen Mitch Evans für Jaguar und Alexander Sims im anderen BMW. Dann folgen mit Ex-Champion Lucas di Grassi (Audi) und Stoffel Vandoorne (Mercedes) zwei weitere – allerdings bisher sieglose – Piloten deutscher Werksteams. Ich hatte zu Saisonbeginn befürchtet, dass diese Sie Saison zu sehr dominieren würden, aber DS Techeetah und Jaguar mischen sich bisher gut dazwischen, was gerade auch für den britischen Hersteller nach jahrelangem Durchhalten im Mittelfeld eine erfreuliche Entwicklung ist.
Als die Pandemie Fahrt aufnahm, war die FE dann sehr früh dabei, die weiteren geplanten Saisonläufe abzusagen und hat nicht so ein Stückwerk betrieben wie manch andere Organisation. Ausgefallen sind Sanya, Rom, Paris, Seoul, New York und London. Auch der Berlin ePrix hätte eigentlich im Mai stattfinden sollen und wurde zunächst abgesagt.
Sechsmal Berlin – eine Chance für di Grassi?
Dass man nun noch eine Lösung gefunden hat, die Saison zu Ende fahren zu können, ist grundsätzlich zu begrüßen. Das Modell, was man gefunden hat, ist sicherlich kontrovers zu diskutieren, aber aus Infektionsschutzgründen auch eher positiv zu sehen. Man hat sich auch bemüht, es trotz gleicher Location abwechslungsreich zu gestalten, dazu gleich mehr. Aus Fan-Sicht finde ich es etwas schwierig, denn selbst ich als jemand, der bisher kaum ein FE-Rennen verpasst hat, tue mich schwer damit, mich für sechs Läufe in neun Tagen zu begeistern. Schon ein einzelner Doubleheader kann anstrengend genug sein, drei davon in so kurzer Spanne sind auch zu Zuschauen eine Herausforderung.
Auf drei Varianten der aus den letzten Jahren bekannten Strecke wird also gefahren, um etwas Würze in dieses Mammutprogramm zu bringen. Genauer gesagt wird der Berlin ePrix II, die Läufe am Samstag und Sonntag, auf der bewährten Streckenvariante ausgetragen. Bei den beiden vorangehenden Läufen am Mittwoch und Donnerstag wagt man etwas, was wahrscheinlich jeder Konsolen-Spieler schonmal gemacht hat, man fährt die Strecke rückwärts. Das dürfte einige Kurven sehr interessant machen, die sonst letzte, dann erste Kurve zieht zu und dürfte eine tricky Überholmöglichkeit darstellen. Die schnellen Knicke 3 und 4 dürften in der Reihenfolge auch herausfordernd sein. Und die FE-Variante der „Schneckenkurve“ leitet die Fahrer, sich öffnend, zurück auf Start-Ziel.
Für den Berlin ePrix III in der kommenden Woche (wiederum am Mittwoch am Donnerstag) wird dann ein wenig umgebaut: Man fährt in der traditionellen Fahrtrichtung, aber es werden im mittleren Streckenteil noch ein paar Kurven mehr eingebaut. Dadurch wird die Bahn langsamer, das Überholen vielleicht etwas schwieriger, da die Geraden vor zwei Haarnadeln modifiziert werden.
Kann man aus den vergangenen Berlin ePrix oder aus den bisherigen Läufen dieser Saison ableiten, wer bei diesem großen Saisonfinale besonders gute Karten hat? Wie so oft bei der FE: kaum. Denn allein schon das Quali-System, bei der die Top-Platzierten der Gruppen-Phase zuerst ihre Runden drehen müssen, sorgt immer wieder für genug Durcheinander in der Startaufstellung, um eine Dominanz zu verhindern. Mit beiden BMW ist sicherlich zu rechnen, aber ganz vorn liegen eben Evans und da Costa, die somit zunächst mal die Titelfavoriten sind. Techeetah hat mit Jean-Eric Vergne in den vergangenen zwei Jahren zwei dritte Plätze in Berlin geholt, doch Vergne ist es eben nicht, der diesmal um den Titel kämpft.
Ein Auge muss man auf jeden Fall auf Lucas di Grassi haben: er stand bei den vergangenen vier Ausgaben des Berlin ePrix immer auf dem Podium, siegte dabei im Vorjahr einmal. Beim allerersten Rennen auf dem Flughafen Tempelhof siegte er auf der Strecke, wurde aber wegen technischer Unregelmäßigkeiten disqualifiziert. Auch sein Ex-Teamkollege Daniel Abt hat hier vor zwei Jahren einen seiner zwei ePrix-Siege einfahren können, das Team scheint also ein Händchen für die Strecke zu haben. Wenn es gut läuft, könnte di Grassi sogar mit einem starken Run noch den Titel holen.
Bewegung im Fahrerfeld
Apropos Daniel Abt, er sorgte für die Aufreger-Geschichte der FE-Bubble während der Zwangspause. Wie andere Serien auch organisierte die Formula E im Frühjahr ersatzweise eine „Race at home“-Challenge, in der die Piloten der Serie gegeneinander und auch gegen Sim-Racer antraten. Der FE war diese Serie sehr wichtig, alle Fahrer sollten (oder mussten?) dabei sein, das Ganze sollte in Partnerschaft mit UNICEF auch einem guten Zweck dienen.
Daniel Abt nahm die Challenge nicht ganz so ernst und ließ sich bei einem Lauf „vertreten“. Er selbst stellte das hinterher als geplanten Gag dar, den man hinterher habe auflösen wollen. Ob dem wirklich so ist, wird wohl offen bleiben. Clever war es jedenfalls nicht, bei der Bedeutung, die die FE der Sim-Serie zumaß. Abt wurde erwischt, bekam seine Punkte abgezogen und musste zur Strafe Geld spenden – soweit okay. Doch dann kam es dicke: Audi setzte ihn vor die Tür. So ein Täuschungsmanöver passt nicht zu den Compliance-Richtlinien eines großen Unternehmens. Ich persönlich finde das zu hart, auch als Konzern hätte man hier eine andere, verhältnismäßigere Strafe finden können.
Abt ist selten an die Leistungen seines Teamkollegen di Grassi herangekommen, hat aber über die Jahre solide Resultate mit einigen Highlights abgeliefert. Er hat dann auch schnell einen neuen Arbeitgeber gefunden und wird in Berlin im NIO 333 als Teamkollege von Oliver Turvey antreten. Es ist wahrscheinlich das schwächste Auto im Feld (das Team ist bisher noch punktelos in dieser Saison), aber Abt dürfte mehr herausholen können als der durch ihn abgelöst Ma Quinghua, der – aus dem Tourenwagensport kommend – in der Formula E nie wirklich Fuß fassen konnte. Mit einem 11. Platz als Top-Resultat hat er Punkte in seinen 14 FE-Starts leider verpasst. Den Platz von Daniel Abt im Schaeffler Abt-Audi wird Rene Rast einnehmen, der 2016 schon einmal vertretungsweise am Berlin ePrix teilnahm, damals aber punktelos blieb.
Neben dieser Entwicklung gab es aber noch mehr Bewegung im Fahrerfeld, es hat sich in der Corona-Zwangspause fast so etwas wie eine kleine Silly Season entwickelt. Pascal Wehrlein, der in seinen bislang anderthalb Jahren in der Serie einige starke Rennen fuhr, aber oft nicht die Resultate ins Ziel bringen konnte, kündigte per Instagram an, dass er das Mahindra-Team mit sofortiger Wirkung verlässt, also den Rest der Saison auslässt. Gerüchteweise könnte er eine Chance auf ein Porsche-Cockpit haben, so vernahm man zumindest Anfang Juni. Ihn vertritt Alex Lynn, der schon anderthalb mäßig erfolgreiche Saisons für Virgin bzw. Jaguar bestritten hat
Brendon Hartley beendete auch die Zusammenarbeit mit seinem Team Dragon Racing, er konzentriert sich auf die WEC, deren erster Post-Corona-Lauf am Wochenende nach den Berlin-Rennen der FE statfindet. Er wird ersetzt durch Sergio Sette Camara, den Viertplatzierten der vergangenen Formel 2-Saison und aktuellen Red Bull-F1-Testfahrer. Auch James Calado hat – wie Hartley – WEC-Verpflichtungen, er setzt aber nur die letzten beiden Läufe aus. Seinen Jaguar wird dann Tom Blomqvist pilotieren. Der Brite ist meist in GT-Fahrzeugen anzutreffen, hat aber auch schon eine halbe FE-Saison für das Andretti-Team bestritten.
Ein prominenter Wechsel zur nächsten Saison wurde auch bereits bekannt gegeben: Sam Bird wird das Virgin-Team verlassen, für das er seit Beginn der Serie fuhr und einige Siege holte, und zwar in Richtung des aufstrebenden Jaguar-Werksteams. Virgin hatte nach Jahren als Citroen/DS-Werksteam diesen Status 2019 verloren und wird derzeit von Audi mit Motoren beliefert. Virgin Racing engagierte für die nächste Saison den Meister der japanischen Super Formula Nick Cassidy.
Neue Fahrer, eine recht enge Meisterschaft, zwei neue Streckenführungen, die drei ePrix könnten durchaus ein spannendes, interessantes Finale ergeben. Aber kann die FE für neun Tage am Stück begeistern und in der kurzen Zeit eine fesselnde Spannungskurve erzeugen und aufrechterhalten? Wir werden es sehen…
(Bilder: Formula E Media)