Trotz aller Unwägbarkeiten runden die 24 Stunden von Spa auch in diesem Jahr das europäische 24h-Trio ab. Doch im Vergleich zu den Gegenstücken in Le Mans und auf dem Nürburgring sind die Umstände nochmals schwieriger geworden. Die Lage in Belgien ist besorgniserregend, täglich mehren sich die schlechten Nachrichten für unsere Nachbarn. So könnte der Klassiker nahe der deutschen Grenze zum Vorboten für das vorzeitige Ende der Europa-Saison 2020 werden.
Kommentar
Nein, diese Vorschau soll keine epidemiologische Anklage werden. Die SRO Motorsports Group und der Circuit de Spa-Francorchamps haben alles in ihrer Macht Stehende getan, um eines der wichtigsten Rennen der Welt ordentlich vorzubereiten. Die Hygiene-Vorkehrungen der GT-World-Challenge-Ableger in Europa und Amerika haben bisher gut funktioniert, hatten sie doch weltweite Variablen miteinbezogen. Aber auch das beste Konzept hat nur einen gewissen Rahmen, in dem es funktionieren kann. Und dieser scheint zusehends an seine Grenzen zu kommen.
Belgien ist aufgrund seiner Lage anfällig. Die Wirtschaft ist sehr international aufgebaut, das Land dicht besiedelt und zugleich ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Selbst die gefühlte Abgeschiedenheit der Ost-Wallonie trügt: Die 24 Stunden finden wahrlich in einem Risikogebiet statt. Stéphane Ratel deutete in der Freitags-Pressekonferenz sogar an, dass die Austragung unter der Woche zumindest gefährdet gewesen ist.
Nun könnte man mit der bräsigen Nicht-Intelligenz eines Nur-eine-Grippe-Schreiers jegliche Realität von einem wegschieben. Oder auch den moralischen Zeigefinger mit selbstverliebter Ignoranz schwingen. Doch beides würde die sportlich-ökonomischen Opfer der 56 Teilnehmer verspotten, denn: Gerade jetzt kämpfen viele Teams um ihre Zukunft – die Planungen für die Saison 2021 liegen wie ein Schatten über dem Paddock. Viele sind mit mulmigen Gefühlen angereist. Geschlossene Restaurants und Bars vor Ort trüben die Stimmung. Unter anderen zeitlichen Umständen würde das Rennen so wahrscheinlich längst abgesagt worden sein, doch jetzt sind die Boxen belegt und die ersten Sitzungen absolviert. Allein schon aus Dankbarkeit für die enormen Anstrengungen heißt es nun, die 24 Stunden von Spa mit ihrer sehr langen Herbstnacht als Highlight zu genießen.
Die Geschichte
Auf der Weltbühne des Rennsports nehmen die 24 Stunden von Spa eher eine Nebenrolle ein. Dabei kann der Ardennen-Klassiker auf eine lange Geschichte zurückblicken. Schon im Jahr 1924 wurde auf den berüchtigten Landstraßen unweit Lüttichs das erste Mal zweimal rund um die Uhr gefahren. Inspiriert von Le Mans lud man zu Beginn potentere Straßenautos ein, die so ihre Praktikabilität beweisen sollten.
Zwischen 1935 und 1963 fielen dann diverse Ausgaben aus verschiedensten Gründen aus. So gab es zusätzlich zum Zweiten Weltkrieg beispielsweise eine sehr lange Pause zwischen den Jahren 1954 und 1963. Erst ab 1964 etablierten sich die 24 Stunden dann wieder als Höhepunkt des Tourenwagen-Rennjahres und konnten lange Zeit sogar als Lauf der European Touring Car Championship ausgetragen werden.
Im Jahr 2001 erfolgte dann der große Paradigmenwechsel: Mit der FIA GT Championship übernahm erstmals eine reinrassige GT-Meisterschaft die Schirmherrschaft und brachte in ihren diversen Nachfolgeformaten stets die spannendsten Grand-Touring-Boliden der Welt in die Ardennen. Seit 2016 gehören die 24 Stunden dank der Intercontinental GT Challenge nun zu einem globalen Rennkalender, und mit dem anhaltenden Boom der GT3 konnte sich der Underdog unter den 24h-Rennen zu einem Höhepunkt des Rennjahres hocharbeiten.
Die Basics
Diese Einstufungen, Regeln und Details, sollte man für das Wochenende kennen.
Das Feld
Das wichtigste Alleinstellungsmerkmal der 24 Stunden von Spa ist die Zusammensetzung des Feldes. Im Gegensatz zu allen anderen großen 24h-Rennen tritt in Spa nur ein Auto-Format an: die FIA GT3. Zwar sind Gaststarts von Cup-Rennern theoretisch möglich, doch in diesem Jahr gab es keine erfolgreiche Bewerbung. Trotz des einheitlichen Felds kommt der geneigte Motorsportfan aber auch am kommenden Wochenende nicht drumherum, sich vier Klassen zu merken: Pro, Pro-Am, Am und Silver.
In der Profi-Klasse treten in diesem Jahr 28 Fahrzeuge an. Man erkennt die Division an einem hellen Streifen unter der Nennnummer und an einer weißen Digital-Anzeige hinter der Windschutzscheibe. Der Pro-Am Cup setzt sich 2020 aus zwölf Nennungen zusammen, die, wie der Name schon sagt, aus einer Mischung von Profis und Amateuren bestehen. Die Einteilung erfolgt dabei über die FIA-Kategorisierung (aufsteigend: Bronze (klassischer Amateur), Silber, Gold und Platin (Profi-Fahrer mit Werkssport-Erfahrung)). Vertreter dieser Klasse haben einen schwarzen Streifen unter der Nummer und eine blaue Digital-Anzeige.
Verhältnismäßig klein ist in diesem Jahr der Am Cup, der ausschließlich für Amateur-Piloten reserviert ist. Seine vier Boliden kennzeichnen ein rotes Band und eine rot-orange Digital-Anzeige. Die vierte Klasse namens Silver Cup ist noch relativ neu und wurde für ambitionierte Jungfahrer auf dem Weg zum Profi-Status geschaffen. Zwölf Fahrzeuge sind dort gemeldet und tragen passenderweise einen silbernen Streifen unter der Nummer sowie eine gelbe Digital-Anzeige.
Die wichtigsten Regeln
Da das Rennen zum Endurance Cup der GT World Challenge Europe gehört, baut sein Regelwerk weitgehend auf dem des Europa-Championats auf. So gibt es eine maximale Stintlänge von 65 Minuten, die im Falle einer Neutralisierung am Ende des Stints um fünf Minuten erweitert wird. Ein Fahrer darf höchstens drei Stints am Stück absolvieren, danach ist eine einstündige Pause obligatorisch. Die maximale Fahrzeit eines Piloten über das gesamte Rennen beträgt 14 Stunden.
Boxenstopps laufen in diesem Jahr so ab: Bei der Betankung gibt es eine Zeitvorgabe und die Pirelli-Einheitsreifen dürfen erst nach diesem Vorgang gewechselt werden. Der Reifenwechsel wird heuer nicht getimt. Um eine Materialschlacht bei Bremskomponenten zu verhindern, muss jedes Team in der zweiten Hälfte des Rennens außerdem einen sogenannten Technical Pit Stop mit einer Länge von vier Minuten (pit-in to pit-out) absolvieren. Taktische Kniffe wie von Aston Martin in Le Mans sind somit ausgeschlossen.
Die Favoritensuche
Wie in den letzten Jahren wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Fahrzeug aus der Pro-Klasse die Siegerehren davontragen. Deswegen konzentriert sich die folgende Favoritensuche ausschließlich auf die dort genannten neun Hersteller.
AMG (zwei)
Mercedes‘ Luxus- und Performance-Marke AMG unterstützt etwas überraschend nur zwei Profi-Nennungen in diesem Jahr. Die eine gehört dem Black-Falcon-Nachfolgeteam Haupt Racing Team, die andere den Franzosen von AKKA ASP. Beide Mannschaften hatten einen soliden Start in das Event und sollten auch angesichts der bisherigen Leistungen in der GT World Challenge Europe zum engeren Favoritenkreis gezählt werden.
#4 Mercedes-AMG Team HRT AMG GT3 – Maro Engel – Luca Stolz – Vincent Abril
#88 Mercedes-AMG Team AKKA ASP AMG GT3 – Raffaele Marciello – Timur Boguslavskiy – Felipe Fraga
Audi Sport (fünf)
Mit einem gewohnt großen Werkssupport sind hingegen die Kollegen von Audi angereist. Insgesamt fünf Audi R8 LMS GT3 treten 2020 in der höchsten Kategorie an, vier davon tragen dabei die diesjährige Werkslackierung der Bayern. Für einen Dämpfer sorgte im Vorfeld jedoch die kurzfristige Entscheidung, die DTM-Piloten zurückzuziehen. Womöglich handelt es sich dabei um eine Covid-19-bedingte Vorsichtsmaßnahme. Zudem musste Star-Fahrer Mirko Bortolotti wegen einer normalen Grippe/Erkältung absagen. In der Breite schwächen diese Verluste fraglos die Siegchancen der vier Ringe. Die bisherigen Sitzungen zeigten aber, dass man trotzdem mit den R8 LMS in Spa rechnen sollte.
#25 Audi Sport Team Sainteloc Racing R8 LMS GT3 – Markus Winkelhock – Dorian Boccolacci – Christopher Haase
#30 Audi Sport Team WRT R8 LMS GT3 – Dennis Marschall – Ferdinand Habsburg – Matthieu Vaxivière
#31 Audi Sport Team WRT R8 LMS GT3 – Dries Vanthoor – Christopher Mies – Kelvin van der Linde
#32 Belgian Audi Club Team WRT R8 LMS GT3 – Edoardo Mortara – Charles Weerts – Frank Stippler
#66 Audi Sport Team Attempto Racing R8 LMS GT3 – Mattia Drudi – Patric Niederhauser – Frederic Vervisch
Bentley (drei)
Für die Briten begann das Jahr 2020 mit einem viel umjubelten Erfolg bei den 12 Stunden von Bathurst. Dank des Sieges auf dem Mount Panorama führt Bentley aktuell in der Intercontinental GT Challenge und kann sich angesichts der fraglichen Austragung der 9 Stunden von Kyalami (SRO versichert aktuell noch, dass das Rennen stattfindet) womöglich am Wochenende schon den Hersteller-Titel sichern. Dafür muss man allerdings den berüchtigten Spa-Fluch überwinden, der seit Jahren über der VW-Marke zu schweben scheint – und auch im Build-up bisher schon mehrmals zuschlug. M-Sport wird in der diesjährigen Ausgabe vom amerikanischen Team K-Pax Racing ersetzt. Dazu kommt ein Pro-Continental-GT3 der französischen Mannschaft CMR.
#3 K-Pax Racing Bentley Continental GT3 – Jordan Pepper – Jules Gounon – Maxime Soulet
#9 K-Pax Racing Bentley Continental GT3 – Rodrigo Baptista – Andy Souček – Álvaro Parente
#107 CMR Bentley Continental GT3 – Pierre Alexandre Jean – Nelson Panciatici – Seb Morris
BMW (zwei)
Das GT3-Programm von BMW hat momentan einen echten Lauf. Erst gewann der M6 GT3 nach vielen Versuchen die 24 Stunden auf dem Nürburgring, dann dominierte das Kundenteam Walkenhorst Motorsport die neu geschaffenen 8 Stunden von Indianapolis. Für das Wochenende kann sich BMW also berechtigte Hoffnungen auf den nächsten Erfolg in Spa machen – die Bayern trugen bei drei der letzten fünf Ausgaben den Sieg davon. Spannend: Auch in Belgien hat sich BMW für ein eher kleines Aufgebot entschieden.
#34 Walkenhorst Motorsport BMW M6 GT3 – Augusto Farfus – Nicky Catsburg – Philipp Eng
#35 Walkenhorst Motorsport BMW M6 GT3 – Martin Tomczyk – David Pittard – Nicholas Yelloly
Ferrari (drei)
Für den letzten Erfolg der Italiener muss man bis ins Jahr 2004 zurückgehen, als BMS Scuderia Italia mit einem 550-GTS Maranello triumphierte. Seitdem sind die Auftritte des sich aufbäumenden Pferds ein ziemliches Auf und Ab mit diversen Nackenschlägen gewesen. So könnte man fast meinen, dass je mehr es Ferrari darauf anlegt, desto schlechter die Ergebnisse werden. Für die diesjährige Ausgabe hat sich ein starkes Trio gefunden, das in der Qualifikation gut unterwegs war. Wenn die drei F488 GT3 sauber durch die sehr lange Nacht kommen, sind sie siegfähig.
#27 Hub Auto Ferrari 488 GT3 – Marcos Gomes – Tom Blomqvist – Kamui Kobayashi
#51 AF Corse Ferrari 488 GT3 – James Calado – Nicklas Nielsen – Alessandro Pier Guidi
#72 SMP Racing Ferrari 488 GT3 – Miguel Molina – Sergey Sirotkin – Davide Rigon
Honda (eine Nennung)
Nach einem enttäuschenden 28. Platz in der Qualifikation und dem damit verpassten Einzug in die Super Pole fällt es schwer, Honda als möglichen Siegkandidaten zu sehen. Dennoch hat der NSX GT3 gute Langstreckenqualitäten und konnte sich so im letzten Jahr auf einen starken sechsten Platz vorarbeiten. Mit etwas Glück im Verkehr sollte das auch heuer das Ziel sein – auch dank der sehr erfahrenen Besatzung.
#29 Team Honda Racing NSX GT3 – Dane Cameron – Renger van der Zande – Mario Farnbacher
Lamborghini (drei)
Für Lamborghini ist Spa „the one that got away“: Seit Jahren stellen die Italiener sehr gut besetzte Aufgebote, doch immer sollte irgendwas zwischen sie und Spitzenergebnisse kommen. Mit Emil Frey Racing und dem FFF Racing Team hat man in diesem Jahr zwei Eisen im Feuer und beide Teams könnten von möglichen Schauern profitieren – der Huracán GT3 Evo gilt bekanntermaßen als gute Wahl im Regen.
#14 Emil Frey Racing Lamborghini Huracán GT3 Evo – Norbert Siedler – Mikäel Grenier – Ricardo Feller
#63 Orange 1 FFF Racing Team Lamborghini Huracán GT3 Evo – Dennis Lind – Marco Mapelli – Andrea Caldarelli
#163 Emil Frey Racing Lamborghini Huracán GT3 Evo – Albert Costa – Giacomo Altoè – Franck Perera
McLaren (eine Nennung)
Der einzige Vertreter von McLaren lässt sich wohl am besten als Notlösung beschreiben. Zwar sind auf ihm zwei Werksfahrer genannt, doch in der Realität entspricht das Projekt eher einem „Pro-Am-Plus-Auto“. Dennoch zeigte man im Endurance Cup bislang gute Leistungen und konnte sogar diverse Werksteams der Konkurrenz hinter sich lassen. Wenn der McLaren 720S GT3 entgegen aller Klischees durchhält, ist auch in Spa eine kleinere Überraschung im Bereich des Möglichen.
#69 Optimum Motorsport McLaren 720S GT3 – Oliver Wilkinson – Joe Osborne – Rob Bell
Porsche (acht)
Titelverteidiger via GPX Racing, größtes Pro-Aufgebot und eine Heerschar von Weltklasse-Piloten – bei Porsche Motorsport lässt man nichts anbrennen. Schon allein wegen der puren Menge an Spitzen-Teams muss der Stuttgarter Sportwagenschmiede ohne Frage die Hauptfavoriten-Rolle zugeschrieben werden. Das untermauern auch die bisherigen Sitzungen und die vorherigen Rennergebnisse. Die Nennliste spricht dabei für sich:
#12 GPX Racing Porsche 911 GT3-R (991.II) – Matt Campbell – Patrick Pilet – Mathieu Jaminet
#21 KCMG Porsche 911 GT3-R (991.II) – Josh Burdon – Alexandre Imperatori – Edoardo Liberati
#22 Frikadelli Racing Team Porsche 911 GT3-R (991.II) – Jörg Bergmeister – Frédéric Makowiecki – Dennis Olsen
#40 GPX Racing Porsche 911 GT3-R (991.II) – Romain Dumas – Louis Delétraz – Thomas Preining
#47 KCMG Porsche 911 GT3-R (991.II) – Richard Lietz – Michael Christensen – Kévin Estre
#54 Dinamic Motorsport Porsche 911 GT3-R (991.II) – Sven Müller – Christian Engelhart – Matteo Cairoli
#98 ROWE Racing Porsche 911 GT3-R (991.II) – Laurens Vanthoor – Nick Tandy – Earl Bamber
#99 ROWE Racing Porsche 911 GT3-R (991.II) – Klaus Bachler – Dirk Werner – Julien Andlauer
Was jetzt noch wichtig ist
Das Rennen startet am Samstag um 15:30 Uhr und wird am Sonntag um 14:30 Uhr enden. Pläne, den Klassiker im Zuge der Zeitumstellung um eine Stunde zu verlängern, wurden auf Wunsch der Teams verworfen. Die Übertragung findet im deutschsprachigen Raum ausschließlich digital statt. Informationen dazu findet Ihr bei unseren TV/Stream Zeiten, die auch die Startzeiten und Streams der Rahmenserien umfassen.
Wie gewohnt werden wir das Rennen live begleiten und wir freuen uns auf ereignisreiche 24 Stunden. Folgende Links möchten wir Euch abschließend noch mit auf den Weg geben:
Wettervorhersage des belgischen Wetterdienstes
Bilderquelle/Copyright: Audi; Mercedes-Benz/Daimler AG; Porsche; SRO Motorsports Group
2 Kommentare
[…] Vorschau mit Bildern aller Pro-Nennungen […]
[…] Vorschau mit Bildern aller Pro-Nennungen […]
Comments are closed.