Die TCR Europe 2020 war an Spannung kaum zu überbieten. Bis zum letzten Rennen ging es im Meisterschaftskampf heiß her. Letztlich schnappte sich Mehdi Bennani seinen ersten Titel, während der Traum vom Gesamtsieg für Mike Halder platzte.
Wie viele andere Meisterschaften musste auch die TCR Europe im Jahr 2020 aufgrund der Coronavirus-Pandemie ihren Kalender anpassen und strikte Regeln zur Eindämmung des gefährlichen Virus aufstellen. Dennoch gab es in einer äußerst spannenden Saison insgesamt zwölf Läufe auf sechs Strecken in ganz Europa. Der TCR-Sport ist bekannt dafür, mit engen und spannenden Zweikämpfen – meist inklusive Lackaustausch – zu überzeugen. Trotz der schwierigen Zeit war es auch in der Saison 2020 nicht anders.
Doch bevor es eigentlich sportlich zur Sache ging, gab es aus Deutschland den ersten Kracher: Mike und Michelle Halder kehrten der TCR Germany wegen zahlreichen Meinungsverschiedenheiten den Rücken und stiegen folglich in die TCR Europe ein, die damit um zwei Hochkaräter reicher war. Sowohl Michelle als auch Mike Halder sollten im Verlauf der TCR-Saison mächtig für Furore sorgen, doch alles der Reihe nach.
Im exklusiven Interview mit ‘Racingblog.de’ spricht Michelle Halder über die Entscheidung, in die TCR Europe einzusteigen: “Wir sind sehr herzlich in der TCR Europe willkommen geheißen worden, was uns persönlich auch sehr am Herzen gelegen hat. Das war sehr schön, weil das war ja eine schnelle Aktion, dass wir in die TCR Europe umgeschwenkt sind. Das war wirklich ganz toll und das ganze Fahrerlager ist freundlich. Auch auf der Strecke: Es macht so viel Spaß, dort zu fahren.”
Auch der Wettbewerb ist für sie ein großer Pluspunkt: “Es gibt hier so viele Autos am Start, dass man keine Sekunde erholen kann. Man muss stetig sein Bestes geben, denn Fehler werden zu keinem Zeitpunkt verziehen. Das ist, was wunderschön ist, insbesondere, wenn man als Geschwisterpaar Erfolge feiert und schnell unterwegs ist.”
Der Saisonstart in Frankreich
Das erste Rennen der Saison 2020 fand im französischen Le Castellet auf dem Circuit Paul Ricard statt. Sieger des ersten Rennens war Daniel Lloyd, der vor Mehdi Bennani ins Ziel kam. John Filippi komplettierte auf Platz drei das Podium vor Teddy Clairet und Nestor Girolami. Mike Halder sicherte sich in seinem ersten Rennen Platz zehn und damit auch die Pole-Position für den zweiten Lauf, während Michelle Halder auf Rang zwölf ins Ziel kam.
Im zweiten Lauf zeigte Mike Halder gleich einmal, was er drauf hat. Der Rennfahrer aus Meßkirch legte einen sauberen Start-Ziel-Sieg hin und feierte gleich am Auftaktwochenende seinen ersten Sieg. Seine Schwester kämpfte am Steuer ihres Honda Civics erneut im Mittelfeld und landete auf einem soliden 13. Platz.
Auf die Frage, wie hoch das Level in der TCR Europe eigentlich sei, antwortet Michelle Halder: “In der TCR Germany gab es immer ein sehr starkes Feld, gerade in den vergangenen Jahren, wo so viele Autos am Start waren. Das hat in letzter Zeit immer etwas nachgelassen. In der TCR Europe gehen so viele Fahrer an den Start und das ist, was so toll ist. Da muss man sich noch einmal ein Stückchen mehr anstrengen als in der TCR Germany. Es ist natürlich ein ganz anderes Level, wenn da 25 Autos am Start stehen statt nur zwölf oder so. Da ist dann natürlich auch klar, dass es in der TCR Europe viel schwieriger ist, vorne mitzufahren.”
Michelle Halder schreibt in Zolder Geschichte
Der nächste Stopp der TCR Europe war der Circuit Zolder in den Wäldern von Limburg, Belgien. Lokalmatador Nicolas Baert gewann in seinem Audi RS 3 LMS den ersten Lauf vor Mike Halder und Mat’o Homola, während Michelle Halder auf Platz sieben ihr erstes Top-10-Ergebnis der Saison einfuhr. Damit startete sie von Platz vier aus in den zweiten Lauf.
Dieses zweite Rennen in Zolder sollte in die Geschichtsbücher eingehen: Michelle Halder kämpfte sich am Steuer ihres Hondas an die Spitze und überquerte die Ziellinie nach 14 Runden auf Platz eins. Sie ist damit die erste Frau, die ein Rennen in der TCR Europe gewonnen hat. Lloyd wurde vor Daniel Nagy Zweiter, Mike Halder wurde Vierter.
Doch ist dieser geschichtsträchtige Sieg für Michelle Halder überhaupt wichtig? Oder macht die 21-Jährige keinen Unterschied zwischen Rennfahrern, sobald das Visier heruntergeklappt ist? Die Antwort: “Es war für mich wichtig, gleich am zweiten Rennwochenende ein Rennen zu gewinnen. Da war es mir auch völlig egal, dass ich eine Frau bin. Für mich war nur wichtig, ganz oben auf dem Podium zu stehen. Als ich das direkt geschafft habe, ist da ein kleiner Traum für mich in Erfüllung gegangen. Wir waren vorher noch nie in Zolder und hatten auch nur diese zwei Freien Trainings.”
Michelle Halder hat sich gleich in den klassischen Kurs unweit der deutschen Grenze verliebt: “Die Strecke hat mir unglaublich viel Spaß gemacht und das hat sich im Ergebnis nachher auch widergespiegelt.” Erst nach dem Zieleinlauf wurde der Deutschen klar, was sie in Belgien geschafft hat: “Da kamen dann sofort Interviewanfragen, da ich die erste Frau auf dem Podium war. Erst da habe ich realisiert, dass ich zusätzlich zum Sieg auch noch Geschichte geschrieben habe. Für mich war es schöner, gleich beim zweiten Rennwochenende ganz oben auf dem Podium zu stehen und das Rennen zu gewinnen.”
Der Nuller in Monza und Comeback in Barcelona
Den TCR-Tross zog es nach dem spannenden Rennwochenende in Zolder in den Süden. Im italienischen Monza standen die Rennen fünf und sechs auf dem Programm. Für Mike Halder war es ein Rennwochenende zum Vergessen. Der 24-Jährige, der in den ersten vier Läufen ein Ausrufezeichen im Titelkampf gesetzt hatte, landete in beiden Rennen nicht in den Punkten. Das erste Rennen gewann Julien Briche vor Lloyd und Baert. Der zweite Laufsieg ging an Pepe Oriola aus Spanien. Briche wurde vor Homola Zweiter. Michelle Halder verbuchte einen achten und einen elften Platz.
Unbeeindruckt vom schwierigen Rennwochenende in Italien drehte Mike Halder im spanischen Barcelona dann wieder so richtig auf. Im ersten Lauf gewann er im Honda vor Oriola und Sami Taoufik. Für seine Schwester sprang hingegen nur Platz 21 heraus. Im zweiten Lauf sammelte Mike Halder auf Platz vier weitere wichtige Punkte in der Meisterschaft, während Andreas Bäckman, Taoufik und Bennani auf dem Podium feierten. Michelle Halder schaffte es unter der spanischen Sonne nach einem starken Comeback auf Platz sieben und damit in die Punkteränge.
Doppelsieg für Azcona in Spa-Francorchamps
Der TCR-Europe-Champion der Saison 2018, Mikel Azcona, spulte im Jahr 2020 nur ein Teilzeit-Programm ab. In Spa-Francorchamps zeigte er seiner Konkurrenz deutlich, warum der Spanier zu den besten Tourenwagen-Fahrern in Europa gehört. Er zeigte all sein Können und gewann gleich beide Rennen auf der Ardennen-Achterbahn. Im ersten Lauf komplettierten Mike Halder und Tom Coronel das Podium, während Coronel und Filippi die Top 3 des zweiten Laufes abrundeten. Mike Halder kam hingegen auf Platz zehn ins Ziel.
Damit reiste der 24-Jährige als Tabellenführer zum spanischen Circuito del Jarama, wo das Saisonfinale 2020 ausgetragen wurde. Seine engsten Verfolger waren Bennani, Filippi und Baert, die noch alle Hoffnungen auf den Gesamtsieg hatten. Halder brauchte also ein perfektes Rennwochenende, um sich den TCR-Europe-Titel zu holen.
Dramatik in Spanien
“Insgesamt war es wegen der Strecke für uns schwierig”, so Mike Halder im exklusiven Interview mit ‘Racingblog.de’. “Ich habe mir den Verlauf der Strecke angeschaut und ich hätte wetten können, dass uns der Kurs gut liegt, weil er einfach sehr technisch ist. Wir haben dann aber früh in den Trainings erlebt, dass das nicht der Fall ist. Im Q1 bin ich eine sehr gute Runde gefahren. Von meiner Seite aus war einfach nicht mehr drin.”
Bemerkenswert: Kein einziger Honda schaffte es in Madrid ins Q2, weshalb Mike Halder glaubt, dass die Strecke einfach nicht zum Konzept des Japaners passt. “Unser Auto hat in niedrigen Drehzahlen weniger Drehmoment als die anderen Autos”, erklärt er. “Da hatte ich auch noch 40 Kilogramm Erfolgsbalast im Fahrzeug aufgrund der Ergebnisse in Spa. Da kam dann alles zusammen.”
Wohin diese Einschätzung führte, sollte klar sein: Mike Halder schaffte es nicht, den letzten zwei Saisonrennen seinen Stempel aufzudrücken. Da er in beiden Läufen ausfiel, landete er letztlich nur auf Platz vier der Gesamtwertung. Der Champion des Jahres 2020 heißt Bennani, der damit erstmals die TCR Europe gewonnen hat. Auf den Plätzen zwei und drei folgten Filippi und Baert. Die Rennsieger hießen Azcona und Filippi.
Mike Halder hatte viel Pech
Doch was lief bei Mike Halder eigentlich schief? Er sagt: “Da es eine langsame Strecke ist, in der wir oft im zweiten Gang unterwegs sind und es viel bergauf und -ab geht, haben wir das Gewicht des Autos natürlich umso mehr gespürt. Wir hatten von hinten eine schlechte Ausgangssituation, während die anderen Jungs von vorne starten durften.”
“Beide Rennen liefen dann auch nicht wirklich gut”, so Halder weiter. “Die erste Runde war sehr gut, da konnte ich relativ schnell und weit nach vorne fahren. Ich habe dann aber einen schleichenden Plattfuß gehabt. Ich denke, dass ich mir Carbonteile vom Crash zwischen Jessica Bäckman und Pepe Oriola eingefahren habe. Ich habe dann beim Anbremsen auf Kurve 1 das Auto verloren und habe da noch ein anderes Fahrzeug erwischt. Ich bin dann im Kies stecken geblieben, das war alles andere als super mit dem Nuller. Dann musste ich zusätzlich im Grid noch fünf Plätze nach hinten, weil ich das andere Auto erwischt hatte.”
Auch im zweiten Lauf war das Glück nicht auf seiner Seite: “Ich musste von Platz 19 starten, bin aber in der ersten Runde bis auf ca. Platz zehn, meine ich, vorgefahren. Ein Markenkollege ist mir dann in die Seite reingefahren, das hat man im Livestream gar nicht gesehen. Da wurde die Spurstange verbogen. Dann ging es den Berg hoch, im schnellen S und da ist mir dann die Spurstange gebrochen. Ich konnte nicht mehr lenken und bin dann in die Leitplanke eingeschlagen. Somit war für mich das zweite Rennen dann auch vorbei. Das ist sehr ärgerlich, weil es ein Gaststarter und auch noch ein Markenkollege war.”
Dennoch eine “erfolgreiche” Saison
Mit Platz vier ist Mike Halder letztlich dennoch sehr zufrieden, denn immerhin war der Deutsche die ganze Saison über immer in der Spitzengruppe mit von der Partie: “Wenn mir jemand am Anfang gesagt hätte, das ich in den Top 5 lande, hätte ich das sofort unterschrieben. Wir hatten eine wirklich gute Saison – bis auf Monza, da hatten wir auch zwei Nuller. Sonst waren wir sehr oft in den Top 5 und immer in den Top 10. Bis auf Jarama und Monza standen wir auf jeder Strecke auf dem Podium.”
“Ich hätte nie gedacht, dass es gleich auf Anhieb so gut funktioniert”, gibt Halder zu. “Letztlich hat es nicht geklappt, weil das Glück nicht auf unserer Seite war. Trotzdem sind wir sehr zufrieden mit der Saison.” Seine Schwester Michelle Halder beendete die Meisterschaft auf einem soliden 15. Platz von 32 Startern.
Wie geht es 2021 weiter?
Auf die Frage, ob sich die TCR Europe wie ein neues Zuhause für die Familie Halder angefühlt habe, antwortet Mike Halder: “Ja, auf jeden Fall. Wir machen ja alles selber, wir haben ein eigenes Team. Ich habe sehr viel um die Ohren gehabt, weil ich die ganze Organisation auch noch machen musste – inklusive der ganzen Coronatests und Formularen, die wir ausfüllen mussten. Da ist man in der TCR Europe sehr gut aufgehoben, willkommen geheißen und aufgenommen worden. Es ist wie eine große Familie und ich bin froh, dass wir diesen Schritt gemacht haben.”
Wohin die Reise im Jahr 2021 gehen wird, steht bei Mike und Michelle Halder noch nicht fest. Mike Halder möchte auch kommende Saison wieder mit Honda um den Titel fahren. Jedoch träumt er auch vom Tourenwagen-Weltcup (WTCR), der Speerspitze im TCR-Motorsport. “Da müssen wir schauen, welche Türen sich jetzt öffnen”, sagt er. “Wir haben gezeigt, wozu wir in der Lage sind. Wir haben keinen Ingenieur, nichts. Das kommt alles von uns. Ich denke, dass wir eine gute Visitenkarte abgegeben haben. Der Traum und das Ziel sind es natürlich, kommende Saison im WTCR zu fahren. Es wäre aber auch schön, in der TCR Europe zu starten und angreifen zu können.”
Die TCR Europe hat bereits ihren provisorischen Kalender für die Saison 2021 bekannt gegeben. Den Start macht Monza in Italien am 16. bis 18. April. Am 7. bis 9. Mai soll das zweite Rennwochenende steigen, eine Strecke aber wurde noch nicht ausgewählt. Am 28. bis 30. Mai geht es dann ins französische Le Castellet, gefolgt von den Läufen in Zandvoort vom 18. bis 20. Juni. Auch am 17. bis 19. September steht noch kein Kurs fest. Das Finale findet am 8. bis. 10. Oktober im spanischen Barcelona statt.