Die neue Formula E-Saison hat noch nicht einmal richtig begonnen, aber die verlängerte Offseason hat schon viel Diskussionsbedarf gebracht. Doch fangen wir mit dem positiven an: Erstmalig wird die Serie als offizielle FIA Weltmeisterschaft ausgetragen – die Auftaktrennen finden am Freitag und Samstag (!) unter Flutlicht in Saudi-Arabien statt.
Nach einem schwierigen Start ging es die letzten Jahre bergauf für die noch junge Rennserie. Das Gen2-Auto funktioniert gut, die Rennen waren spannend und abwechslungsreich, die Meisterschaften durchaus auch und die namhaften Hersteller strömten nur so herbei. Audi und BMW haben ihr Engagement nach und nach hochgeschraubt, Jaguar ist früh eingestiegen und dann kamen mit Porsche und Mercedes noch zwei echte Schwergewichte an Bord. Willkommene „grüne“ PR für den schmalen Taler, verglichen mit der Entwicklung hochkomplexer Le Mans-Hybridprototypen für hunderte von Millionen Euro, das schien die Marschrichtung zu sein.
Doch dann in diesem Winter die Ankündigen: Erst vermeldete Audi, man werde nach der Saison 2020-21 der Formula E den Rücken kehren, wenige Tage später gab BMW ebenfalls den Ausstieg Ende 2021 bekannt. Man habe die Motorsport-Programme überprüft und sei zu dem Schluss gekommen, die Entwicklungsmöglichkeiten der FE bis zum Ende ausgenutzt zu haben (so BMW) bzw. die klare Ausrichtung der FE zu kennen, aber selbst andere Ziele zu verfolgen (so Audi). So wird man bei Audi dann doch lieber wieder auf die Entwicklung von Le Mans-Prototypen setzen (was mich andererseits sehr erfreut!), auch wenn das dort auch in einer anderen Form passieren wird als im gigantischen Wettrüsten der 10er-Jahre.
Für die FE ist das aber kein gutes Zeichen. Es schien so gut zu laufen und man hat versucht, das nicht kaputt zu machen und auf Stabilität mit kleinen Weiterentwicklungen zu setzen, aber für manche Werke ist das dann schon wieder zu wenig, sie suchen letztlich doch ein offeneres Experimentierfeld, um ihre Heerscharen hoch ausgebildeter Ingenieure zu beschäftigen. Bei der FE aber hat man immer wieder z.B. die Öffnung der Batterietechnologie aufgeschoben, um gerade in diesem wichtigsten Bereich der Elektro-Antriebstechnik ein kostenintensives Wettrüsten zu verhindern. Das ist auch nachvollziehbar – aber so schwierig ist eben die Gratwanderung, die FIA und Serienmanagement hier zu gehen haben.
Noch haben sich nicht viele Hersteller für das Gen3-Reglement fest eingeschrieben, das ab der übernächsten Saison greifen soll. Da das auch Kosten mit sich bringt, hat man im Lichte der Pandemie für die jetzt beginnende und die nächste Saison die Entwicklung eingefroren, es darf entweder jetzt ein neues Auto homologiert werden, oder nach dem Rome ePrix im April (der eigentlich der vierte hätte sein sollen, dazu gleich mehr). Mercedes hat sein Engagement in der FE zunächst bekräftigt, aber auch darauf hingewiesen, dass die Serie lernen müssen, auch was das finanzielle System, also die Verteilung von Geldern an die Teams angehe. Auch eine Kostenobergrenze ist ein Thema, denn selbst in der vermeintlich billigen Formula E sind die Kosten in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Hinter den Kulissen wird viel gesprochen werden in den nächsten Wochen, denn am 31. März endet bereits die Einschreibe-Frist für die Gen3-Phase.
Kalender-Häppchen für die Saison 2021
Doch nun zur aktuellen Saison, wie eingangs gesagt, der ersten als offizielle Weltmeisterschaft. Die ist natürlich wieder stark beeinflusst von der noch nicht durchgestandenen Corona-Pandemie. Die FE hat sich nach der Absage der ursprünglich geplanten ersten beiden Events, die schon im November und Dezember 2020 hätten stattfinden sollen, entschieden, den Kalender stückchenweise zu fixieren und zu veröffentlichen. So sind nun bisher sechs Events mit insgesamt acht Rennen angekündigt, zwei Doubleheader also.
26./27. Februar: Diriyah ePrix (Saudia-Arabien)
Die Saison startet mit einem Doubleheader im Wüstenstaat unter Flutlicht. Die Strecke vor den Toren der Hauptstadt Riad musste nach erfolgten Stra0ßenbaumaßnahmen leicht angepasst werden, bleibt aber in ihrem grundsätzlichen Layout gleich. Für die Zukunft werden auch andere Standorte im Lande geprüft.
10. April: Rome ePrix (Italien)
Das Event fiel letztes Jahr wegen der in Italien wütenden ersten Corona-Welle aus und soll nun auf einer modifizierten Strecke wieder aufgegriffen werden. Ein paar sehr hakelige Bereiche werden ausgelassen, die neue Streckenführung dürfte etwas großzügiger und schneller sein.
24. April: Valencia ePrix (Spanien)
Auf dem Circuito Ricardo Tormo vor den Toren der Stadt testete die FE in den letzten Offseasons, erstmalig soll hier nun auf einem herkömmlichen Rundkurs auch ein Meisterschaftslauf stattfinden; man will die Kurzanbindung fahren und das Infield auslassen, aber ob die Strecke zur FE passt, wird sich zeigen müssen.
8. Mai: Monaco ePrix (Monaco)
Nach der Absage im Vorjahr sollen in diesem Jahr die Formula E und der Historic Grand Prix im Vorfeld der FE statfinden – diese beiden wechselten sich in den letzten Jahren stets ab. Dabei möchte de FE auch erstmalig auf der kompletten Grand Prix-Strecke fahren. Mit den Gen2-Autos ist das auch durchaus angemessen.
22. Mai: Marrakesh ePrix (Marokko)
Die semipermanente Strecke am Stadtrand Marokkos ist seit einigen Jahren Austragungsort und funktioniert auch gut für die FE-Autos mit ihrer Mischung aus Stadtkurs-Passagen und flüssigerem Rundkurs-Part.
5./6. Juni: Santiago ePrix (Chile)
Zwischenzeitlich als Saisonstart gedacht, musste auch dieses Event im Dezember abgesagt werden, weil aufgrund der Infektionslage in Großbritannien die Reiseeinschränkungen so gravierend waren. Hier soll nun im Juni ein Doubleheader im Parque O’Higgins ausgetragen werden, wo die Serie auch in den letzten beiden Jahren schon gute Rennen gezeigt hat.
Ich spare mir an dieser Stelle Spekulationen darüber, welche Strecken danach zum Zuge kommen könnten. Die Menschen, die in der aktuellen Lage eine internationale Rennserie mit all der dahinter steckenden Logistik planen und organisieren sollen, sind nicht zu beneiden. Die FE ist von der Pandemie in dieser Hinsicht schlimmer getroffen als andere Rennserien, da Teil ihres Markenkerns nunmal die Stadtrennen sind – Stadtrennen unter Ausschluss der Öffentlichkeit wirken leider besonders unsinnig. Aber komplett auf permanente Kurse zu wechseln, würde ich auch für einen Fehler halten. Das Event in Valencia wird zeigen, ob das eine Option ist, die verstärkt betrachtet werden könnte.
Altbekannte Teams, neue Fahrer
Es hat einige Fahrerwechsel gegeben, teils ja bereits im Laufe der zerhackten letzten Saison, so hat etwa Pascal Wehrlein vor dem Sechserpack der Berlin-Läufe seinen Wechsel zu Porsche angekündigt, woraufhin Alex Lynn den Rest der Saison in seinem Mahindra bestreiten durfte (und dabei mehr Punkte holte als Wehrlein vorher). Bei Porsche fährt nun Wehrlein zusammen mit Andre Lotterer, bei Mahindra hält man an Alexander Lynn fest; neu hinzu kommt Alexander Sims, der im Vorjahr für BMW-Andretti einen Sieg einfahren konnte, aber sonst hinter Teamkollege Maximilian Günther zurückblieb.
Bei BMW i Andretti sitzt Günther fest im Cockpit, neu dazu kommt Jake Dennis, der zuletzt in der DTM (Aston Martin) und in Sportwagen-Seiren (insbesondere für Audi) antrat. Stabilität herrscht beim deutschen Konkurrenz-Hersteller Mercedes EQ, hier hält man an der Kombination aus Stoffel Vandoorne und Nyck de Vries fest, die im Vorjahr den dritten Meisterschaftsrang und im letzten Lauf einen vielversprechenden Doppelsieg einfuhr (Vandoorne vor de Vries).
Die Meisterschaft holte letzten Jahr – überraschen deutlich – Antonio Felix da Costa im DS Techeetah, nachdem er zur Saisonmitte drei Siege hintereinander holte. DS Techeetah wurde auch Team-Champion. Dort bleibt alles beim Alten, da Costa und Jean-Eric Vergne treten weiterhin für das französisch-britisch-chinesische Team an. Nissan e.dams, Vizechampion-Team des Vorjahres, hält ebenfalls an seiner Kombination Sebastien Buemi / Oliver Rowland fest.
Beim vorigen DS-Werksteam, nun Envision Virgin Racing, ist das „Urgestein“ Sam Bird, der seit der ersten FE-Saison für Virgin am Start war, gegangen. Sein Cockpit übernimmt der Neuseeländer Nick Cassidy, der die letzten Jahre sehr erfolgreich in Super GT und Super Formula in Japan unterwegs war. Robin Frijns bleibt. Sam Bird sucht nun im Werksteam Jaguar Racing sein Glück an der Seite vom starken Mitch Evans, vielleicht gibt Birds Erfahrung dem Team endlich den Kick, um aus dem Mittelfeld in die Spitzengruppe vorzustoßen.
Bei Audi Sport Abt Schaeffler hat sich hat man sich Daniel Abt entledigt nach dessen Faux-Pas in der virtuellen FE-Meisterschaft im Vorjahr; an seiner Stelle bringt man nun den mehrfachen DTM-Champion Rene Rast unter, der auch im letzten Sommer schon den Berlin ePrix-Sechserpack bestritt. Lucas di Grassi bleibt dem Team treu; 2019-20 war übrigens seine erste sieglose Saison in der Formula E, in der er von Beginn an dabei ist. Aber das kann sich in 2021 auch wieder ändern.
Bei Venturi Racing haben die Eigentümer gewechselt, da unter monegassischer Flagge antretende Team gehört nun einer Investorengruppe, die vom Schwager des Seriengründers Alejandro Agag geführt wird. Edoardo Mortara und der Mercedes-Antriebsstrang bleiben, Veteran Felipe Massa wird durch Norman Nato ersetzt, der bereits einige Jahre Reservist für das Team war. Außerdem ist Jerome d’Ambrosio hier als stellvertretender Teamchef neu am Start, nachdem er seinen Rücktritt nach einer enttäuschenden Saison bei Mahindra verkündet hat; der Belgier war ebenfalls von Beginn an in der FE am Start und konnte drei Rennen gewinnen und belegte in den ersten beiden Jahren die Ränge 4 und 5 in der jungen Meisterschaft.
Bleiben noch die beiden abgeschlagenen Schlusslichter der Vorsaison. Bei Dragon-Penske hält man an den Piloten Nico Müller und Sergio Sette Camara fest, nachdem letzterer im Vorjahr für Berlin neu hinzukam, als Brendon Hartley sich entschied, den Fokus auf die Sportwagen-Prototypen zu legen. Dieses Team, das über die Jahre leider eine immer schwächere Erfolgsbilanz vorzuweisen hat, hat sich aber als erstes für die Gen3 ab 2023 eingeschrieben. Ebenfalls immer weiter abgestiegen ist NIO 333 – hier bleibt Oliver Turvey, neu dazu kommt mit Tom Blomqvist ein weiterer früherer DTM-Pilot.
Ausblick auf den Auftakt
Für den Titelkampf dürften wieder einige Teams und Fahrer in Frage kommen, so kennen wir es aus der Formula E. Wieder als Favorit muss aber DS Techeetah gelten, nach drei Fahrer- und zwei Team-Titeln in Folge. Mark Preston führt das Team stabil weiter, mit Vergne und da Costa muss man also wieder zu rechnen. Aber es ist eben oft knapp in der Formula E, gerade auch durch die Quali-Regeln, in denen stets die in der Meisterschaft vorn liegenden Teams auf dreckiger Strecke als erste ihre schnellen Runden drehen müssen.
Nissan, Audi, BMW und Mercedes werden wieder starke Verfolger sein und bilden mit Techeetah ein breites Spitzenfeld. Bei Porsche und Jaguar ist zu hoffen, dass sie in diese Gruppe vorstoßen können, Virgin kann sich als Audi-Kundenteam hoffentlich auch dort oben halten. Mahindra und Dragon sind die Absteiger-Teams der Gen2-Ära, bei denen man hoffen muss, dass sie wieder Anschluss ans Mittelfeld finden, Venturi und NIO schwächeln schon länger – vielleicht bringen ja die Management-Wechsel bei Venturi einen Fortschritt. Zu berücksichtigen ist, das einige Teams erst zum dritten Event mit neu homologiertem Antriebsstrang antreten – das betrifft DS Techeetah, Nissan e.dams und Dragon-Penske. Aber zumindest bei den beiden ersten war da Vorjahresauto ja durchaus erfolgreich.
Die Testfahrten fanden auf der Cicuito Ricardo Tormo bei Valencia statt – auf die dort gefahrenen Zeiten würde ich für eine Einschätzung der Team-Stärke nicht viel geben. Aber der Vollständigkeit halber: die schnellsten Zeiten wurden allesamt in der letzten der fünf Test-Sessions gefahren und ganz oben steht Maxi Günther für BMW i Andretti, gefolgt von den beiden Dragon-Penskes und Titelverteidiger da Costa im Techeetah. Am Wochenende wissen wir mehr, vielleicht auch, ob diese schnellen Runden der Dragons nur ein Strohfeuer waren oder ob das Team tatsächlich einen großen Schritt gemacht hat.
Die beiden Rennen in Ad Diriyah werden als Nachtrennen ausgetragen: Start ist jeweils um 20 Uhr Ortszeit, das bedeutet 18 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Achtung: die beiden Läufe finden am Freitag und Samstag statt, der Sonntag ist frei! Neu ist auch der übertragende Sender in Deutschland: Sat1 hat die Rechte erworben und ist am Samstag ab 17 Uhr live dabei. Der Freitags-Lauf wird die FE auf ProSieben Maxx abgeschoben, denn die Doppelfolge „Buchstaben Battle“ möchte man sich natürlich nicht durch Live-Sport zerschießen… Wer mag, kann aber auf ran.de ausweichen, wo alle Sessions live gestreamt werden, oder auf Eurosport 2 (PayTV bzw. Eurosport Player).
(Bilder: Formula E Media)