Ich hatte es in einem früheren Blog-Eintrag angekündigt, hier ist es nun: das Ranking meiner liebsten Formula E-Kurse – und der aus meiner Sicht schlechtesten. Gegenmeinungen und Diskussionsbeiträge sind gern gesehen!
Die Serie ist mittlerweile in der siebten Saison und hat schon viele Städte besucht und Rennstrecken ausprobiert. Nur eine einzige Stadt ist jedes Jahr im Kalender gewesen: Berlin. Aber auch dort wurde nicht immer am gleichen Standort gefahren und die Streckenvarianten, die auf dem Tempelhofer Feld schon genutzt wurden, lassen sich so grad noch an einer Hand abzählen nach dem dreifachen Doubleheader aus dem vergangenen Corona-Sommer.
Ich hatte es schonmal geschrieben, die Stadtkurs-Events sind für mich essentieller Teil des Markenkerns der Formula E. Events auf Rundkursen wie Valencia und Puebla dürfen meines Erachtens nur Notlösungen und Ausweichstandorte sein. Die derzeitigen Autos brauchen diese Art Kurs und auch die Atmosphäre ist eine völlig andere und prägt die Rennserie. Selbst der innerhalb der Stadt gelegene, aber doch permanente Kurs von Mexico City ist mir persönlich als Austragungsort eines ePrix eigentlich schon zuwider.
Monaco habe ich trotz des guten Rennens vor einigen Wochen nicht in das Ranking aufgenommen. Die Strecke hat für die Formula E gut funktioniert, aber irgendwie ist es für mich doch keine FE-Strecke, sondern (gefühlt) eine angeeignete Grand Prix-Strecke. Vielleicht ändert sich das in den nächsten Jahren – wer weiß, vielleicht wird irgendwann die Formula E das Highlight-Event in Monaco sein. Aber auch ohne den vollen Circuit de Monaco in den Blick zu nehmen, gibt es genug andere tolle Kurse, auf denen die Serie in den letzten Jahren gefahren ist. Leider ist kaum noch einer davon im Kalender vertreten…
Meine Top Five
Platz 5: Putrajaya (Saisons 1-2)
Putrajaya ist eine Planstadt in Malaysia, errichtet als Verwaltungs-Hauptstadt am Rande des Metropolraumes Kuala Lumpur. Das klingt erstmal nicht wahnsinnig aufregend, aber die repräsentativen Gebäude an der Hauptachse in Verbindung mit dem noch unbebauten, daher parkartig wirkenden Hinterland und dem nahen Wasser erzeugten in der Summe zumindest am TV eine gute ePrix-Atmosphäre. Der Kurs war zweiteilig: auf der Hauptachse der Stadt ging es lange geradeaus, mit einer Schikane dazwischen, und der übrige Part hatte einen sehr angenehmen Flow mit trickreichen Kurven in unterschiedlichen Winkeln und Radien. Eine zusätzliche Überholmöglichkeit für mutige bot eine enge 180°-Kehre auf einer Brücke kurz vor Ende der Runde. Eine Onboard-Runde mit Sebastien Buemi gibt es hier.
Platz 4: Santiago, Parque O’Higgins (Saisons 5-6, abgesagt in Saison 7)
Die einzige Strecke in meinen Top 5, auf der weitere FE-Rennen zu erwarten sind. Eigentlich wäre der Kurs im großen Parque O’Higgins in Santiago auch Bestandteil dieser Saison gewesen, musste aber im letzten Herbst abgesagt werden, als die zweite Corona-Welle das Reisen erschwerte. Einmal wurde vorher auf öffentlichen Straßen im Stadtzentrum von Santiago gefahren, auch das war kein schlechter Kurs, aber der Wechsel in den Park war hier positiv. Zwei Varianten der Strecke wurden bisher gefahren, beide hatten ihre Vor- und Nachteile. Aber in beiden Fassungen funktionierte der Kurs einfach gut für die Serie: es gab mehrere gute Überholmöglichkeiten und einige flotte Kurven, insbesondere in der Schleife zwischen Start/Ziel und Gegengerade. Fallendes Laub und Schattenspiele als typische Elemente von Park-Rennen taten ihr Übriges. Hier geht es zur Onboard-Runde der 2019er-Version.
Platz 3: Montreal, Maison de Radio Canada (Saison 3)
Leider nur einmal durfte die Formula E (bisher) in Montreal antreten, wenn es auch wenigstens eines der ersten Doubleheader-Events war. Gefahren wurde nicht auf dem Circuit Gilles Villeneuve, sondern auf einem echten Straßenkurs rund um das markante Hochhaus Maison de Radio Canada des kanadischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Kurs war ein klassischer nordamerikanischer Stadtkurs, und zwar einer der guten dieser Art: ein Grundraster aus 90°-Ecken, die aber vielfach unterschiedlich ausgestaltet waren, meist weitläufig, zwischendrin eine schmalere Passage (eine Art Autobahn-Abfahrt), und dazu eine schnelle Bus Stop-Schikane, die im Training dem um die Meisterschaft kämpfenden Sebastien Buemi zum Verhängnis wurde. Das freundliche Ambiente der größten Stadt Kanadas passte zum gelungenen Streckenlayout. Eine Pole-Runde mit Lucas di Grassi gibt es hier zu sehen.
Platz 2: Berlin, Strausberger Platz (Saison 2)
Berlin war jedes Jahr Austragungsort, aber nur ein einziges Mal wurde nicht auf dem Tempelhofer Feld gefahren, sondern auf einem echten Straßenkurs im Herzen Berlins. Der Hangar wurde damals als Flüchtlingsunterkunft genutzt. Das Tempelhofer Feld ist super für die FE, das hat sich vor allem letztes Jahr gezeigt, als es der Rettungsanker für die ganze Saison war: man fuhr sechs Rennen auf drei verschiedenen Streckenvarianten. Das zeigt aber auch das Problem des Tempelhofer Feldes: im Grunde ist es nur die schickere Variante eines US-amerikanischen Parkplatz-Rennens. Der Kurs um den Strausberger Platz dagegen zeigte, mit was für einfachen Mitteln man auch auf öffentlichen Straßen einen tollen Kurs bauen kann. Das Grundprinzip war simpel: vom Platz ausgehend dreimal in mehrspurige Straßen einbiegen, 180°-Wende und wieder zurück zum Platz. Aber das Ergebnis war top: jede Kehre war anders (auch wenn die erste für den Start etwas eng war), eine flotte Schikane brachte zusätzliche Würze und die schnelle Kombination auf der vierten Seite des Platzes war auch toll anzuschauen und forderte die Fahrer, ähnlich der Zielschikane in Buenos Aires. Ich war vor Ort für das Rennen, musste aber leider krankheitsbedingt verfrüht abreisen, sehr ärgerlich. Hier sind die Highlights des leider einzigen ePrix am Strausberger Platz zu sehen.
Platz 1: Buenos Aires, Puerto Madero (Saisons 1-3)
Diese Strecke hatte in meinen Augen alles, es war ein perfekter FE-Kurs. Hier habe ich beim vierten ePrix der Geschichte für mich realisiert, dass ich die Serie wirklich mag und dass sie Potential hat. Der Kurs führte durch eine moderne urbane Parklandschaft in einem jungen Stadtteil: Puerto Madero ist für die argentinische Hauptstadt das, was die Hafen City für Hamburg ist. Das Layout bot eine Gerade von für die FE guter Länge, die in eine nicht einfache 180°-Kehre mündete. Und auch danach ging es abwechslungsreich weiter, was die Kurven anging. Insbesondere die schnelle S-Kurve, die auf Start/Ziel zurückführte, war toll anzuschauen, ich habe hier immer noch einen Sam Bird vor Augen, der mit seinem hecklastigen Twin-Motor-Virgin in Saison 2 um diese schnellen Kurven slidete. Hier war einfach alles drin, und das auf nur 2,5 Kilometern, genau so muss es sein. So sieht eine Runde mit Daniel Abt (und Kommentar von Dario Franchitti) aus:
Meine Bottom Five
Eins vorangestellt: den Circuito Ricardo Tormo habe ich hier ignoriert. Das ist für mich kein Formula E-Kurs und bleibt hoffentlich ein einmaliges Ausweich-Event.
Platz 5: London, Battersea Park (Saisons 1-2)
Die denkwürdigen Final-Events der ersten beiden Formula E-Saison wurden in London im Battersea Park ausgetragen. Ein Rennen auf „echten“ öffentlichen Straßen war in Großbritannien ausgeschlossen, weil dafür ein eigenes Parlamentsgesetz hätte verabschiedet werden müssen, also wich man auf die Fahrwege eines der Londoners Parks aus. Die waren aber so eng und buckelig und hatten ein so krasses Querprofil, dass sie eigentlich kaum für Autorennen taugen. Laub und schwierige Lichterverhältnisse durch die dicht stehenden Bäume taten ihr Übriges dazu. Fünf Bremsschikanen waren vorgesehen, eine sechste musste man beim ersten Event auf Start/Ziel noch einbauen, verbunden mit Dauer-Gelb, weil der Kurs sonst zu flott und nicht sicher gewesen wäre. Es waren keine schlechten Events, die Atmosphäre war toll, es waren spanende Finalläufe, aber als Rennstrecke war dieser Kurs ziemlich untauglich. Eine Runde mit Sebastien Buemi ist hier zu sehen.
Platz 4: Long Beach (Saisons 1-2)
Der Grand Prix-Kurs in Long Beach hat schon viele verschiedene Inkarnationen durchlaufen in seiner Geschichte, aber die zweimal genutzte ePrix-Variante war eine der schlechteren. Gefahren wurde auf einer gekappten Fassung des aktuellen IndyCar-Kurses. Mit der ausgelassenen Fountain-Sektion ging aber leider auch viel von der Atmosphäre flöten (ja, ich weiß, dass es die erst seit Ende der 90er gibt). Zudem wurde auf dem Shoreline Drive noch eine Schikane eingefügt, die in Kombination mit der ungünstig platzierten Boxenausfahrtsmauer äußerst nervig war. Der Rest der Strecke war zwar der bekannte aktuelle IndyCar-Kurs, doch einen Long Beach ePrix in dieser Form brauchte irgendwie niemand. Und mit nur sieben Kurven auf gut 2,1 Kilometern Strecke bot er auch nicht viel für die Formula E (eine Onboard-Runde gibt es hier). Vielleicht sollte man es irgendwann nochmal auf dem vollen Kurs versuchen, aber ich glaube, auch der wäre keine Paradestrecke für diese Serie.
Platz 3: Sanya (Saison 5)
Der zweite Versuch eines ePrix in China, kaum besser als der erste (Sorry, Spoiler). Aus der Hauptstadt ging es ins südchinesische Ferien-Resort Sanya. Dort wurde ein langweiliger Kurs zwischen Hotel-Hochhäusern abgesteckt: ein paar miteinander verbundene Sektionen mehrspuriger Straßen (wie Strausberger Platz, nur in schlecht), dazu eine Mickey Maus-Sektion auf einem Hotelparkplatz. Einfallsloser geht es kaum, Atmosphäre gleich Null. Ich meine, das Rennen war gar ganz okay, aber das Qualitäts-Level „ganz okay“ kann man auch auf vielen anderen (und schöneren) Stadtkursen bekommen. Im Gedächtnis geblieben ist mir eigentlich nur die tricky anzufahrende Attack Mode-Zone. Ich fürchte leider, in einer Zukunft „nach Corona“ könnte es hier weitere ePrix geben… Zur Vorbereitung darauf gibt’s hier eine kommentarlose Runde mit Robin Frijns – Crank it up!
Platz 2: Miami, Biscayne Boulevard (Saison 1)
Long Beach war nicht so prickelnd für die Formula E? Okay. Aber Miami war ein richtiger Reinfall. Gefahren wurde auf Motorsport-historischem Boden: auf dem Biscayne Boulevard wurden schon in den 80er und 90er-Jahren IndyCar- und Sportwagen-Rennen ausgetragen, auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts versuchten es CART und ALMS nochmal. Dabei wurden jeweils angrenzende Parks, z.B. der Bayfront Park, zu Hilfe genommen. Den hat man diesmal ausgepart und fuhr einfach nur einmal den Biscayne Boulevard rauf, Wendeschleife unter der dunklen Autobahnbrücke, dann den Boulevard wieder runter, Wendeschleife um die Basketball-Arena, fertig. Man ergänze noch eine Menge bumps und – wie in Long Beach – eine sehr awkward platzierte Boxenausfahrts-Mauer, fertig ist ein geradezu prototypisch schlechter US-Stadtkurs. Wer mag, kann sich hier eine öde Runde antun.
Platz 1: Beijing, Olympiastadion (Saisons 1-2)
Oh, boy… Wenn man bedenkt, dass ausgerechnet auf dieser Strecke das Debütrennen der Formula E stattfand, ist es fast schon ein Wunder, dass ich die Serie seit sieben Saisons durchgehend verfolge. Eigentlich hätte man nach ein paar Runden ausschalten müssen, so gruselig langweilig war der Kurs um das Vogelnest-Olympiastadion in Peking. Andererseits war die Serie neu, ich war neugierig, und wie ein guter FE-Kurs aussehen könnte, das habe ich erst in den Monaten und Jahren danach gelernt. Der in Beijing jedenfalls war viel zu lang, bestand nur aus Geraden, Schikanen und langweiligsten 90°-Kurven, insgesamt völlig seelenlos. Das Stadion im Hintergrund ist nett, macht aber alleine auch noch keine Atmosphäre. Erinnern tut man sich nur an eines, nämlich an den Crash in der letzten Kurve der letzten Runden, als Nico Prost Nick Heidfeld beim Überholversuch abschoss. An den zweiten Beijing ePrix habe ich keinerlei Erinnerung, ohne Google und Wikipedia hätte ich behauptet, dass dort nur einmal gefahren wurde. Nach zwei Ausgaben reichte es dann aber auch wirklich. Wer schlecht einschlafen kann, dem empfehle ich eine Onboard-Runde mit Robin Frijns:
Was macht eine gute Formel E-Strecke aus?
Es gibt kein Patentrezept für gute Formula E-Rennstrecken. Das wäre ja auch langweilig. Die Herausforderung für die Streckenplaner ist immer, in einer austragungswilligen Stadt ein gutes Layout aus vorhandenen Straßen oder befestigten Flächen zusammenzusetzen. Dabei spielen natürlich auch Aspekte des lokalen Verkehrs eine Rolle, die ein oder andere Verkehrsader soll vielleicht nicht für ein Wochenende oder länger gesperrt werden. Darum sind ja auch immer wieder Strecken auf abgrenzbaren Grundstücken oder in Parkanlagen im Kalender, das ist logistisch einfacher als das Absperren echter Straßen.
Mein Favorit sind aber in der Regel die „echten“ Straßenkurse, auch wenn ein gut gemachter Park-Kurs, wie in Santiago, auch seinen Charme hat. Wichtig ist für mich eine urbane Atmosphäre (sorry, Stadtplaner-Buzzword), der Kurs sollte möglichst ein Gefühl für die Stadt vermitteln, in der man sich bewegt. Mehr oder weniger bekannte Sehenswürdigkeiten im Umfeld helfen dabei, sind aber kein Muss. Aber bitte kein Parkplatz-Rennen ums Stadion herum – looking at you, Miami, egal ob es die American Airlines Arena (FE) oder das Hard Rock Stadium (F1) ist.
Die ideale Länge für die Formula E bewegt sich um 2,5 Kilometer herum. Auf der Distanz kann man eine abwechslungsreiche Strecke unterbringen, ohne dass es den Teams zu viele Kopfschmerzen hinsichtlich Energie für „eine Runde mehr“ (als prognostiziert) bereitet. Die kürzere Länge im Vergleich etwa zur Formel 1 ergibt sich auch daraus, dass die FE nicht zwingend kilometerlange Geraden braucht, um eine Überholmöglichkeit zu schaffen, sondern dass hierfür auch mal 500-600 Meter für die längste Gerade reichen.
Wichtiger ist dagegen eine Vielfalt an Kurven, gern auch mal in einer Abfolge, die Konter ermöglicht. Da die FE-Einheitsautos nicht so aero-sensitiv sind, ist folgen, überholen und kontern einfacher möglich als bei anderen Formelautos. Es braucht harte Bremszonen für die Energie-Rekuperation, aber auch ein, zwei schnelle Kurven tun den Strecken gut, denn auf unebenem Straßenbelag gibt es mit den harten Michelin-Reifen dann den ein oder anderen Drift zu sehen.
Schikanen können auf Stadtkursen notwendig sein, um einen Stadtkurs (insbesondere in Sachen Sicherheit) funktionsfähig zu machen, aber wenn man drei, vier, fünf Schikanen einbauen muss (siehe Beijing), dann ist das Layout meines Erachtens von Grund auf falsch konzipiert. Zu oft sind solche Bremsschikanen dann auch noch auf engstem Raum etwa in eine Kreuzung gequetscht und können schlimmstenfalls zu Chaos führen – man erinnere sich an den Bern ePrix, wo eine Schikane die ganze Strecke zerstörte.
Seoul soll in der nächsten Saison in den Kalender aufgenommen werden, Autosport spricht von möglicherweise vier neuen Rennorten im Kalender der Saison 2021-22, darunter auch Eindhoven und das in den 90ern für IndyCar-Stadtrennen bekannte Vancouver. Ich bin gespannt auf die neuen Kurse und werde bei Gelegenheit darüber berichten.
Eure eigenen Rankings, Meinungen und Gegenmeinungen in den Kommentaren sind gern gesehen!
(Bilder: Formula E Media)