Nach einem Jahr Corona-Pause tritt die Formula E an diesem Wochenende wieder im Big Apple an – mit Edoardo Mortara als Überraschungs-Tabellenführer.
Ein starkes Wochenende kann in der Formula E ausreichen, um plötzlich ganz vorn in der Tabelle zu stehen. Schon der Quali-Modus sorgt immer wieder für durcheinander gewirbelte Startaufstellungen. In Puebla waren die Favoriten-Teams Jaguar und Mercedes nahezu chancenlos – stattdessen fuhren Audi, Nissan, Porsche und Venturi um die Podiumsplätze. Und Edoardo Mortara gelang dabei als einzigem Piloten in Wochenende mit Podiumplatzierungen in beiden Läufen.
Dabei halfen aber auch Disqualifikationen, insbesondere die des vermeintlichen Siegers im ersten Lauf von Puebla: Pascal Wehrlein fuhr im Porsche als Erster über die Ziellinie, verschwand aber auch in dem Moment aus der Wertung – der Reifensatz war nicht korrekt an die Rennleitung gemeldet worden, ein versäumter Formalismus. Auch wenn das den Regeln nach korrekt sein mag, ein gutes Bild gab die FE damit nicht ab. Zwar war vorher eingeblendet worden, Wehrlein sei „under investigation“ für ein „technical infringement“, aber trotzdem kam die Disqualifikation ohne nähere Erläuterung sehr überraschend. Auch Seriengründer Alejandro Agag war wohl stinksauer. Porsche ging zunächst in Berufung, ließ diese aber inzwischen fallen.
Edoardo Mortara spülten die zwei Podiumsplätze – ein dritter Platz und der Sieg am Sonntag – aus dem (gefühlten) Nichts an die Spitze der Tabelle. Der bisherige Spitzenreiter Robin Frijns (Virgin-Audi) blieb komplett punktelos, auch Evans (Jaguar), de Vries und Vandoorne (beide Mercedes) fielen zurück. Stattdessen konnte Rene Rast auf den vierten Rang vorrücken, er holte im Samstagslauf sein erstes FE-Podium – wenn auch geschlagen durch den Teamkollegen Lucas di Grassi.
Möglichst oft überhaupt Punkte zu holen, im Optimalfall in die Top 5 zu fahren, das ist der Schlüssel in diesen Formula E-Saisons, seit durch den Quali-Modus bedingt oft die Stärksten bzw. eben die in der Meisterschaft am besten Platzierten weiter hinten starten müssen. Es ist fast ein bisschen wie mit den Reverse Grid-Rennen in Formel 2 und 3. Und im Mittelfeld wird man auch schnell in Zwischenfälle verwickelt – so erging es einigen Piloten bei der ungünstig konstruierten Ausfahrt aus der Attack Mode Activation Zone in Puebla.
Aus neun Läufen bisher hat Mortara vier Top 5-Ergebnisse und blieb auch viermal ohne Punkte. Frijns direkt dahinter hat nur drei Top 5-Ergebnisse, blieb aber fünfmal punktelos. Nyck de Vries hat als bisher einziger Pilot in der Saison zwei Siege vorzuweisen – aber darüber hinaus kein weiteres Top 5-Ergebnis; vielmehr ging auch er fünfmal komplett leer aus. Das sind nur ein paar Beispiele, aber so in der Art setzt sich das Schema fort. Nur wenige Fahrer können überhaupt drei Top 5-Ergebnisse vorweisen, Mortara ist der einzige mit vier.
In Punkten stellt sich das nun wie folgt dar: Mortara hat 72 Zähler, Frijns 62, dann folgen ganz eng da Costa, Rast und Evans mit je 60 Punkten und Nyck de Vries mit 59. Eigentlich hat noch jeder Pilot bis Pascal Wehrlein auf Rang 12 (48 Punkte) einigermaßen realistische Titelchancen – man müsste nur ein paar solide Resultate hintereinander bringen. Mortara, Frijns, da Costa, Rast und Evans werden aber nun in Brooklyn in der Samstags-Quali als erste auf die staubige Strecke müssen – und damit schlechtere Chancen auf vordere Startplätze haben. Schon nach diesem Wochenende kann die Saison also ganz anders aussehen, auch wenn die zehn Punkte Vorsprung von Mortara erstmal ein ordentlicher Puffer sind.
Der Kurs am Kreuzfahrtterminal von Brooklyn mit Blick auf die Skyline von Manhattan sowie Governors Island verzeiht wenige Fehler. Zwar hatte man auch in Puebla einige zusätzliche Mauern auf und an die Strecke gestellt, um dem Roval mehr Stadtkurs-Feeling zu verpassen, aber so richtig das Terrain der Formula E war es wieder nicht, zumal das an manchen Stellen auch sehr konstruiert bzw. überflüssig wirkte. Der Kurs in New York ist dagegen zwar schon fast etwas Mickey-Mouse-artig, aber er funktionierte bei den letzten Ausgaben eigentlich ganz gut, zumindest seit die Kurvenpassage nach der Startgeraden ausgebaut worden ist.
Revealed! Here's the track our drivers will be racing on this weekend for the 🇺🇸 ABB #NYCEPrix double-header 🗽 pic.twitter.com/JMj9QCFRnE
— ABB FIA Formula E World Championship (@FIAFormulaE) July 5, 2021
Die Strecke in New York City wurde für das diesjährige Event modifiziert – allerdings wurde nicht das eigentliche Layout angepasst, sondern die Boxengasse wurde verlegt. Sie ist nun nicht mehr „über Eck“ im hinteren Teil der Strecke angeordnet, sondern verläuft entlang der Startgeraden. Und mit der Boxengasse ist auch die Ziellinie gewandert, sodass es nun eine echte „Start-Ziel-Gerade“ mit Boxengasse gibt. Es geht auch ganz klassisch in der progressiven Formula E. Ich denke, diese kleine Anpassung tut der Strecke gut. Die Attack Mode Activation Zone befindet sich auf der Außenseite der engen Haarnadel Turn 10 – das könnte auch den ein oder anderen kritischen Moment provozieren, denn die Kurve lud in den letzten Jahren auch immer mal wieder zu Fehlern oder gewagten Attacken ein.
Ich traue mich gar nicht mehr, Favoriten zu benennen. Über die Saison gesehen, halte ich immer noch Jaguar und Mercedes für die stärksten Teams, aber Techeetah, Audi und Virgin sind nicht weit weg. In Puebla hatte auch BMW mal wieder ein etwas besseres Wochenende, aber eine Trendwende sehe ich dort noch nicht. Mahindra und Porsche sind Wundertüten, die meist im Mittelfeld fahren, aber dann manchmal plötzlich ganz weit vorn auftauchen.
Bei Dragon Racing wird Joel Eriksson weiter dabei sein. Er ist in Puebla erstmalig für das Team angetreten, weil Nico Müller ein kollidierendes DTM-Engagement hatte. Müller will sich nun weiter auf die DTM konzentrieren und wird die restliche FE-Saison auslassen. Eriksson hat mit den Rängen 17 und 15 noch nicht viel zeigen können, allerdings hat es sich in der Formula E schon oft gezeigt, dass Neulinge etwas Eingewöhnungszeit brauchen, bis man den speziellen Fahrstil mit viel Lift & Coast, Energiesparen und -regeneration beherrscht. Stadtkurs-Talent hat der Schwede, er wurde 2018 Zweiter im Formel 3-Grand Prix von Macau.
Die Rennen in New York finden zu unterschiedlichen Zeiten statt: am Samstag geht es um 22:30 Uhr los, am Sonntag um 19:30 Uhr. Sat1 ist jeweils mit einer Viertelstunde Vorlauf live dabei; Eurosport 2 beginnt jeweils eine Stunde vor dem Start mit Quali-Highlights und Vorberichten.
(Bilder: Formula E Media)