Wie im Vorjahr beendet der Berlin ePrix die Saison. Statt sechs Rennen auf drei Streckenvarianten gibt es diesmal einen „einfachen“ Doubleheader – auf zwei Varianten.
Rein rechnerisch können 18 Fahrer noch die Meisterschaft erringen. Die Formula E wirbt damit – ich hatte in meiner letzten Vorschau geschrieben, warum ich das nicht so toll finde. Das brauche ich hier nicht zu wiederholen. Der Faktor, der für den vielen Wirbel sorgt, bleibt das Quali-Reglement: Beim ersten Lauf am Samstag werden die sechs Bestplatzierten als erste auf die Strecke gehen müssen, und das sind aktuell Nyck de Vries, Robin Frijns, Sam Bird, Jake Dennis, Antonio Felix da Costa und Alex Lynn. Sie werden es damit schwer haben, sich für vordere Plätze zu qualifizieren und ihre Top-Platzierungen im Gesamtklassement zu verteidigen.
„Nyck de Vries?“, wird sich vielleicht jemand fragen. Der war noch in New York sehr unhappy über die Gesamtsituation, nun führt er die Meisterschaft wieder an. Nach nur einem Top Ten-Resultat aus den letzten sechs Rennen (zwei maue Pünktchen für Platz 9 in Puebla) hat er in London richtig abgeräumt: zweimal konnte er den zweiten Platz holen, einmal hinter Jake Dennis (BMW) und einmal hinter Alex Lynn, der seinen allerersten Sieg holte und den ersten seit Januar 2019 für das Mahindra-Team.
Rückblick London ePrix
Über den Weg zu diesen Resultaten möchte ich mich auch nicht groß auslassen. Für mich waren die beiden Rennen im Exhibition Centre London (kurz ExCeL) keine Werbung für die Serie – oder den Motorsport im Allgemeinen. Die Driving Standards waren insbesondere im Sonntagslauf sehr schwach, es wurde sich munter in die Kiste gefahren. Die Strecke mit einigen zu engen Ecken trug Ihren Teil dazu bei. Ich war überrascht, zu hören, dass die Rennen – und das Event als Ganzes – gerade bei Midweek Motorsport, der Hauptsendung auf Radio Le Mans, gelobt wurden, wo sonst generell der Zynismus regiert und mit der Formula E des Öfteren kritisch umgegangen wurde.
Die Krone setzte dem Ganzen der Versuch von Audi auf, mit einem Trick für Lucas di Grassi die Führung zu erobern. In einer Safety Car-Phase holte man ihn in die Boxengasse mit der Idee, ihn für einen kurzen Moment an der Box anhalten zu lassen (für einen „Check“, dann ist das erlaubt), um dann mit deutlich verbesserter Platzierung wieder auf die Strecke zu gehen, weil das Safety Car so langsam durch die Halle schlich. Plötzlich fand sich di Grassi an der Spitze des Feldes wieder.
Die Rennleitung merkte schnell, dass da etwas nicht nach Plan gelaufen war bzw. dass es eine Lücke im Reglement gab – nach einigen Minuten wurde di Grassi eine Strafe aufgebrummt, weil er nie ganz zum Stehen gekommen sei, mindestens noch gerutscht ist er auf dem Hallenboden. Alles folgende Gerenne von Teamchef Allan McNish zwischen Box und Rennleitung brachte nichts, die Strafe wurde aufrecht erhalten und di Grassi, weil er sie nicht antrat, schlussendlich disqualifiziert.
Organisatoren und Rennleitung können von Glück reden, dass di Grassi nicht eindeutig erkennbar zum Stehen gekommen ist, denn dann hätte man mit diesem Regel-Lapsus und der Audi-Cleverness wohl leben müssen. Aber auch der Nummer hätte das Marketing-Team der Serie sicherlich wieder einen richtig geilen Spin verpasst. Am Ende des zweiten Laufes traute sich selbst Ex-Audi-Pilot Daniel Abt, das Rennen als „peinlich“ zu bezeichnen (auch im Hinblick auf die schon angesprochenen Driving Standards). Ich hoffe, dass die Formula E, von der ich bisher kaum ein Rennen verpasst habe in sieben Saisons, beim Saisonfinale ein besseres Bild abgibt, denn London hat mich als Fan sehr frustriert zurückgelassen.
Vorschau auf das Saisonfinale
Der bekannte Kurs auf dem Tempelhofer Flughafen ist immerhin einer der besseren des aktuellen Kalenders. Auf den weitläufigen Betonplatten hat man vor Jahren ein Layout kreiert, was immer wieder gutes Racing bietet – zumindest gegen den Uhrzeigersinn. Im Vorjahr ist man die Strecke erstmals auch rückwärts gefahren, hinzu kam noch ein drittes Layout mit einigen komplett modifizierten Passagen. Dieses Jahr wird am Samstag „richtigrum“ und am Sonntag die „umgekehrte“ Variante (wie erstmals im Vorjahr) gefahren.
Ich mag den Gedanken, etwas Variation reinzubringen. Leider fand ich aber bei den sechs Rennen im Vorjahr gerade diese umgekehrte Normalstrecke am schwächsten: Die Überholstellen funktionierten meines Erachtens in diese Richtung nicht sonderlich gut. Gerade, wenn es am Sonntag noch eng sein sollte und einige Titelanwärter weiter hinten im Feld starten, kann das zu gewagten Manövern führen. Aber der Kurs dürfte immer noch besser sein als manch anderer im Kalender der endenden Saison.
Schauen wir einmal auf den Meisterschaftsstand, und hier auf die Top 12, das sind die ersten beiden Quali-Gruppen:
- Nyck de Vries, Mercedes (95 Punkte)
- Robin Frijns, Virgin-Audi (89 Punkte)
- Sam Bird, Jaguar (81 Punkte)
- Jake Dennis, BMW Andretti (81 Punkte)
- Antonio Felix da Costa, DS Techeetah (80 Punkte)
- Alex Lynn, Mahindra (78 Punkte)
- Nick Cassidy, Virgin-Audi (76 Punkte)
- Mitch Evans, Jaguar (75 Punkte)
- Edorardo Mortara, Venturi-Mercedes (74 Punkte)
- René Rast, Audi (72 Punkte)
- Pascal Wehrlein, Porsche (71 Punkte)
- Jean-Éric Vergne, DS Techeetah (68 Punkte)
Ich gehe davon aus, dass die zweiten sechs sich am Samstag besser qualifizieren werden als die ersten sechs, oder zumindest einzelne Piloten aus der zweiten Gruppe. Wenn Mitch Evans im Jaguar eine gute Quali erwischt, kann ich mir vorstellen, dass er noch ganz vorn reinsticht, denn der Jaguar läuft gut und er hat mehrfach starke Performances gezeigt, auch wenn ein Sieg in dieser Saison bisher ausblieb. Auch den zweifachen Champion Jean-Éric Vergne darf man nicht abschreiben.
60 Punkte gäbe es maximal zu holen: 25 für einen Sieg, 3 für die Pole, 1 für die schnellste Zeit in der Gruppenphase der Quali und 1 für die schnellste Rennrunde. Aber eine Chance auf einen „Grand Slam“ oder ähnliches sehe ich nicht. Ein „JEV“ in guter Form könnte sicherlich 30 Zähler holen, und wenn dann de Vries nach schwacher Quali im Mittelfeld versackt, wird es ganz eng – ganz zu schweigen von den ganzen Piloten dazwischen.
Möglicherweise reichen aber auch die 14 Zähler Vorsprung auf P3 und die 19 auf P6, die sich Nyck de Vries durch seine zwei starken Ergebnisse in London gesichert hat. Wenn er da jeweils noch ein paar Punkte dazu holen kann, kann es das auch schon gewesen sein. Eine detaillierte Szenarienbetrachtung kann ich bei so vielen rechnerischen Möglichkeiten und noch zwei ausstehenden Läufen leider nicht bieten. Spannend dürfte es allemal werden. Rennen 1 startet am Samstag um 14 Uhr, Rennen 2 am Sonntag um 15:30 Uhr. Sat 1 und Eurosport 2 übertragen live.
Ausblick auf die nächste Saison
Und dann ist diese Saison auch schon Geschichte. Man muss der Formula E zu Gute halten, dass sie die zweite Corona-Saison im Angesicht der schwierigen Umstände gut über die Bühne gebracht hat. Es gab nur wenige „echte“ Stadtkurs-Rennen (Diriyah, Rom und Monaco), aber immerhin war der Lauf in Monaco – der erste auf dem vollen Grand Prix-Kurs – ein echtes Highlight und gute Werbung für die Serie.
Auch im nächsten Jahr steht Monaco wieder auf dem Plan, neben bekannten Austragungsorten wie Diriyah, Mexico City, Rom, Berlin, New York und London. Gleich eine ganze Reihe von Läufen soll neu dazukommen: Kapstadt, Vancouver und Seoul. Zwei TBAs gibt es noch im Kalender, davon eines in China; ich rechne – leider – mit der Wiederaufnahme des Sanya ePrix. Die Saison 2022 soll sich von Januar bis August erstrecken, wie in diesem Jahr.
Audi und BMW werden dann nicht mehr werksseitig mit von der Partie sein. Audi, eines der Gründungsteams der Serie (damals stand aber noch Schaeffler vorn im Team-Namen), steigt ganz aus der Serie aus. BMW wird das dann privat eingeschriebene Andretti-Team noch als Motorenlieferant unterstützen. Jaguar und Porsche bleiben und behalten auch ihre Fahrerpaarungen bei, der Serie erhalten bleiben auch Mercedes, DS und Nissan. Oliver Rowland wechselt von Nissan zu Mahindra. Die weiteren Fahrer-Verpflichtungen werden in den nächsten Woche und Monaten bekannt werden. Spannend ist, wo FE-Urgestein Lucas di Grassi landen wird, ein Venturi-Cockpit wurde gerüchtelt. Aus deutscher Sicht stellt sich die Frage, ob und wo Maximilian Günther unterkommt, oder ob es ihn in eine andere Rennserie verschlägt.
Ich hoffe, dass die Organisatoren über die Off-Season in sich gehen und den einen oder anderen Punkt am Reglement überdenken. Die Qualifikation gehört für mich ganz klar dazu, ich war nie ein Freund des Gruppen-Qualifyings, noch weniger im Zusammenhang mit der Meisterschafts-Reihenfolge. Selbst der wild klingende Vorschlag von Lucas di Grassi, Drag Races im Schatten großer Sehenswürdigkeiten der Event-Städte als Qualifying auszutragen, darf meinetwegen in die Erwägungen einbezogen werden. Und auch das Safety Car-Boxengassen-Loophole wird man hoffentlich schließen: Ampel rot am Ende der Boxengasse, bis das Feld vorbei ist, und fertig.
(Bilder: Formula E Media)