Zum ersten Mal werden in Le Mans in diesem Jahr die LMH an den Start gehen. Die Klasse ist in diesem Jahr noch übersichtlich bestückt.
Die diesjährige Ausgabe der 24h von Le Mans bringt reichlich Neues. Bei der Technik hat sich im Vergleich zu den LMP1 der letzten Generation nämlich einiges verändert. Die Hypercars sind technisch weitaus weniger komplex als die LMP1. Gleichzeitig hatte der ACO auch den Wunsch, die Rundenzeiten massiv anzuheben. Zeiten unter 3:20min waren den Organisatoren aus Sicherheitsgründen schon länger ein Dorn im Auge. Zudem hat er, vermutlich zu Recht, die Zukunft im Blick. Denn wenn die vielen anderen Hersteller, darunter Audi, BMW und Porsche, in den nächsten Jahren die Szene bereichern, dann werden die Rundenzeiten schnell wieder sinken.
Daher war das angepeilte Ziel des ACO Rundenzeiten auf dem letztjährigen Niveau der LMP2 zu erreichen, also rund 10 Sekunden langsamer. Dafür hat man vor allem bei der Motorleistung die Schrauben angezogen. Die Gesamtleistung der Hybrid-Fahrzeuge darf (je nach Auto) eine gewisse Leistung nicht mehr überschreiten. Bei den Toyota sind das 700 PS. Das sind 200 PS weniger als noch im letzten Jahr. Dabei darf die elektrische Zusatzleistung nicht mehr als 200 kw (270 PS) betragen und sie wird nicht auf die 700 PS drauf gerechnet. Da es auch nur ein Hybrid-System gibt (Rekuperation der Bremsenergie), steht paradoxerweise der Verbrenner wieder mehr im Zentrum der Entwicklung.
Um die Sache komplizierter zu machen, sind in der Top-Klasse auch Fahrzeuge ohne Hybrid zugelassen, plus ein LMP1 aus dem letzten Jahr. Dem ACO blieb nichts anderes übrig, sonst wären die Toyota alleine unterwegs. So hat man mit den Glickenhaus und dem Alpine LMP1 drei weitere Autos am Start, die sich aber gegen die Japaner schwertun werden. Die BoP soll zwar für ein ausgeglichenes Feld sorgen, aber Toyota hat klar das beste Auto am Start.
Die Japaner haben bisher alle Rennen in diesem Jahr gewonnen und dank des Hybrid-Antriebs hat man auch einen gewaltigen Vorteil. Aber auf der anderen Seite liefen die beiden Toyota bei den bisherigen Läufen auch nicht zu 100 Prozent rund. Das könnte in Le Mans also vor allem spannend werden, wenn die Japaner technische Probleme bekommen.
Dass Le Mans seine eigenen Gesetze hat, ist bekannt. Hier gehen Dinge kaputt, die selbst in 36-Stunden-Tests problemlos durchgehalten haben. Die Mischung aus permanenten Rennkurs, öffentlichen Straßen und der enormen Vollgasbelastung auf den langen Geraden lässt sich auf keiner anderen Strecke der Welt testen. Egal, wie viel Geld, Know-How und Erfahrung man als Hersteller hat. Toyota hat das schmerzhaft erfahren müssen und wird daher gewarnt sein. Das wird auch dazu führen, dass die Strategie von Toyota in diesem Jahr etwas anders sein könnte als 2020. Denn im Vergleich zum letzten Jahr hat man kein Auto, das man komplett kennt.
Grund dafür ist auch der komplett neu entwickelte V6 Liter Turbomotor. Statt 2,4 Liter hat er nun 3,5 Liter, das Hybridsystem musste ebenfalls neu entwickelt werden. Zwar gibt der ACO die Booststrategie frei, aber man darf nur fünf Sekunden boosten. Man kann also nicht die ganze Zeit den Akku nutzen, sondern muss schauen, wo man den Boost auf der Strecke einsetzt. Der Hybrid-Antrieb sitzt an der Vorderachse, darf aber erst ab einer Geschwindigkeit von 120 km/h (bei Regen 140 km/h) eingesetzt werden. Das verschiebt die Last mehr zum Verbrennungsmotor.
Die Toyota haben zwar den Vorteil des Hybrid der schneller Leistung entfaltet, aber sie müssen auch das komplexere Motormanagement beherrschen. Wenn der Boost einsetzt, muss gleichzeitig die Leistung des Verbrenners reduziert werden, damit die erlaubte maximale Leistung nicht überschritten wird. Das ist technisch durchaus aufwendig denn ein Versagen des Systems, also eine Überschreitung der erlaubten Spitzenleistung, würde eine Strafe nach sich ziehen.
Neben den Toyota wird Glickenhaus zwei 007 LMH an den Start bringen. Das Team des US-Amerikaners erlebt seinen ersten Einsatz mit mehr oder weniger brandneuen Autos in Le Mans. Daher sollte man die Messlatte für Glickenhaus dementsprechend niedrig ansetzen. Das Auto ist im Februar zum ersten Mal gerollt, es fehlen also locker 18 Monate Entwicklungszeit auf die Toyota. Die ersten Rennen zeigten dann auch, dass technische Probleme am Auto an allen Ecken und Enden auftauchen. Es wäre also schon eine kleine Überraschung, wenn beide Glickenhaus überhaupt ins Ziel kommen würden.
Beim Antrieb setzt man auf einen von französischen Hersteller Pipo Moteurs entwickelten 3,5 Liter Turbo V8. Wer den Hersteller nicht kennt: Die sind vor allem in der WRC erfolgreich, haben aber auch den V8 für den Bentley GT3 gebaut. Man verzichtet auf ein Hybrid-System, die Leistung kommt also alleine vom V8. Der war mal ausgelegt für etwas mehr als 800 PS, sollte also die momentan vorgeschriebene Leistung von etwas mehr als 700 PS locker schaffen. Der Vorteil ist natürlich die deutlich einfachere Bauweise des Motors, der Nachteil liegt ein wenig im Verbrauch. Der Hybrid benötigt auf der Strecke etwas weniger Sprit darf aber die gleiche Menge an Energie mit sich führen. Daraus ergibt sich auf dem Papier ein Vorteil bei der Stintlänge für den Toyota.
In Sachen Speed ist der Glickenhaus noch nicht ganz auf der Höhe der Toyota. In Monza fehlte zwar nicht viel (0,7 Sekunden) auf die schnellste Runde der Toyota, aber das ist in Le Mans über die Distanz natürlich zu viel. Hochgerechnet wären das ungefähr 1,5 bis 1,8 Sekunden pro Runde. Den Zeitverlust könnte man nur wettmachen, wenn man einen längeren Stint fahren könnte, was aber nicht der Fall sein wird. Glickenhaus wird also ein Rennen vor sich haben, in dem man vor allem darauf schauen wird die 24h von Le Mans zu beenden. Ein dritter Platz wäre schon eine massive Überraschung.
Da hat der LMP1 von Alpine schon bessere Chancen. Im Grunde handelt es sich um den alten Rebellion, der wiederum von Oreca kommt. Auch beim Motor gibt es keine Änderung, im Heck werkelt weiter der Turbolose 4,5 Liter V8 von Gibson. Tatsächlich ist der Alpine das eigentlich schnellste Auto im Feld. Immerhin konnte Rebellion mit dem Auto im letzten Jahr Zeiten um die 3.20min fahren. Damit der Alpine in die LMH Klasse passt, hat man ihn auch massiv eingebremst. Zum einen bei der Leistung, zum anderen hat man ihn schwerer gemacht. Zuletzt brummte man dem Wagen 100 Kilogramm vor dem Rennen in Spa auf.
Langsam ist der Alpine aber nicht. In Monza fehlten gerade mal 0,2 Sekunden auf die Toyota. Dass dürfte sich in Le Mans noch etwas erhöhen, hier muss man aber abwarten, wie der Testtag am 15. August verläuft. Danach wird die BoP noch einmal angepasst. Aber auch so hat der Alpine Chancen auf den Gesamtsieg, sollten die Toyota straucheln. Der Motor scheint mittlerweile sehr standfest zu sein, das Team ist eingespielt und hat genug Erfahrung in Le Mans gesammelt.
Strategie und Stintlängen
Zunächst mal ein Überblick über die technischen Daten:
Alpine A480-Gibson
Mindestgewicht: 952 Kilogramm
Leistung: 611 PS (450 Kilowatt)
Max. Energiemenge pro Stint: 844 Megajoule
Glickenhaus 007 LMH
Mindestgewicht: 1.030 Kilogramm
Leistung: 707 PS (520 Kilowatt)
Max. Energiemenge pro Stint: 965 Megajoule
Toyota GR010 Hybrid
Mindestgewicht: 1.066 Kilogramm
Leistung: 700 PS (515 Kilowatt)
Max. Energiemenge pro Stint: 962 Megajoule
Dem Alpine steht rechnerisch weniger Energie zu Verfügung, aber der Tank des Oreca ist auch kleiner (75 Liter vs. 90 Liter bei Toyota) und kann nicht vergrößert werden. Dementsprechend erreicht man sowieso kaum mehr als die erlaubten 844 Megajoule. Ein Blick auf die Stintlängen in Monza verrät, dass die Konzepte eng beieinander liegen. Sowohl der Glickenhaus als auch der Toyota schafften um die 30 Runden, der Glickenhaus sogar einmal 31 Runden. Auch der Alpine kann 30 schaffen, allerdings nicht mit der Regelmäßigkeit, mit der es den anderen Autos gelingt. Hier könnte es also einen Nachteil für den Alpine geben. Da wird man allerdings das Rennen abwarten müssen.
Toyota wird das machen, was sie immer machen. Die erste Stunde möglichst mit einem Auto voll fahren, das zweite Fahrzeug nicht schonen, aber um etwa 10 Sekunden zurückfallen lassen. Das passiert meist über die Boxenstopps, die man um eine Runde entzerrt damit es nicht zu eng beim Stopp wird. Danach wird man versuchen konstante Rundenzeiten zu fahren, die dann in der Nacht etwas schneller werden könnten. Der Fahrplan wird sein beide Autos in einer Runde zu halten und gleichzeitig den Abstand zu den Verfolgern schnell auf eine oder zwei Runden auszubauen. Kann sein, dass das schon nach sechs Stunden der Fall sein wird, da wird man die Rundezeiten am Testtag und in den Trainings abwarten müssen. Eine Runde Vorsprung gibt Toyota etwa 3:35 min Vorsprung, zwei Runden etwa sieben Minuten. Das reicht für kleinere Reparaturen, aber auch nicht mehr.
Für Alpine sieht die Sache anders aus. Ich wäre überrascht, wenn die Franzosen die Rundenzeiten der Toyota halten können, aber mehr als 2 Sekunden Verlust pro Runde wird man sich auch nicht erlauben können. Das wären pro Stint ungefähr 20 Sekunden, nach sechs bis sieben Stints dann eine Runde Rückstand. Ich schätze den Rückstand im Schnitt auf rund ein Sekunde, vielleicht etwas weniger. Damit würden die Toyota ungefähr 10 Stints benötigen um eine Runde herauszufahren, was die Alpine im Spiel halten würde.
Wie üblich wird die ganze Rechnung davon abhängig sein, wie die Safety Cars fallen und wie das Wetter ist. Was das SC angeht, gibt es die Regel, dass man nicht mehr als 30 bis 45 Sekunden Rückstand haben darf um hinter dem gleichen SC wie das Führungsauto zu sein. Landet man hinter dem zweiten SC, verliert man schnell 60 Sekunden. Ebenso kann man natürlich Zeit gewinnen, wenn ein SC gerade dann kommt, wenn man der Box ist. In Sachen Wetter gibt es gute Nachrichten. Bisher sieht es nach einem trockenen Rennen bei rund 22 Grad aus.
Besetzung Toyota:
#7 Conway, Kobayashi, Lopez
#8 Buemi, Nakajima, Hartley
Besetzung Glickenhaus
#708 Derani, Mailleux, Pla
#709 Briscoe, Westbrook, Dumas
Besetzung Alpine
#36 Negrao, Lapierre, Vaxiviere
Bilder: ACO