Wie immer werden die beiden GTE-Klassen in Le Mans ein enges Feld bilden. Die Entscheidung fällt oft erst in der letzten Stunde.
Wie lange wir die GTE in Le Mans sehen werden, ist noch nicht sicher. Es scheint so, als ob der ACO die Klasse noch bis Ende 2022 am Leben halten will. Aber die Luft wird dünn, vor allem in den GTE-Pro Klasse. Hätten wir nicht zwei private Porsche RSR in der eigentlich für Werksautos reservierten Pro-Klasse, wären nur sechs Autos am Start. So sind es immerhin acht Autos, die gerne den Sieg mit nach Hause nehmen würden. Was dann 2023 passieren wird, ist noch unsicher. Bleibt es bei der GTE? Eher nicht, denn in der IMSA ist die Klasse nach dem Rückzug von Porsche und BMW tot. Im Grunde fährt die GTE nur noch in der WEC und auch dort ist das Feld normalerweise sehr klein.
Also was tun? Gerüchte gibt es viele, aber die meisten drehen sich um eine Art GT3+ Klasse. Also in Sachen Leistung und Aerodynamik aufgebohrte GT3. Die Frage ist, wie man das bewerkstelligen will, denn dafür würde man die Unterstützung der Hersteller benötigen. Theoretisch könnte man den GT3 leicht mehr Leistung geben. Dazu Änderungen am Diffusor und am Heckflügel und schon könnten die Autos einige Sekunden schneller als die normalen GT3 sein. Auch duale Homoligierungs-Konzepte https://sportscar365.com/other-series/fia-proposes-dual-platform-gt3-regs-for-2022/ werden schon diskutiert. Aber sicher ist bisher nur, dass es keine neuen GTE-Hersteller geben wird.
Die Entwicklung eines neues GTE kostet viel Zeit und Geld, und genau das scheuen die Hersteller, die überhaupt infrage kommen. Die meisten sind damit beschäftigt LMDh Autos zu entwickeln, da wird man kaum Ressourcen haben, um ein komplett neues GTE-Auto zu entwickeln. Von Interesse könnte eventuell die Öffnung für Hybrid-Motoren sein, aber dafür gibt es keinen Zeitplan. Generell stecken die schnellen Sportwagen und Coupés, mal abgesehen von Porsche, Ferrari und Lamborghini, bei den Herstellern in einer Krise. Audi wird dem R8 zwar noch mal ein Evo-Paket spendieren, einen neuen R8 mit Verbrenner wird es aber nicht mehr geben. Die Zukunft wird bei Limousinen und Coupés liegen. Und die müssten halt alleine aus Gründen des Marketings einen Hybrid haben.
Aber zu diesem Jahr. In der Pro werden sich vier Porsche, zwei Ferrari und die beiden Corvette um den Sieg streiten. Und die BoP wird einmal mehr eine große Rolle spielen. Während der Kampf zwischen Porsche und Ferrari relativ ausgeglichen scheint, hängen die Corvette etwas hinterher. Die Frage ist: Hat man bei GM mal wieder die berühmten Sandsäcke im Auto gelassen oder ist die BoP des ACO weiter ungnädig zu den Corvette? Die Antwort ist vor dem Rennen schwer zu finden, denn beides ist in den letzten Jahren schon vorgekommen. GM hat den ACO und die Konkurrenz schon geblufft, aber der ACO hat die BoP der Corvette, vor allem in den Ford GT Jahren, eher absichtlich schlecht gehalten.
Für das Rennen haben alle Marken aber die besten Fahrer im Aufgebot, die man im Moment hat. Porsche setzt auf Bruni, Lietz und Makowiecki in der #91 und Estre, Jani und Christensen in der #92. Bei Ferrari vertraut man Pier Guidi, Calado und Ledogar in der #51 und in der #52 werkeln Serra, Molina und Rigon. Alle vier Werksautos sind also hochkarätig bestückt und dürften auch im Team-internen Vergleich identisch schnell sein. Bei Corvette gibt es den erfahrenen Garcia neben Jordan Taylor und Nicky Catsburg in der #63. In der #64 vertraut man auf Milner, Tandy und Sims. Catsburg und Sims sind allerdings zwei Fahrer, die nicht so viel Erfahrung in Le Mans haben. Beiden sind bisher erst zweimal am Start gewesen, Sims hat das Rennen bisher noch nie beendet.
Die privaten RSR kommen von Weathertech und dem unter taiwanischer Flagge startenden Hub Auto Racing Team. Bei den Amis hat man „Bamthoor“ am Start, also Earl Bamber und Laurens Vanthoor. Daneben ist allerdings auch Cooper MacNeil dabei. Der 28-jährige Amerikaner und Sohn des Teambesitzers ist sicher kein schlechter und hat er schon zweimal in Le Mans auf dem Podium gestanden. Aber er ist klar der schwächere Fahrer im Team. Hub Auto hat sich die Dienste von Dries Vanthoor, Alvaro Parente und Maxime Martine gesichert. Vanthoor war bisher einmal in Le Mans, hat da aber 2017 mit JMW direkt die Klasse gewonnen. Maxime Martin hat letztes Jahr mit Aston in der Pro gewonnen. Parente ist erfahren, aber war bisher erst einmal in Le Mans. Bei beiden Teams stellt sich die Frage, ob man den nicht gerade einfachen RSR in Le Mans in Griff bekommt.
Vorhersagen sind schwer zu treffen. Viel wird davon abhängen, wie die Stopps über die Bühne gehen und für welche Strategie man sich entscheidet. Geht man „Off-Synch“ kann man Gefahr laufen das falsche Safety Car zu erwischen. Macht man es nicht kann man sich keinen vielleicht kleinen strategischen Vorteil erarbeiten. Ich würde keine Wetten auf einen Sieger eingehen, aber tippe grob auf die beiden Werks-Porsche.
GTE-Am
Was für die Pro-Kategorie gilt, das gilt für die Am-Klasse gleich doppelt. Favoriten gibt es bei den 23 Startern jede Menge, aber wenn man wetten will, sollte man vielleicht auf einen Ferrari setzen. Die stellen nämlich gleich elf Autos im Feld. Wir haben im Podcast das Feld ausführlich analysiert, aber ich will zumindest ein paar Teams nennen, die ich weit oben auf der Liste der Siegkandidaten habe.
Die Vorjahressieger von TF Sport sind da gleich zuerst zu nennen. Ben Keating, Felipe Fraga und Dylan Pereira im Aston Martin dürften zu den Top-Anwärtern auf den Sieg gehören. Wie immer übernimmt der Edel-Amateur Keating die Finanzierung. Der Amerikaner ist schnell, keine Frage, macht aber auch mal Fehler. Pereira kommt eigentlich aus dem Porsche Cup und scheint das Geld gehabt zu haben sich den Sitz im Team zu erwerben. Immerhin war er letztes Jahr im Porsche Supercup Vize-Meister, war aber noch nie Le Mans, geschweige in einem Langstreckenrennen. Das schwächt das Team natürlich etwas.
Der zweite Aston mit Chancen auf den Sieg kommt von Aston selber. Den Einsatz bezahlt, wie immer, Paul Dalla Lana, der Nicky Thiim und Marcos Gomes. Dessen Name mag nicht jedem geläufig sein, aber der Brasilianer hat im letzten Jahr die Asian Le Mans Series in der GT-Klasse für sich entscheiden können. Erfahrung auf der Langstrecke hat er. Der Schwachpunkt ist also nicht der dem breiten Publikum eher unbekannten Gomes, sondern Dalla Lana. So sympathisch der Kanadier ist, er tut sich schwer in Le Mans. Mehr als P6 ist bei seinen bisherigen Versuchen nicht herausgekommen. Das soll sich bei seinem neunten Auftritt in Le Mans ändern, aber einfach wird das für ihn nicht.
Bei Porsche gibt es neben den üblichen Verdächtigen von Dempsy-Proton und Project 1 in diesem Jahr ein Auto, dass man auf jeden Fall im Auge haben sollte. Das deutsche Herberth Motorsport Team ist zwar zum ersten Mal in Le Mans mit der Startnummer #69 am Start, aber wenn die Mannschaft eines kann, dann Langstreckenrennen. Das hat man in der 24-Stunden-Serie mehrfach bewiesen. Auch in anderen Serien hat man gezeigt, dass man schnelle Porsche am Start hat. Die Auswahl der Fahrer zeigt dann auch, dass man ernst meint. Robert Renauer, Rolf Ineichen und Ralf Bohn. Der hat, zusammen mit dem oben genannten Gomes, die GT-Klasse in der Asian Le Mans Serie gewonnen und fährt schon länger für Herberth. Team und Fahrer sind also erstklassig, die Frage wird sein, wie man in Le Mans zurechtkommt.
Bei Proton-Dempsy gilt es wie immer auf die #77 zu achten. Christian Ried, Matt Campbell und der Neuseeländer Jaxon Evans wollen dem Team den Klassensieg sichern. Evans gehört zum erweiterten Porsche Fahrerkader und hat in Frankreich den nationalen Porsche Cup gewonnen. Das Team gehört zu den Anwärtern auf den Sieg, den man 2018 ja schon mal in der Klasse holen konnte. Der zweite Dempsy-Proton #88 hat mit Julien Andlauer und Lance Arnold zwei Top-Piloten im Auto, allerdings muss man den 76-jährigen (!) Dominique Bastien aus den USA mittragen. Nicht unterschätzen sollte man den Proton Porsche #99 mit Patrick Long, Felipe Laser und Gian Luca Giraudi, auch wenn der Italiener mit seinen 52 Jahren nicht gerade zu den schnellsten gehört.
Bei Project One setzt man auf Egidio Perfetto. Matteo Cairoli und Riccado Perra. Der Italiener gehört zu den Nachwuchspiloten, hat aber schon Podien erreicht. Der zweite Porsche aus dem Team mit der Nummer #46 ist ein wenig interessanter. Dennis Olson und Andres Buchardt teilen sich das Auto mit Maxwell Root. Der Amerikaner gehört ebenfalls zum erweiterten Nachwuchsfahrer Pool von Porsche und hat in den USA schon einige gute Ergebnisse abgeliefert.
Bei Ferrari ist die Liste der möglichen Sieger. Sehr lang. Ich mache es mal etwas kürzer:
#54 AF Corse mit Thomas Flohr, Giancarlo Fisichella und Franceso Castellacci. Das ist eigentlich eine Pro-Besetzung, auch wenn Castellacci nur Silber ist. Er fährt aber schon seit Jahren mit den beiden anderen Piloten zusammen für Ferrari und dementsprechend bring das Team viel Erfahrung mit. Der ganz große Erfolg fehlt bisher allerdings.
Der Spirit of the Race Ferrari #55 ist ebenfalls schnell. Duncan Cameron, Matthew Griffin und David Perel teilen sich das Auto. Der Südafrikaner Perel hat schon die 24h von Spa in der Pro/Am-Klasse gewonnen, ist also wirklich nicht langsam. Und er kennt damit auch ein 24-Stunnden Rennen.
Nicht unterschätzen sollte man die Iron Lynx Mannschaft, die gleich drei Autos am Start haben. Die haben in diesem Jahr schon Rennen gewonnen. Neben dem Damen Team (Rahel Frey, Michelle Gatting, Sarah Bovey, #85)) sollte man vor allem die #60 mit Claudio Schiavoni. Paolo Ruberti und Raffaele Gianmaria achten. Eine sehr ausgewogenene Mannschaft mit viel Erfahrung und daher auch mit allen Voraussetzungen in Le Mans zu gewinnen.
Ebenfalls erwähnenswert ist natürlich der erste Auftritt von Rinaldi Racing in Le Mans. Dass das deutsche Team schnelle Ferrari bauen kann, wissen wir aus der VLN. Auch in anderen Serien ist man erfolgreich. Und mit Pierre Ehret, Christian Hook und Jereon Bleekemolen hat man auch eine exzellente Besetzung im Auto. Aber auch hier gilt, dass ein wenig die Erfahrung in Le Mans fehlt.
Der Rest des Feldes wird mit dem Sieg in der Klasse nicht viel zu tun haben. Schön ist, dass die grundsätzliche Qualität im Feld wieder gestiegen ist. Im letzten Jahr gab es doch arg viele unbekannte Gentleman-Driver. Auch wenn sich alle anständig verhalten haben, sind mehr Semi-Pros in der Klasse sicher kein Verlust.
Bilder: ACO