Here we go again! Am kommenden Wochenende startet die britische Tourenwagenmeisterschaft BTCC in Donington Park in die Saison 2022. Für dieses Jahr hat sich nicht nur Fahrer- und Team-seitig einiges getan, sondern auch beim technischen Reglement: Die BTCC wird die erste Tourenwagenserie der Welt, in der alle Autos mit einem Hybrid-Antrieb an den Start gehen.
Allein das ist schon Grund genug, die Saisonvorschau in zwei Teile zu gliedern. In diesem ersten Teil geht es um die technischen Neuerungen und alles andere, was man allgemein zur neuen Saison wissen muss – denn neben dem Hybridantrieb gibt es u.a. auch noch einen komplett neuen TOCA-Motor. Im zweiten Teil schauen wir uns dann das diesjährige Feld genauer an.
Hybrid-Antrieb
Die Einführung des Verbrenner-Elektro-Hybrids passiert ganz im Sinne des NGTC (Next Generation Touring Car) Reglements, das die BTCC seit nun schon mehr als zehn Jahren verfolgt: Anstatt Teams und Hersteller jeden für sich teure Systeme entwickeln zu lassen, ist das gesamte Hybrid-System ebenso wie Getriebe, Bremsen, Fahrzeugelektronik und etliche weitere Komponenten ein Einheitsbauteil, das alle Teams zu einem jährlichen Fixpreis von 20.000 britischen Pfund leasen können.
Die Entwicklung des Systems ist nach einer Ausschreibung vor rund 3 Jahren von Cosworth übernommen worden. In der Umsetzung handelt es sich um einen vom Fahrer auf Knopfdruck zuschaltbaren Elektromotor, der quasi wie ein Push-to-Pass-System funktioniert. Das System ist dabei völlig konventionell ausgelegt und verfügt neben einer 48 Volt-Batterie auf Höhe des Beifahrersitzes über eine MGU, die ans Getriebe angedockt ist und bei Aktivierung bis zu 40 zusätzliche PS an den Antriebsstrang übergibt. Daneben lässt sich aber auch rein elektrisch fahren, was künftig u.a. bei der Ausfahrt aus Boxengasse vorgeschrieben ist.
Hier gibt es ein kleines Youtube-Video zur Funktion des Hybrid-Systems:
Die zusätzliche Leistung dürfen die Fahrer dabei sowohl in der Quali als auch im Rennen für bis zu 15 Sekunden pro Runde abrufen, um sie beispielsweise zum Überholen oder Verteidigen zu nutzen. LEDs in den seitlichen Heckscheiben sollen dabei für die Zuschauer anzeigen, wenn ein Fahrer zusätzliche Leistung abruft. In der ersten Rennrunde und der ersten Runde nach einem Restart steht die Zusatzleistung aus Sicherheitsgründen nicht zur Verfügung. Zudem muss zur Aktivierung eine Mindestgeschwindigkeit von 120 km/h erreicht sein (dazu unten weitere Infos).
Abgesehen davon, dass mit dem Hybrid-Antrieb rein fahrerisch eine neue interessante Komponente dazu kommt, ist der besondere Clou, dass darüber auch ein System entworfen wurde, welches die Zusatzgewichte – auch gerne als „Erfolgsballast“ bezeichnet – komplett ablöst. Bislang war es so, dass die Fahrer auf den vorderen Positionen in der Meisterschaft bzw. im vorherigen Rennen zwischen 75 und 10 Kilogramm Gewicht zuladen mussten, um zu verhindern, dass ein oder mehrere Autos bzw. Fahrer zu dominant werden. Das sorgte zwar tatsächlich für eine gewisse Ausgeglichenheit, allerdings wurde insbesondere in den letzten Jahren deutlich, dass je nach Fahrzeugkonzept manche Autos deutlich besser mit dem Zusatzgewicht zurechtkamen und manchmal sogar einen Vorteil beim Reifenaufwärmen hatten, während andere quasi unfahrbar wurden, sobald 50 Kilo oder mehr an Bord waren.
In diesem Jahr werden die Autos zu jedem Zeitpunkt gleich schwer und damit in Sachen Performance viel besser vergleichbar sein. Stattdessen wird zur Erfolgs-Kompensation die Anzahl der Rennrunden bzw. der Sekunden pro Qualifikationsrunde, in denen der Hybrid-Antrieb genutzt werden darf, limitiert. Wie bei den Zusatzgewichten werden dabei die Positionen 1 bis 10 mit einem von oben nach unten nachlassendem Nachteil belegt.
In der Praxis stellt sich das dann so dar, dass der Erstplatzierte in der Meisterschaft (bzw. im vorherigen Rennen) den Hybrid-Antrieb in der Quali gar nicht und im Rennen je nach Renndistanz nur in drei bis sieben Runden für jeweils 15 Sekunden nutzen darf – die Entscheidung welche Runden das sind, obliegt dabei dem Fahrer. Auf Platz 10 besteht dann für die Quali immerhin noch eine Beschränkung auf maximal 13,5 Sekunden Hybrid-Nutzung pro Runde, während im Rennen in einer Runde auf die Zusatzleistung verzichtet werden muss. Für jeden Fahrer ab Platz 11 stehen dagegen uneingeschränkt jeweils 15 Sekunden Hybridpower für jede Quali-Runde und jede Rennrunde zur Verfügung.
Hier eine Übersicht:
Quelle: Screenshot aus https://www.btcc.net/wp-content/uploads/2022/04/Toca-Hybrid-A-Guide-to-the-BTCC-Hybrid-Era-04-22.pdf
Dieses HEM (Hybrid-Energy-Management) genannte Kompensations-System ist auch einer der Gründe, warum der Einsatz der Zusatzleistung erst ab 120 km/h erlaubt ist. Den größten Gewinn würde der Hybrid-Antrieb theoretisch beim Herausbeschleunigen aus langsamen Kurven bieten, aber a) würden dann alle Fahrer ihre 15 Sekunden vornehmlich dafür anstatt für Zweikämpfe nutzen und b) wäre der Nachteil für die Fahrer, die die Zusatzleistung aufgrund vorherigen Erfolgs nur eingeschränkt zur Verfügung haben, zu krass.
In der Praxis wird sich zeigen müssen, inwieweit das ganze Konzept aufgeht. Dass die Zusatzgewichte abgelöst werden, die so etwas wie ein notwendiges Übel waren, finde ich erst mal gut, und die Idee, die Erfolgs-Kompensation über das Beschränken der 40 PS-Zusatzleistung zu regeln, klingt zumindest interessant genug, um dem Ganzen eine Chance zu geben. Gut möglich, dass die TOCA hier auch noch mal nachjustiert – sowohl was die Zahl der beschränkten Runden als auch die Höhe und Dauer der über den Hybrid-Antrieb abrufbaren Zusatzleistung angeht.
Inwieweit das tatsächlich zu mehr Überholmanövern und Rennaction führt, bleibt auch erst einmal abzuwarten. Über mangelndes Zweikampfverhalten und zu wenige Überholmanöver kann sich die BTCC ja eigentlich nicht beklagen. Man muss auch kein Prophet sein, um zu erraten, dass alle Fahrer den Zusatzboost mehr oder weniger an denselben Stellen auf einer Strecke nutzen werden, was dann theoretisch wieder gleich schnell macht. Aber Abweichungen davon wird es trotzdem geben, egal ob durch die Beschränkung für die erfolgreicheren Fahrer oder doch möglicherweise entstehende unterschiedliche Strategien für den Einsatz des Elektromotors. Ein direkter Effekt wird außerdem auch eine höhere Endgeschwindigkeit auf den Geraden sein, was wiederum längere Bremswege und dadurch vielleicht mehr Möglichkeiten für Ausbremsmanöver – und auch Fehler – bietet.
Rennaction und Kompensationssystem mal ausgeklammert: Was grundsätzlich nicht außer Acht gelassen werden darf, ist natürlich der bewusst herbeigeführte Marketing-Effekt (ja, Motorsport ist meist immer auch ein Stück weit Marketing, ob man das nun wahrhaben will oder nicht; fragt mal bei der DTM nach 😉). Alternative Antriebskonzepte zum reinen Verbrenner sind mittlerweile nicht mehr nur Zukunft, sondern reale Gegenwart. Mit der Implementierung eines einfachen und kostengünstigen Hybrid-Antriebs, der dem Normalo-Fan an der Strecke die einfache Botschaft suggeriert: „Mit diesem Hybrid-Ding ist das Auto noch schneller als ohne“ macht sich die BTCC bewusst zum Werbebotschafter der Hybridtechnologie und geht als Rennserie einen zeitgemäß notwendigen Schritt. Dazu passend wird in dieser Saison auch ein neuer Treibstoff eingeführt, der immerhin zu 20% aus erneuerbaren Ressourcen gewonnen wurde.
TOCA-Motor
Angesichts des Hybrid-Antriebs gerät die zweite große technische Neuerung für diese Saison schon fast zur Nebensache: Es gibt in 2022 auch einen nagelneuen TOCA-Motor, der erstmals seit Einführung des NGTC-Reglements nicht von Swindon, sondern von M-Sport bereitgestellt wird. Der TOCA-Motor steht allen Teams, die aus Kostengründen kein eigenes Motorenprogramm auflegen möchten, für eine jährliche Leasinggebühr von 25.000 britischen Pfund zur Verfügung.
Die Idee des TOCA-Motors ist das Herzstück des Erfolgs des NGTC-Reglements, da damit eine für viele Teams ansonsten schwer zu überwindende Kostenhürde eliminiert wird. Zusammen mit den anderen festgeschriebenen Einheitsbauteilen kann sich im Prinzip jeder relativ einfach und kostengünstig einen fertigen Rennwagen zusammenbauen und damit in der BTCC antreten. Der Erfolg dieses Konzepts hat sich in den letzten Jahren in vollen Startfeldern mit um die 30 Autos und einem bunten Markenmix gezeigt.
Dass der TOCA-Motor dabei nicht nur dazu da ist, um mit ärmeren Teams das Feld aufzufüllen, zeigt sich u.a. daran, dass auch viele Spitzenteams auf den Einheitsmotor setzen und damit erfolgreich sind. Ash Sutton hatte bei seinen letzten beiden Meisterschaften zum Beispiel den TOCA-Motor von Swindon unter der Haube.
Dem Reglement entsprechend ist der neue TOCA-Motor von M-Sport auch in diesem Jahr ein 4 Zylinder-Reihenmotor mit 2.000 ccm Hubraum, der mit Turboaufladung 350 bis 380 PS leistet. Die Basis für den Antrieb bildet der Block eines ungenannten Herstellers, auf dem der Motor dann mit passenden Innereien aufgebaut wird – da M-Sport aber ja eine gewisse Assoziation zu einem Hersteller mit einem blauen Oval im Logo hat, ist die wahrscheinliche Basis jetzt nicht unbedingt schwer zu erraten.
2022 wird der neue Motor von M-Sport in 14 Autos eingesetzt, was knapp die Hälfte des Feldes ausmacht. Welche Teams auf den TOCA-Motor setzen und welche Teams eigene Motoren bauen (lassen), erkläre ich in Teil 2 der Vorschau.
Kalender
Wenig neues gibt es dagegen beim Kalender. Wie üblich stehen 30 Rennen auf dem Programm, die sich auf 3 Rennen je Saisonstation aufteilen.
24. April – Donington Park National Circuit
15. Mai – Brands Hatch Indy Circuit
29. Mai – Thruxton Circuit
12. Juni – Oulton Park Island Circuit
26. Juni – Croft Circuit
31. Juli – Knockhill Circuit
14. August – Snetterton Motor Racing Circuit
28. August – Thruxton Circuit
25. September – Silverstone National Circuit
9. Oktober – Brands Hatch GP Circuit
Rennformat und Meisterschaft
An jedem Rennwochenende findet am Samstag eine Qualifikation statt, mit der die Startaufstellung für das erste Rennen am Sonntag bestimmt wird. Die Startaufstellung für das zweite Rennen ergibt sich aus dem Ergebnis des ersten Rennens, während der Pole-Sitter für das dritte Rennen aus den Fahrern, die im zweiten Rennen auf den Positionen 6 bis 12 gelandet sind, gelost wird. Die Startaufstellung auf den vorderen Plätzen wird dann bis zu der gezogenen Position komplett umgedreht, während sich die restlichen Startpositionen aus dem tatsächlichen Ergebniss des zweiten Rennens ergibt. Nicht verstanden? Egal, muss man einfach mal gesehen haben, dann ist alles klar.
Punkte gibt es gemäß dem folgenden Schema für die ersten 15 Plätze in jedem Rennen:
- Platz 20 Punkte
- Platz 17 Punkte
- Platz 15 Punkte
- Platz 13 Punkte
- Platz 11 Punkte und dann in 1er-Schritten bis zum 15. Platz.
Je einen Zusatzpunkt gibt es dann noch für den schnellsten in der Quali, die schnellste Rennrunde je Rennen und wenn man in einem Rennen mindestens einmal in Führung gelegen hat.
Neben der Gesamtmeisterschaft für Fahrer gibt es auch eine Team- und eine Herstellerwertung, für die maximal zwei Autos einer Marke Punkte sammeln können.
Für Fahrer und Teams, die nicht für die Herstellerwertung eingeschrieben sind, gibt es noch je eine Independent-Fahrer- und -Team-Wertung. Wer als Hersteller und wer als Independent antritt, erläutere ich in Teil 2 der Vorschau. Generell macht die Unterscheidung in der BTCC aber zumindest in Sachen Leistungsfähigkeit ohnehin keinen großen Unterschied, sondern sagt nur etwas darüber aus, ob ein Team in irgendeiner Form von einem Hersteller unterstützt wird oder über andere zusätzliche technische Möglichkeiten verfügt oder nicht. Reine Werksteams gibt es schon seit Jahren nicht mehr und widersprechen auch dem, was man in der BTCC im Sinne einer klaren Kostendeckelung haben möchte. Das Meisterteam des Vorjahres, Laser Tools, ist beispielsweise als Independent-Team geführt.
Zusätzlich gibt es auch noch die Jack Sears-Trophy, die seit einigen Jahren jeweils an den besten Fahrer vergeben wird, der zu Beginn der Saison noch nie auf dem Podium war – quasi sowas, wie die Rookie- bzw. Amateur-Wertung der BTCC.
Übertragung
So sehr ich die BTCC feiere und sie zu meiner allerliebsten Rennserie zähle – wenn ich irgendwo meckern muss, dann ist es die Übertragung. Und damit meine ich nicht die Übertragung an sich. Das was die Crew rund um Steve Rider und Co. an jedem Renntag in einer 7 -Stunden-Marathonübertragung hinlegt ist eine fachliche und den Sport tief wertschätzende Qualität, die jedem Motorsportfan Tränen der Freude in die Augen treibt. Wenn deutsche Motorsportübertragungen hiervon nur 25% zugunsten der „Geil, geil, ist das alles geil hier, wir wissen aber auch nicht wieso“-Mentalität übernehmen würden, würde das so mancher Übertragung echt guttun.
Nein, gerade angesichts des hohen Niveaus von Moderatoren und Kommentatoren und dem Aufwand, der redaktionell betrieben wird, ist es einfach eine Schande, dass der übertragende Sender ITV4 das alles nach wie vor als SD-Kartoffelfernsehen ausstrahlt. Wir haben 2022 und jede BTCC-Übertragung kommt mir von der Bildqualität so vor, als würde ich eine Folge Knight Rider oder Magnum gucken. Es gibt zwar ITV4 HD, was wohl auch die BTCC einschließt, aber da kommt man nur als in Großbritannien ansässiger Kunde von Sky UK dran … Argh.
Das führt zu meinem Problem Nummer 2: Wenn ich in England, Schottland, Wales, Nordirland oder auf einer britischen Ölborplattform sitze, kann ich das ganze (in SD) fröhlich im Free TV auf ITV4 schauen. Und wenn ich grad keinen Fernseher hab, werfe ich den Live-Stream auf der ITV-Seite an. Sitze ich aber außerhalb des britischen Hoheitsgebiets (was bei mir und vermutlich fast allen anderen, die gerade diesen Text lesen der Fall sein dürfte) schaue ich theoretisch erst mal in die Röhre, denn ITV im Fernsehen empfangen ist nicht und der Livestream hat einen Geoblock. Gut, mit einem VPN bzw. dem „Streamingservice“ des Vertrauens weiß man sich hier zu behelfen, aber ich verstehe die BTCC bzw. TOCA nicht, warum es keine Bestrebungen gibt, die Rennen auch außerhalb des Vereinigten Königreichs in irgendeiner Form offiziell anzubieten. Ich wäre ja sogar bereit, dafür was zu zahlen, solange 1 zu 1 der Feed mit der ITV-Crew übernommen wird und das Bild HD ist.
And on this bombshell So, fertig für heute. Morgen kommt dann Teil 2 der Vorschau mit der Vorstellung des diesjährigen Feldes.
Bilder: btcc.net