Die GT-Klassen sollten auch in diesem Jahr wieder für ein spannendes Rennen sorgen. Allerdings ist die Markenvielfalt wieder etwas eingeschränkt.
30 Autos gibt es in diesem Jahr in den GTE-Klassen. Das ist knapp die Hälfte des Feldes, aber ein Blick auf die Marken verrät eine gewisse Eintönigkeit. Ferrari stellt gut die Hälfte aller Fahrzeuge. Dazu kommen ein paar Porsche, zwei Corvette (Pro) und drei Aston Martin. Das war es schon. Die GTE-Klasse ist, zumindest in Sachen Markenvielfalt, am Ende und passieren wird da auch nichts mehr. Ab 2024 sollen GT3 die GTE ersetzen, aber man kann schon fragen, warum der Wechsel erst in zwei Jahren kommt. An GT3-Fahrzeugen besteht ja nun kein Mangel und genug Teams gibt es auch. Und wer würde nicht gerne Porsche, Audi, Mercedes, BMW und andere um den Sieg kämpfen sehen.
GTE-Pro
Trotz der eher bescheidenen Markenvielfalt bietet die GTE aber weiterhin sehr guten Motorsport. Bisher ist es dem ACO immer wieder gelungen, die Balance of Performance (BoP) so zu gestalten, dass kein Hersteller komplett dominiert. Mal abgesehen von den Jahren, als die Ford GT dies taten. In diesem Jahr kämpfen in der Pro immerhin sieben Autos um den Sieg in der prestigeträchtigen Klasse. Das ist zwar ein Auto weniger als im letzten Jahr, aber sei es drum. Die größten Chancen auf den Sieg hat numerisch Ferrari, die drei Autos stellen. AF Corse hat mit Alessandro Pier Guidi, James Calado, Daniel Serra (#51) und Miguel Molina, Antonio Fuoco, Davide Rigon (#52) die Riege der Werksfahrer in Frankreich am Start. Der dritte Ferrari kommt interessanterweise von Riley Motorsport (#74) und die haben auch eine spannende Besetzung. Neben Felipe Fraga und Sam Bird wird der Neuseeländer Shane van Gisbergen im Auto sitzen. Der ist zwar nur als Gold eingestuft, aber bekannterweise ist van Gisbergen in allen Autos schnell. Das ist fahrerisch eine sehr spannende Mischung.
Corvette, die im letzten Jahr nur knapp von AF Corse geschlagen wurden, dürfte volle Attacke auf den Sieg gehen. Die C8.R ist mittlerweile ausgereift und schnell, sodass man von Anfang an die hohe Pace in Le Mans wird halten können. Bei den Fahrern gibt folglich auch keine Experimente. In der #64 sitzen Tommy Milner, Nick Tandy und Alexander Sims, die #63 wird von Antonio Garcia, Jordan Taylor und Nicky Catsburg gesteuert.
Porsche tritt dieses Jahr nur mit zwei Werks-Autos an. Und auch hier gibt es keine Überraschungen bei der Fahrerwahl. In der #91 werden Gianmaria Bruni, Richard Lietz und Frederic Makowiecki sitzen, in der #92 Michael Christensen, Kevin Estre und Laurens Vanthoor.
Die Strategie in der Pro ist in jedem Jahr gleich: Quali-Runden vom Start bis zum Schluss. Das ist ein Aspekt, warum die Pro so faszinierend ist. Da alle Fahrer auf gleichem Niveau unterwegs sind, hängt alles an der Gleichmäßigkeit und den Stopps. Dazu natürlich an den Safety Cars, denn Unterbrechungen haben in den letzten Jahren den Kampf in der Pro immer wieder auseinandergerissen. Aber Fehler kann man sich in der Klasse nicht erlauben. Wer Sekunden an der Box verliert, hat schon verloren.
GTE-Am
Die Amateur-Klasse ist ein Ferrari Festival. Von der 23 Startern in der Klasse setzen 12 Teams auf den Ferrari 488 GTE Evo. Ich konzentriere mich mal auf die Favoriten bei Ferrari, also auf die Teams, die es geschafft haben möglichst gute Bronze-Fahrer ins Auto zu bekommen. Das Interessante in der Klasse ist die Strategie. Wer setzt wann seine Bronze- und Pay-Driver ein? Manche Teams lassen die Pay-Driver gerne nach ein bis zwei Stunden ins Auto, wenn sich die Hektik etwas gelegt hat. Manche warten vier Stunden und länger. Alle werden aber schauen, dass man die Profis am Ende im Fahrzeug hat. Davon ausgenommen sind dann die Pay-Driver, die dafür zahlen, den letzten Stint fahren zu dürfen.
Da wir in diesem Jahr so viele gleichwertige Fahrzeuge im Feld haben, die alle die gleiche BoP haben, dürfte es vor allem im Mittelfeld eng werden. Das ist einerseits spannend, andererseits natürlich ein Rezept für Kollisionen und Unfälle. Dafür fehlen in diesem Jahr die unerfahrenen Gentleman-Driver, die wir noch 2020 und 2021 gesehen haben, was der Sicherheit sicher hilfreich ist.
Ferrari
AF Corse hat mit der Startnummer 54 ein heißes Eisen im Feuer. Thomas Flohr, Francesco Castellacci und Nick Cassidy sind jetzt keine unbekannten Piloten und alle bringen die nötige Erfahrung für Le Mans mit. Die Kombination gehört zur besten Fahrerpaarung in der Am, die sich zudem auch gut kennen. AF Corse sorgt für die nötige Unterstützung an der Box und bei der Strategie. Das Team erwarte ich dementsprechend in den Top 3.
Ebenfalls gut besetzt ist der Spirit of Race Ferrari (#55) mit Duncan Cameron (interessanterweise der Bronze-Fahrer), Matt Griffin und dem Südafrikaner David Perel. Der ist Beobachtern aus der ELMS bekannt, denn da erreichte er im letzten Jahr in der Endwertung den zweiten Rang mit Kessel Racing. Aber auch in der ehemaligen Blancpain-Serie war 37-Jährige schon erfolgreich. Was ihm allerdings etwas fehlt, ist die Erfahrung in Le Mans, was hinderlich sein kann.
Das Iron Lynx Team (#60) sollte man ebenfalls im Auge haben. Claudio Schiavoni, Alessandro Balzan und Raffaele Gianmaria sind keine Neulinge und erfahreren in verschiedenen Rennserien. Iron Lynx selbst hat in den letzten Jahren immer mit sehr guten Ergebnissen teilweise überrascht und daher halte ich auch sie in Le Mans zumindest gut für die Top 5.
Auch das zweite Iron Lynx Auto (#80) ist spannend. Matteo Cressoni, Giancarlo Fisichella und Teilzeit-Pilot Richard Heistand teilen sich das Auto. Heistand ist gut und man sollte ihn nicht unterschätzen. Er fährt zwar nur sporadisch, gehört aber zu besseren Piloten und ist weit davon entfernt lediglich ein Gentleman-Driver zu sein. Immerhin hat er zwei Rennen in der IMSA gewonnen. Nachteilig ist allerdings, dass er in den letzten zwei Jahren kaum in einem Rennauto gesessen hat.
Ein bekannter Name ist das JMW Team aus Großbritannien (#66). Die haben eine interessante Besetzung im Auto, denn da wird kein Geringerer als Renger van der Zande an den Start gehen. Das allein könnte den Sieg bringen, aber der Niederländer kann ja nicht die ganzen 24 Stunden fahren. Neben ihm werden Mark Kvamme und Jason Hart an den Start gehen. Kvamme ist der Pay-Driver der Nennung und mit seinen 61 Jahren nicht mehr ganz taufrisch. Auch fährt er nur sporadisch und dürfte daher nicht die Rundenzeiten der Teamkollegen haben. Jason Hart ist mit 46 auch nicht mehr ganz jung, hat im letzten Jahr aber die GT4-Meisterschaft in den USA gewonnen.
Erwähnen sollte man auch noch das Damen-Team (Iron Dames #85) mit Rahel Frey, Michelle Gatting und Sarah Bovy. Die waren im letzten Jahr schon zusammen am Start und beendeten das Rennen auf seinem sehr respektablen neunten Platz in der Klasse. Wäre toll, wenn es für das Team in diesem Jahr noch besser laufen würde.
Porsche
Die deutsche Marke ist zwar nur „nur“ mit acht Autos in der Am vertreten, hat dafür aber einige sehr gut besetzte Autos im Angebot. Team Project (#46) hat Matteo Cairoli, Mikkel Pedersen und Nicolas Leutwiler im Auto. Pedersen ist erst seit diesem Jahr im Team und hat auch wenig Rennerfahrung. Daher ist es etwas schwer ihn einzuschätzen, aber die Probleme haben andere Teams ja auch. Da Cairoli und Leutwiler alte Hasen sind, traue ich dem Team die Top 5 zu.
Die Speerspitze bei Porsche dürfte aber die #77 von Dempsey-Proton sein. Christian Ried, Sebastian Priaulx und Harry Tincknell haben alle Erfahrung, sind schnell und kennen den Porsche. Was gegen die #77 spricht, ist deren Pech in Le Mans. Irgendwas ist mit dem Auto immer. Sollte die Technik aber durchhalten und die Porsche in der BoP gut gestellt sein, erwarte ich die #77 ganz vorne.
Der WeatherTech Porsche (#79) ist ebenfalls wieder in Le Mans und es ist schön die US-Mannschaft nun regelmäßig an der Sarthe zu sehen und die Mannschaft muss sich nicht verstecken. Cooper MacNeil, Julien Andlauer und Thomas Merrill haben das Zeug den Wagen in die Top 5 zu bringen. Aber auch bei WeatherTech gibt es immer mal wieder Probleme mit der Zuverlässigkeit.
Von Proton kommt die #93 und die ist ebenfalls stark besetzt. Michael Fassbender, Matt Campbell und Zacharie Robichon sollten das Talent und den Speed haben um den Sieg mitfahren zu können. Campbell und Fassbender schätze ich auf dem Niveau von Robichon ein, auch wenn der nominell als Silber-Fahrer vor Fassbender klassifiziert ist. Aber der Ire hat in seiner Karriere immer wieder Podien eingefahren und ist mit Sicherheit nicht langsam.
Aston Martin
Da kann man es leider kurz machen. Ein Sieg der britischen Marke in diesem Jahr wäre eine Sensation. Mit drei Autos wird es eh schwierig gegen die Ferrari und Porsche und die startenden Teams sind nur teilweise gut besetzt. TF Sport (#33) wird durch Ben Keating, Marco Sorensen und Henrique Chaves vertreten. Das Auto wird auch die besten Chancen haben. Wenn einem der Name Chaves nichts sagt: Der hat im letzten Jahr den GT World Challenge Europe Sprint Cup mit Barwell Motorsports gewonnen. Er weiß also, wie es geht. Keating ist der Bronze-Fahrer (warum auch immer), aber bekanntermaßen schnell. Und Sorensen weiß, wie man einen Aston schnell bewegt.
Mit dabei ist auch wieder der unermüdliche Paul Dalla Lana, der in der #98 von NorthWestAMR von Nikki Thiim und David Pittard unterstützt wird. Das ist im Grunde keine schlechte Mannschaft, denn Pittard ist sehr erfahren und hat schon in der VLN Rennen gewonnen (Walkenhorst). Wäre da halt nicht Dalla Lana selbst. So sympathisch der Kanadier ist, schneller ist der Gentleman-Driver in den letzten Jahren eher nicht geworden. Dazu kommt, dass er auch meist derjenige ist, der im Rennen schon mal neben der Strecke zu finden ist.
D’Station (#777) aus Japan ist auch wieder dabei, was schön zu sehen ist. Zusammen mit Satoshi Hoshino, Tomonobu Fuji und Charles Fagg wird man vor allem darauf aus sein, das Ziel zu erreichen. Hoshino ist seit Jahren in den europäischen Rennserien unterwegs, konnte mit D’Station 2020 aber auch einen Sieg in der Asian-LMS erreichen. Fuji war zweimal Dritter in der Super GT (T300) fährt aber nur noch sporadisch. Fagg ist ebenfalls ein Gelegenheits-Pilot, war aber auch schon in der VLN in der GT4 Klasse unterwegs.
Bilder: ACO, WEC