Nach den Vorfällen aus Vallelunga war eigentlich klar, dass es nicht mit einem „Schwamm drüber“ weitergehen konnte. Lediglich 12 Fahrzeuge stellten sich einer, für die meisten komplett neuen Strecke im Dreiländereck Frankreichs. Diese bot jedoch wieder besseren Tourenwagensport als in den vergangenen Wochen. Für die Serie war es nach dem Auftakt in Pau bereits der zweite Auftritt in Frankreich in diesem Jahr.
Es kam einem Erdbeben gleich, als recht kurz vor Beginn des Elsass Wochenendes eine Pressemeldung von Lynk & Co. die Runde machte, dass man sich bis auf Weiteres aufgrund der Reifenproblematik aus der Serie zurückziehen wird. Vor allem für den Veranstalter im Elsass war die Meldung bitter, da es das Heimspiel von Yvan Muller und Yann Ehrlacher geworden wäre. Auch für den Promoter der Rennserie war es bitter, da man somit bis auf Weiteres mit zwölf Wagen die Saison zu Ende fahren wird. Ob der Hersteller aus China 2023 evtl. zurückkommt, ist nicht bekannt. Man versucht jedenfalls alles, um das Feld für 2023 wieder passabel hinzubekommen. Nun gilt es erstmal, die arg verkorkste 2022er Saison halbwegs ordentlich zu Ende zu bekommen. Wenn man jedoch in den beiden Pandemiejahren aus anderen Rennserien eins gelernt hat, dann dass auch kleinere Starterfelder durchaus unterhaltsamen Sport bieten können. So wie die WTCR am vergangenen Wochenende!
Beim Reifenhersteller Goodyear hatte man nach den Vorfällen aus Vallelunga erkannt, dass das Hauptthema an den Reifen die hohen Temperaturen waren. Somit kam die kurzzeitige Abkühlung Mitteleuropas gerade gelegen und bereits vorab – es gab ohne Fremdeinwirkungen offenbar keine Reifenschäden in Frankreich zu beanstanden. Ein Gedenk dessen, dass man bis auf Turn eins auf der Bahn keine wirklich Highspeed Passagen hatte. Zudem hatte man am Donnerstag einen extra Reifentest eingeführt und alle Wagen 20 Kilogramm leichter gemacht.
Die Strecke dürfte für praktisch jeden komplettes Neuland gewesen sein. Die kleine Klubstrecke wurde 1996 erbaut und seitdem hauptsächlich für Industriefahrten genutzt, da in der Region erstaunlich viel Autoindustrie ansässig ist, u.a. die Marke Bugatti. Internationale Rennveranstaltungen hatte man praktisch noch nie gehabt, aber die WTCR wäre nicht die WTCR, wenn man nicht öfters eher unbekannte „Pommesbuden-Strecken“ aus der Versenkung heben würde, um dies keinesfalls ins Lächerliche ziehen zu wollen. Die Strecke hat seinen Charme und sollte tollen Sport bieten! U.a. hatte man sich an einer Auslaufzone mit den blauen Streifen an Paul Ricard orientiert und die Boxengassengebäude waren in traditionellem Fachwerkdesign. Ansonsten sah man sehr schnell anhand der Reifenstapel, Grünflächen und Leitplanken, dass man hier auf einer typischen old-school Bahn unterwegs war.
Interessanterweise hatte man trotz des Lynk & Co. Rückzug nicht mit einer Änderung des Qualifikationsmodus reagiert, was das Q1 nach den beiden freien Trainings zu einem weiteren 20 Minuten Training werden ließ, da ein Modus, dass die Top 12 weiterkommen bei 12 Startern nur bedingt Sinn macht. Auch etwas kurios: Wird man Drittletzter, bekommt man die Pole für Rennen zwei, was nur unwesentlich weniger bepunktet wird als das Hauptrennen. Ein Modus, über den man ruhig mal nachdenken sollte.
Wie schon in Vallelunga versuchten alle irgendwie ihre Target-Zeiten einzuhalten. In die Top Fünf schafften es wie schon in Vallelunga beide ALL-INKL.COM Honda Piloten, mit Berthon und Magnus zwei Audi und mit Mikel Azcona ein Hyundai, der hohes Risiko nahm und in der letztmöglichen Runde seine Zeit setzte. Die Pole ging wie schon in Vallelunga an Nestor Girolami und erneut war man bei der Honda Mannschaft nicht begeistert über die Erfolgsgewichte, die es nach sich ziehen wird. Hier dürfte ihnen noch die Gewichtsreduktion zu Gute gekommen sein. Ob dies jedoch von den Regularien her so bleibt, muss man abwarten. Esteban Guerrieri machte es „besser“ mit dem vierten Platz, während Mikel Azcona sich mit dem dritten Platz eine gute Startposition für beide Rennen erarbeitete, was für die Meisterschaftsambitionen noch sehr wichtig werden sollte.
Rennen 1
In der ersten Reihe standen damit Girolami und Nathanael Berthon. Es folgte ein recht aggressiver Start, bei dem es teils zu dritt nebeneinander in die erste Highspeed-Rechtskurve hinein ging. Im Mittelfeld ging es für Tom Coronel kurz über die Wiese. Alles in allem ging aber alles gut. Berthon konnte sich durchsetzen und übernahm die Führung, woraufhin man die taktische Komponente im Meisterschaftskampf zu spüren bekam. Schnell funkte das Team zu ihm „Respect the plan now, now!“. Der Plan wurde schnell ersichtlich, nachdem das kleine Feld sehr dicht zusammenblieb und er nur so schnell wie zwingend nötig fuhr. Der Plan dürfte gewesen sein, den bis dahin auf Platz fünf liegenden Gilles Magnus nach vorne zu bringen und ihm idealerweise den Sieg zu ermöglichen. Dieser Gilles Magnus sollte der Dreh- und Angelpunkt dieses Rennens sein. Hinter Berthon waren nach dem Start Girolami, Azcona und Guerrieri.
Zwischen Magnus und Guerrieri gab es die erste Kollision des Tages, nachdem Magnus dem Argentinier hinten auf die Ecke fuhr und dieser in einen spektakulären Dreher geschickt wurde. Nachdem die Reifen wohl viereckig waren, musste er einen Not-Stopp einlegen. Das Manöver wurde unter Kontaktsport eingestuft und zog keine Strafe nach sich. Anschließend übte Gilles Magnus auch gegen Mikel Azcona um Platz drei eine harte Gangart aus und ging nach einigen Runden an ihm vorbei. Aufgrund der harten Fahrweise blieb es zunächst bei einer Verwarnung, zunächst! Hyundai erkannte die brenzlige Lage und gab an Azcona die Anweisung, möglichst nicht zu fighten und den dritten Platz im Zweifel herzugeben.
Nun dürfte es von der Comtoyou Mannschaft der Plan gewesen sein, dass Magnus im Idealfall auch noch an Nestor Girolami vorbeikommen sollte, um ihn dann an Berthon vorbeizulassen. Dazu kam es jedoch nicht, auch wenn praktisch das komplette Feld bis auf Guerrieri und Benanni wegen Reifenwechseln nach ihren Kollisionen noch zusammen war. Eine kleine Lücke bildete sich kurz vor Schluss zwischen Mikel Azcona und Tom Coronel zwischen Platz vier und fünf, was in einem engen Duell um den fünften Platz mündete, bei dem Norbert Michelisz im Hyundai noch Plätze gewinnen konnte und damit die Teamführung von BRC Hyundai absichern konnte.
Kurz vor Schluss gab es dann den ersten und wohl auch einzigen Reifenschaden des Tages von Atilla Tassi, der aber durch diverse Berührungen entstanden sein dürfte.
Am Ende sicherte sich Nathanael Berthon den Sieg vor dem Polesetter Nestor Girolami und Gilles Magnus, dem nur ein top Wochenende für die Meisterschaftsambitionen geholfen hätte. Im Nachgang bekam er jedoch eine 5-Sekunden Strafe nach der Kollision gegen Azcona, was ihm den siebten Platz einbrachte. Azcona nahm erneut wichtige Punkte mit und sicherte den vierten, bzw. dritten Platz Platz ab. Ein insgesamt sehenswertes Rennen, was neben taktischen Komponenten auch attraktiven Tourenwagensport bieten konnte!
Rennen 2
Erneut dauerte die Pause wie schon das ganze Jahr sehr lange mit etwa vier Stunden, in denen es bei den meisten Teams nicht allzu viel zum Reparieren gab. Erneut sah man, dass die Pole aufgrund der schmutzigeren Seite eher keinen Vorteil bot, womit Mehdi Benanni seine Pole nicht in eine Führung ummünzen konnte und Rob Huff im Cupra vorbeiging. Damit entwickelte sich das Rennen ähnlich wie das erste Rennen, da der Cupra wie schon in der Qualifikation gesehen, eher nicht die Pace der anderen gehen konnte und damit Huff alle ein wenig aufhielt. Eine schwache erste Runde erlebte Berthon, der sich nach seinem Sieg im ersten Lauf nach der Startrunde am letzten Platz wiederfand und keine Rolle in diesem Rennen spielen sollte. Nach der ersten Runde waren es somit Huff, Benanni, Michelisz, Magnus, Monteiro und Azcona auf den ersten Plätzen.
Mikel Azcona revanchierte sich bei ca. der Hälfte des Rennens, als er recht aggressiv an Gilles Magnus vorbeiging. Hierdurch konnte Hyundai seine Teamtaktik ausspielen und Azcona wenige Minuten später an Michelisz vorbeilassen für den dritten Platz. Dahinter verlor Gilles Magnus einiges an Pace – kein Vergleich zu seinem ersten Rennen. Auch für die Honda Mannschaft und allen voran Nestor Girolami ging es vom zehnten Platz nicht wirklich nach vorne, was Azcona komplett in die Karten spielte.
Für den Aufreger des Rennens sorgte in der letzten Runde noch Tom Coronel, als er sehr ambitioniert Esteben Guerrieri in die Seite fuhr und beide ins Kiesbett rutschten. Beide schleppten sich am Ende auf Platz zehn und elf ins Ziel, das Ganze bei Coronel noch mit herausgerissenem Rad.
Am Ende holte Rob Huff den zweiten Cupra Sieg des Jahres vor Mehdi Bennani, den Audi in diesem Fall taktisch nicht einsetzen konnte und Azcona, der dieses Mal ohne Strafversetzungen den dritten Platz einfuhr, was ein entscheidender Schritt für den Titel gewesen sein könnte. Dahinter landeten Norbert Michelisz und Gilles Magnus. Magnus dürfte nun keine reellen Chancen mehr auf den Titel haben. Bester Honda wurde kurioserweise Thiago Monteiro im Engstler Civic. Für Nestor Girolami reichte es aufgrund der vor ihm stattgefundenen Kollision zwischen Coronel und Guerrieri noch für den siebten Platz.
Fazit
In der Meisterschaft hat nun Azcona einen recht großen Vorsprung auf Nestor Girolami von fast 40 Punkten und auf Huff mit mehr als 50 Punkten. Sofern der Spanier seine Nerven behält und weiterhin das große Ganze im Blick behält, dürfte der Titel über ihn gehen. Dass er Meisterschaften holen kann, hat er ja bereits zwei Mal in der umkämpften TCR Europe bewiesen.
Weitere Infos zum weiteren Kalender stehen zur Stunde noch aus. Jedoch ging bereits die Meldung durchs Fahrerlager, dass es nach den Absagen der Events in China, Südkorea und Macau nun eine ellenlange Pause bis in den November hinein gibt. Man plant wohl im Rahmen des WEC Finals in Bahrain zu fahren, woraufhin das Finale wohl im Saudi-arabischen Jeddah stattfinden soll (hoffentlich ohne dortige Konflikte wie beim F1 Auftritt Anfang des Jahres). Sofern man am Format mit zwei Rennen festhält, was beim eng gestaffelten Programm in Bahrain wohl der Fall sein wird, scheinen zwei Rennen wegzufallen gegenüber den ursprünglichen Planungen, was Azcona einmal mehr zum klaren Favoriten werden lässt.
In den kommenden Monaten dürfte es auch um die generelle Zukunft der Rennserie gehen, da ein Feld mit zwölf Wagen wohl keine Dauerlösung sein dürfte. Man wird sicherlich versuchen, Lynk & Co. als potenten Partner der Serie zurückzugewinnen. Zudem bleibt zu hoffen, dass eventuelle Privatteams aus der TCR Europe von der Cupra Mannschaft von Zengo Motorsport inspiriert werden, um ebenfalls zu einem Start motiviert zu werden. Die ungarische Mannschaft zeigt in jedem Fall: Es geht auch als Privatteam!
Bildquellen: WTCR Media: