Die Ausgangsposition war nach dem London-Doubleheader gut und Stoffel Vandoorne hat seine Chance genutzt: mit einem fünften Platz am Samstag und einem zweiten Platz am Sonntag wurde er der neue Fahrer-Weltmeister der Formel E. Er erbt diesen Titel von seinem Teamkollegen Nyck de Vries, der eine durchwachsene Saison erlebte und auch in Seoul beide Rennen nicht beenden konnte. Punkte zur Teamwertung konnte der Niederländer damit auch nicht mehr beitragen, doch die seines belgischen Teamkollegen reichten aus, um Mercedes auch den zweiten Team-Titel in Folge zu bescheren.
Wenn man dann noch dazu nimmt, dass auch das zweitplatzierte Team der WM, Venturi, von Mercedes-Technik angetrieben wird, dann verabschiedet sich die deutsche Marke immerhin standesgemäß. Denn nach nur drei Saisons als Werksteam steigt Mercedes-Benz zur nächsten Saison wieder aus der Formel E aus. Die Lizenz sowie Eigentum des Teams hat McLaren aufgekauft, die nächstes Jahr einsteigen werden. Auch die Zukunft von Vandoorne und de Vries ist noch im Unklaren. Das Venturi-Team wird ab 2023 den Einsatz der neu hinzukommenden Marke Maserati verantworten. Damit verschwinden auch die erfolgreichen Mercedes-Antriebe sofort – anders als es bei Audi und BMW war – aus der Serie. Aber mit der neuen Saison werden wir uns dann um den Jahreswechsel 2022/23 herum befassen, der Auftakt ist für den 14. Januar in Mexico City geplant.
Seoul ePrix: Lauf 1
In Seoul haben wir zwei Rennen erlebt, die jeweils von Unfällen in der Startphase stark beeinflusst worden sind. Die Strecke erwies sich als interessant und fordernd, ließ aber nur wenige Überholmanöver zu. Auch die Attack Mode Activation Zone war so platziert, dass die Piloten sie meist ohne Verlust eines Platzes durchfahren konnten, was der Rennaction wenig zuträglich war.
Am Samstag hatte es vor Rennstart geregnet, die Strecke war feucht. Die Pole hatte sich überraschend Oliver Rowland im Mahindra gesichert – ein positiver Abschluss für das in dieser Saison wenig erfolgreiche Team. Jäger Evans startete auf P3, Mortara auf P6 und der Gejagte, Stoffel Vandoorne, auf Platz 7. Rowland wurde aber direkt am Start von di Grassi und Rowland kassiert, Evans schnappte sich eine Kurve später dann die Führung und machte damit das meiste aus seinen Möglichkeiten.
Auf feuchter Strecke waren die Piloten zunächst einigermaßen vorsichtig, aber am Ende der ersten Runde kam es zum großen Crash: während das Vorderfeld noch größtenteils unbeschadet die Runde beendete, flogen in der schnellen 90 Grad-Kurve Nr. 20-21 nacheinander und unabhängig voneinander acht Piloten in die TecPro-Barrieren ab. Der Mercedes von Nyck de Vries schob sich dabei unter den Nissan von Sebastien Buemi, der kurz danach kommende Lotterer schob ihn noch weiter unter das Auto. De Vries hat es wohl dem Halo zu verdanken, dass er unverletzt aussteigen konnte. Es folgte eine längere Rotphase, sechs Autos waren aus dem Rennen.
Der Lauf war nach dem Restart an der Spitze relativ statisch, Evans führte ungefährdet. Etwas weiter hinten fuhr Jean-Eric Vergne Edoardo Mortara im Kampf um Platz 5 ins Heck, davon konnte der dahinter lauernde Stoffel Vandoorne profitieren. Zur Rennmitte schnappte er auch noch Vergne. Mortara schied schließlich mit einem Plattfuß aus, möglicherweise als Folge des Kontakts mit dem Franzosen. Das Rennen wurde schließlich dadurch vorzeitig beendet, dass Alexander Sims im Stadion in die Barrieren einschlug. Evans holte mit seinem starken Sieg ein paar Punkte auf, aber Vandoorne hatte mit P5 erfolgreich Schadensbegrenzung betrieben.
Seoul ePrix: Lauf 2
Das zweite Rennen markiert einen Meilenstein für die Formel E, es war Lauf 100. Die Strecke war zur Feier des Tages trocken, aber schon die Qualifikation hatte die letzte Spannung aus dem Meisterschaftskamp genommen: Mitch Evans startete nur von Platz 13 und würde damit kaum noch ernsthaft um den Titel mit fahren können. Denn Vandoorne startete auf P4 hinter da Costa, Mortara und Dennis. Für einen Titelgewinn von Evans hätte dieser gewinnen und Vandoorne höchstens Achter werden dürfen.
Die Fahrer gingen am Start forscher zu Werke, was sich in der engen zweiten Kurve rächte: Maximilian Günther wollte sich nach guter Quali von P9 aus weiter nach vorn schieben und setzte sich innen neben Lucas di Grassi. Außen daneben war allerdings noch Dan Ticktum, der die Kurve auch relativ eng nahm, wie Günther wahrscheinlich von einer two-wide-Situation ausgehend. Di Grassi wurde eingeklemmt, Ticktum halb gedreht, die Folge: Stau und Auffahrunfälle im Feld dahinter, Karbonteile flogen überall. Günther geriet zwei Kurven später bei einem Überholversuch nochmals mit di Grassi aneinander – letztlich musste er mit beschädigtem Auto in die Box, wie auch mehrere andere Piloten, die am Start Schäden davongetragen hatten, wie etwa di Grassi und Ticktum.
Das trockene Rennen war etwas munterer als das am Samstag, vorn kämpften Mortara, Dennis und da Costa um die Führung. Zwölf Minuten vor Schluss ging da Costa im Attack Mode mit mehr Power auf der Startgeraden an Dennis vorbei, machte dann aber in der Anfahrt auf die enge Kurve 22 die Linie innen so unglücklich dicht, dass Dennis kaum noch anders konnte, als ihn an seinem Hinterrad zu touchieren und in einen Drift zu schicken. Da Costa versuchte gegen zu lenken, aber als die Reifen plötzlich wieder Grip fanden, steuerte ihn das Gegenlenken in die nahe Barriere.
Der Portugiese konnte weiter fahren, verlor aber viele Plätze. Dennis bekam für die Berührung eine 5 Sekunden-Strafe, die ich nicht gerechtfertigt finde. Auch im Vergleich zum Vortag, als Vergne für eine Berührung an gleicher Stelle mit Mortara nicht bestraft wurde, scheint mir diese Strafe zu hart. Er überquerte die Linie auf Platz 2, doch den Platz bekam dadurch der neue Weltmeister Stoffel Vandoorne. Immerhin schaffte es Dennis, der eine starke Saison-Schlussphase fuhr trotz der Strafe noch knapp vor Robin Frijns aufs Podium. Den Sieg im 100. Lauf holte sich Edoardo Mortara nach einer starken Saison, die aber letztlich unvollendet blieb.
Die WM-Entstände
Nach 14 Läufen wurde der Titelkampf letztlich mit deutlichem Vorsprung entschieden: Stoffel Vandoorne hat 33 Punkte mehr auf dem Konto als Mitch Evans. Das spiegelt nicht wieder, was für ein enger Kampf zwischen diesen beiden, Edoardo Mortara und Jean-Eric Vergne es lange in dieser Saison war. Erst der New York ePrix und die London ePrix sorgten – auch mit einigen Unfällen – für die großen Abstände.
Stoffel Vandoorne gewann nur ein einziges Rennen, den Monaco ePrix im Mai. Sieben weitere Male kam er aufs Podium. Vor allem aber beendete er jedes Rennen – und nur ein einziges außerhalb der Punkte und zwei weitere außerhalb des Top 5. Das ist eine bemerkenswerte Bilanz und zeugt von einem verdienten Titelgewinn in der heiß umkämpften und Serie mit ihren oft wilden und unfallträchtigen Rennen. Evans gewann demgegenüber zwar vier Rennen, holte aber auch viermal keine Punkte. Auch Mortara auf Platz 3 holte vier Siege, aber ging noch öfter punktelos nach Hause, wenn auch oft nicht selbst verschuldet. Aber Glück und Pech gehören auch immer dazu im Motorsport.
Der Endstand der Fahrerwertung sieht wie folgt aus:
- Stoffel Vandoorne (Mercedes) – 213 Punkte
- Mitch Evans (Jaguar) – 180 Punkte
- Edoardo Mortara (Venturi-Mercedes) – 169 Punkte
- Jean-Eric Vergne (DS Techeetah) – 144 Punkte
- Lucas di Grassi (Venturi-Mercedes) – 126 Punkte
- Jake Dennis (Andretti-BMW) – 126 Punkte
- Robin Frijns (Enviision-Audi) – 126 Punkte
- Antonio Felix da Costa (DS Techeetah) – 122 Punkte
- Nyck de Vries (Mercedes) – 106 Punkte
- Pascal Wehrlein (Porsche) – 71 Punkte
Wie eingangs schon gesagt, verteidigte Mercedes auch seinen WM-Titel in der Teamwertung. Stärkster Herausforderer war das Kundenteam Venturi mit zwei starken Piloten, während Nyck de Vries trotz zweier Rennsiege gerade einmal halb so viele Punkte holte wie Stoffel Vandoorne. Doch in der Summe reichte das aus, um das Venturi-Duo Mortara / di Grassi zu übertrumpfen:
- Mercedes – 301 Punkte
- Venturi-Mercedes – 270 Punkte
- DS Techeetah – 257 Punkte
- Jaguar – 225 Punkte
- Envision-Audi – 177 Punkte
- Porsche – 134 Punkte
- Andretti-BMW – 125 Punkte
- Mahindra – 46 Punkte
- Nissan e.dams – 34 Punkte
- NIO 333 – 7 Punkte
- Dragon-Penske – 2 Punkte
Dragon und NIO 333 haben sich inzwischen leider als die Hinterbänkler der FE etabliert. Aber Nissan als Werksteam – und Nachfolger des einstigen Meisterschaftsteams Renault – muss nächstes Jahr etwas mehr zeigen, gerade auch mit McLaren als Motoren-Kunden. Mahindra war lange ein siegfähiges Team des vorderen Mittelfelds, hat aber in den letzten zwei Jahren den Anschluss verloren. Im kommenden Jahr steigt das einstige Audi-Werksteam Abt wieder ein – mit Mahindra-Antriebsstrang. Da wird sich zeigen, ob es an der Technik liegt oder an der Organisation. Außerdem wechselt mit Lucas di Grassi ein Ex-Champion und immer noch siegfähiger Pilot zu Mahindra.
Die Saison 2023 (offiziell 2022-23) bringt viel Neues und viele Veränderungen. Viele Cockpits sind noch nicht sicher besetzt, vielleicht sehen wir auch den einen oder anderen aktuellen Formel 2-Piloiten als Neueinsteigen. Die Pause und lang, und zu gegebener Zeit werden wir einen ausführlichen Blick auf das Resultat der „Silly Season“ werfen.
(Bilder: Formula E Media)