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WTCR: Analyse Bahrain – Vorentscheidung in der Wüste

von Nils Otterbein
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Am vergangenen Wochenende kehrte die WTCR aus einer schier endlosen Sommer- und inzwischen auch Herbstpause nach über drei Monaten zurück. Die Titelentscheidung sollte so gut wie fallen und drei Gaststarter mischten das Feld teilweise ordentlich auf.

Auf die Entwicklungen rund um die Serie möchte ich hier nicht gesondert eingehen. Hierzu darf ich auf den letzten Beitrag verweisen. Falls es bis in knapp zwei Wochen nach dem Saisonfinale neue Erkenntnisse zum Konzept und geplanten Startern in der nachfolgenden TCR World Tour gibt, werde ich in der Nachbetrachtung zum Jeddah Wochenende hierzu gesondert eingehen.

Ungewöhnlich war am Bahrain Wochenende das generelle Format: Bereits am Freitag Mittag hielt man die Qualifikation ab, ehe es am Freitag Abend ins erste Rennen ging und am darauffolgenden Samstag Morgen das zweite Rennen folgte. Hier musste man sich an die FIA WEC anpassen, die am Samstag einerseits das 8 Stunden Rennen fuhr und am Sonntag noch die Strecke für den Young Driver Test gemietet hatte. Deswegen gab es die beiden WTCR ungewöhnlicherweise nicht am gleichen Tag, sondern am Freitag und Samstag.

Wie bereits in der Vorschau geschrieben durfte man erfreulicherweise mit drei Gaststartern ein besseres Feld mit 15 Wagen vermelden, womit man etwa auf dem Niveau ist wie in den letzten Rennen der ehemaligen WTCC Ende 2017. Dadurch wurde das Q1 wieder sinnvoller und nicht zu einem weiteren Training.

Bereits in der Qualifikation war zu erkennen, dass das leidige Reifenthema vor allem auf der rauen Strecke in Bahrain allgegenwärtig sein wird, auf der Asphaltgranulat aus Wales geteert ist. Deswegen fuhren die meisten lediglich ein oder zwei schnelle Runden in der Quali. Auch gegenseitiges Windschatten geben war vor allem bei Hyundai an der Tagesordnung. Aufgrund der langen Geraden ist Bahrain eher eine untypische Strecke für frontangetriebene Tourenwagen. Hyundai forcierte die gesamte Session gegenseitiges Windschatten fahren, um alle drei Wagen ins Q3 und damit in das Top 5 Shoutout zu bringen. Auch Edelersatz Nick Catsburg schaffte den Einzug ins letzte Segment. Die Pole in Q2 mit dem 10. Platz sicherte sich Mehdi Bennani in einem der sechs Audi RS3 von Comtoyou Racing, die mit Gilles Magnus und Nathanael Berthon zumindest noch theoretische Chancen hatten auf den Titel. Bereits in Q1 erwischte es mit Tom Coronel und Thiago Monteiro die beiden Routiniers, bei der man gespannt sein darf, ob sie sich nach meist schwachen Auftritten in diesem Jahr im höherrangigen Tourenwagensport halten können. Vor allem Monteiro sollte das nächste desaströse Wochenende erleben. Immerhin einer der wenigen, der in Bahrain durch vergangene Formel 1 Zeiten schon Fahrerfahrung hatte.

Im Shoutout waren damit neben den drei Hyundai vom Tabellenleader Mikel Azcona, Norbert Michelisz und Catsburg noch Nathanael Berthon und Nestor Girolami, der das taktische Herangehen an die Target Times oft in der Saison nicht beachtete und „zu oft“ auf Pole fuhr. Die Konsequenz: Honda war am gesamten Wochenende nach den Qualfikationsergebnissen vor der langen Saisonpause ganze 60 Kilo schwerer als die Audis und 50 Kilo schwerer als die Hyundai. Über Sinn und Unsinn dieser Regel lässt sich bekanntlich streiten, aber ein Mikel Azcona hat dieses taktische Mittel wie auch die Lynk & Co. Mannschaft bis zu ihrem überhasteten Ausstieg aus der Serie perfekt umgesetzt und mit den guten Rennergebnissen den Grundstein für den Titel gelegt.

Zumindest in dieser Qualifikation hielt sich Nestor Girolami im Zaum und schaffte den dritten Platz. Es war vor allem in dieser Qualifikation zu sehen, dass praktisch alle Piloten im letzten Sektor plötzliche Lähmungen im rechten Fuß bekamen, als sie von ihren Ingenieuren die Zielzeiten vorgegeben bekamen. Ein Norbert Michelisz hatte als Beispiel im letzten Sektor ganze neun Zehntel liegen lassen. Die Pole sicherte sich damit Mikel Azcona, der mit den Zusatzpunkten aus der Qualifikation den Grundstein für den Titel legen wollte. Da nimmt man selbst Zusatzgewichte in Dschedda beim Finale gerne in Kauf. Die Plätze dahinter gingen an Nathanael Berthon, der für Gilles Magnus Schützenhilfe geben wollte, sowie Nestor Girolami auf P3, Norbert Michelisz auf P4 und Nick Catsburg mit einer gestrichenen Zeit wegen eines Track Limit Vergehens auf dem fünften Platz. Es bleibt zu hoffen, dass man diese Gewichtsregel in der nachfolgenden TCR World Tour sofort abschafft. Dies hat mit dem Verständnis von Motorsport rein gar nichts mehr zu tun!

Freitag (Rennen 1):

Bereits vor dem Start des Rennens fühlten wir uns zunächst zurückerinnert an die Rennen aus Vallelunga. Beide Zengo Cupras von Bence Boldisz und Daniel Nagy kamen nach der Einführungsrunde an die Box. Jedoch in diesem Fall nicht zu einem Boykott des Rennens, sondern um freiwillig aus der Box zu starten. Ich könnte mich nicht erinnern, sowas in über zehn Jahren Motorsport Interesse mal gesehen zu haben. Der Grund dürfte schlicht und einfach die angespannte Kostensituation im Team des Taxiunternehmers Zoltan Zengo sein, womit sie nicht die Startphase in Angriff nehmen wollten, um keine Schäden zu riskieren. Damit war auch die Frage beantwortet, wieso Rob Huff trotz Tabellenrang drei und theoretischen Chancen auf den Gesamttitel nicht angereist ist. Und das trotz seines nahe gelegenen Wahlwohnsitzes in Dubai!

Hyundai ging nach dem Start mit einer Doppelführung ins Rennen, da Nathanael Berthon den laut eigenen Aussagen schlechtesten Start der Saison hatte und vom zweiten auf den fünften Platz zurückfiel. Trotz des kleinen Feldes und der breiten Bahn in Bahrain wurde in der Startphase ordentlich gekämpft. Nick Catsburg wurde von einem weiteren Gaststarter, Franco Girolami umgedreht, wofür der aktuelle TCR Europe Champion eine zehn Sekunden Strafe nach dem Rennen bekam. In der gleichen Situation wurde ausgerechnet Gilles Magnus mitgerissen, dem der Gaststarter eigentlich im möglichen Titelkampf unterstützen sollte. Magnus war damit raus.

Nach der ersten Runde waren es bereits vorne abgesetzt die beiden Hyundai von Mikel Azcona und Norbert Michelisz, vor den beiden Honda mit Nestor Girolami und Atilla Tassi, der für die Engstler Mannschaft eine erstaunlich gute Quali fuhr. Dahinter die diversen Audis von Berthon, Bennani und Coronel.

Zu einem fahrenden Hindernis wurden aufgrund einer Mischung von wenig Topspeed und viel Zusatzgewicht die Honda Civic. Atilla Tassi konnte sich nach dem Start immerhin noch weit vorne halten, eher er von einer Armada an Audis überholt wurde. Erst überholte ihn Benanni, ehe ihm dann Tom Coronel nach guter Startphase hinten auf die Ecke fuhr und dieser hierfür fünf Sekunden nach dem Rennen aufgebrummt bekam.

Kurze Zeit später konnte Nathanael Berthon auch recht mühelos den dritten Platz von Nestor Girolami übernehmen, der vorne Mikel Azcona und Norbert Michelisz souverän wegfahren sah und damit auch seine Meisterschaftsambitionen. Honda wird damit auch im fünften und letzten WTCR Jahr ohne Titel bleiben. Bitter, wenn man bedenkt, dass die Japaner die Rennserie nie auf Sparflamme betrieben und oft genug nah dran waren, vor allem mit Esteban Guerrieri. Dieser bot einen der wenigen Zweikämpfe im Rennen, als er sich lange Zeit gegen Nick Catsburg verteidigen konnte.

Im Laufe des Rennens bauten die Reifen massiv ab. Trotz leichter werdender Fahrzeuge war die Kluft zwischen den Zeiten zu Beginn und dem Ende des Rennens bei locker drei bis vier Sekunden. Zur Erleichterung von Goodyear gab es allerdings keinen Reifenplatzer wie am Nürburgring oder in Vallelunga.

Kurz vor Schluss konnte noch Tom Coronel den vierten Platz von Nestor Girolami übernehmen und damit den besten Lauf der Saison zeigen. Mit der Strafe wurde es dann P6. Erstaunlicherweise war der Niederländer zweitbester Audi, da Bennani das Tempo nicht ganz mitgehen konnte und hinten raus sogar noch seinen Platz gegen Nick Catsburg verlor und damit nur Siebter wurde.

Vorne fuhr Mikel Azcona der Vorentscheidung um den Titel mit einem souveränen Sieg entgegen. Die perfekte Nummer zwei bildete dahinter Norbert Michelisz. Da Girolami am Ende hinter den Audis nur auf dem vierten Platz landete, war damit die Luft leider raus im Titelrennen. Für Azcona war es der vierte Saisonsieg. Dazu war er jedes Wochenende mindestens einmal auf dem Podium, meist auch im besser bepunkteten ersten Rennen der Wochenenden. Schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass der Spanier erst sein erstes Jahr bei Hyundai fährt und jahrelang nur den Cupra kannte.

Samstag (Rennen 2):

Nachdem man am Freitag unter Flutlicht fuhr, ging es nun am Samstag Vormittag bei hohem Sonnenstand ins reversed grid Rennen hinein. Es gab eine reine erste Audi Reihe mit Mehdi Benanni vor Franco Girolami.

Nach der Warm Up Runde gingen die beiden Zengo Cupras erneut an die Box, um sich aus dem Getümmel herauszuhalten. Die Saison 2022 zeigt: Es gibt in der WTCR nichts, was es nicht gibt! Zumindest dürfte sich der Move in diesem Fall auf die Teamkasse positiv ausgewirkt haben, denn es ging mit ordentlich Chaos ins Rennen:

Eingangs der vierten Kurve drehte sich Gilles Magnus innen weg und knallte in seinen Teamkollegen Mehdi Bennani rein, der nicht viel von seiner Pole hatte. Für Magnus das Ende eines katastrophalen Wochenendes. In der gleichen Sequenz wurde Franco Girolami von Atilla Tassi umgedreht. Gleich drei Audis waren somit in Kollisionen verwickelt – wohl dem der sechs Wagen einsetzt. Im folgenden Kurvengeschlängel geriet Atilla Tassi daraufhin mit Mehdi Benanni eineinander, die nach ihren Kollisionen beide zunächst weiterfahren konnten. Tassi ließ an diesem Wochenende wirklich nichts aus.

Aus der ersten Runde kamen unbeschadet an der Spitze Esteben Guerrieri vor Norbert Michelisz und Nick Catsburg zurück. Ein Honda vor zwei Hyundai mit 50 Kilo weniger. Hier war früh klar, wie die Sache ausgehen wird. Hinter den Top drei folgte ein starkes Paket mit Nathanael Berthon, Nestor Girolami und Mikel Azcona, der hier evtl. schon Chancen hatte, auch rechnerisch den Titel einzufahren.

Nach wenigen Runden entstand ein Duell, wie man es sich vorstellt: Girolamo gegen Azcona im direkten Fight gegeneinander, jedoch hatte sich der Zweikampf nach nur einer Runde zugunsten des Spaniers erledigt. An der Spitze konnte auch Norbert Michelisz recht schnell an Esteban Guerrieri vorbeigehen. Während jedoch Guerrieri seine Podestplatzierung im Rennen erstaunlich souverain halten konnte, ging es für seinen ALL-INKL.COM Teamkollegen Nestor Girolami Stück für Stück nach hinten. Dieser fiel sogar noch auf den achten Rang hinter seinem Bruder im Audi zurück. Auch den Platz gegen Mehdi Benanni musste er nach langem und sehenswertem Zweikampf noch aufgeben und wurde am Ende nur Neunter. Damit begann das große Rechnen, ob es für Azcona schon für den Titel reicht.

Azcona gewann noch einen Platz, da Berthon für eine Aktion in der Startphase eine fünf Sekunden Strafe bekam. Am Ende gewann souverän Norbert Michelisz als perfekter Nummer Zwei Fahrer des BRC Hyundai Team Squattra Corse vor einem konstant schnell fahrenden Esteban Guerrieri und Gaststarter Nick Catsburg, der genau den Job machte, weshalb ihn Hyundai für die finale Saisonphase geholt hat. Für Guerrieri war es erstaunlicherweise erst das zweite Podium in dieser Saison. Zu wenig für einen, der nichts anderes als den Titel im Sinn hatte. Azcona wurde dann Vierter, womit es knapp nicht für die vorzeitige Entscheidung reichte. Hinter ihm war die ganze Audi Armada mit Berthon, Coronel, Franco Girolami und Mehdi Bennani. Sogar Daniel Nagy konnte aus der Box startend noch die Top 10 komplettieren. Er und sein neuer Teamkollege Bence Boldisz, der im Hauptberuf ein Reifenverkäufer ist, konnten sogar noch Thiago Monteiro abfangen, was die Saison des Routiniers aus Portugal gut beschreibt.

Norbert Michelisz gab an diesem Wochenende zu, dass bereits nach seinem Crash in Pau, die Teamleitung Mikel Azcona als den Nummer eins Fahrer festlegte und er sich ab diesem Zeitpunkt an die Anweisungen zu halten hatte. Eine Taktik, die bei Hyundai nicht neu ist. Man muss nur Luca Engstler befragen, der 2021 schon beim Saisonstart einen Sieg am Nürburgring gegen seiner Zeit Jean Karl Verney hergeben musste.

In der Tabelle führt nun Mikel Azcona mit 60 Punkten vor Nestor Girolami. Da nur noch knapp über 60 Punkte zu vergeben sind, könnte theoretisch nach Punkten sogar schon in Jeddah die Entscheidung durch die vergebenen Quali Punkte fallen. Endlich mal eine Qualifikation ohne die unsäglichen Target Zeiten, auf die wir uns freuen dürfen! Interessant könnte es noch um den dritten Rang gehen zwischen Berthon und Michelisz und ggf. Huff, falls Zengo für Jeddah genug Budget zusammenbringt. Auf dem schwierigen Stadtkurs, der Unfälle förmlich provoziert, wohl eher unwahrscheinlich. Gilles Magnus ist nach dem Wochenende nur noch Sechster und darf als der große Verlierer des Wochenendes gezählt werden.

In Jeddah werden dann fünf Jahre WTCR enden. Erteilen wir der Rennserie ihre letzte Ehre!

Bildquelle: WTCR Media (https://www.fiawtcr.com/de/photos/?fid=1990-wtcr-race-of-bahrain-2022)

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