(Anmerkung: Leider hat der Bilder-Download auf der FE-Medienseite bisher nicht geklappt. Wenn möglich, ergänze ich den Text am Freitag noch durch einige Fotos von den Testfahrten.)
Auch die Formel E startet schon früh im Jahr in ihre neue Saison – die erste mit dem Gen3-Chassis. Neben dem neuen Auto gibt es drei neue Teams und vier neue Strecken, allerdings kaum neue Fahrer. Sowohl Team-Champions Mercedes EQ als auch der 2021er Fahrer-Weltmeister Nyck de Vries werden wir nicht wieder auf der Strecke sehen. Der Mercedes-Ausstieg war lange angekündigt; de Vries Wechsel in die F1 war dagegen eher kurzfristig, aber so ein Angebot kann man natürlich nicht ausschlagen. Es wertet die Formel E auch insofern etwas auf, als dass sie eben für die Piloten keine Sackgasse sein muss, auch wenn die Serie und die Anforderungen eher speziell sind.
Viele Veränderungen…
Apropos speziell: das Gen3-Chassis finde ich persönlich reichlich gewöhnungsbedürftig, ebenso das neue Logo der Formel E. Man scheint bei der FE-Führung das Bedürfnis gehabt zu haben, für die neunte Generation einmal komplett die Designsprache umzukrempeln. Nun sind Design und Marketing nicht meine Themen, aber diese deutlichen Veränderungen deuten für mich auf den Wunsch nach einer neuen Ausrichtung und vielleicht auch der weiteren Suche nach der richtigen Zielgruppe an.
Nach den (auch finanziell) schwierigen ersten Jahren hat sich die Serie über die letzten Jahre einigermaßen gefunden und etabliert, auch mit dem offiziellen Titel einer FIA-Weltmeisterschaft. Trotzdem ist die Serie an eine Art Wachstumsgrenze gestoßen, auch was das Zuschauerinteresse angeht. Die FE ist immer noch ein Spartenprodukt, das viele klassische Motorsport-Fans nicht anspricht. Ich persönlich mochte in den letzten Jahren gerade die Tatsache, dass mit den Gen2-Boliden robust gefahren werden konnte und so oft kurzweilige Rennen entstanden sind (auch wenn das phasenweise etwas eskalierte und die Driving Standards ein tiefes Tal durchschritten haben).
Mit dem Gen3-Auto wird das Racing vermutlich anders aussehen, zumindest wirkt das Auto auf den ersten Blick filigraner. Das liegt vor allem an den freistehenden Vorderrädern und den klassischen Frontflügeln, die es so in der Gen2 nicht gab. Wie man dazu gekommen ist, weiß ich nicht – auch da es ja bei Formelautos üblicherweise die freistehenden Vorderräder sind, die für viel Drag sorgen und somit die Effizienz eher verschlechtern. Auch im Sinne dieser Botschaft fand ich das Gen2-Auto passender, und gerade bei einem Einheitsauto hat das Design ja auch etwas mit der Selbstdarstellung der Serie zu tun. Aber gut, dass man dann etwas Neues ausprobiert, mag Sinn machen.
Neue Technik, neue Reifen
Auch das neue Auto wurde von Spark Racing Technology entwickelt; die Batterien sind weiterhin Einheitsteile, kommen aber nun von Williams Advanced Engineering und nicht mehr aus dem Hause McLaren. Die Batterie hat mit 47 kWh eine geringere Kapazität als die vorherige (54 kWh), ist aber schnelladefähig für eine eventuelle zukünftige Einführung von Booster-Boxenstopps (die sogar schon im Laufe dieser Saison kommen könnten). Außerdem wurde die Energie-Rückgewinnung auf die Vorderachse ausgeweitet, sodass im Laufe des Rennens mehr Energie zurückgewonnen wird. Im Rennmodus sollen den Piloten 300 kW statt den bisherige 200 kW zur Verfügung stehen, in der Quali wie bisher 50 kW mehr.
Bei privaten Testfahrten im Winter gab es noch bei mehreren Teams Probleme mit dem Überhitzen von Batterien, die aber wohl durch Veränderungen im Packaging gelöst werden konnten. Für die Serie ist das nur zu hoffen, denn nichts ist ärgerlicher für eine solche Serie als fehlerhafte Einheitsteile, die dann mit willkürlichen Defekten in die Meisterschaft eingreifen. Ganz wichtig auch: es gibt einen neuen Reifen-Lieferanten. An die Stelle von Michelin tritt nun Hankook. Auch das südkoreanische Unternehmen hat wieder den Auftrag bekommen, einen haltbaren Allwetterreifen zu entwickeln.
Bei den offiziellen Testfahrten, die wieder auf dem modifizierten Circuito Ricardo Tormo nahe Valencia ausgetragen wurden, war der Zeitgewinn gegenüber dem Gen2-Auto beim Vorjahrestest erstaunlich gering. Nur etwa sechs Zehntelsekunden war die Bestzeit von Maximilian Günther schneller als die von Eduardo Mortara vor einem Jahr. Das kann natürlich verschiedene Gründe haben, die angesprochenen neuen Reifen mögen dazu gehören, aber auch das deutlich wärmere Wetter in diesem Jahr. Die Testzeiten passen trotzdem nicht zu dem nominell großen Leistungs-Zugewinn bei gleichzeitig geringerem Gewicht, der ja auch mit einer entsprechenden Ankündigung verbunden war. Daten zur Höchstgeschwindigkeit wurden mit den Testzeiten nicht veröffentlicht, sodass ich hier keinen Vergleich anstellen kann. Aber auch im schnellen Sektor 1 waren die besten Zeiten beim Test kaum schneller als im Vorjahr.
Fan Boost weg, neuer Attack Mode
Die Rennen werden künftig wieder über eine festgelegte Rundendistanz anstatt über 45 Minuten (+x) laufen. Gerade die Zusatzzeit nach Safety Car-Phasen hat ein paarmal für Durcheinander gesorgt. Es war allerdings auch eine nicht ganz uninteressante Komponente, dass die Teams im Laufe des Rennens prognostizieren mussten, wie viele Runden wohl absolviert werden, und dass die Führenden mit ihrer Pace in einzelnen Fällen sogar etwas Kontrolle darüber ausüben konnten, ob das Rennen eine Runde kürzer oder länger gehen würde, um die Konkurrenz so vor massive Probleme zu stellen.
Wie bereits angedeutet, sollen im Laufe der Saison Schnellade-Boxenstopps eingeführt werden, wenn die Technik soweit ist. Ob das wirklich in dieser Saison kommt, werden wir sehen, es wäre ja nicht das erste Mal, dass eine Veränderung dann doch noch herausgezögert wird. Bis dahin wird es weiterhin den bekannten Attack Mode geben, allerdings in leicht modifizierter Form: die Piloten werden selbst entscheiden können, wie sie vier Minuten Zusatzleistung auf zwei Aktivierungen verteilen (also 2×2 Minuten, 1+3 oder 3+1 Minuten). Das dürfte für Spannung sorgen, denn bisher war es ja oft so, dass in einem Zweikampf ein Fahrer auf die Aktivierung beim Kontrahenten reagieren konnte und dann beide für die gleiche Zeit mit gleicher Extra-Leistung unterwegs waren.
Eine weitere gute Neuigkeit ist, dass der FanBoost nun endlich abgeschafft wurde. Der spielte zwar in der Praxis zumindest seit Beginn des Attack Modes sowieso keine allzu große Rolle mehr, war für mich aber immer noch ein unsportliches Element. Ursprünglich wurde er eingeführt, um die Fans stärker einzubinden, aber wahrscheinlich hat sich auch der Effekt davon über die Jahre abgenutzt. Zudem war die Verteilung sehr ungleich: der amtierenden Weltmeister Stoffel Vandoorne hat seit seinem Einstieg in der Saison 2018-19 in jedem einzelnen Rennen (!) den FanBoost zugesprochen bekommen. Zweiter in der Rangliste dürfte Antonio Felix da Costa sein, der ebenfalls seit Jahren in fast jedem Rennen den FanBoost zugesprochen bekommen hatte. Und auch Nyck de Vries war in den letzten Jahren bei dieser Statistik weit vorn dabei; Mercedes EQ hat hier über die Jahre eine sehr hohe Fan-Aktivierungsrate gehabt.
Die Teams und Fahrer
Schauen wir uns einmal die elf Teams und 22 Piloten an, die am Samstag in Mexico City in den ersten Lauf starten und sich an die neuen Rahmenbedingungen herantasten werden.
Das dominierende Team der letzten beiden Jahre, Mercedes EQ, ist ausgestiegen. Der amtierenden Weltmeister Stoffel Vandoorne hat bei DS-Penske seine neue Heimat gefunden. Dragon-Penske war zuletzt mit einem selbst entwickelten Antriebsstrang nicht besonders erfolgreich – nun sind sie aber neues Partnerteam von DS, die sich wiederum von Techeetah getrennt haben. Das eröffnet ganz neue Perspektiven für das Team von Jay Penske, denn DS war die letzten Jahre immer vorn mit dabei. Ex-Champion Jean-Eric Vergne ist zusammen mit DS zum Team gewechselt.
Zweitbestes Team war im Vorjahr Venturi Racing mit Mercedes-Kundentechnik. Dieses Team geht nun im neuen Maserati Racing-Team auf, die aber als eigenständiger Konstrukteur antreten. Edoardo Mortara verbleibt nach zwei sehr starken Jahren beim umgebauten Team, eine neue Heimat hat hier zudem Maximilian Günther gefunden. Der Deutsche hatte bei Nissan nicht an seine besseren Jahre bei BMW, die immerhin einige Siege brachten, anknüpfen können. Aber auch neue Hersteller brauchen in der FE meist 1-2 Saison Zeit für die Akklimatisierung. Mal schauen, wie schnell das Maserati mit zwei FE-erfahrenen Piloten gelingt.
Das beste Beispiel dafür, dass es einige Jahre bis an die Spitze dauern kann, ist Jaguar Racing, die im vierten Jahr den ersten Sieg holten und danach sogar in den Kampf um Konstrukteurs-Titel eingreifen konnten. Hier bleibt die Fahrerbesetzung mit Mitch Evans und Sam Bird konstant stark.
Neues Jaguar-Kundenteam ist Envision Racing, die im Vorjahr noch mit Audi-Antrieb gute Resultate einfahren konnten. Hier ist Ex-Champion Sebastien Buemi neu dabei, der bislang alle acht Saisons beim selben Team bestritten hat (auch wenn sich zwischenzeitlich die Benennung von Renault zur Konzernschwester Nissan ändern, womit aber auch der Erfolg auf der Strecke blieb). Nick Cassidy bleibt dem Team erhalten.
Das einst unter dem Renault-Label so erfolgreiche Team Nissan e.dams hat schwierige Jahre hinter sich. Ob sich das 2023 ändert, bleibt abzuwarten. Mit dem Franzosen Sascha Fenestraz ist hier einer der Neueinsteiger in die Serie zu finden. Fenestraz, Formula Renault Eurocup-Champion 2017, ist 2019 nach Japan gewechselt, hat die japanische F3 gewonnen und Top-Resultate in der Super GT und der Super Formula eingefahren. Das macht ihn auf jeden Fall zu einem spannenden Neueinsteiger, den es zu beobachten gilt. Sein Teamkollege wird Landsmann Norman Nato sein, der bereits die FE-Saison 2020-21 mit Venturi-Mercedes bestritt und nach wenigen zählbaren Resultaten schließlich überraschend das Finalrennen in Berlin gewann.
Wichtigster Neueinsteiger in der Serie neben Maserati ist McLaren. Das britische Team erweitert unter Zak Brown sein Portfolio an Rennserien stetig. Für den FE-Einstieg haben die Briten die Anlagen des Mercedes EQ-Teams aufgekauft. Der Antriebsstrang wird von Nissan bezogen, die in den letzten Jahren aber glücklos in der Serie waren. Wie gut McLaren der Einstieg gelingt, wird also auch von der Technik-Entwicklung bei Nissan abhängen; allerdings ist es auch nicht ungewöhnlich, dass in der FEW ein Kundenteam besser performt als das Werksteam mit den gleichen Komponenten. So oder so ist es ein mehrjähriges Projekt, wie auch für Maserati. Mit René Rast ist ein Pilot mit etwas Formel E-Rennerfahrung dabei (anderthalb Saisons mit Audi, zwei Podien). Sein Teamkollege Jake Hughes wird zwar in Mexico City erst sein Renndebüt geben, war allerdings bereits zwei Jahre Reserve- und Entwicklungsfahrer für Mercedes EQ, bringt also auch etwas Erfahrung mit.
Einen weiteren Ex-Champion der Formel E finden wir mit Antonio Felix da Costa als Neuzugang im TAG Heuer Porsche-Team. Er ersetzt hier Andre Lotterer, der nach Jahren in der FE nun wieder zu den Le Mans-Prototypen wechseln wollte (letztlich dann aber ergänzend zum WEC-Programm doch wieder in der FEW dabei sein wird, siehe unten). Pascal Wehrlein bleibt beim Team, das im Vorjahr beim Mexico City ePrix eine grandiose Performance mit einem Doppelsieg krönte, daran aber in der ganzen Saison nicht wieder anknüpfen konnte.
Avalanche Andretti setzt in der kommenden Saison ebenfalls auf den Porsche-Antriebsstrang, nachdem BMW nun nach einem Übergangsjahr komplett raus ist. Hier hat Andre Lotterer seine neue Heimat gefunden, bleibt also Porsche auch in dieser Serie weiterhin erhalten. Jake Dennis, der im Vorjahr einige sehr starke Rennen zum Saisonende hin zeigte (insbesondere in London) bleibt an Bord.
Das indische Team Mahindra Racing ist ein Urgestein der Serie, konnte aber mit selbst entwickeltem Antriebsstrang in den letzten Jahren nicht mehr ganz mit der Spitze des Feldes Schritt halten. Alexander Sims hat das Team und die Serie im Winter verlassen. Sein Nachfolger ist ein weiterer Ex-Champion und ein Urgestein der Formel E: Lucas di Grassi, der bislang noch in jeder Saison mindestens für mehrere Podestplatzierungen gut war. Sein neuer Teamkollege ist der bei Mahindra verbliebene Oliver Rowland.
Und schließlich gibt es einen weiteren Neueinsteiger – oder vielmehr einen Rückkehrer: Abt Sportsline ist wieder in der Formel E am Start, diesmal in Verbindung mit der noch relativ neuen Sport-Submarke von VW-Tochter Seat unter dem Namen Abt Cupra. Die Motoren kommen allerdings nicht aus dem VW-Konzern, sondern werden von Mahindra bezogen. Der starke Robin Frijns wechselt von Envision zu diesem neu zusammengestellten Team, und wie das Team selbst kehrt auch der bei Abt wohlbekannte Schweizer Nico Müller nach anderthalb Jahren Abwesenheit in die Serie zurück.
Schlusslicht war in den letzten Jahren das chinesische NIO 333-Team mit eigener Antriebstechnik. Ob sich daran etwas ändert, bleibt abzuwarten. Dan Ticktum bleibt bei dem Team, Sergio Sette Camara stößt neu hinzu, ist allerdings aus den letzten beiden Jahren bei Dragon-Penske das Hinterherfahren gewohnt.
Sechszehn Rennen, vier neue Austragungsorte
Dass die Formel E ihre Rennen zwischen Januar und Juli austrägt, hat sich inzwischen als Kalender-Modus etabliert. Der Start wird diesmal nicht in Saudi-Arabien absolviert, sondern auf der bekannten Sondern-Variante des Autodromo Hermanos Rodriguez in Mexico City. Zwei Wochen danach geht es zum Doubleheader nach Diriyah bei Riad. Danach stehen drei neue Events auf dem Plan: Hyderabad, Kapstadt und Sao Paulo, bevor es im April – etwas früher als sonst nach Berlin zum (wenn man es so nennen darf) traditionsreichsten ePrix geht. Monaco Anfang Mai ist mit dem vollen Grand Prix-Kurs ein wichtiges Aushängeschild auch dieser Serie geworden.
Nach einem Ausflug nach Jakarta Anfang Juni (Doubleheader) und der Le Mans-Pause, wo viele Piloten anderweitig beschäftigt sind, folgt der neue ePrix in Portland. Dieser ersetzt den New York City ePrix, der für die Serie ebenfalls wichtig war. Aber dort wird nun das Kreuzfahrtterminal, auf dessen Gelände gefahren wurde, renoviert. Schließlich folgt im Juli das Finale mit zwei Doubleheadern auf bekannten Strecken in Rom und London. Auf die neuen Austragungsorte und Kurse werden wir im Laufe der Saison noch genauer schauen.
Mexico City ePrix
Nun steht also der Mexico City ePrix als Saisonauftakt an. Es wird nur ein einzelner Lauf ausgetragen, und zwar am Samstag. Das Vorjahres-Rennen war äußerst sehenswert und eine strategische Meisterleistung des Porsche-Teams, die auch das besondere Potenzial der Formula E mit dem Hauptaugenmerk auf der Justierung des Energieverbrauchs im Laufe des Rennens deutlich machte. Hoffentlich erwartet uns zum Saisonauftakt und als erster Lauf der Gen3-Autos wieder ein starkes Rennen. Das wichtigste aber ist, dass uns technische Probleme mit dem neuen Chassis und der Batterie erspart bleiben.
Das erste Rennen wird uns wahrscheinlich nur einen kleinen Fingerzeit geben, welche Teams in dieser Saison an der Spitze fahren werden, denn es ist auch in der Gen3 mit einem engen Feld zu rechnen. Das Rennen startet um 21 Uhr mitteleuropäischer Zeit und wird auf Pro7 (als „Aufwärmprogramm“ für die NFL Playoffs, was für die Bekanntheit in Deutschland vielleicht gar nicht so schlecht ist) live übertragen. Auch Eurosport 2 überträgt parallel live. Die Qualifikation um 16:40 Uhr ist hierzulande im TV leider nicht live zu sehen.
(Bilder: Formula E Media)