Mit dem Berlin ePrix steht am Samstag und Sonntag eines der Traditions-Events der Formel E auf dem Plan. Porsche-Pilot Pascal Wehrlein geht als Meisterschaftsführender in das Doubleheader-Wochenende.
Zwar hat es Wehrlein die letzten drei Rennen nicht mehr aufs Podium geschafft, aber zum einen ist sein Punkte-Puffer aus den ersten drei Läufen so groß gewesen, zum anderen hat auch der (noch) erste Verfolger, Jake Dennis im Andretti-Porsche, nach tollem Saisonstart drei schlecht – in diesem Fall sogar komplett punktelose – Rennen gehabt. Er ist immer noch auf Platz 2, aber nur noch knapp vor Nick Cassidy, Jean-Eric Vergne und Antonio Felix da Costa, die allesamt einen mäßigeren Start hatten, aber in den letzten drei Rennen abgeräumt haben. Wir haben also bisher zwei recht unterschiedliche Dreierpakete an Rennen gesehen.
Das nächste Dreierpaket ist der erste Teil der Europa-Tour: zwei Läufe in Berlin und dann geht es nach Monaco. Im Gegensatz zu den letzten drei Läufen, die allesamt auf neuen, unbekannten Kursen stattfanden, sind dies nun wieder wohlbekannte Strecken. Der Überraschungsfaktor bzw. die Möglichkeit, dass es ein Team nicht schafft, sich gut auf den Kurs einzustellen, sollte etwas kleiner sein. Trotzdem dürfte klar sein, dass neben Porsche (und Kundenteam Andretti) DS Penske, Envision und Jaguar die stärksten Teams in dieser Saison sind. Dahinter schlägt sich McLaren als Neueinsteiger erstaunlich gut. Es fehlen zwar die ganz großen Highlights bisher (ein Podium von René Rast steht zu Buche), aber die konstanten Punkteresultate sind für ein Debütanten-Team beeindruckend.
Im Sambadrom von Sao Paulo war Jaguar nach zwei missglückten Events diesmal das Team, das mit den meisten Punkten im Gepäck nach Haus fahren konnte. Das war aber lange nicht klar. An der Spitze des Feldes lieferten sich Stoffel Vandoorne (DS Penske), Antonio Felix da Costa (Porsche), Mitch Evans (Jaguar) und Nick Cassidy (Envision-Jaguar) über weite Strecken einen spektakulären Vierkampf, dank der in dieser Saison möglichen Variation bei den Attack Mode-Strategien auch mit mehreren Führungswechseln. Das lag aber auch daran, dass niemand das Rennen so recht anführen wollte. Im Windschatten Energie zu sparen anstatt das Tempo vorzugeben war aufgrund der langen Geraden auf diesem Kurs die attraktivere Option. Laut Stoffel Vandoorne, der den Großteil der Anfangsphase vorn fahren „musste“, obwohl er früh bremste, um die anderen vorbei zu lassen, führte das auch zu gefährlichen Situationen. So blieb das Feld auch insgesamt dicht zusammen, knapp hinten den Vieren an der Spitze lauerten Jean-Eric Vergne im zweiten DS Penske und Sam Bird im zweiten Jaguar, der am meisten Energie bevorraten konnte.
Vier Runden Verlängerung gab es am Ende aufgrund von Safety Car-Unterbrechungen und so kam dem Faktor Energie am Ende eine entscheidende Rolle zu: Sam Bord hatte sich etwas aufgespart und konnte in den letzten Runden erst an da Costa, dann an Vergne, und schließlich an Vandoorne vorbeigehen. In Runden 32 von 35 holte sich sein Teamkollege Evans die Führung von Cassidy mit einem sauberen Manöver am Ende der Start/Ziel-Geraden. In den letzten paar Kurven wurde es dann aber nochmal richtig heikel: Evans hatte eigentlich schon keine Energie mehr im Speicher, musste sich verteidigen und mit den letzten beiden Bremsmanövern die notwendigen Watt zurückgewinnen, um es knapp als erster über die Linie zu schaffen. Cassidy kam mit minimal mehr Energie nicht mehr vorbei und Bird hätte mit einem Prozent Restenergie vielleicht eine Chance gehabt, aber fand keinen Platz, um an den beiden Autos vorbeizukommen, er holte lieber den sicheren dritten Rang.
Die an Abu Dhabi vor dem Umbau erinnernde erste Dreier-Kurvenkombination sorgte auf den Plätzen dahinter für einige Zusammenstöße und Ausrutscher. Bereits am Start fielen Norman Nato und Edoardo Mortara aus bzw. weit zurück. Beide Maserati, die bisher in der Saison glücklos waren, hatten sich gut qualifiziert, aber auch Maximilian Günther verlor im Startgetümmel ein paar Plätze und war danach in die harten Mittelfeld-Kämpfe verwickelt. Ebenfalls in diesem heißen Mittelfeld unterwegs waren die beiden Meisterschaftsführenden Wehrlein und Dennis. Etwa zur Rennmitte gerieten die beiden dann aneinander, allerdings unverschuldet: Dan Ticktum im NIO333 bekam am Ende der langen Geraden mit ihrem speziellen Belag auf der Innenbahn sein Auto nicht abgebremst und fuhr dem einlenkenden Jake Dennis voll aufs Hinterrad. Dessen Aufhängung war beschädigt, sodass er für die folgenden Schikane nicht richtig bremsen konnte und so wiederum in Wehrleins Porsche hinein schlitterte. Dennis war raus, Wehrlein konnte weiterfahren. Ticktum bekam eine 15 Sekunden-Zeitstrafe für die vermeidbare Kollision.
Nach diesem turbulenten Lauf in Rio sieht es in der Fahrer-WM wie folgt aus:
- Pascal Wehrlein (Porsche) – 86 Punkte
- Jake Dennis (Andretti-Porsche) – 62 Punkte
- Nick Cassidy (Envision-Jaguar) – 61 Punkte
- Jean-Eric Vergne (DS Penske) – 60 Punkte
- Antonio Felix da Costa (Porsche) – 58 Punkte
- Sam Bird (Jaguar) – 44 Punkte
- Sebastien Buemi (Envision-Jaguar) – 42 Punkte
- René Rast (McLaren-Nissan) – 40 Punkte
- Mitch Evans (Jaguar) – 39 Punkte
- Jake Hughes (McLaren-Nissan) – 32 Punkte
So geht es nun also nach Berlin. Die deutsche Hauptstadt ist der einzige Austragungsort, der in jeder Saison von der Formel E angesteuert wurde – dank der besonderen Situation im ersten Corona-Jahr 2020 wurden hier bereits, sage und schreibe, 16 Rennen ausgetragen. Berlin ist somit eines der Traditionsrennen und Saisonhighlights der Formel E. Die Location am Flughafen Tempelhof wird dieser Rolle auch gerecht, mit ein paar Weiterentwicklungen über die Jahre ist hier ein guter Formel E-Kurs entstanden. Diesmal werden beide Rennen in die gleiche Fahrtrichtung ausgetragen, auch das haben wir schon anders gesehen. Die Runde beginnt also mit der sich verengenden „Schneckenkurve“ und endet mit zwei Haarnadel-Kehren. Beste Überholstelle ist die aufgeweitete Kehre Turn 6, wo auch wieder die Attack Mode-Aktivierungszone zu finden sein wird.
Mercedes und Kundenteam Venturi, bei den Fahrern vor allem Edoardo Mortara, waren hier in den letzten Jahren sehr stark. Mercedes ist nun nicht mehr dabei. Vielleicht hat Mortara im Maserati endlich mal etwas mehr Glück und kann ein gutes Ergebnis holen. Das Team hat hier und da gute Ansätze gezeigt, gerade auch in der Quali, aber – auch durch Pech – haben weder Mortara noch Günther bisher größere Punkte einfahren können (drei Zähler stehen insgesamt zu Buche bisher). Vielleicht kann Porsche die Heimfavoriten-Rolle von Mercedes übernehmen. Auch wenn es zuletzt nicht mehr zu Siegen reichte, war das Team immer vorn mit dabei, vor allem hinsichtlich der Rennpace. Aber die erstarkten Teams DS Penske, Jaguar und Envision werden es ihnen nicht leicht machen.
Am Montag nach dem Rennen geht es noch weiter: dann wird auf dem Flughafenkurs der Formula E Rookie Test ausgetragen. Jedes Team durfte (in der Regel zwei) Piloten ohne vorherige FE-Erfahrung benennen, die in der dreistündigen Session die Gelegenheit bekommen, in diese Rennserie und ihre technischen Besonderheiten hereinzuschnuppern. Es sind viele spannende Namen aus der Nachwuchsformel-Welt dabei, und wir haben ja auch in den letzten Jahren gesehen, dass die FE durchaus eine ernstzunehmende Karriere-Option ist. Man kann sie mit Sportwagen-Programmen kombinieren oder in glücklichen Einzelfällen (und mit den richtigen Connections) sogar nochmal sein Talent für ein F1-Cockpit unter Beweis stellen. Dabei hatte Nyck de Vries natürlich das Glück, dass sein letztjähriger Arbeitgeber Mercedes in beiden Serien vertreten war. Das gilt aktuell nur noch für McLaren.
Auf der Entry List für den Test stehen:
- Abt Cupra: Tim Tramnitz (FRECA) und Adrien Tambay (Sport- und Tourenwagen, amtierender Champion der FIA E-TCR)
- Andretti: Zane Maloney (F2) und Linus Lundqvist (ehem. IndyLights)
- DS Penske: Robert Shwartzman (Ferrari Driver Academy, zuletzt F2) und Will Stevens (Sportwagen, ehem. F1-Pilot, McLaren F1-Testfahrer)
- Envision Racing: Jack Aitken (F2, ein F1-Rennen, aktuell Sportwagen) und Jonny Edgar (F3, Red Bull-Junior)
- Jaguar: Simon Evans (Tourenwagen, Champion der Jaguar I-Pace eTrophy, Bruder von Mitch Evans) und Sheldon van der Linde (Sportwagen, amtierender DTM-Champion)
- Mahindra: Jordan King (FE-Reservist), Roberto Merhi (Sportwagen und diverse Formelserien), Jehan Daruvala (F2)
- Maserati: Felipe Drugovich (amtierender F2-Champion, F1-Reservist) und Hugh Barter (F3)
- McLaren: Charlie Eastwood (Sportwagen) und Luke Browning (F3)
- NIO333: Daniil Kvyat (Sportwagen, ehem. F1) und Victor Martins (F2, Alpine Academy)
- Porsche: Yifei Ye (Sportwagen) und David Beckman (Sportwagen, FE-Reservefahrer, zuletzt F2)
Die beiden Rennläufe aus Berlin starten am Samstag und Sonntag jeweils um 15 Uhr. Pro7 und Eurosport 2 übertragen jeweils, wie gewohnt, live.
(Bilder: Formula E)