Die zwei wahrscheinlich wichtigsten europäischen Nachwuchsserien starten an diesem Wochenende gemeinsam in die Saison 2023: Die Formula Regional European Championship by Alpine (kurz FRECA) und die italienische Formel 4-Meisterschaft fahren – mit großen Starterfeldern – auf dem Traditionskurs in Imola. Und da sind einige Piloten dabei, auf die man in den nächsten Jahren ein Auge haben sollte. Schauen wir also mal in die Entry-Listen.
Formula Regional European Championship by Alpine
Kurz für die, die noch nicht so im Thema sind: „Formula Regional“ wurde vor einigen Jahren von der FIA als neuer Name für das alte nationale oder kontinentale Formel 3-Level etabliert; seit es die FIA Formel 3 im Rahmen der F1 gibt, darf keine andere Serie mehr diesen Namen tragen. So musste sich letztes Jahr auch die traditionsreiche British F3 in GB3 umbenennen. Während die F4-Meisterschaften meist nationalen Charakter haben, erstrecken sich die Formula-Regional-Meisterschaften über mehrere Länder oder einen Kontinent, in diesem Fall eben Europa. Seit dem Zusammenschluss mit der alten Formula Renault 2.0 ist die FRECA die wichtigste europaweite Nachwuchsserie.
Einige Piloten überspringen dieses Level allerdings. So ist zum Beispiel Ollie Bearman als F4-Dopelchampion (Italien und ADAC) direkt in die Formel 3 gewechselt. Gleiches gilt für Pepe Marti, der zwar in den Winterserien Formula Regional Asia bzw. Middle East angetreten ist, aber ansonsten direkt von der F4 in die F3 gegangen ist. Die Formula Regional wird – so sehe ich es – grad bei steilen Karrieren – eher als Hindernis empfunden. Sie ist nicht besonders gnädig zu Rookies: die Autos sind physisch anspruchsvoll zu fahren, es gibt kein Reverse Grid und kein DRS und damit weniger Gelegenheit für Neulinge, im ersten Jahr auch schonmal oben zu stehen. Darum „hängt“ man in der FRECA meist auch länger als eine Saison „fest“.
Umso erstaunlicher ist es, dass einer der höchstgehandelten Prospects, der 16-jährige Italiener Andrea Kimi Antonelli, nach dem Gewinn der italienischen und der ADAC-Formel 4 im Vorjahr eben diese Serie in Angriff nimmt und nicht, wie der ein Jahr ältere Ollie Bearman, direkt in die F3 durchmarschiert. Aber bei Ferrari-Junior Bearman merkt man auch an der einen oder anderen Stelle, dass er nun als 17-jähriger in der F2 noch sehr frisch und unerfahren ist. Mercedes-Junior Antonelli geht den etwas längeren Weg und wird erst einmal in der FRECA mehr Erfahrung sammeln. Ob es ein oder zwei Jahre werden, wir werden es sehen… mit Prema hat er jedenfalls eines der stärksten FRECA-Teams hinter sich. Ich halte es nicht für unmöglich, dass Antonelli direkt um den Titel mitfährt, aber die FRECA ist eben auch so gestrickt, dass an sich nicht wundern darf, wenn es nicht auf Anhieb klappt.
Ebenfalls weiter bei Prema ist FDA-Mitglied Rafael Camara aus Brasilien, der auch ein guter Pilot ist, aber bisher in jeder Formelserie im Schatten seines Teamkollegen Antonelli stand. Bereits in sein drittes FRECA-Jahr geht der Spanier Lorenzo Fluxa. Bei ihm war vom ersten zum zweiten Jahr eine deutliche Aufwärtstendenz zu erkennen (vielleicht auch dank des Teamwechsels zu R-ace GP), mit Prema sollte er diesen Trend fortsetzen können. Ob er aber fähig ist, um den Titel mitzukämpfen, da bin ich mir nicht sicher.
R-ace GP gehört jedenfalls auch zu den Top-Teams in dieser Serie. Hier treten. Hier wird der Deutsche Tim Tramnitz in sein zweites FRECA-Jahr gehen, das erste hatte wenige Highlights, allerdings hatte er sich bei den Vorsaisontests auch eine Verletzung zugezogen. Hier ist mit einer Verbesserung zu rechnen. Frisch aus der F4 kommt der 17-jährige Norweger Martinius Stenshorne. In der italienischen und der ADAC-Serie blitzte hier immer wieder Talent durch, aber es könnte auch sein, dass der Aufstieg etwas zu früh kommt. Wir werden es sehen.
Ebenfalls ein starkes Team ist ART Grand Prix. Hier hat Charlie Wurz einen Platz gefunden, der die F4 mit Prema bestritt, wie Camara dort aber auch oft im Schatten Antonellis unterwegs war. Im Winter konnte er die Formula Regional Oceania (ehemals Toyota Racing Series) gewinnen. Ein mit Spannung betrachteter Rookie war im Vorjahr Laurens van Hoepen (der einen etwas anderen Karriereweg eingeschlagen hatte und nicht Formel 4 gefahren ist), aber auch er hatte ein schweres erstes Jahr. Ein Highlight waren sicherlich die zwei achten Plätze in Monaco, die zeigten, welches Talent in dem jungen Niederländer steckt. Monaco ist dieses Jahr leider nicht mehr im FRECA-Kalender.
Apropos Niederlande: sehr gespannt bin ich auf die Saison von Kas Haverkort bei Van Amersfoort. Er ist „schon“ 19 und geht in sein drittes FRECA-Jahr, aber letztes Jahr war er einer von nur vier Nicht-Prema-Piloten, die Rennen gewinnen konnten. Die anderen drei (Gabriele Mini, Hadrien David und Gabriele Bortoleto)sind in die Formel 3 aufgestiegen. Haverkort ist damit auch der bestplatzierte Pilot des Vorjahres, der in der Serie verbleibt. Zu seinen Teamkollegen gehört der Schweizer Joshua Dufek, der 2022 zum Ende seiner Rookie-Saison immer stärker wurde und einige Podien einfahren konnte.
Neu in der FRECA dabei ist das französische Team Sainteloc Racing, hier geht mit Emerson Fittipaldi Jr. ein großer Name an den Start. Bei dem im Februar erst 16 gewordenen Brasilianer scheint mir dieser Schritt allerdings zu früh, seine erste Formel-Saison, in der er sich in mehreren F4-Serien versuchte, war nicht überzeugend. Einzige Frau im Feld ist Maya Weug. Sie gehört zur Ferrari Driver Academy und konnte ihrem zweiten Jahr in der italienischen F4 2022 einenh deutlichen Aufwärtstrend verzeichnen. Nun steigt sie mit dem finnischen Team KIC Motorsport in die schwierige FRECA auf.
Das sind natürlich lange nicht alle Piloten, in Imola wird ein großes Feld an den Start gehen. Auch der Russe Michael Belov hat in der Vergangenheit Potenzial bewiesen und bereits mehrere FRECA-Läufe gewonnen, konnte aber zuletzt keine Saison vollständig bestreiten. Denkbar ist auch, dass sich aus dem Kreis der verbliebenen Rookies des Vorjahres (außer den gegannten Dufek und Tramnitz sind das Joshua Duerksen, Sami Megatounif, Victor Bernier, Roman Bilinski) jemand deutlich steigert; auf die können wir im Laufe der Saison dann noch näher eingehen. Ansonsten sollten aber die wichtigsten Namen und die Favoriten hier aufgeführt gewesen sein.
Die FRECA-Saison erstreckt sich über zehn Wochenenden mit jeweils zwei Rennen. Im Kalender stehen überwiegend Kurse, auf denen die F1 auch regelmäßig fährt, wie Barcelona, Spa, Monza, der Hungaro- und der Red Bull-Ring. Neu dabei ist Hockenheim, hier wird das Saisonfinale im Rahmen des DTM-Wochenendes ausgetragen.
F4 Italia
Demgegenüber ist die italienische Formel 4-Meisterschaft überwiegend in Italien unterwegs. Imola, Misano, Monza, Mugello und Vallelunga werden angefahren, jenseits der Alpen besucht man Spa und Le Castellet, beides zusammen mit der Euroformula Open und TCR Europe. Die gute Promotion durch den Kart-Veranstalter WSK hat diese Serie in den letzten Jahren zur absolut wichtigsten und am stärksten besetzten F4-Serie in Europa gemacht. Die Champions der letzten Jahre heißen Hauger (aktuell F2), Mini (F3), Bearman (F2) und Antonelli (FRECA). Das „Heimteam“ Prema dominiert über weite Strecken, aber da sie mit zig Autos antreten, ist es trotzdem sehenswert. Und in manchen Jahren haben eben auch andere Teams wenigstens einen starken Prospect am Start, so eben van Amersfoort mit Hauger oder Bearman in den letzten Jahren.
Sieben Autos schickt allein Prema ins erste Rennwochenende. Dazu gehören die beiden Ferrari Academy-Mitglieder James Wharton (zweites Jahr) und Tuuka Tapponen (FDA-Neuzugang und F4-Rookie), McLaren-Junior Ugo Ugochukwu und Rookie- und Red Bull-Nachwuchsmann Arvid Lindblad. Wharton, Tapponen und Ugochukwu haben im Winter schon die F4 UAE Championship unter sich ausgemacht, mit dem besten Ausgang für den etwas erfahreneren Australier Wharton. Landblad musste hinter diesen dreien zunächst etwas zurückstehen, wird sich aber sicherlich auch noch entwickeln. Ein weiteres FDA-Mitglied ist die brasilianisch-belgische Pilotin Aurelia Nobels, die 2022 das „Girls on Track – Rising Stars“-Programm der FIA gewann. Ebenfalls zum Prema-Kader gehören die erst 15-jährigen Rookies Nicola Lacorte aus Italien und Rashid Al Dhaheri aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Die Speerspitze von Van Amersfoort dürfte demgegenüber Brando Badoer sein, der in sein zweites Jahr in der Serie geht und in der zweiten Saisonhälfte 2022 eine aufsteigende Tendenz zeigte. Auch in der F4 UAE fuhr er gute Resultate ein, konnte aber nur drei der fünf Events bestreiten. Bester Nicht-Prema-Pilot der F4 UAE war übrigens der Italiener Valerio Rinicella, der aber nicht in der italienischen, sondern in der spanischen F4-Meisterschaft starten wird.
Zwei deutsche Teams sind in der italienischen Serie mit großem Aufgebot am Start, nachdem die ADAC F4 ja nun eingestampft wurde. Bei PHM Racing ist zuvorderst Valentin Kluss zu nennen, der nach seinem 15. Geburtstag letztes Jahr in die ADAC F4 einstieg und sich zum Saisonende recht gut machte. Auch in der F4 UAE fuhr er einige gute Resultate ein. Mit James Egozi ist ein frisch von den Karts kommender gleichaltriger US-Amerikaner sein Teamkollege, den ich aber bisher nicht einschätzen kann.
US Racing bringt gleich fünf Piloten an den Start, darunter für eine zweite Saison den Polen Kacper Sztuka. Der konnte letztes Jahr als einziger Nicht-Prema-Pilot außer Alex Dunne (ebenfalls US Racing) Rennen in der italienischen Formel 4 gewinnen. Das spricht für seine Qualität und die des Teams. Im Winter gewann Sztuka die neue Formula Winter Series, eine günstigere Alternative zu den Serien im Mittleren Osten. Geld ist ein Thema, insofern wäre ihm eine starke Saison zu gönnen, denn das Talent ist da. Der philippinisch-maltesische Pilot Zachary David hat die F4 UAE bestritten und konnte hier auch ein Rennen gegen die starke Konkurrenz gewinnen. Beim Saisonfinale der Formula Winter Series trat er an Stelle von Sztuka an und gewann beide Läufe. Hier haben wir es auch mit einigem Potenzial zu tun.
Das sind nur einige der 38 Piloten, die das erste Rennwochenende in Imola in Angriff nehmen werden. Aufgrund der großen Zahl an Meldungen werden vier Läufe anstatt der üblichen drei ausgetragen, wobei von den ersten drei Läufen jeder Pilot zwei bestreitet, das Starterfeld des letzten Laufs (mit Reverse Grid der Top Ten) bestimmt sich dann nach den Ergebnissen dieser „Heats“. Im Vorjahr musste dieser Modus nur am Red Bull-Ring angewendet werden, dieses Jahr könnte es häufiger der Fall sein.
(Beitragsbild: Ferrari)