Überraschendes Aus nach 25 Jahren: Michelin hat ein Ende als Reifenausstatter in der GT500-Klasse der SUPER GT nach der Saison 2023 verkündet. Wie es nun für NISMO weitergeht und was das für den einzigarigen Reifenwettbewerb in der japanischen GT-Meisterschaft bedeutet.
Die Ankündigung sorgte für schockierte Gesichter bei den Fans: Am Mittwochmorgen verkündete Michelin das Ende ihres Engagements als einer der vier Reifenhersteller in der GT500-Klasse der SUPER GT nach Abschluss der diesjährigen Saison. Das Aus bedeutet gleichzeitig auch das Ende der 11-jährigen Partnerschaft mit NISMO und NDDP Racing, dem zweiten Team unter der Feder von Nissans Werksmannschaft. Die Meldung kam dahingehend überraschend, da es im Vorfeld keinerlei Anzeichen für einen Rücktritt gab. Am Dienstag präsentierten sich die NISMO-Fahrer gar mit einem speziellen T-Shirt zum Jubiläum von Michelins Motorsporthistorie in den sozialen Medien. Ein Grund wurde nicht genannt. Die Pressemitteilung zitiert lediglich eine Entscheidung der Michelin Group: „Die Ankündigung folgt einer Entscheidung zum Umdenken der Motorsport-Strukturierung der Michelin Group.“ Nicht davon betroffen ist das Engagement in der GT300, das wie geplant fortgesetzt wird. Dies bestätigte sowohl der Hersteller wie auch BMW Team Studie-Boss Yasuaki „Bob“ Suzuki – das aktuell einzige Team auf Michelin-Reifen in der Klasse.
Der französische Reifenhersteller nahm erstmals 1999 an der damals noch All-Japan Grand Touring Car Championship (JGTC) genannten Meisterschaft teil. Die fünfjährige Partnerschaft mit der Toyota-Crew von Team TOM’S fing erfolgreich mit einem beeindruckenden Sieg im gleich dritten Rennen an. Zwischen 2010 und 2011 flirtete man auch mit SARD Racing, eine der damalig stärksten Mannschaft der Lexus-Flotte, sowie mit Hondas Dome-Crew im Jahr 2014. Es war allerdings die Partnerschaft mit Nissan, die Michelin die größten Erfolge in Japan einbrachte. Einen ersten Annäherungsversuch gab es 2009 mit Hasemi Motor Sport. Eine Saison später zog sich erstmals die NISMO-Werksmannschaft die französischen Schlappen auf – revidierte diese Entscheidung aber bereits im darauffolgenden Jahr mit einer kurzzeitigen Rückkehr zu Bridgestone. Es waren die Erfolge mit der Nissan-Privatmannschaft MOLA mit gleich zwei GT500-Titeln in den Jahren 2011 sowie 2012, die das Comeback bei NISMO einleiteten.
Die seither anhaltende Partnerschaft erwies sich als voller Erfolg: 2014 und 2015 gewann man erneut zweimal die Meisterschaft hintereinander. Insgesamt gewann man somit bislang viermal den Titel in der GT500-Klasse. Ronnie Quintarelli war Teil von allen Erfolgen – und hob sich damit auf den SUPER-GT-Olymp als erfolgreichster GT500-Fahrer mit den meisten Titeln. Sein ehemaliger Teamkollege Masataka Yanagida schrieb sich derweil als bislang einziger Fahrer in die Geschichtsbücher, der mehrere Titel sowohl in der GT500 wie auch GT300 gewinnen konnte. Und Quintarellis jetziger Partner seit 2014, Tsugio Matsuda, ist mit nunmehr 24 Siegen zudem der siegreichste Fahrer in der Geschichte der Serie.
Michelin bekräftigte, dass die Ankündigung keine Auswirkung auf das Engagement in der diesjährigen Saison hat. Beim Auftakt in Okayama gelang ihnen ein Doppelerfolg. Nach dem zweiten Saisonrennen vergangene Woche führen der Motul Autech Z sowie der Niterra Motul Z weiterhin die Meisterschaft an. Der Rücktritt bringt NISMO jedoch in die Bredouille: Wie geht es 2024 weiter? Erstmals seit 2008 werden mit Bridgestone, Yokohama und Dunlop (Sumitomo Rubber) erstmals wieder nur drei Reifenhersteller in SUPER GTs Top-Klasse aktiv sein. Mit zehn der insgesamt 15 Autos stattet Bridgestone dabei einen Großteil des Feldes aus – und geht nach eigenen Angaben damit gar über das eigene Limit hinaus. Die Anzahl erhöhte sich gar in diesem Jahr aufgrund des Zusammenschlusses von ARTA und Mugen. Hinzu gesellen sich vier GT300-Teams sowie ein neuer Exklusiv-Vertrag mit der Super Taikyu, der gar ein Jahr früher als ursprünglich geplant in Kraft tritt. Grund war ein Brand in Hankooks Produktionsstätte im koreanischen Daejeon, bei dem elf Menschen verletzt und über 400.000 Reifen zerstört wurden. Um ein vorzeitiges Saisonende der Super Taikyu abzuwenden, springt Bridgestone deshalb bereits ab den Fuji Super TEC 24 Hours Ende dieses Monats als Serienausstatter ein.
Es wirkt unwahrscheinlich, aber selbstredend nicht ausgeschlossen, dass Bridgestone zu Gunsten von NISMO einen ihrer aktuellen Partner aufgibt, zumal keiner der GT-Rs in der GT300-Klasse auf dem Gummi des japanischen Herstellers unterwegs ist und als möglicher Austausch hätte herhalten können. Einzig die GT500-Titelverteidiger von Impul sind mit den Bridgestone-Pneus unterwegs. Ein erzwungenes Ende der langjährigen Partnerschaft mit dem Team von Kazuyoshi Hoshino seit der allerersten Saison im Jahr 1994 würde allerdings sicherlich den Zorn der Fans sowie Sponsoren auf sich ziehen. Ein neuer Akteur ist ebenfalls nicht in Sicht, obgleich der starke Wettbewerb in der SUPER GT eine ideale Plattform darstellt. Einzig der koreanische Reifenhersteller Nexen hat gegenüber dem japanischen Magazin Car Watch im März dieses Jahres Interesse an der GT300-Klasse verkündet. Aktuell ist man in der koreanischen Superrace-Meisterschaft sowie dem japanischen GR86/BRZ Cup aktiv.
Rein aus Wettbewerbssicht betrachtet würde eine NISMO-Bridgestone-Reunion auch weitreichende Folgen auf den „Reifenkrieg“ haben – ein besonderes Merkmal der SUPER GT. Bridgestone würde dann nämlich ein Monopol auf alle Top-Teams aller drei aktiven Hersteller haben. Wie intensiv dieser sein kann, haben insbesondere die beiden letzten Regenschlachten von Okayama und dem Sportsland SUGO gezeigt, als Michelin dank ihres innovativen Regenreifens mit seitlichen Rillen die beiden NISMO-Mannschaften zu einem jeweils dominanten Doppelerfolg führte. Bridgestone, Yokohama und Dunlop entwarfen anschließend ähnliche Lösungen. Zumindest erstere entschieden sich nach Testfahrten jedoch gegen eine Einführung in diesem Jahr. Vielleicht auch, weil Bridgestones Schlechtwettergummi insbesondere bei hohen Wassermengen die Oberhand, auf lediglich feuchter Piste jedoch das Nachsehen hat – eine interessante Dynamik, die sich je nach Bedingungen zwischen allen vier Marken auch im Trockenen zeigt.
Tatsächlich gewannen seit 2008 einzig Bridgestone- oder Michelin-bereifte Fahrzeuge die GT500-Meisterschaft. Der letzte Dunlop-Sieg (Nakajima Racing) geht auf die finalen Suzuka 1000km im Jahr 2017 zurück. Der letzte Yokohama-Erfolg (Kondo Racing) ist gar noch ein Jahr älter. Auf dem Papier scheint Bridgestone somit die einzig logische Wahl für NISMOs-Ambitionen. Dies würde allerdings die Fortschritte von Yokohama in den letzten Jahren untermauern.
Einzig die Bandoh-Toyota-Crew sowie Kondo Racing aus dem Nissan-Lager sind aktuell mit den Advan-Pneus unterwegs. Erstere konnten seit 2021 sieben Pole-Positions einfahren – vier Stück davon allein im letzten Jahr –, konnten diese Leistung aber nicht immer ins Rennen übertragen. Anders verlief es für Kondo Racing, die seit dem Wechsel vom betagten GT-R GT500 auf den neuen Nissan Z deutlich besser mit den Yokohama-Schlappen zurechtkommen und einen etwaigen Sieg in der Autopolis vergangene Saison lediglich wegen eines strategischen Missgeschicks wegwarfen. Ein sicherer Podiumsplatz letzte Woche auf dem Fuji Speedway fiel hingegen eines Auffahrunfalls im Überrundungsverkehr fünf Runden vor Schluss zum Opfer. Mit gleich drei Advan-bereiften Nissan Z könnte Yokohama zudem deutlich mehr Daten sammeln, ihr Testprogramm entsprechend ausweiten und so zu einem dauerhaften Challenger auf den Thron von Giganten Bridgestone werden.
Das Aus von Michelin bedeutet gleichzeitig auch das Ende einer prägnanten Ära. Die Franzosen haben stets offen über ihr Engagement in Japan gesprochen. So war es nie das Ziel einen Großteil des Feldes auszustatten. Stattdessen sah man die SUPER GT auch als Testlabor, um Reifen für andere Kategorien wie das World Endurance Championship (WEC) zu entwickeln. Gleichzeitig war es aber auch der Wettstreit sowie die spirituelle Fortsetzung des Duells gegen den ewigen Rivalen Bridgestone aus alten Formel-1-Tagen, der die Franzosen anspornte. Die plötzliche Ausstiegs-Ankündigung ist daher auf mehreren Ebenen überraschend. Plant Michelin etwa etwas Größeres an anderer Stelle? Erst die Zukunft wird es zeigen.
Copyright Photos: GT Association (GTA), Michelin Japan