Am vergangenen Wochenende startete der Sprint Cup traditionell mit zwei 60-minütigen Rennen im britischen Brands Hatch. Wie üblich war die Qualifikation oft mehr als die halbe Miete auf dem anspruchsvollen Kurs, auf dem das Überholen fast unmöglich ist. Aufgrund der Streckenkapazität waren die Bronze-Wagen nicht am Start.
Ungewöhnlicherweise wurden die beiden Rennen am Sonntag ausgetragen mit der kompletten Qualifikation für beide Rennen am Samstag. In der Regel wird es auch dieses Jahr den Ablauf der letzten Jahre geben, dass ein Rennen am Samstag und eins am Sonntag stattfindet. Auch der Ablauf der Qualifikation war etwas ungewöhnlich, da die Sessions direkt hintereinander stattfanden, was sonst auch an beiden Tagen getrennt ist.
Die samstägliche Qualifikation sollte auch in diesem Jahr für den Ausgang der Rennen von zentraler Bedeutung sein. Brands Hatch erinnert etwas an Zandvoort. Fahrerisch ist sie sicherlich neben Spa die herausforderndste Strecke, aber Überholstellen bieten sich auf dem alten Streckenteil so gut wie gar nicht. In Q1 ging es los mit den Bestzeiten für die Emil Frey Ferraris, die ihren ersten Renneinsatz mit dem neuen Ferrari absolvierten. Kurz nach dem Setzen ihrer Bestzeiten sorgte Christian Engelhart im Dinamic Porsche mit einem Abflug für eine rote Flagge. Alle konnten daraufhin noch zwei schnelle Runden absolvieren. Dennoch gab es mit den bereits genutzten Reifen praktisch kaum noch Verbesserungen, mit einer Ausnahme: Raffaele Marciello zeigte der Konkurrenz mal wieder eine lange Nase und konnte den Akkodis ASP Mercedes an die Spitze setzen. Dahinter reihten sich die beiden Emil Frey Ferraris von Costa und Lappalainen ein. Auf dem vierten und fünften Platz folgten dann Mattia Drudi im starken Attempto Audi und der beste WRT BMW von Charles Weerts.
In Q2 gab es ebenfalls eine rote Flagge durch einen Abflug von Lorenzo Patrese im zweiten Attempto Audi. Erstaunlich war in Q2, dass das Kräfteverhältnis mit den jeweils anderen Fahrern teilweise komplett unterschiedlich war im Vergleich zu Q1. Vor allem bei Audi waren die Unterschiede zu sehen, die zum Zeitpunkt der roten Flagge mit Mies, Haase, Magnus und Niederhauser vier Autos auf den ersten vier Plätzen hatten. Da die Unterbrechung sehr früh war, konnten jedoch die Meisten ihre Zeiten noch verbessern. Für die erste Reihe konnten sich schließlich Christopher Mies im Sainteloc Audi und Christopher Haase im Comtoyou Audi qualifizieren. Die Emil Frey Ferraris waren auch in diesem Segment stark dabei und Giacomo Altoe konnte seinen Ferrari auf die dritte Position stellen. Jedoch bekam er eine Grid-Strafe um drei Plätze wegen nicht-Einhaltens der Regularien unter roter Flagge. Damit waren vier Audi in den Top5, da auch Patric Niederhauser und Gilles Magnus vorne dabei waren. Nur Maxime Martin in der #46 von WRT konnte hier dazwischenfunken. Einen erneut großen Unterschied zum ersten Segment erlebte man beim Akkodis ASP Duo zwischen Marciello und Boguslavskiy. Der Russe konnte den Mercedes nur auf P19 stellen. Gefühlt ist der Unterschied zwischen den Beiden eher noch größer als kleiner geworden, was sich in den beiden Rennen deutlich zeigen sollte.
Rennen 1
Am Sonntagvormittag ging es in den ersten 60 Minuten Sprint. Es sollte zu großen Teilen eher eine Prozession werden, insbesondere in der Zeit bis zu den Boxenstopps. Nach einem Start ohne Zwischenfälle konnte Marciello seine Führung verteidigen. Vorne wurde das Ferrari-Duo um Costa und Lappalainen durch Mattia Drudi getrennt. Marciello und Costa konnten sich recht schnell Absetzen und es bildete sich wie üblich in Brands Hatch eine Perlenkette. Schnell deutete sich an, dass Marciello den Mercedes mit deutlichem Vorsprung an Timur Boguslavskiy übergeben wird, der dann mit der Verwaltung des Vorsprungs beschäftigt sein wird. Dahinter reihten sich der Dinamic Porsche von Engelhart vor dem BMW von Weerts und dem VSR Lamborghini von Jordan Pepper ein, bevor eine Gruppe mit fünf Audis von P8 bis P12 platziert war.
Die interessanten Ereignisse gab es im Mittelfeld, da ab P10 die Fahrzeuge aus dem Silver-, Gold- und Pro-Cup bunt durchmischt waren. Die BOP hat für den Saisonstart im Sprint-Cup perfekt funktioniert, da in der Anfangsphase sechs Marken auf den ersten sieben Plätzen waren.
Das Boxenstoppfenster nutzten zuerst Lappalainen und Weerts aus der Spitzengruppe, aus dem Verkehr zu kommen. Einmal mehr zeigte sich der Trend, dass WRT oft die schnellste Perfomance bei den Stopps hinlegt und konnte damit am Emil Frey Ferrari von Lappaleinen vorbeigehen. In der Box gab es einen kuriosen Zwischenfall zwischen dem Nova-Honda nach einem der Sainteloc Audi. Der Audi wollte schon losfahren, als der Honda gerade in seine Box einbog und dann nach der Kollision im 90-Grad Winkel in seiner Box drinstand.
Einen weiteren schwachen Stopp erlebte die Emil Frey Mannschaft beim Wechsel von Costa auf Vermeulen. Der Niederländer hatte mindestens drei bis vier Sekunden mit einem zögerlichen Losfahren verloren, womit er noch hinter den Attempto Audi von Ricardo Feller und Dries Vanthoor im BMW zurückfiel. Man merkt, dass die schweizer Ferrari-Mannschaft bislang noch unerfahren bei den Performance-Stopps ist, da ja im GT Masters auf eine Mindeststandzeit gesetzt wird. Der Letzte beim Stopp war „natürlich“ Marciello, der in der letztmöglichen Runde auf seinen langsameren Teamkollegen übergab. Es sollte am Ende enger werden als gedacht!
Boguslavskiy übernahm den Mercedes mit rund 15 Sekunden Vorsprung vor Feller und Vanthoor, der mit dem Gewinn von drei Positionen im Vergleich zu Charles Weerts den größten Sprung machte. Die großen Verlierer waren wie schon angedeutet die beiden Ferraris, die auf P5 und P6 hinter den Dinamic Porsche von De Leener fielen. Das Rennen nahm nach den Stopps deutlich an Dynamik auf und entstand ein hochklassiges Duell um den zweiten und dritten Platz, sowie um die P4 bis P7, da die Ferraris sichtlich vom Porsche aufgehalten wurden. Giacomo Altoe musste in der Folge sogar noch einen Platz gegen Christopher Haase im Comtoyou Audi hergeben.
Schlussendlich reichte es für Boguslavskiy mit letzter Not vor Ricardo Feller ins Ziel zu kommen, obwohl der Schweizer permanent eine Sekunde pro Runde schneller war. Der Mercedes fuhr rund zwei Sekunden nach Ablauf der Zeit über den Zielstrich. Hätte er noch eine Runde fahren müssen, wäre er auf ein ganzes Paket an Überrundeten aufgelaufen. Das wahre Drama ereignete sich in der letzten Runde dahinter: Der Dinamic Porsche von De Leener rollte nur noch über die Ziellinie und fiel noch von P4 auf P8 zurück. Die treuen GT Masters-Fans erinnerten sich sofort an das Ausrollen des Joos-Porsche in Zandvoort 2022 zurück. Mann der Schlussphase war sicherlich Christopher Haase, der noch an beiden Emil Frey Ferraris vorbeikam und P4 einfahren konnte. Für diese reichte es nur zu P5 und P7, da sogar Frank Perera im VSR Lamborghini noch an Altoe vorbeikam. Den Gold-Cup gewannen Panis/Di Folco im Boutsen VDS Audi, den Silber-Cup Aka/Patrese im Attempto Audi.
Rennen 2
Viel Zeit hatten die Teams nicht die Daten nach dem ersten Rennen auszuwerten. Es war eine deutlich härtere Gangart in der Startphase zu spüren als noch beim ersten Rennen. Vorne konnten die beiden Christophers in den Audis ihre Führung verteidigen. Jedoch war zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass Mies an den deutlich langsameren Demoustier übergeben muss und Haase an den noch unerfahrenen Lucas Legeret. Dahinter konnte sich Maxime Martin im BMW auf P3 einreihen. Damit war die Chance zum Greifen nahe, dass Valentino Rossi das erste Podest seiner GT-Karriere einfahren konnte. Gilles Magnus konnte den Comtoyou Audi als bestes Fahrzeug aus dem Gold-Cup auf P4 positionieren, bevor Kjaergaard im McLaren von Garage 59 folgte. So sollte sich das Feld auch bis zu den Stopps halten.
Für die erste FCY-Phase am Wochenende sorgte Alberto Di Falco im Boutsen VDS Audi, der nach einem verunglückten Überholmanöver an Paul Evrard im Sainteloc Audi im Kies strandete. Durch die FCY-Phase, aus der dann wie üblich in der GTWC ein Safety-Car wird, wurde das Stoppfenster um zwei Minuten nach hinten verschoben.
Aus der Spitzengruppe gingen Feller, Altoe und Vanthoor zum frühestmöglichen Stopp, um aus dem dichten Verkehr nach dem Safety-Car rauszukommen. Einen ebenso frühen Stopp legte Bogoslavskiy hin, der aus dem hinteren Feld nicht nach vorne kam. Die Akkodis ASP Mannschaft legte mit 40 Sekunden Aufenthalt in der Box den schnellsten Stopp hin. Marciello konnte in der Folge viele Plätze gewinnen und fand sich nach dem Stoppfenster sogar in den Top10 wieder. Immer wieder erstaunlich, was ein solcher „Undercut“ ausmachen kann! Wie erwartet ging vorne Christopher Mies in der letztmöglichen Runde rein, um an den deutlich langsameren Gregoire Demoustier zu übergeben. Jedoch bauten die Reifen ab, weshalb dieser mit dem zuvor führenden Auto nur auf P6 rauskam und in der Folge viele weitere Plätze verlor.
Nach dem Stopp ergab sich aufgrund der zuvor engen Abstände ein komplett anderes Bild: Vorne war nun der Attempto Audi von Mattia Drudi, der von P6 auf P1 nach dem Stoppfenster war. Dahinter die beiden WRT BMW von Rossi und Weerts, der gar von P9 bis auf P3 nach vorne kam. Dahinter Benjamin Goethe im McLaren, Lucas Legeret im Audi und sogar Raffaele Marciello, der ca. zehn Plätze weiter nach vorne kam.
In Richtung Schlussphase konnte sich Valentino Rossi sogar von Charles Weerts absetzen, was einmal mehr seine steile Lernkurve im GT-Sport zeigt. Weerts bekam seinerseits eher Druck von Goethe, der im McLaren einen überraschend guten Speed zeigte. Kurios wurde es ab P8. Demoustier konnte das Tempo der Führungsgruppe bei weitem nicht mitgehen und hielt praktisch das gesamte Feld auf. Bei allem Respekt, aber: Das Duo Mies/Demoustier hat eher etwas von einer Pro/Am Besatzung als von einer Nennung im Pro-Cup. Nach einem Ausritt in der Paddock-Hill-Band kam er nur auf P18 ins Ziel!
Vorne gab es keine Änderungen mehr, auch wenn es sehr eng um die dritte Position wurde. Auch Marciello konnte nach dem starken Undercut keine weiteren Plätze mehr gewinnen. Im Gold-Cup konnte das WRT-Duo Calan Williams/Niklas Krütten dominieren. Im Silver-Cup wurde dem Mercedes von Haupt Racing um Jordan Love/Frank Bird eine 10 Sekunden Strafe zum Verhängnis, wodurch hier das Duo Moulin/Paverud im VSR Lamborghini an die Spitze kam.
Das Wochenende hat gezeigt, dass es im Sprint-Cup erstaunlich viele ungleiche Fahrerpaarungen gibt, was die fahrerische Klasse betrifft. Hier hat die Attempto-Mannschaft mit Drudi/Feller sicherlich eines der homogensten Duos im Feld. Die großen Favoriten dürften für den weiteren Saisonverlauf sicherlich die WRT-BMW sein, die mit Weerts/Vanthoor und mit inzwischen auch Rossi/Martin sehr starke Duos haben. Bei Rossi merkt man allerdings noch eine gewisse Schwäche in der Qualifikation, wenn es auf eine schnelle Runde ankommt. Auch mit den Emil Frey Ferraris muss man rechnen, wenn man hier die kleineren Fehler im Zusammenhang mit der Strategie und den Stopps korrigieren kann.
Weiter geht es mit der Rennserie im Endurance-Cup. Hier steht demnächst der Prolog vor den 24 Stunden in Spa an, bevor die 6 Stunden in Le Castellet am ersten Juni-Wochenende folgen. Der Sprint-Cup macht erst Mitte Juli in Misano nach den 24 Stunden von Spa weiter.
Bildquelle: gt-world-challenge-europe.com (https://www.gt-world-challenge-europe.com/gallery?filter_season_id=23&filter_meeting_id=197&filter_race_id=&filter_text=)