Das 24 Stunden-Rennen von Le Mans feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag: das erste Rennen wurde 1923 vom 26. auf den 27. Mai ausgetragen. Mit der Einführung des „Hypercars“-Reglements begann 2021 eine neue Phase in der Geschichte des 24h-Rennens. Eigentlich, könnte man sagen, beginnt sie erst in diesem Jahr so richtig, denn 2021 und 2022 setzten nur Toyota und Glickenhaus echte „Hypercars“ (nach dem LMH-Reglement) ein, während die wenigen anderen Starter in der Top-Klasse noch auf „übergeleitete“ LMP1-Technik setzten, solang diese noch zugelassen wurde. Und da nur Toyota einen Werkseinsatz mit entsprechendem Budget und Aufwand unterwegs war, verlief das Rennen an der Spitze in beiden Jahren eindeutig.
Das dürfte sich nun ändern, denn in diesem Jahr ist erstmals echte Konkurrenz durch anderen Automobilhersteller in der neuen Klasse in Le Mans am Start, aber Porsche, Cadillac und Ferrari dürften Toyota etwas stärker unter Druck setzen, als die dies aus den letzten Jahren gewohnt sind. Dass man mit den Hypercars einen Überbau geschaffen hat, der verschiedene technische Reglements (namentlich die amerikanischen LMDh- und die „europäischen“ LMH-Regeln) unter sich vereint, ist im Grunde eine gute Sache, auch wenn wir dafür die Kröte einer nachgeschalten und immer wieder anzupassenden „Balance of Performance“ schlucken müssen, was aber leider ohnehin dem Zeitgeist im Motorsport entspricht.
Ich möchte an dieser Stelle aber vor allem noch einmal den Blick in die (jüngere) Vergangenheit lenken und auf die LMP-Ära ab 1999/2000 zurückblicken. 1999 war ein Übergangsjahr zwischen den 90ern, die von den GT1-Monstern geprägt waren, die im Kampf um Gesamtsiege aber auch mehrfach gegen eigentlich veraltete Prototypen auf Gruppe C-Basis verloren. Die Gruppe C war jene heute nahezu legendäre Fahrzeugklasse, die in den 80ern und frühen 90ern an der Sarthe regierte. Damals waren zeitweise ausschließlich Prototypen am Start, keinerlei GT-Fahrzeuge.
Nach der „Zerstörung“ der Gruppe C durch die FIA 1993 folgten Reglement-technisch einige „wilde“ Jahre, in denen verschiedene Klassen-Varianten ausprobiert wurden, bevor man für das Jahr 2000 eine Konstellation fand, die die nächsten 20 Jahre mehr oder weniger überdauern sollte: zwei „Le Mans Prototype“ (kurz: LMP)-Kategorien und zwei „Gran Tourismo“ (kurz: GT)-Kategorien für serienbasierte Wagen. Eine Sonderform, die es bis 2003 gab, waren die LMGTPs (im Grunde „Prototypen mit Dach“, für die auch keine Straßenmodelle als Homologations-Referenz mehr erforderlich waren), die ich für die folgende Analyse aber der Top-Klasse zurechne (nach 2000 setzte nur Bentley Autos in dieser Kategorie ein).
Als quantitativen Ausgangspunkt für die folgende Betrachtung habe ich die Teilnehmerlisten seit 1999 durchgeschaut und die Teilnehmerzahlen sowie die Ausfall- bzw. DNF-Quoten nach Fahrzeugklassen erfasst. Ich bitte um Nachsicht, wenn nicht alles wissenschaftlich astrein ist, mein Statistik-Kurs im 1. Semester ist inzwischen einige Jahre her. Und selbstverständlich gab es über die Jahre diverse Anpassen und Weiterentwicklungen der einzelnen Klassen-Reglements, auch wenn die Struktur im Wesentlichen gleich blieb.
LMP1 – eine goldene Ära, verpackt zwischen Solo-Auftritten
Seit dem besagten Jahr 2000 gibt es zwei Prototypen-Klassen in Le Mans. Bis heute hat sich der Begriff der „großen“ und „kleinen“ Prototypen immer noch ein Stück weit gehalten, denn zunächst handelte es sich um eine Einteilung in zwei Gewichtsklassen: es gab die LMP900 (Mindestgewicht 900kg), aus der später die LMP1 werden sollte, und die LMP675 (Mindestgewicht: 675kg), aus der später die LMP2 werden sollte. Neben dem Gewicht gab es natürlich auch unterschiedlich Vorgaben für die Motoren.
Der Anfang dieser Zeit in den 2000ern war von der Audi-Dominanz und dem Bentley-Interludium geprägt, jeweils ohne ernsthafte weitere Gegner. Das Team von Henri Pescarolo gehörte zu den stärksten Privatier-Herausforderern, hatte aber kaum eine ersthafte Chance. Eine „Balance of Performance“ wurde zwar gefordert, aber nicht ernsthaft erwogen. Audi entwickelte in dieser Zeit die Standfestigkeit erheblich weiter, auch einhergehend mit der Austauschbarkeit von Komponenten, wie etwa des Getriebes. Mit Chrysler, Cadillac und dem frontmotorisierten Panoz-LMP waren auch einige US-amerikanische Fabrikate am Start, die allerdings chancenlos gegen Audi waren.
Dann kamen die Dieselmotoren, und mit ihnen Peugeot – und ab 2007 entwickelte sich eine goldene Zeit des Langstreckensports: Audi vs. Peugeot, in Le Mans, in Sebring, beim Petit Le Mans auf der Road Atlanta, es gab eine ganze Reihe großartiger Rennen, bevor die Wirtschaftskrise Peugeot zum Ausstieg bewegte, gerade als die WEC aus der Taufe gehoben wurde. Doch es war (zum Glück) nicht nur Audi vs. Toyota, sondern die LMP1-Klasse war zu dieser Zeit groß und lebendig: zwischen 16 und 22 Autos waren in der Phase 2007-2011 jedes Jahr in Le Mans am Start: Lolas, Orecas, Ginettas und Creations und natürlich Henri Pescarolo mit Autos unter seinem Namen. Die DNF-Quote schwankte in dieser Klasse am stärksten: 2010, als alle Peugeots abrauchten, kamen 67% der LMP1-Starter nicht ins Ziel. Audi gewann.
Nach dem Ausstieg von Peugeot war zum Glück Toyota da, um die Lücke als Audi-Gegner zu füllen. Wie bei Peugeot dauert eine 2-3 Jahre, bis das Auto siegfähig war, doch auch dann noch schien Toyota vom Pech verfolgt: 2016 verlangsamte der führende Toyota wenige Minuten vor Schluss mit einem beschädigten Teil am Turbolader. Den Sieg erbte Porsche, die 2014 nach Le Mans zurückgekehrt waren und aus dem Zwei- einen Dreikampf machten. 2015 versuchte Nissan, mit einem nicht nur front-motorisierten, sondern sogar front-angetriebenen Wagen ebenfalls vorn mitzuspielen, doch dieses Experiment wurde nach dem erfolglosen Debüt leider eingestellt.
Die Jahre des Dreikampfs waren von einem gigantischen Wettrüsten der drei großen Player geprägt, auch weil in dieser Zeit die Hybrid-Systeme als großes neues Experimentierfeld ins Reglement aufgenommen worden waren. Audi arbeitete zunächst mit einem Flywheel-Vorderachsantrieb, Toyota versuchte es mit einem Kondensator als Speicher und Porsche setzte von Beginn an auf Batterie und gewann zusätzlich zur kinetischen auch Wärmeenergie zurück. In der zweiten Generation setzten schließlich alle auf Akkus als Speicher; die Beschleunigung der Autos zu dieser Zeit mit 1000 PS und Allradantrieb bei Hybrideinsatz war gigantisch.
Doch das Wettrüsten war teuer und irgendwann musste die Klasse implodieren: 2017 war Audi nicht mehr dabei, 2018 stieg auch Porsche aus. So, wie die LMP1-Ära begann, endete sie auch: mit einem einzelnen Werksteam, das gegen sich selbst und gegen die Uhr fährt. Mit dem Unterschied, dass die massiven Kosten und der große Vorsprung der Werke auch zu einem Abwandern der LMP1-Privatiers geführt hatten, die Anfang und Mitte der 2000er Jahre noch zahlreich dabei waren. Zwar sollte mit der sogenannten „Equivalency of Technology“ (EoT) ab 2018 die Differenz verringert werden, doch naturgemäß hatte der Werkseinsatz mit viel Geld, Personal und Erfahrung immer die Nase vorn.
Nachdem auch Rebellion Racing frustriert aufgab, war kaum noch jemand da, der die Ressourcen und den „Wagemut“ hat, einen LMP1-Einsatz zu wagen. Colin Kolles und Cameron Glickenhaus heißen die mehr oder weniger glorreichen Ausnahmen. Aber das Ende der Lebensdauer der LMP1-Klasse war erreicht: 2020-2022 konnten jeweils nur fünf Starter in dieser Klasse gefunden werden. Dies ist bereits die Übergangszeit zur 2021 eingeläuteten Hypercar-Ära, die mit ihren vielfältigen Optionen Werke und Privatiers ansprechen soll. Dazu trägt auch die damit einhergehende Balance of Performance bei, die zwar laut ACO nur alle Kontrahenten in ein gewisses Performance-Fenster bringen und nicht im Ergebnis gleich schnell machen soll, aber letztlich lädt man sich immer die gleichen Probleme auf.
Aber: das Interesse ist groß, bereits dieses Jahr werden wir mit Toyota, Porsche, Ferrari, Peugeot und Cadillac fünf Werke am Start haben, weitere haben sich für die nächsten Jahre angemeldet. Porsche setzt seine Autos nicht nur werksseitig mit Penske ein, sondern verkauft sie auch an Privatteams, was ebenfalls eine schöne Entwicklung ist. Aber wie lang die Euphorie anhält und ob es nicht schnell Ärger um die BoP gibt und die ersten wieder mit Ausstieg drohen, das wird sich noch zeigen müssen.
LMP2 – von Leichtbau-Prototypen zur Einheitsklasse
Auch die LMP675/LMP2 hat eine bewegte Geschichte über die gut 20 Jahre seit 2000 hinter sich. Sie profitierte von den gesunkenen Starterzahlen der LMP1, weil sie so mehr Platz auf dem Grid bekam; aber auch einige Reglementsänderungen trugen dazu bei, dass wir zuletzt jedes Jahr mehr als 20 LMP2-Starter sahen, von denen die meisten auch ins Ziel kamen. Auch bei dieser Kategorie lassen sich vier Phasen identifizieren.
Von 2000 bis 2004 konnten unter dem Label „LMP675“ Leichtbau-Prototypen als Alternative zu den schweren, aber stärker motorisierten LMP900 an den Start gebracht werden. Es war also nicht automatisch eine untergeordnete Klasse, aber es gab hier nur wenige Entries und die Ausfallquote war sehr hoch, sie lag jahrelang um 60-70%. Das festigte das Image dieser zweiten Prototypen-Kategorie als „Bastelbuden“-Klasse. Der MG-Lola Ex 257 ist eines der bekanntesten Modelle aus dieser Zeit, Welter Racing, das Team des 2018 verstorbenen Gerad Welter, ein weiterer großer Name in Le Mans.
Das ursprüngliche LMP675-Konzept war jedenfalls nicht erfolgreich, sodass es zur LMP2 mit einem Mindestgewicht von 750kg weiterentwickelt wurde. Damit wurde auch namentlich der Status als zweithöchste Prototypen-Klasse zementiert. Die Starterzahlen stiegen, und mit Porsche und Honda (aka Acurca bzw. HPD) entdeckten auch zwei große Player diese Klasse für sich: 2006 stieg Porsche mit dem RS Spyder und Penske als Einsatzteam in die American Le Mans Series ein und dominierte diese, es gelangen sogar (mit Performance-Balancing zwischen den Klassen) Siege gegen die LMP1-Audis. 2008 und 2009 gewannen Van Merkstijn Motorsport und Team Essex mit dem grandiosen RS Spyder auch die LMP2-Klasse bei den 24 Stunden von Le Mans. 2010 gewann Strakka Racing mit Acura ARX-01 die Klasse und erreichte einen starken fünften Gesamt-Rang, nur zwei Runden hinter dem besten Nicht-Audi.
Solche Werkseinsätze wollte der ACO aber lieber in der LMP1 sehen und so wurde ab 2011 ein neuer Ansatz in der LMP2 implementiert, aufbauend auf einer Kostenbegrenzung für den Kauf von LMP2-Chassis und -Motoren. Ab 2012 ging damit die Starterzahl sprunghaft in die Höhe: statt der bis dahin üblichen 11-12 Starter wollten plötzlich jährlich 20 und mehr Teams ihre erschwinglichen Orecas, Lolas und Zyteks bei den 24h an den Start bringen. Und auch die Zuverlässigkeit wurde besser und besser: sie sank von 40% 2012 auf um die 20%, im letzten Jahr konnte gar nur einer (!) von 27 LMP2-Wagen das Rennen nicht beenden.
Bis heute nicht erklärlich ist mir, warum der ACO innerhalb dieses guten Modells mit dem Cost Cap ab 2017 dann auch noch die Anzahl der Hersteller beschränkte und mehrjährige Modellzyklen mit beschränkter Weiterentwicklung der Autos vorschrieb. Dies führte nämlich innerhalb weniger Jahre dazu, dass nach und nach alle Teams zum stärksten Modell, dem Oreca-LMP2 wechselten, da die andere Hersteller, die für den Ausschreibungszyklus eine Lizenz bekommen hatten (Onroak/Ligier, Dallara und Riley/Multimatic) ihren Rückstand nicht aufholen konnten. Somit haben wir heute eine Einheitsklasse, in dem alle Teams mit dem gleichen Gibson-motorisierten Oreca antreten, die uns aber immerhin enorm spannende Rennen bietet, auch über die 24 Stunden hinweg. Podiumsentscheidungen in den letzten Runden sind keine Seltenheit und 2017, in dem Jahr mit der höchsten LMP1-Ausfallquote seit 2001, hätte beinahe einer der wie ein Uhrwerk laufenden LMP2 des Gesamtsieg an der Sarthe geholt.
Die LMP2 war zuletzt DAS Erfolgsmodell des ACO – und gleichzeitig die Basis für das amerikanischen LMDh-Reglement und damit die Hälfte der Hypercar-Klasse. Aber läutet sie damit ihren eigenen Untergang ein? Wenn die Hypercar-Klasse so boomt, wie es derzeit scheint und wie viele hoffen, wird für große LMP2-Starterfelder kein Platz mehr sein. Oder wird der ACO sich mit einem kleineren GT-Starterfeld begnügen (wo wahrscheinlich auch nach dem anstehenden Reglements-Wechsel der Andrang groß sein wird, dazu gleich mehr)? In der WEC, die aus logistischen Gründen ein begrenztes Starterfeld hat, wird die LMP2 künftig wegfallen, aber in der ELMS dürfte sie erstmal noch ihren Status als Top-Klasse behalten.
Doch ihre Zukunft ist ungewiss: die schon länger angekündigte Fortschreibung des Reglements für die LMP2-Klasse wurde zuletzt auf 2026 verschoben. Man wird also wahrscheinlich erst einmal schauen wollen, wie es mit den Hypercars so läuft und wie viel Platz auf den Grids bleibt, bevor man sich bei der Positionierung der LMP2-Klasse wirklich festlegt und Herstellern und Teams neue Investitionen auferlegt. Die nächste Generation soll jedenfalls auch eine BoP „light“ mit Entwicklungsfenstern umfassen, um der Tendenz zur Einheitsklasse dann entgegen zu wirken. Bis dahin haben wir aber genau das: eine Oreca-Gibson-Einheitsklasse mit Fokus auf die Arbeit der Fahrer und Teams und hoffentlich viel spannendem Racing.
GTs – von der Top-Klasse zur BoP-Klasse
Der Blick auf die Zahlen, aber auch meine einleitenden Ausführungen zu Le Mans in den 1990ern, machen deutlich, wie krass der Bedeutungsverlust der GT-Klassen in Le Mans über die letzten 25 Jahre gewesen ist. In den 90ern fuhren Porsche GT1 und McLaren GT-R um Gesamtsiege, Mitte der 2000er fuhren Corvette C6.R und Aston Martin DBR9 noch Top 5-Resultate im Gesamtklassement ein (wohlgemerkt mit großen Rückständen und vor allem wegen der Fragilität der damaligen Prototypen). Aber spätestens mit der riesigen Zunahme und steigenden Zuverlässigkeit der LMP2-Fahrzeuge ab 2012 verschwanden die GTs im Gesamtklassement relativ weit nach hinten. Gerade in den Jahren der großen LMP1-Werkskämpfe tauchten sie auch im TV kaum noch auf, obwohl es auch hier oft spannende Kämpfe gab. Das setzt sich teils bis heute fort und wird auch mit dem Hypercar-Boom nicht besser werden.
Die Rundenzeiten der schnellsten GTs sind über die Jahre etwa auf einem Level geblieben – 2005 lag die schnellste GT1-Runde in der Quali bei 3:48.5 Minuten, 2021 bei 3:46.8 in der „Hyperpole“. Das heißt, die heutige GTE, hervorgegangen aus der alten GT2, ist schneller geworden als es vor gut 15 Jahren die GT1 war. Auch die alten GT1-Monster von 1998 waren nur gut 10 Sekunden schneller. Aber im Vergleich ist die GT gefühlt langsamer geworden, weil die LMPs so stark an Speed gewonnen haben: im großen Krieg der Werke ging es dort schließloch sogar unter die 3:15er-Marke.
Die Unterscheidung in Prototypen- und GT-Klassen hat sich an dem 1960er Jahren herausgebildet, aber erst seit 1999 diese heutige, recht klare Struktur angenommen. Seitdem gibt es – wie bei den Prototypen – auch bei den GTs ein Grundschema mit zwei Klassen. Zunächst handelte es sich hierbei um zwei Fahrzeugkategorien (GTS/GT bzw. GT1/GT2). Nach dem Ende der alten GT1 und Übernahme dieses Labels durch die verfeindete SRO gab es ab 2011 eine Unterscheidung auf Basis der Fahrerbesetzungen in GTE-Pro und GTE-Am, während es sich bei allen Autos um nun sogenannte GTE-Fahrzeuge, die Fortentwicklung der vorherigen GT2, handelte.
Mit den Reglements-Anpassungen, die man 2016 vornahm, um den neuen Ford GT zum 50-jährigen Jubiläum zuzulassen, hat der ACO das Ende der GTE-Pro eingeläutet, denn mit größeren Freiheiten in den Abweichungen zur Serie wurden die GTEs quasi zu Prototypen, blieben aber in ihrer Bedeutung weit hinter den LMPs an der Spitze – auch wenn das Ford vs. Ferrari-Duell medienwirksam ausgeschlachtet und auch durch eine nicht ganz objektive Balance of Performance „ins Licht gerückt“ wurde. Ford verließ Le Mans nach ein paar Jahren Medienspektakel wieder, ebenso BMW (die alle paar Jahre mal wieder reinschauen) und schließlich stellte auch Aston Martin seinen GTE-Werkseinsatz ein.
So blieben zu Beginn des aktuellen Jahrzehnts wieder genau die vier Hersteller übrig, die „immer schon“ da waren: Porsche vs. Ferrari als das Duell, das schon die GT/GT2-Ära prägte; Corvette, die sich auf die USA konzentrieren, aber immer in Le Mans antreten; und Aston Martin, die mal mehr und mal weniger intensiv dabei sind. In den Zahlen spiegelt sich das insofern wieder, dass die Trendlinie für die GTS/GT1/GTE-Pro nahezu waagerecht verläuft, es über die Jahre aber große Schwankungen gab. Es tauchten über die gut 20 Jahre immer wieder Werke auf, teils gehäuft, was tolle Rennen ergab, aber nur wenige sind wirklich über die Zeit geblieben; neben Ford war BMW ein Hersteller, der über mehrere Jahre einen Werkseinsatz an den Start brachte.
Die GT2 spielte in den späten 00er-Jahren eine wichtige Rolle im Le Mans-Starterfeld, sodass es logisch war, sie zur Basis für beide GT-Klassen unter dem neuen GTE-Reglement zu machen. Auch die GT2 hatte natürlich bereits ein Balance of Performance-Element, wie das für serienbasierte Rennklassen nahezu unumgänglich ist, aber der Unterschied zu späteren „Balance of Performance“-Varianten (Ratel-GT3-Style) war, dass hier die Balance im Vorfeld im Reglement festgelegt war und nicht nach jedem Rennen oder gar zwischen Qualifikation und Rennen angepasst wurde: das Regelwerk beinhaltete eine Matrix, dank der jeder Fahrzugbauer vorab wusste: wenn ich ein Auto mit Gewicht x und Hubraum y baue, bekomme ich einen Liftmengenbegrenzer mit Größe y eingebaut. Und darunter hieß es im GT2-Reglement von 2008: „However, it is out of the question to make adjustments after or according to each race. If adaptations are necessary, they will be imposed by the Bureau, preferably at the end of the race season.“
Mit der GTE kamen dann ein Standard-Mindestgewicht von 1250kg und das zeittypische Performance Balancing, das spätestens seit Ford vs. Ferrari 2.0 völlig ausuferte. Da die Kosten gleichzeitig aber zu hoch waren und sich außer den oben genannten vier Standard-Startern alle Werke verabschiedet haben, war es nur logisch, dass sich der ACO sich schließlich dazu durchrang, Stephane Ratels GT3-Erfolgsformel zu adaptieren. In Le Mans werden sie ab 2023 als gemischte Pro-Am-Klasse antreten, die Zeiten der ganz großen GT-Kämpfe auf höchstem Level sind also an der Sarthe erstmal vorbei. Auch wenn man sich die Zunahme der Entries in der GTE-Am anschaut, wird deutlich, dass der Trend ohnehin in diese Richtung geht. Eine Werks-GT-Klasse außer- bzw. oberhalb der GT3 ist in der aktuellen Situation offensichtlich nicht gefragt, und so wird es 2023 in Le Mans nur eine GTE-Am-Klasse geben. Auch in der US-amerikanischen IMSA-Serie, wo sie lange eine wichtige Rolle spielte, ist sie bereits seit 2022 durch eine GT3-Klasse ersetzt.
Wie die neue LMGT3-Klasse aussehen soll, wird auch nach und nach klarer, aber einfach geht anders: die Hersteller, die in der Hypercar-Klasse am Start sind, haben zuerst das Recht, auch GT-Fahrzeuge für die WEC zu melden. Pro Hersteller sollen allerdings nur zwei Autos eingesetzt werden dürfen, für ein Dutzend GT3s insgesamt hat man zunächst Platz im begrenzten WEC-Feld. Wie das Ganze für Le Mans aussieht, wird sich noch zeigen. Da sich die Pläne für Premium-Le Mans-Aero-Kits mangels Hersteller-Interesse wohl erledigt haben, werden wir auch hier wohl „normale“ GT3-Boliden am Start sehen. Das Interesse an Startplätzen wird weltweit groß sein, aber der ACO ist bekannt dafür „gute Freunde“ zu bevorzugen. Wie sich diese Klasse über die nächsten Jahre entwickelt, finde ich sehr schwer abzusehen.
Ausblick – Wohin bringen uns Hypercars und GT3?
Wir stehen am Beginn einer neuen Phase der Geschichte des 24 Stunden-Rennens von Le Mans. Nach gut zwei Jahrzehnten mit einer bestimmten Philosophie der Reglements, die technischen Wettbewerb gefördert haben, steht uns eine Zeit mit stark von Performance-Balancing geprägtem Rennsport bevor. Vor zehn Jahren hätte ich mich darüber noch sehr geärgert, heute kann ich akzeptieren, dass das nun einmal der Zeitgeist ist. Hoffentlich bringen uns die neuen Regelpakete spannenden, interessanten Rennsport mit vielfältigen Starterfeldern. Die GT3 zeigt ja, dass das auch über eine längere Zeit hinweg funktionieren kann.
Vielfalt würde ich mir gerade auch für die LMP2 wieder wünschen, eine (faktische) Einheitsklasse passt für mein Verständnis nicht zu den 24 Stunden von Le Mans. Am liebsten hätte ich wieder eine „kleine“ Prototypenklasse, die sich von der Hypercar-Kategorie emanzipiert und andere Ziele verfolgt. Den Ansatz mit leichteren Fahrzeugen Anfang der 2000er Jahre fand ich eigentlich gut, auch heute mit einem Fokus auf Effizienz wäre das ein gutes Thema für den ACO und die FIA. Doch hier scheint man eher in Richtung Wasserstoff zu blicken – mehr als Demonstrationsfahrzeuge gab es bisher nicht zu sehen, auch die Garage 56-Einsätze mit Wasserstoffantrieben haben es nicht ins Rennen geschafft.
Letztlich haben wir immer wieder zyklische Verläufe in Le Mans: immer wieder gibt es neue Kategorien, neue Reglements, die dann eine Hochphase erleben und schließlich – aus welchen Gründen auch immer – wieder an Qualität oder Bedeutung verlieren und dann wiederum durch neue Regelpakete ersetzt werden. So war es mit der Gruppe C, mit den LMPs und auch mit der GT1. Der Hypercar-Boom wird uns hoffentlich eine tolle Zeit mit spannenden Prototypen-Rennen auf mehreren Kontinenten bescheren, aber irgendwann wird auch er wieder zu Ende gehen und den Raum freigeben für das „nächste große Ding“. Wird es der Wasserstoff sein, auf den der ACO so gerne setzen möchte? Toyota hat dazu heute ein Concept Car präsentiert, aber von tatsächlicher Renntauglichkeit sind wir hier noch ein Stückchen weg…
Doch nun genießen wir erst einmal wieder spannende Kämpfe zwischen mehreren Werken um den Gesamtsieg in Le Mans!
(Bilder: WEC/ACO)