Im ersten Auftritt seit 50 Jahren gelingt Ferrari ein Sieg in Le Mans. Porsche ging regelrecht unter. Aber es war ein Rennen, dass in die Geschichte eingehen wird.
Ich habe ja schon viele Rennen in Le Mans gesehen und im Liveticker begleitet, aber ich kann mich an kein Rennen erinnern, das in den ersten 12 Stunden so hektisch war, wie dieses Jahr. Viele glimpfliche Unfälle gab es, aber vor allem war es fast unmöglich allein die Hypercar Klasse im Auge zu behalten. Es passierte so viel auf der Strecke, es gab so viele Überraschungen, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Aber ein wenig hatte ich das auch erwartet. Denn in den Tagen zuvor deutete sich schon an, dass die Autos in der Topklasse im Renntrimm extrem eng zusammen liegen würden. Und wenn, abgesehen von den Glickenhaus und dem Vanwall, 13 Autos um die Spitze kämpfen, muss es eng werden.
Dass sich Ferrari am Ende durchsetzen würde, beziehungsweise, dass der Kampf um den Sieg zwischen Ferrari und Toyota laufen sollte, hatte ich in meiner Vorschau prognostiziert. Die Analysen ergaben schon vor dem Rennen, trotz der angepassten BoP, dass es diese beiden Hersteller sein würden, die die schnellsten Autos auf der Strecke haben würden. Dass am Ende nur 80 Sekunden die beiden Teams trennte, zeigte, dass das Rennen sehr, sehr eng war. Und es wäre noch enger gewesen, hätte Ryo Hirakawa nicht 80 Minuten vor Schluss seinen bedauernswerten Ausrutscher gehabt, der das Team etwas mehr als zwei Minuten gekostet hat.
Von Anfang an waren die Ferrari, die auf der Pole waren, und die Toyota die schnellsten Autos auf der Strecke. Sie lieferten sich einen gigantischen Kampf, der mehrfach verzerrt wurde, weil Regen und die Safety Cars das Rennen auf den Kopf stellten. Aber beide Teams arbeiteten sich immer wieder aus schlechten Positionen nach vorn und konnten jeweils die Spitze übernehmen. Das allein zeigt, dass Ferrari und Toyota die schnellsten Autos hatten, auch wenn andere Teams zwischenzeitlich mal vorn lagen.
Als Underdog hatte ich Porsche im Blick. Drei Penske und ein Jota Porsche waren angetreten. Das sollte doch reichen, um Druck zu machen oder ein Auto auf eine andere Strategie zu setzen. Denn vielleicht würde es sich ja lohnen, ein Auto etwas zurückhaltender ins Rennen zu schicken, wenn das Tempo vorn geradezu mörderisch hoch lag. Aber die Porsche erreichten ihre Ziele nicht. Im Gegenteil. Am Ende war das Rennen eine einzige Demütigung für die Marke.
Das Auto war im Renntrimm gut unterwegs und konnte das Tempo vorn halten. Aber in Momenten, in denen man das Gefühl hatte, dass die Toyota und Ferrari ihre Zeiten abspulten und noch Reserven hatten, waren die Porsche schon auf Anschlag unterwegs. Das konnte nicht gut gehen. Der schnellste Porsche schien mir noch der Jota zu sein, der sich aber mit zwei heftigen Abflügen aus dem Rennen nahm. Die drei Penske wurden von technischen Gebrechen geplagt. Die #75 fiel ganz aus, die #5 und die #6 standen immer wieder an der Box und verloren viele Runden. Am Ende verlor die #6 ganze 22 Runden, die #5 13 Runden. Schlimmer noch muss wirken, dass man hinter beiden Glickenhaus und einem Peugeot ins Ziel kam.
Zeitweilig zeigten sie im Rennen sehr gute Stints mit gutem Speed, aber es reichte nicht, um Rückstände aufzuholen. Dass der zwischenzeitlich problemlos laufende Penske #5 sich nicht gegen den zweiten Ferrari wehren konnte, der zeitweilig eine halbe Runde hinter ihm lag, zeigt das Problem noch deutlicher. Trotz der ganzen Tests hat man ein langsameres Auto. Und das lag auch nicht an der BoP.
Die Überraschung der ersten 12 Runden kam von Peugeot. Die Franzosen haben wohl ein Auto gebaut, dass nur auf einer Strecke funktioniert: Le Mans. Dafür hier aber deutlich besser als erwartet. Im Renntrimm lagen die Rundenzeiten zwar nicht ganz bei den Ferrari, aber auch nicht weit weg. Mehrfach konnte man die Spitze übernehmen und auch halten. Das passierte nicht mit Glück, sondern weil Peugeot eine perfekte Strategie hatte und das Auto wirklich sehr gut lief. Lange schien ein Podium tatsächlich möglich.
Der erste Peugeot zeigte allerdings schon nach drei Stunden Auflösungserscheinungen, als er für zwei Runden an der Box stand. Dafür lief die #94 wie ein Uhrwerk und übernahm lange die Spitze. Der Spaß war dann morgens um 3.00 Uhr allerdings vorbei, als Gustavo Menezes das Auto in seiner Out-Lap in der ersten Schikane vehement in die Reifen setzte und nachhaltig beschädigte. Die Reparatur dauerte sehr lange und man war raus aus dem Rennen. Dafür lag die #93 noch mit Aussichten auf die Top 5, was auch ein gutes Ergebnis gewesen wäre.
Doch am Morgen fielen beide Peugeot dann auseinander. Mehrfach mussten beide Autos die Boxen ansteuern. Die #94 verlor 30 Runden, die #93 12 Runden. Am Ende gab nur das Trostpflaster, dass man immerhin vor dem besten Porsche ins Ziel kam. Dafür lag man hinter beiden Glickenhaus, was jetzt auch nicht gerade ein Ergebnis ist, mit dem stolz nach Hause geht. Das Potenzial für das Auto in Le Mans ist da, aber die Franzosen sind noch sehr, sehr weit weg davon etwas zu erreichen.
Die Cadillac waren von Anfang an ohne Chance auf den Sieg, was aber vorher schon klar war. Der Caddy geht gut, hat aber auf eine Runde nicht den Speed, den man benötigt. Es fehlt nicht viel, vielleicht sieben Zehntel pro Runde. Aber das war natürlich dieses Jahr zu viel. Man verlegte sich von Anfang an auch darauf das Auto ins Ziel zu bringen. Kleinere Probleme gab es bei Ganassi, wo beide Autos kurzzeitig an der Box Zeit verloren und am Ende fehlten nur 5 Minuten auf den Sieger. Aber es war auch klar, dass man Lücken nicht zufahren konnte, auch wenn das Auto problemlos unterwegs war.
Schlimm erwischte es die Action Express Mannschaft. Jack Aitken setzte seinen Caddy schon in der ersten Runde auf nasser Strecke in die Planken. Danach war das Auto krumm und die Fahrer hatten Mühe den Cadillac um den Kurs zu bringen. Ich weiß nicht, wie oft das Auto neben der Strecke war, aber es war da sehr oft. Da ist schon eine kleine Überraschung, dass man „nur“ 18 Runden verlor. Die Cadillac waren, so sagte es auch Chip Ganassi, zum Lernen in Le Mans. Und das am Ende ein dritter Platz rauskam, dürfte Chipper sehr gefreut haben.
Der kam aber auch deswegen zustande, weil Toyota und Ferrari ein Auto verloren. Als Erstes erwischte es den Ferrari #50. Ein Stein hatte einen winzigen Kühler vorn zerschlagen. Der Wechsel des Kühlers gestaltete sich schwierig, weil das Teil so tief in den Eingeweiden des Autos saß, dass man die halbe Front auseinanderbauen musste. Als Folge verlor man drei Runden. Schlimmer erwischte es Toyota, die die #7 in einem bizarren Unfall verloren. In einer Slow Zone gab es eine Kette von Missverständnissen zwischen dem Toyota, zwei LMP2 und dem JMW Ferrari. Der Toyota stand nach dem Unfall relativ unversehrt, aber der Motor startete nicht mehr und damit war das Rennen gelaufen. Aber so was gehört zu Le Mans und Cadillac profitierte davon.
Die Glickenhaus muss man tatsächlich loben. Die Autos kamen im Vergleich zum letzten Jahr fast unverändert nach Le Mans und man war natürlich chancenlos. Stattdessen baute man auf die Hoffnung, dass die Werksteams sich gegenseitig in Fehler jagen würden. Was auch passierte, aber bei Glickenhaus lief es auch nicht rund. Beide Autos standen zweimal neben der Strecke und mehrfach in der Box. Der Speed war gar nicht so schlecht und hätte vielleicht sogar für P5 gereicht, wenn die Probleme nicht gewesen wären. Aber P6 und P7 war jetzt auch ein sehr gutes Ergebnis. Ich glaube auch nicht, dass wir die Glickenhaus im nächsten Jahr noch mal in Le Mans sehen werden, insofern war das ein Abschied.
Natürlich wird es Fragen zur BoP geben, zumal der ACO diese sehr kurz vor dem Rennen noch angepasst hatte. Vor allem Toyota wurde mit 37 Kilo bestraft, aber auch die Ferrari bekamen 24 Kilo aufgebrummt. Am Ende trennten beide allerdings nur 16 Kilo und der Toyota konnte minimal mehr Energie zu nutzen. Man könnte sagen, dass das zusätzliche Gewicht die Toyota den Sieg gekostet hat. Dafür gibt es zumindest auch den visuellen Beweis, denn die Ferrari beschleunigten die Toyota aus den Kurven heraus jedes Mal aus. Auf der anderen Seite konnten die Toyota Triple Stints am Tag fahren, was Ferrari gar nicht erst versuchte. So viel scheint das Gewicht nicht ausgemacht zu haben. 10 Kilo weniger Anpassung für den Toyota hätten es aber auch getan. Aber hinterher ist man immer klüger.
Porsche und Cadillac können sich beide nicht beschweren. Die Porsche waren 32 Kilo (!) leichter als die Toyota und hatten minimal mehr Energie zur Verfügung. Das Auto war langsam, da hätte es auch nichts geändert, wenn man mit dem Minimalgewicht von 1030 Kilo gefahren wäre. Selbiges gilt für die Corvette.
Das die Autos gut austariert waren, sah man auch an den Stintlängen. Alle konnten 12 Runden absolvieren und niemand überraschte mit einem 13 Runden Stint unter Grün-Bedingungen. Auch die Zahl der Boxenstopps war ähnlich und lag zwischen 29 (Corvette #2) und 31. Dass der Cadillac einen weniger hatte, als der siegreiche Ferrari lag aber an etwas anderem. Die hatten in einer Regenphase direkt auf die Regenreifen gesetzt, während alle anderen erst Slicks nahmen und dann noch einmal kommen mussten. Leider brachte der Schachzug dem Team nichts. Da sofort nach dem Stopp des Cadillac das SC gerufen wurde, verpuffte der Vorteil.
Wie erwähnt war das Rennen wegen der vielen, vielen Ausfälle vorn hektisch und unübersichtlich. Es waren vor allem die GTEs, die immer wieder für Unterbrechungen sorgten. 12 der 22 Ausfälle gingen auf Konto der GTE-Klasse. Dazu kamen drei Safety Car Phasen und die hatten es in sich.
Denn der ACO hatte die Regeln erneuert. Es gab, wie gewohnt, drei SC. Aber dieses Jahr führte man die SC-Schlangen zusammen und sortierte zudem das Feld nach Klassen. Das sollte zwei Dinge bringen. Zum einen keine Hektik mehr mit gemischten Klassen nach dem Restart, zum anderen wurde vermieden, dass ein Team viel Zeit verlor, weil man hinter dem falschen SC steckte. Das war also gut gedacht, aber die Umsetzung war nicht gut.
Es dauerte ewig, bis man die SC-Schlangen zusammenführte. Und dann dauerte es noch sehr lange, bis man das Feld sortiert hatte. Denn die Rennleitung musste erst die Reihenfolge feststellen, als das SC ausgerufen wurde. Dann musste man die Positionen in den Klassen sortieren. Dann die Klassen. Im Schnitt dauerte jedes SC rund eine Stunde, was völlig übertrieben ist. Ich habe nicht verstanden, warum das Prozedere so lange dauert, aber der Fehler lag wohl darin, dass die Boxengasse aufließ. Was etliche Teams, zurecht, für einen Stopp nutzten. Da die dann aber am Ende der Boxengasse auf das nächste SC warteten, konnte man mit der Sortierung nicht beginnen. Die Rennleitung verzichtete dann im Verlauf des Rennens auf weitere SC und beließ es bei einem FCY, da die Unfälle auch nicht mehr so schwer waren.
Mein Lösungsvorschlag. SC -> Boxengasse zu, warten bis sich alles gesammelt hat. SCs sofort langsam zusammenführen, das Tempo geben die SCs vor. In der Zwischenzeit kann die Rennleitung die Positionen festlegen, dann sofort die Sortierung beginnen, wenn die Strecke frei ist. Erst, wenn die Sortierung abgeschlossen ist, wird die Boxengasse aufgemacht. Wer zwischendrin tanken muss, darf das wie in der IMSA mit einem Notstopp absolvieren. Damit kann man zwar keinen Vorteil mehr erlangen, in dem man unter SC tankt, aber das betrifft ja dann alle.
Man wird was ändern müssen, denn im nächsten Jahr kommen noch mehr Hypercars. BMW wird zwei Autos bringen, ebenso Lamborghini und mindestens ein Alpine. Dazu der Einsatz von Isotta Fraschini und vermutlich ein oder zwei Delage. Der ACO beschränkt daher auch die Teams auf zwei Autos (Kundenautos sind erlaubt). Selbst wenn Glickenhaus und der Vanwall nicht mehr dabei sind, wird das Feld damit auf um die 21 bis 25 Autos anschwellen, die alle im gleichen Performance-Fenster liegen sollen. Zusätzlich kommen 15 LMP2 und dann circa 20 bis 25 GT3. Da ist Ärger vorprogrammiert.
Ferrari hat am Ende hochverdient gewonnen und es ist ein sehr emotionaler Sieg für eine Marke, die in der Formel Eins ja gerade nicht so gut unterwegs ist. Es wird der WEC sicher Auftritt geben, aber es wird auch dafür sorgen, dass sich andere Marken nun erst recht vorgenommen haben, Le Mans zu gewinnen. Denn im nächsten Jahr gewinnt man dann nicht nur Le Mans, man schlägt auch Ferrari. Und das ist immer wieder gut fürs Marketing.
Die LMP2 und die GTE habe ich leider nur am Rande verfolgt, daher kann ich nichts zu deren Rennen sagen. Aufgefallen ist mir nur, dass die GTE Corvette zum Start des Rennens ein Problem hatte, dann in eine falsche SC-Schlange kam und irgendwie anderthalben Runden verlor. Dennoch gewann das Auto das Rennen. Dabei war es lange ruhig an der Spitze in der GTE, es lag also nicht daran, dass die Top 3 permanent in Zweikämpfen steckte. Aber die Corvette war schon in der Quali deutlich schneller und dominierte das Rennen.
Es war ein sehr würdiges Rennen für das 100. Jubiläum und ein echter Klassiker. Selten hat man so viele unterschiedliche Marken an der Spitze gesehen, selten so einen engen Kampf drei verschiedener Marken um den Sieg. Die Vorstellungen und Hoffnungen des ACO dürften übertroffen worden sein und die Fans waren begeistert, wie man Social Media entnehmen konnte. Der ACO hat ausnahmsweise mit der Hypercar-Klasse und dem sehr freien Reglement alles richtig gemacht und einen Boom der Prototypen ausgelöst, wie wir ihn seit über 40 Jahren nicht mehr erlebt haben. Nicht alle Marken, die dieses Mal dabei waren, werden langfristig dabei bleiben. Aber bis einschließlich 2026 rechne ich mit einem sehr vollen Starterfeld und Rennen, die vermutlich noch enger und spannender werden als dieses Jahr.
Bilder: ACO, Alpine, Aston Martin, Ferrari, Toyota, Stellantis
2 Kommentare
Toller Rennbericht! Ich möchte aber mal kurz einwerfen, dass wenn der #7 Toyota nicht unglücklich ausgefallen wäre das Rennen überlegen gewinnen hätte können. Zu dem Zeitpunkt war Kobayashi glaube ich 1 Runde vorne. Mit den Problemen der #51 zum Ende hin wäre der Vorsprung auf vielleicht sogar 2 Runden angewachsen. Rein hypothetisch, und man könnte das selbe Planspiel auch für die #50 ausrechnen, ich denke aber dass man im ersten Fall im Toyota-Lager dann nicht über die BoP diskutieren würde. Kein Hypercar kam ohne Probleme oder Fehler durch. Mit Ausnahme von Cadillac die vielleicht wirklich von der Pace nicht mithalten konnten, war das Rennen sehr eng und Fehler und Probleme waren schwer auszugleichen genau weil alle auf dem selben Level unterwegs waren. Insofern war die BoP gelungen. Am Ende war es eine Entscheidung wer die wenigsten macht, und die #8 hatte den einen entscheidenen Fehler zu viel.
Auffälligkeiten am Rande:
Ich fand das Rennen nicht leicht zu verfolgen, da speziell die hinteren Klassen und Ränge doch ungewöhnlich spärlich von der Regie in Szene gesetzt wurden. Klar, vorne passierte halt auch sehr viel, aber in 24 Stunden sollte doch eine etwas ausgeglichenere Gewichtung möglich sein. Als nicht-Hypercar-Team würde ich es nicht gerne sehen wenn mein Auftritt in Le Mans vornehmlich dadurch wirkkräftig ist, dass die Öffentlichkeit sich hoffentlich auf Social Media und anderen Drittkanälen zusätzlich informiert. Einigermassen bemerkenswert fand ich dieses Jahr auch die – für mein Empfinden – eher hohe Zahl an jungen, talentierten, andernorts oft gelobten Debütanten, denen kleine hitzige Fehler mit grosser böser Wirkung unterliefen, die den jeweiligen Teams/Autos just alle Chancen zerstörten (Jack Aitken war da ja nur der erste und sichtbarste). Und in Sachen ACO und „alles richtig gemacht“ sollte sicher der Nascar-Auftritt mit Button/Johnson/Rockenfeller drauf nicht unerwähnt bleiben, ich würde sagen der wurde allseits höchst positiv wahr-, auf- und angenommen.
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