Der Besuch auf dem permanenten Kurs in Portland hat uns ein kurioses Rennen beschert – nun geht es zurück in bekannte Gefilde, und mit großen Schritten auf das Saisonende zu.
Wie ich vermutet hatte, bekamen wir in Portland ein krasses Spritspar-Rennen zu sehen. Die langen Geraden des nordamerikanischen Traditionskurses veranlassten die Fahrer, wie bei Bahnrad-Rennen im Pulk zu fahren. Der Führende verlangsamte schon Hunderte Meter vor den Kurven, um jemanden vorbei zu lassen und bloß nicht selbst im Wind fahren zu müssen. Es wollte aber auch niemand nach vorn, sodass dies Runde um Runde zum Ausfächern führte, zu dritt, viert nebeneinander fuhren die Piloten über die breite Start-Ziel-Gerade. Der ein oder andere Frontflügel ging in diesem Gewühle zu Bruch. Es war ein Spektakel der ganz besonderen Art – aber ob das Sinn macht, SO Autorennen zu fahren, da bin ich doch eher skeptisch.
Am Ende gewann nach Verlängerung aufgrund einer Safety Car-Phase Nick Cassidy, obwohl er lange die ungeliebte Führungsarbeit machen musste. Er schaffte es dabei trotzdem, sorgsam mit seinem Energievorrat umzugehen. Cassidy war von Platz 10 gestartet und konnte sich im Pulk geschickt und schnell in die Spitzengruppe nach vorn schieben. In Runde 11 übernahm er die Führung, ein paarmal gab er sie an Antonio Felix da Costa ab. Aber erst in den letzten paar Runden, nachdem klar war, wie viel Verlängerung zu addieren war, wurde es ein echtes Rennen zwischen Cassidy, da Costa und dem wieder mal starken Jake Dennis – am Ende mit einem knappen, aber verdienten Sieg für Cassidy, vor Dennis auf P2 und da Costa auf P3.
Am Rande des Rennens war eine weitere Kuriosität passiert: DS Penske, die ja auch durchaus eine starke Saison fahren, sind im Vorfeld des Rennens dabei erwischt worden, dass sie RFID-Leser an der Boxeneinfahrt montiert hatten, um Nutzungsdaten über die Reifen der Konkurrenz zu sammeln. Das gefiel den Kommissaren überhaupt nicht und das Team wurde mit 25.000 Euro Strafe belegt; außerdem mussten beide Piloten das Rennen aus der Boxengasse in Angriff nehmen. In diesem seltsamen Rennen dürfte das nicht so ein gravierender Nachteil gewesen sein, trotzdem schafften es weder Vergne noch Vandoorne in die Punkte, sie wurden 11. und 12. Dass die Kommissare der FIA solchen Aktionen auch prophylaktisch einen Riegel vorschieben wollen, wäre eine Erklärung für die harte Strafe. Jean-Eric Vergne äußerte sich sehr kritisch darüber (er fühlte sich „als Krimineller behandelt“) und bekam so persönlich direkt nochmal eine 3.000 Euro-Strafe auf Bewährung für sein „Fehlverhalten“ gegenüber der FIA und den Kommissaren aufgebrummt. Da sind also gerade alle etwas empfindlich…
Nun sollte man meinen, Nick Cassidy, vorher P3 in der Meisterschaft, müsste mit dem Sieg die Tabellenführung übernommen haben – doch es ist Jake Dennis, der mit einem Punkt Vorsprung ganz oben steht, da er die drei Zähler für die Pole Position kassieren konnte. Der vorherige Spitzenreiter Pascal Wehrlein wurde nur Achter. Wie die Tabelle zeigt, haben noch vier Piloten realistische Chance auf den Titel:
- Jake Dennis (Andretti-Porsche) – 154 Punkte
- Nick Cassidy (Envision-Jaguar) – 153 Punkte
- Pascal Wehrlein (Porsche) – 138 Punkte
- Mitch Evans (Jaguar) – 122 Punkte
- Jean-Eric Vergne (DS Penske) – 97 Punkte
- Antonio Felix da Costa (Porsche) – 93 Punkte
- Maximilian Günther (Maserati) – 78 Punkte
Das Rennen auf einem permanenten Rennkurs wurde, soweit ich das wahrgenommen habe, von vielen Fans positiv gesehen. Ich fand es zunächst gewöhnungsbedürftig, die Formel E-Autos wirkten auf mich in den langgezogenen und weitläufigen Kurven etwas schwerfällig. Das sind sie ja faktisch auch, mit dem Gewicht von 840 kg inklusive Fahrer, und ihnen fehlt natürlich eine ausgefeilte Aerodynamik. Auf den beiden langen Geraden gingen sie dafür richtig ab und konnten hohe Topspeeds vorweisen. Die wurden aber natürlich im Rennen teils gar nicht benötigt, weil so viel geliftet und gecoastet wurde. Von der Rundenzeit her liegt die Formel E auf einem Level mit der USF2000, der dritthöchsten IndyCar-Nachwuchsserie. Das gilt natürlich auch für Stadtkurse, in Monaco ist die Formel E auf einem Rundenzeit-Niveau mit der Formel Renault 2.0. Aber im engen Leitplankenkanal wirken die Autos schneller als auf einem so weiten Kurs wie in Portland. So ganz schlüssig bin ich persönlich mir da also noch nicht, ich mag die Stadtkurse als Teil des Kernkonzepts der Serie. Aber man sollte durchaus weiter immer mal einen permanenten Kurs einstreuen, um zu schauen, wie es so passt und sich entwickelt. Portland fand ich jedenfalls besser als Puebla vor ein paar Jahren als Ausweich-Austragungsort für Mexico City.
Nun geht es nach diesem „besonderen“ US-Ausflug für den Endspurt zurück nach Europa: der Doubleheader in Rom an diesem Wochenende wird gefolgt von einem weiteren Doubleheader in London Ende Juli. Der Kurs in Roms historischem EUR-Quartier ist bekannt: zur Hälfte ist er recht weitläufig und führt über geschwungene schnelle Passagen einen Hügel hinab und wieder hinauf. Dann geht es bergauf auf eine enge 90°-Rechtskurve zu, die sowohl eine Überholmöglichkeit als auch einen Unfallschwerpunkt darstellt. Der Weg zurück zu Start-Ziel ist eng und hakelig, nur die 180°-Kehre um den Marconi-Obelisken herum ist nochmal weitläufiger, hier ist auf der Außenbahn auch die Attack Mode-Aktivierungszone zu finden.
Im letzten Jahr hat Mitch Evans das Wochenende in Rom dominiert, er gewann beide Rennen. Auch 2019 siegte er (damals noch auf einem etwas anders geführten Kurs), 2021 wurde er im ersten Lauf Zweiter. Sollte Evans an diese Bilanz anknüpfen können, würde das die Meisterschaftsentscheidung noch einmal richtig spannend machen, denn er ist aktuell der am weitesten zurückliegende der vier noch realistischen Titelkandidaten.
Die Rennen beginnen am Samstag und am Sonntag jeweils um 15 Uhr. Pro7 und Eurosport 2 übertragen live.