Max Verstappen startete von Position sechs – und gewann trotzdem mit einem enormen Abstand. Dazu: Starkregen am Samstag lässt den Sprint fast ins Wasser fallen. Pirelli erntet erneut Kritik seitens der Fahrer, die den Regenreifen als „nutzlos“ bezeichneten. Mit anderen Worten: In Belgien nichts Neues.
Die Formel Eins verabschiedete sich in die Sommerpause. Nicht mit einem lauten Knall, sondern mit einem harmlosen wie auch stark vertrauten Tischkonfetti. Ein Bild, das heuer bereits unzählige Male gezeichnet wurde. Immerhin: Man fuhr, was angesichts des Wetterberichts vor dem Wochenende von dem ein oder anderen Zyniker sicherlich angezweifelt wurde. Starkregen war nicht nur das Dauerthema, sondern fast auch schon der Dauerbegleiter der selbsternannten Königsklasse des Motorsports in Spa-Francorchamps dieses Wochenende. Welch Ironie, wenn man bedenkt, dass man den belgischen Grand Prix auf Ende Juli vorverlegte, um etwaigen Wetterkapriolen aus dem Weg zu gehen. Stéphan Ratel dürfte hingegen aufgeatmet haben, denn die SRO musste für die 24 Stunden von Spa aufgrund des geänderten Formel-1-Kalenders einen neuen Termin finden. Stattdessen machte der GT World Challenge Europe Endurance Cup dieses Wochenende am Nürburgring halt.
Während der Freitag bereits ordentlich nass war, musste der Zeitplan am Samstag für das Sprintrennen am Nachmittag gar etwas umgekrempelt werden. Ausgerechnet zum Start dann ein erneuter Schauer, weshalb die Action um rund eine halbe Stunde verschoben wurde. Nach ganzen fünf Einführungsrunden hinter dem Safety Car, die selbstredend von der Distanz abgezogen wurden, schickte man das Feld dann endlich auf die Reise. Schnell entledigte man sich den Regenreifen, die anschließend von den Fahrern als „nutzlos“ und „nur für das Fahren hinter dem Safey Car geeignet“ tituliert wurden, um den Sprint auf den Intermediates zu beenden. Die Verantwortlichen von Pirelli bestätigten die Kritik immerhin. Zwar wies man darauf hin, dass der für dieses Jahr neu entwickelte „Full Wet“ bis zu fünf Sekunden schneller sein soll – der Grip soll aber weiterhin relativ miserabel sein.
Hinzu kommen die Sichtverhältnisse, da die Autos einfach zu viel Gischt aufwerfen – fertig ist das Problem, dass die aktuelle Formel-1-Generation einfach nicht bei Starkregen fahren kann. Zwar arbeitet man bereits an einer Lösung. Das Konzept sogenannter „Spray Guards“, die an ähnliche Vorrichtungen bei Rally-Autos erinnern, können aber bereits ad acta gelegt werden, zumal die meiste Gischt vom Diffusor aus erzeugt wird. Etwas ähnliches hatte man vor über zehn Jahren in der japanischen Super Formula getestet, als deren Swift FN09 (später SF13) aufgrund des Ground Effects zu viel Gischt aufwarf – und kam letztlich zum gleichen Ergebnis. Für die FIA bedeutet das also: Zurück ans Zeichenbrett. Ein neues Konzept könnte eventuell im Herbst präsentiert werden.
Gut also, dass ausgerechnet der Rennsonntag trocken blieb. Größtenteils zumindest. Gestartet wurde pünktlich um 15 Uhr Ortszeit bei schönstem Sonnenschein. Charles Leclerc erbte die Pole-Position, da Max Verstappen aufgrund eines Getriebewechsels um fünf Plätze nach hinten versetzt wurde. Lange konnte sich der Ferrari-Star, der den Sprint am Samstag auf dem fünften Rang beendete, aber nicht über die Führung freuen. Bereits auf der Kemmel Straight wurde er von Sergio Perez im Red Bull mit nahezu erschreckender Leichtigkeit überholt. Ferrari-Teamkollege Carlos Sainz kollidierte hingegen in der La Source mit Oscar Piastri. Der McLaren-Pilot befand sich auf der Innenseite, als sich Sainz aufgrund des Start-Techtelmechtels zu sehr nach rechts bewegte. Piastri wurde so in die Bande gedrückt, und beschädigte seinen McLaren dabei so sehr, dass er noch in der Eröffnungsrunde sichtlich frustriert abstellen musste. Ein enttäuschendes Ergebnis für den 22-jährigen Australier, der den Sprint erstmals auf dem Silberrang beendete und diesen gar für kurze Zeit anführte. Carlos Sainz ging ebenfalls nicht ohne Blessuren aus dem Start-Crash heraus. Ein Loch im rechten Seitenkasten und ein daraus zu starker Performance-Verlust sorgte auch hier für eine vorzeitige Aufgabe.
Max Verstappen arbeitete sich im ersten Umlauf bereits auf Position vier vor. In Runde fünf musste Lewis Hamilton dran glauben. Kurze Zeit später krallte er sich den Silberrang von Charles Leclerc an just der gleichen Stelle in Les Combes. Schnell war also klar, dass Sergio Perez sich nicht allzu lange über die Führung freuen dürfte. Tatsächlich verzögerte sich Verstappens Aufholjagd jedoch ein wenig. Den Stempel holte der Niederländer erst auf seiner Outlap nach dem ersten Boxenstopp hervor, als er Perez eine ganze Sekunde aufdrückte und mit der Kraft von DRS mit Leichtigkeit an ihm für den Führungswechsel vorbeizog. Von hier an war es das Rennen von Max Verstappen, der problemlos dem restlichen Feld entkam und selbst von einem weitaus schwächeren Regenschauer als noch am Vortag um Runde 20 herum nicht gestoppt werden konnte. Der Titelverteidiger kam dabei mit einer kleinen Schrecksekunde davon, als er auf der leicht feuchten Strecke auf Slicks fast den Wagen in der Eau Rouge verlor. Doch auch dieser Moment stoppte nicht sein Momentum, da er weiterhin seine Führung gegenüber Perez ausbaute. Einzig Verstappens Renningenieur Gianpiero Lambiase versuchte seinen Schützling etwas einzubremsen, als er ihm erklärte, dass der Reifenverschleiß im ersten Stint etwas zu hoch war und er doch bitte seinen Kopf für den finalen Stint einschalten solle. Selbstsicher erwiderte Verstappen: „Ich kann auch noch schneller fahren und so uns einen weiteren Boxenstopp herausholen.“
Doch auch als Verstappen quasi nur noch im Cruise-Modus unterwegs war, sah Perez keinen Stich gegen ihn. Am Ende drückte er selbst mit „Halbgas“ dem zweiten Bullen ganze 22 Sekunden drauf – was ironischerweise letztlich für einen weiteren Boxenstopp gereicht hätte. Damit feierte der in Belgien geborene Max Verstappen bei seinem zweiten Heimrennen mit dem achten Sieg in Folge seinen nunmehr elften Erfolg in diesem Jahr. Nach einigen schwierigen Wochen durfte die Red-Bull-Chefetage den ersten Doppelsieg seit drei Monaten (Miami) bejubeln. Doch obgleich Perez langsam wieder Vertrauen in sich und sein Auto findet, bleibt der Nachgeschmack, dass er erneut von seinem Teamkollegen gedemütigt wurde. Startplatz sechs und 22 Sekunden im Rennen sind eine entsprechende Ansage.
Charles Leclerc beendete das Gastspiel auf der Ardennen-Achterbahn auf dem Bronzerang – sein erstes Podiumsresultat seit dem Österreich-Grand-Prix. Die Scuderia blieb, wenig überraschend, letztlich chancenlos gegen die roten Bullen. Dafür hatte Leclerc die Mercedes fest im Griff. Lewis Hamilton musste sich mit dem vierten Platz begnügen, fuhr im letzten Stint aber genügend Puffer auf Fernando Alonso heraus, um sich für eine Fast-Lap-Attack einen dritten Boxenstopp zu erlauben, und schnappte damit Max Verstappen mit dem Medium-Reifen im finalen Umlauf die schnellste Rennrunde weg. Dennoch: Im Rennen spielten die Sternenkrieger lediglich die dritte Kraft, was insbesondere nach Silverstone überraschend war. George Russell war derweil auf einer anderen Strategie unterwegs. Aufgrund des kurzen Regenschauers zögerte der Brite seinen einzigen Boxenstopp etwas hinaus – und beendete das Rennen auf dem sechsten Rang.
Im Mercedes-Sandwich: Fernando Alonso. Der Spanier beendete den Samstag-Sprint im Kies, holte im eigentlichen Grand Prix nach einem für Aston Martin zunächst katastrophal wirkenden Wochenende dann doch noch die Kastanien aus dem Feuer. Von der einstigen Performance aus der ersten Saisonhälfte ist bei Aston Martin dennoch nicht allzu viel zu sehen. Die aktuellen Updates waren weder Fisch noch Fleisch – im Gegensatz zu Mercedes, Ferrari und McLaren aber zu wenig, um sich als dritte oder zumindest vierte Kraft zu behaupten. Da Spa ähnlich zu Montreal einen hohen Vollgasanteil hat – ein Kurs auf dem man die zweite Geige hinter Red Bull spielte – nun aber hinter Ferrari und Mercedes fiel, dürfte einige Alarmsirenen zünden. Dass man doch noch den fünften Platz erreichte, dürfte wohl auf den Faktor Alonso zurückzuführen sein, zumal Teamkollege Lance Stroll mit Platz neun lediglich zwei Zählerchen einfuhr.
McLarens aktueller Höhenflug der letzten beiden Rennen verlor etwas an Antrieb. Wohl auch, weil man sich beim Setup verzockt hatte. Aufgrund des antizipierten Regens setzte man auf eine Abstimmung mit besonders viel Downforce. Die Früchte dieser Arbeit sah man unter anderem mit Piastris Silberrang beim Sprintrennen am Samstag. Beim größtenteils trockenen Grand Prix blieb der Traditionsrennstall jedoch chancenlos. Lando Norris wurde zunächst nach hinten durchgereicht, als er sich über ein Steuerungsproblem beklagte. Nach dem Wechsel auf die weichen Reifen und insbesondere auf der feuchten Piste startete der 23-Jährige aber eine besonders starke Aufholjagd, die immerhin noch mit Rang sieben belohnt wurde.
Nach dem Doppelausfall in Ungarn begann das Wochenende für Alpine mit einem wahren Donnerwetter: Überraschend wurde nicht nur den Rauswurf von Teamboss Otmar Szafnaufer, sondern auch von Sporting Director Alam Permane verkündet. Das große Stühlerücken ist ein erneuter Beweis, dass es bei Alpine aktuell alles andere als rund läuft, zumal man erst wenige Tage zuvor CEO Lauren Rossi auf ein „Spezialprojekt“ umbesetzte sowie der technische Direktor Pat Fry einen Überlauf zu Williams bestätigte. Für zumindest ein bisschen Ruhe dürfte daher Pierre Gaslys dritten Platz beim Samstag-Sprint gesorgt haben – ein besonders emotionaler Moment für den Franzosen, der noch vor dem Wochenende einen Charity-Lauf für seinen Freund Anthoine Hubert auf der Strecke organisierte, der 2019 beim Formel-2-Rennen in Spa-Francorchamps sein Leben verlor. Auf den Boden der Tatsachen wurde Alpine dann aber am Sonntag zurückgeholt. Gasly ging auf Platz elf leer aus. Esteban Ocon legte derweil im letzten Renndrittel ein sprichwörtliches Feuerwerk hin, als er sowohl an Alex Albon wie auch Lance Stroll sowie Yuki Tsunoda vorbeizog, um auf Platz acht wichtige WM-Punkte für das Team zu holen. Der Massen-Exodus war das Ergebnis einer besonders schwierigen ersten Saisonhälfte. Während der Sommerpause muss Alpine nun die Scherben aufsammeln und versuchen Stabilität ins Team zu bringen.
Alex Albon (P14) befand sich für lange Zeit auf Punktekurs. Als einziger Drei-Stopper fiel der Williams-Fahrer am Ende aber gar hinter die beiden Alfa Romeo von Valtteri Bottas (P12) und Zhou Guanyu (P13) zurück. Einziger Wermutstropfen: Der Thailänder hatte seinen amerikanischen Teamkollegen Logan Sargeant (P17) abermals eindeutig im Griff. Yuki Tsunoda überzeugte in der Anfangsphase des Rennens und befand sich kurzzeitig gar auf Platz sechs. In der zweiten Rennhälfte ging dem AlphaTauri des japanischen F4-Meister von 2018 jedoch spürbar die Puste aus, weshalb sich Tsunoda am Ende mit lediglich einem WM-Zähler auf dem zehnten Platz begnügen musste – immerhin sein drittes Top-10-Resultat in diesem Jahr. Daniel Ricciardo gelang dank einer gelungenen Undercut-Strategie von Startplatz 19 aus zunächst der Sprung ins Mittefeld. Die Pace des Mittelfelds konnte er dann aber doch nicht ganz mitgehen. Seine Ausbeute: Platz 16, 23 Sekunden hinter Tsunoda. Das Comeback hat sich der Australier sicherlich anders vorgestellt.
Und so begibt sich der Formel-Eins-Zirkus in die einmonatige Sommerpause. Gewiss nicht mit einem Spektakel, sondern einem Rennen auf der 3/10-Skala. Ich weiß, was die Formel Eins diesen Sommer (nicht) getan hat.
Copyright Photos: Pirelli
1 Kommentare
Hallo Geinou,
vielen Dank für deine ausfürliche Analyse – und ja, der Artikel ist besser als das eigentliche Rennen ;-)
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