Ritomo Miyata ist der neue Super-Formula-Meister. Ein dritter Platz beim Finale in Suzuka genügte dem TOM’S-Fahrer, um den Titel in seiner dritten Vollzeit-Saison zu gewinnen. Der Rennsieg ging überraschend an Rookie Kakunoshin Ohta. Liam Lawson holte den Vize-Titel mit dem Silberrang. Tomoki Nojiri wurde nur Vierter.
„Ich bin der Schnellste in Japan“, jubelte Ritomo Miyata lautstark, als er aus seinem SF23-Boliden kletterte. So energetisch hat man den 24-Jährigen noch nie gesehen – auch nicht, als er sechs Monate zuvor in Suzuka seinen allerersten Sieg holte. Ein halbes Jahr später hievte er den gigantischen Meisterpokal. Es ist der erste Titel für einen Toyota- und TOM’s-Piloten seit Nick Cassidy im Jahr 2019. Dabei begann der Tag für den Tabellenführer alles andere als geplant. Ein Fehler in der Spoon-Kurve ließ ihn fast das Heck seines Fahrzeugs verlieren. Mit einem gekonnten Drift rettete er zwar noch die Runde. Über Platz vier am Grid kam er dabei aber nicht heraus. Liam Lawson (Mugen) demonstrierte hingegen, dass er trotz des Rückschlags am Samstag den Ring nicht ohne einen Kampf verlassen wird, indem er seine erste Pole-Position des Jahres einfuhr. Tomoki Nojiri (Mugen) qualifizierte sich auf Platz drei, da Kakunoshin Ohta (Dandelion) die drei Titelaspiranten spaltete.
Bereits am Vortag eroberte Ohta sein erstes Podium. Am Sonntag griff er nach mehr. Direkt am Start schoss er an Mugen-Mann Lawson vorbei. Ein besonders entscheidendes Manöver, da Ohta fortan die Pace des Rennens vorgab. Zwar wirkte es nach ein paar Runden, als könne Lawson schneller. Doch Ohta konnte den Abstand auf im Schnitt rund 1,5 Sekunden halten. Tomoki Nojiri flog am Start hingegen auf den vierten Rang zurück, nachdem er ebenfalls versuchte an seinem Teamkollegen vorbeizugehen. Zu wenig, um noch im Titelrennen zu bleiben. Ritomo Miyata nutzte die Gelegenheit hingegen, um auf den Bronzerang vorzurücken. Dabei er zu den beiden führenden Fahrzeugen aber einen Respektabstand, wohlwissend das der dritte Platz ausreichen würde, um am Ende die Meisterschaft zu gewinnen. Und doch war es Miyata, der als erster der Top-Fahrer in der zwölften Runde zum Boxenstopp hereinkam. Damit gab er plötzlich die Pace an, da sowohl Mugen wie auch Dandelion nachziehen mussten, um sich gegen seinen Undercut-Versuch zu verteidigen.
Liam Lawson kam deshalb bereits eine Runde später herein. Einen Umlauf darauf tat es ihnen Kakunoshin Ohta gleich. Fast hätte der Undercut auch geklappt. Zwar kam der Neuseeländer vor Miyata auf die Strecke zurück. Da dessen Reifen aber bereits auf Betriebstemperatur waren, konnte der TOM’S-Pilot zum Angriff anblasen. Lawson verteidigte sich gekonnt – und wehrte somit einen Positionsverlust ab. Gegen Ohta hatten beide jedoch keine Chance. Anders die Strategie von Tomoki Nojiri, der deutlich länger draußen blieb und versuchte, mit alten Reifen einen Vorsprung herauszufahren, möglicherweise auch mit der Hoffnung einer glücklich fallenden Safety-Car-Phase. Diese sollte aber nicht kommen, weshalb Nojiri mit lediglich rund 25 Sekunden Vorsprung in der 24. Runde zum Reifenwechsel hereinkam. Zu wenig um vor Ohta und seinen beiden Verfolgern zu bleiben. Und auch zu wenig, um sich gegen Nobuharu Matsushita (B-Max) zu verteidigen, der bereits zu Beginn des Boxenstoppfensters in der zehnten Runde zum Gummiwechsel hereinkam, und mit wärmeren Pneus anschließend kinderleicht an Nojiri vorbeizog. Einige wenige Umläufe später konterte Nojiri aber wieder, da der ehemalige Formel-2-Fahrer mit seinen abgenutzten Yokohama-Reifen sich kaum wehren konnte.
An der Spitze setzte sich Kakunoshin Ohta derweil kurzzeitig über zwei Sekunden von seinem Verfolger ab. Lawson konnte diese Lücke aber schnell wieder schließen, rückte gar auf 0.9 Sekunden an seinen Honda-Markenkollegen heran. Miyata fuhr die finalen Kilometer hingegen auf Nummer sicher. Bereits beim Zweikampf mit Lawson probierte er es, trotz des Reifenvorteils, nicht mit der Brechstange. Am Ende hielt Kakunoshin Ohta den Druck von Liam Lawson stand, und sicherte sich somit in seiner Rookie-Saison seinen allerersten Sieg – ein Kunststück, das nur wenigen Piloten in der Geschichte des japanischen Formelsports gelang. Für Ohta war klar: Der Sieg kam nicht aus heiterem Himmel, sondern ist das Produkt eines fortlaufenden Prozesses, bei dem er sich seit Saisonbeginn stetig verbesserte. Besonders bedeutend: Ohta war einer von zwei Piloten, die den einzigen Vorsaisontest auslassen musste, da er kurz zuvor bei einem SUPER-GT-Testunfall in Suzuka sich eine Verletzung zuzog.
Mann der Stunde war aber natürlich Ritomo Miyata. Etwas scherzhaft erklärte er bei der Saisonabschluss-Zeremonie gegenüber den übers Wochenende ingesamt 43.000 angereisten Fans (mehr als beim Saisonfinale 2019 und auch mehr beim Sommerlauf der SUPER GT in Suzuka Ende August), dass er sieh beim Japan-Grand-Prix der Formel 1 nächstes Jahr wiedersehen wird. Ein kleiner Seitenhieb gegenüber Liam Lawson? Trotz Tabellenführung sah sich Miyata das gesamte Wochenende über als Underdog, da Mugen die Mannschaft der letzten beiden Saisons war. Es war das Team, das es zu schlagen galt. „Es ist nicht meine Meisterschaft zu verlieren. Ich kann sie nur gewinnen“, erklärte er nach dem verkürzten Rennen am Samstag in der Pressekonferenz.
Miyata gewann 2020 den Titel in der Super Formula Lights. Noch im gleichen Jahr vertrat er bei zwei Rennen Kazuki Nakajima, der aufgrund von WEC-Überschneidungen nicht bei jedem Rennen in Japan antreten konnte. Ein Jahr darauf übernahm er das Cockpit von Nick Cassidy, der zwei Jahre nach seinem Titelgewinn die Weltbühne in Form der Formula E betrat. Zwar konnte Miyata nicht sofort überzeugen. Sein konstanter Steigerungsprozess suchte aber seinesgleichen. Nach Tabellenrang zehn im Jahr 2021 folgte Platz vier 2022. 2023 krallte er sich nun den Titel. Obendrauf kann er kommenden Sonntag auch die GT500-Meisterschaft in der SUPER GT holen. Er wäre nach Pedro de la Rosa, Satoshi Motoyama, Richard Lyons sowie Naoki Yamamoto erst der fünfte Fahrer in der Geschichte des japanischen Motorsports, der beide Top-Meisterschaften im gleichen gewann. Toyota hat das Können des 24-Jährigen jedenfalls bereits erkannt. So ist er nicht nur Teil des WEC Challenger-Programms der Marke. Den Gerüchte zufolge könnte er auch in der neuen GT3-Klasse in der Langstreckenmeisterschaft antreten, als Vorbereitung auf ein etwaiges Hypercar-Cockpit in naher Zukunft.
Trotz des verlorenen Titels zog Liam Lawson ein positives Fazit. So wusste er, dass das Abenteuer Super Formula kein einfaches werden würde. Dies lernte er unter anderem von Nick Cassidy sowie Pierre Gasly. Dass er am Ende drei Siege einholte und nur knapp die Meisterschaft verpasste, spricht für ihn. Was letztlich fehlte? „Die Konstanz“, so Lawson in der Pressekonferenz am Sonntagabend. „Wir waren das gesamte Jahr über schnell. Einzig an der Konstanz hat es etwas gemangelt. Wir waren außerdem immer flink bei den Outlaps nach den Boxenstopps. Ausgerechnet das hat heute aber nicht funktioniert.“ Am Freitag gab er zu Protokoll, dass ein Gewinn oder Verlust des Super-Formel-Titels keinen großen Einfluss auf seine zukünftige Karriere haben wird. Gleichzeitig bestätigte er aber auch, dass die Red-Bull-Bosse sich das Saisonfinale selbstredend genau anschauen werden. Damit bleibt Ralf Schumacher der vorerst letzte Rookie-Champion, dem der Titelgewinn in seinem Debütjahr 1996 gelang.
Und auch Satoru Nakajima darf sich über den Erhalt seines Rekords freuen, da es Tomoki Nojiri nicht gelang, als erster Fahrer seit Nakajima (1984-1986) drei Titel in Folge zu gewinnen. Am Sonntag fehlte es ihm einfach an Pace, erklärte er etwas ernüchternd nach dem Rennen. „Es ist aber gleichzeitig auch eine Motivation, deutlich stärker nächstes Jahr zurückzukommen. Die anderen Fahrer haben sich verbessert. Nun muss ich mich verbessern.“
Verbessert hat sich auch Nobuharu Matsushita, der beim Finale sein bestes Saisonresultat mit Platz sieben einfuhr – und so ein Jahr ohne Meisterschaftszähler abwandte. Yuhi Sekiguchi gelang dies nach einer etwas verblüffenden Strategie (er kam erst kurz vor Schluss zum Boxenstopp herein, obwohl es ihm an Pace während des Rennens mangelte) auf Platz 16 hingegen nicht. Jubeln durfte hingegen Riki Okusa (TGM Grand Prix). Der Rookie, der an diesem Wochenende überraschend für Toshiki Oyu einsprang (siehe unsere Vorschau) demonstrierte zum Schluss des Rennens sein Können, indem er sich unter anderem einen packenden Zweikampf mit Veteran Kazuya Oshima (Rookie Racing) lieferte. Am Ende wurde er in seinem ersten Rennen über die gesamte Distanz auf Platz 13 abgewunken – zwei Positionen vor seinem Teamkollegen Cem Bolukbasi.
Damit endet eine packende Super-Formula-Saison. Die Kombination, bestehend aus dem neuen SF23-Boliden sowie einer neuen Reifenmischung von Partner Yokohama, war das Grundgerüst für packende Zweikämpfe, einen hochdramatischen Titelkampf sowie Spannung in allen Rennen. Der Saisonstart 2024 wird deshalb bereits sehnsüchtig erwartet.
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